Gemeinsame Sitzung Jugendhilfeausschuss, Ausschuss für Integration Europa und Internationale Kooperation (Internationaler Ausschuss) am 28.09.2015

Protokoll:

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Einladung (erschienen am 18.09.2015)
Protokoll (erschienen am 27.01.2016)
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Protokoll über die gemeinsame Anhörung des Jugendhilfeausschusses
und des Ausschusses für Integration, Europa und Internationale Kooperation
(Internationaler Ausschuss)
am 28.09.2015, 15:00 Uhr, im Hodlersaal des Rathauses, Trammplatz
Ende: 16:30 Uhr

Mitglieder des Jugendhilfeausschusses
A
Stimmberechtigte Mitglieder



Ratsfrau de Buhr als Vorsitzende
-
SPD-Fraktion

(Herr aus der Fünten)
-
Stadtjugendring Hannover e. V.

Ratsfrau Barnert
-
SPD-Fraktion

Ratsherr Bindert
-
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

(Herr Boes)
-
Vertreter des diakonischen Werks

(Frau Breitenbach)
-
Stadtjugendring Hannover e. V.

Herr Duckstein
-
Stadtjugendring Hannover e. V.

(Ratsherr Farnbacher)
-
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

(Ratsfrau Fischer)
-
SPD-Fraktion

(Beigeordneter Förste)
-
DIE LINKE.

(Ratsfrau Gahbler)
-
SPD-Fraktion

Ratsherr Gill
-
SPD-Fraktion

(Frau Heusler)
-
Caritasverband Hannover e. V.

(Herr Hohfeld)
-
Paritätischer Wohlfahrtsverband Hannover

Ratsfrau Jeschke
-
CDU-Fraktion

Frau Karch ab 16 Uhr
-
Stadtjugendring Hannover e. V.

(Ratsherr Kelich)
-
SPD-Fraktion

(Ratsherr Klapproth)
-
CDU-Fraktion

Ratsfrau Klebe-Politze
-
SPD-Fraktion

(Beigeordneter Klie)
-
SPD-Fraktion

(Ratsherr Müller)
-
SPD-Fraktion

Ratsfrau Nolte-Vogt
-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Frau Pietsch
-
Stadtjugendring Hannover e. V.

Ratsherr Pohl
-
CDU-Fraktion

Ratsfrau Pollok-Jabbi
-
DIE LINKE.

(Herr Riechel-Rabe)
-
DRK Region Hannover e. V.

Herr Teuber
-
Arbeiterwohlfahrt, Region Hannover e. V.

Herr Werkmeister
-
DRK Region Hannover e. V.

(Frau Wermke)
-
Stadtjugendring Hannover e. V.




B
Grundmandat



Ratsherr Böning
-
Die Hannoveraner

(Ratsfrau Bruns)
-
FDP-Fraktion




C
Beratende Mitglieder



(Frau Bloch)
-
Vertreterin der katholischen Kirche

Frau Broßat-Warschun
-
Leiterin des Fachbereichs Jugend und
Familie

(Frau David)
-
Beratungsstelle gegen sexuellen Missbrauch von Mädchen (Violetta)

(Herr Dencker)
-
Vormundschaftsrichter

Frau Hartleben-Baildon ab 15:14 Uhr
-
Sozialarbeiterin

(Herr Jantz)
-
Beratungsstelle mannigfaltig

(Frau Kumkar)
-
Lehrerin

(Herr Mastbaum)
-
Vertreter der Jüdischen Gemeinde

(Frau Nofz)
-
Vertreterin der Vertreterversammlung der Eltern und Mitarbeiter hann. Kindertagesstätten und Kinderläden

(Herr Pappert)
-
Vertreter der ev. Kirche

Herr Rohde
Stadtjugendpfleger

Frau Schnieder
-
Vertreterin der Kinderladeninitiative Hannover e. V.

Herr Steinecke
-
Vertreter der Freien Humanisten

Mitglieder des Ausschusses für Integration, Europa und Internationale Kooperation (Internationaler Ausschuss)
A
Stimmberechtigte Mitglieder



Bürgermeister Hermann als Vorsitzender
-
SPD-Ratsfraktion

(Ratsfrau Barnert)
-
SPD-Fraktion

Ratsherr Farnbacher
-
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

(Ratsfrau Fischer)
-
SPD-Fraktion

Ratsfrau Jeschke
-
CDU-Fraktion

(Ratsherr Kelich)
-
SPD-Fraktion

(Ratsherr Klapproth)
-
CDU-Fraktion

(Beigeordnete Markowis)
-
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Ratsfrau Dr. Matz
-
CDU-Fraktion

(Ratsfrau Pollok-Jabbi)
-
DIE LINKE.

(Ratsfrau Steinhoff)
-
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN




B
Grundmandat



(Ratsherr Böning)
-
Die Hannoveraner

(Ratsherr Engelke)
-
FDP-Fraktion




C
Beratende Mitglieder



Herr Faridi



(Herr Ganijev)



Frau Guaqueta-Korzonnek



Herr Hussein



Frau Kage



(Frau Karaboya)



(Herr Lam)



(Frau Rajabi)



(Herr Raynesh)



Frau Dr. Sekler



(Frau Dr. Tekidou-Kühlke)


D
Presse



Frau Rinas
-
Hannoversche Allgemeine Zeitung

Herr Thomas
-
Hannoversche Allgemeine Zeitung

Herr Voigt
-
Neue Presse




E
Gäste



Frau Decarli
-
AFET Bundesverband für Erziehungshilfe e. V., Hannover

Herr Dr. Härdrich
-
stellvertretender Leiter des Nds. Landesjugendamtes als Vertreter von Frau Birgit Zeller, Vorsitzende der BAG der Landesjugendämter

Herr Müller
-
Geschäftsführer Landesbetrieb Erziehung und Beratung, Hamburg

Ratsherr Müller
-
SPD-Fraktion

Frau Rommel
-
Referentin des Kinder- und Jugendprojekts im Niedersächsischen Flüchtlingsrat, Hildesheim

Herr Türk
-
Institut für transkulturelle Betreuung e. V., Hannover




F
Verwaltung



Herr Burucker
-
Fachbereich Jugend und Familie,
Bereich Kommunaler Sozialdienst

Herr Cordes
-
Fachbereich Jugend und Familie,
Bereich Zentrale Fachbereichsangelegenheiten

Herr Dienst
-
Fachbereich Jugend und Familie,
Bereich Zentrale Fachbereichsangelegenheiten

Frau Klinschpahn-Beil
-
Fachbereich Jugend und Familie,
Bereich Kindertagesstätten

Herr Koshbeen
-
Fachbereich Soziales,
Bereich Migration und Integration

Frau Kuhlmey
-
Fachbereich Jugend und Familie, Familienmanagerin

Frau Kulczyk
-
Fachbereich Jugend und Familie, Elternbildung

Herr Kunze
-
Fachbereich Jugend und Familie,
Bereich Kommunaler Sozialdienst

Herr Laue
-
Dez. III

Herr Maschke
-
Fachbereich Jugend und Familie,
Bereich Heimverbund

Herr Möser
-
Büro Oberbürgermeister,
Bereich Presseinformation und Öffentlichkeitsarbeit

Herr Rauhaus
-
Fachbereich Jugend und Familie,
Bereich Kindertagesstätten

Herr Seifert
-
Fachbereich Jugend und Familie, Elternbildung

Herr Sieben
-
Fachbereich Jugend und Familie,
Bereich Kinder- und Jugendarbeit

Frau van der Velde
-
Fachbereich Jugend und Familie,
Bereich Heimverbund

Herr Walter
-
Jugend- und Sozialdezernent

Frau Wille
-
Fachbereich Soziales,
Bereich Migration und Integration

Frau Fritz für das Protokoll
Herr Krömer für das Protokoll

Tagesordnung:



1. Eröffnung der Sitzung, Feststellung der ordnungsgemäßen Einberufung und Beschlussfähigkeit sowie Feststellung der Tagesordnung

2. A N H Ö R U N G gem. § 35 der Geschäftsordnung des Rates zum THEMA:
"Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge"
Eingeladen sind:

- Herr Dr. Härdrich, stellvertretender Leiter des Nds. Landesjugendamtes als Vertreter von Frau Birgit Zeller, Vorsitzende der BAG der Landesjugendämter
-Frau Jutta Decarli, AFET Bundesverband für Erziehungshilfe e.V., Hannover
- Frau Ulrike Schwarz, Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge e.V., Berlin
- Herr Ali Türk, Institut für transkulturelle Betreuung e.V., Hannover
- Herr Klaus-Dieter Müller, Geschäftsführer Landesbetrieb Erziehung und Beratung, Hamburg
- Frau Edda Rommel, Referentin des Kinder- und Jugendprojekts im Niedersächsischen Flüchtlingsrat, Hildesheim







Tagesordnungspunkt 1

Eröffnung der Sitzung, Feststellung der ordnungsgemäßen Einberufung und Beschlussfähigkeit sowie Feststellung der Tagesordnung

Ratsfrau de Buhr eröffnete die Sitzung, begrüßte die Anwesenden und stellte die ordnungsgemäße Ladung und die Beschlussfähigkeit des Jugendhilfeausschusses und des Ausschusses für Integration, Europa und Internationale Kooperation (Internationaler Ausschuss) fest.

Anschließend wies der Vorsitzende des Internationalen Ausschusses, Bürgermeister Hermann, auf die Finanzierungslücke beim Stadteilbauernhof hin und überreichte der Vorsitzenden des Jugendhilfeausschusses eine goldene Lanze.



Tagesordnungspunkt 2

A N H Ö R U N G gem. § 35 der Geschäftsordnung des Rates zum THEMA:
"Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge"

Ratsfrau de Buhr begrüßte namentlich die Referentinnen und Referenten und erläu­terte das Verfahren zur Anhörung.

Als erster Experte trug Herr Dr. Härdrich, stellvertretender Leiter des Niedersächsischen Landesjugendamtes, vor. Er vertrat in dieser Sitzung Birgit Zeller, die Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter, und berichtete von einer aktuellen Änderung der Bundesgesetze. Diese bewirke, dass der so genannte „Königsteiner Schlüssel“ künftig auch für die Verteilung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen auf die Jugendämter in den Kommunen zur Anwendung kommen werde. Dadurch sollten regionale Konzentrationen von Angehörigen dieser Gruppe verhindert werden. Praktisch bedeute es aber, dass auch Kommunen, deren Jugendämter bisher wenig oder keine Erfahrungen im Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen hätten, sich kurzfristig darauf einstellen müssten, diese schon ab November in Obhut zu nehmen. Dadurch würde voraussichtlich an einigen Stellen die gebotene Orientierung am Kindeswohl erschwert, weil die hierfür notwendigen Strukturen vor Ort noch gar nicht aufgebaut seien. In der Neuregelung der Verteilung sehe er auch qualitative Kriterien unberücksichtigt, die entscheidend für eine passgenaue Betreuung der teils schwer traumatisierten Jugendlichen seien. Für Hannover sagte er eine Zuteilung von circa 200 Jugendlichen in diesem Jahr voraus. Seine Präsentation ist dem Protokoll als Anlage 1 beige­fügt.


Frau Decarli vom AFET riet den Ausschussmitgliedern, sich zügig auf die neuen Herausforderungen vor­zubereiten und die Arbeit aller betroffenen Gremien und Institutionen zu koordinieren. Für Diskussionen über die Standards der Jugendhilfe sei keine Zeit – diese seien im SGB VIII festgelegt und müssten ohnehin umgesetzt werden. Hier müsse die Kommune ihrer politischen Verantwortung gerecht werden und auch mit Versorgungs­krisen pragmatisch und kreativ umgehen. Sie schloss ihren Beitrag mit der Empfehlung, transparente Kriterien festzulegen, wie mit welchen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen umgegangen werden solle. Ihre Ausführungen sind dem Protokoll als Anlage 2 beigefügt.

Anschließend führte Herr Türk vom Institut für transkulturelle Betreuung e. V. Hannover Folgendes aus:
Frau Vorsitzende, meine Damen und Herren, vielen Dank für die Einladung. Ich werde den Beitrag aus einer anderen Perspektive vornehmen und den Schwerpunkt auf die Rechtsvertretung setzen. Ich komme vom Institut für transkulturelle Betreuung. Schwer­punktmäßig sind wir eigentlich im Bereich der rechtlichen Betreuung von Erwachsenen tätig. Seit 2010 sind wir im Land Niedersachsen ein anerkannter Vormundschafts- und Pflegschaftsverein und als solcher auch im erweiterten Bereich tätig. Der Schwerpunkt, den wir gesetzt haben, lag nicht zwingend bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Aber aufgrund der aktuellen Entwicklung hat es sich seit einigen Monaten herauskristallisiert, sich dieses Thema mehr als bisher anzunehmen. Dies vielleicht als Eingang zu diesem Themenbereich.
Wir verstehen unsere Aufgabe entsprechend der in § 1773 des Bürgerlichen Gesetz­buches (BGB) festgelegten Norm. Hier geht es um die Vormundschaft für Minder­jährige, bei denen die Eltern ihre Sorge nicht mehr wahrnehmen können, so dass dies stellvertretend durch Andere geschehen müsse. Dies wird im § 1793 BGB festgelegt und ist der Hauptschwerpunkt unserer Tätigkeit. Das bedeutet, dass immer ein Gericht beteiligt ist, welches uns zum Vormund oder Pfleger bestellt, bevor wir tätig werden können.
Im Jahre 2011 ist das Vormundschaftsrecht angepasst worden. Der Sinn und Zweck war, die Vormundschaftsarbeit weg vom Schreibtisch in eine mehr persönliche Arbeit zu verlagern. Im Jahre 2012 ist dann ein entsprechendes Gesetz verabschiedet worden, welches den Jugendämtern auferlegt, höchstens 50 Mündel pro Vollzeitkraft führen zu dürfen. Das hat zu einer massiven strukturellen Änderung geführt, und jetzt erklärt sich auch in der heutigen Zeit, welche noch größere Herausforderung es ist, wenn man allgemein diese gesetzlich genormte Situation erfüllen muss und dann spezifische, zu versorgende Gruppen hat.
Im Bereich der Menschen mit Migrationshintergrund, also Migration und Flucht, gibt es verschiedene Grundlagen, die zum Tragen kommen. Zum einen ist das sicher die psychosoziale Ebene: Verlassen von Geburts- und Heimatländern, vertraute Strukturen gibt es nicht mehr, die sind hier neu aufzubauen. Wir haben hier einen psychischen Druck, der in der Wanderung entsteht und auch zu Belastungsstörungen führt. Die ken­nen kaum unser Gesundheits- und Sozialwesen. Damit ist das Verständnis der Hilfen, die wir anbieten, auch nicht gleich gegeben, und es ist nicht verstehbar, warum wir dies oder jenes machen. Wenn sie kommen, ist nicht immer gegeben, dass das Bildungs­niveau, was wir von diesen Menschen altersgerecht erwarten dürften, unbedingt vorhan­den ist. Das heißt, dass wir hier neben der allgemeinen Problematik noch mit spezifi­schen, individuellen Fragestellungen konfrontiert sind.
Unsere Aufgabe verstehen wir dann darin, diesen jungen Menschen den Zugang zu ermöglichen und sicherzustellen, dass ihre Angelegenheiten adäquat vertreten werden. Das sind Vertretungen im Bereich des Asyls; manchmal sind es auch Angelegenheiten im Herkunftsland. Wir haben hin und wieder den Fall, dass wir Herkunftsdokumente aus den Heimatländern besorgen müssen und dort auch mit großen Schwierigkeiten bedacht werden. Es gibt Länder, die schlichtweg die Existenz dieser Menschen verleugnen, so dass es dann auch keine Herkunftsdokumente geben kann. Dann gibt es auch rechtliche Regelungen, zum Beispiel nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und dergleichen.
Die weitere Schwierigkeit, die wir haben, liegt in der individuellen Vormundschaftsführung. Da geht es nämlich auch um die Frage, nach welchem Erziehungsmodell diese Kinder begleitet werden. Stellen wir also sicher, dass sie so erzogen werden, wie sie in ihrer Herkunftsfamilie vorsorgt worden wären oder müssen wir andere Konzepte umsetzen? Da geht es um religiöse Bezüge oder auch Ge­schlechterrollen. All diese Fragen sind Herausforderungen, mit denen wir individuell konfrontiert sind. Daraus haben wir gelernt, dass gerade für diese Gruppe von Kindern und Jugendlichen transkulturelle Kompetenzen von großer Bedeutung sind und hier entsprechende Schulungen, Fortbildungen und alles, was da dranhängt, installiert werden müssen und auch für die Fachkräfte, die in diesem Bereich arbeiten, anzubie­ten sind. Herr Dr. Härdrich hat ja hier einiges ausgeführt; diesen Teil hat er ausgelassen. Das Landesjugendamt Niedersachsen bietet ja auch zum Beispiel zu diesem Bereich konzentrierte Schulungsmodule an, die Vormünder, die in Niedersachsen tätig sind, auch aufsuchen und Ihre Qualifizierung auch erweitern sollen.
Ich möchte nochmal kurz zurückkommen – und angesichts der Zeitvorgabe will ich das für Sie nicht überspannen -, wie die aktuelle Situation der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge aus unserer Sicht aussieht, damit Sie eine kleine Vorstellung haben. In unserer Einrichtung werden derzeit 23 Kinder unter Vormundschaft geführt, die unbegleitet sind und auch hier keine Angehörigen haben, welche die Vormundschaft oder Pflegschaft für sie übernehmen könnten. Das wird bei uns durch zwei Fachkräfte durchgeführt, die schon lange als Vormünder tätig waren und vor einigen Monaten diese Zusatzaufgabe für die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge übernommen haben.
Insgesamt werden bei uns 50 Vormundschaften und Pflegschaften geführt. Das ist keine sehr hohe Zahl, aber wenn Sie betrachten, dass Vormundschaften außerhalb von Jugendämtern erst seit wenigen Jahren geführt werden, ist das aus unserer Sicht schon eine ganz positive Entwicklung. Derzeit haben wir sehr viele Anfragen im Hinblick auf die Führung weiterer Vormundschaften. Das beschränkt sich nicht nur auf das hannover­sche Gebiet. Heute früh kam ein Anruf, weil die Kollegen aus Hildesheim gestern 48 Neu­zugänge minderjähriger Flüchtlinge bekommen haben und nun versuchen müssen, dies von gestern auf heute zu bewältigen. Da stellen sich ja viele Fragen. Unser Fokus ist primär die Rechtsvertretung, aber es ist ja nicht nur die Rechtsvertretung. Es gibt jetzt Probleme bei der Unterbringung, der altersgerechten Versorgung und und und. Das ist eine sehr lange Liste von Maßnahmen, die hier durchzuführen sind und die alle Beteiligten vor große Herausforderungen stellen.
Wie geht das in der Praxis? Hier gibt es eine sehr enge Kooperation der Beteiligten, die mit diesen Kindern und Jugendlichen zu tun haben. Alle sind sehr bemüht, hier das Optimale zu leisten, wobei es nicht immer möglich ist, die Probleme in der Weise zeitnah zu lösen, wie sich die Beteiligten dies vorstellen. Unter anderem besteht ja das Problem darin, dass das Gericht den Vormund bestellen muss; dieser Prozess dauert aber oft länger als zwei Monate. Praktisch haben Sie dann also ein Kind oder einen Jugendlichen hier, der Rechtsvertretung braucht, der seine Angelegenheiten geregelt haben müsste, aber keiner das faktisch tun kann, weil das rechtlich noch nicht ganz klar geregelt ist. Es gibt entsprechend auch wenige Versorgungseinrichtungen, die in der Lage sind, sich dieser speziellen Gruppe annehmen zu können. Das ist also ein weite­res praktisches Problem. Natürlich gibt es viele Einrichtungen, die Angebote machen. Es ist also nicht so, dass es nichts gibt, aber alle Kolleginnen und Kollegen, die diese Angebote machen, sind bis auf den letzten Platz ausgebucht. Jeder Fall, der jetzt kommt, braucht die Schaffung neuer Strukturen und noch mehr Personal. Ansonsten wird es schwierig werden, das zu bewältigen.
In der Praxis gibt es auch Schwierigkeiten, die Kinder zeitnah in die Schule zu bekommen, Da gibt es dann Unwägbarkeiten, die zu lösen sind. Insbesondere bei den unter 16-Jährigen ist das etwas schwieriger; bei den über 16-Jährigen ist das so eine Art Selbstläufer, weil sie bestimmte Schulpflichten ja nicht mehr in dem Maße haben. Da gibt es dann Sondermodelle, die für sie umgesetzt werden.
Ein weiteres Feld, was sich aufgetan hat, ist, wenn minderjährige unbegleitete Flüchtlinge von Verwandten aufgenommen werden. Ohne Frage unterstützen die Verwandten diese Kinder. Die Frage ist jedoch: Wer unterstützt die Verwandten? Wir haben jetzt die Erfahrung gemacht, dass auch wenn Verwandte zum Vormund bestellt werden, sich sehr viele Fragen für sie stellen und ein hoher Beratungsbedarf entsteht. Hier ist dann die Frage, wie Ratsuchende und Berater zusammen kommen. Diese Zugänge müssen geschaffen werden; hier gibt es viel zu wenig Wissen auf beiden Seiten, um aufeinander zugehen zu können.
Was wir sehr kritisch begleiten und hinterfragen, ist im Moment der Bereich der so genannten Altersfeststellung. Wenn ein Jugendlicher kommt, der dem Augenschein nach doch ein Volljähriger sein könnte, da gibt es verschiedene Verfahren, um die Altersfeststellung vornehmen zu können. Wir begleiten das sehr kritisch und haben als Einrichtung nunmehr endgültig festgelegt, dass wir solchen Prüfungen nicht zustimmen werden, wenn wir als Vormund bestellt sind. Das muss gerichtlich erstritten werden, bis wir das zwangsweise tun müssen. Bis dahin werden wir das nicht tun. Dass halten wir für etwas schwierig, da auch Fachleute diese Verfahren für umstritten halten.
Was sich für die nächste Phase auch auftun wird, ist der Bereich der ehrenamtlichen Vormundschaften, also private Vormünder, die man gewinnen, begleiten, anleiten und auch stärken kann, um sich dieses Problems anzunehmen. Wir werden versuchen, an allen Stellen, die uns möglich sind, die Kooperation so zu gestalten, dass diese transkulturelle Kompetenz transportiert wird und den übrigen Kollegen zur Verfügung steht.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Nachdem Ratsfrau de Buhr die Stadtplakettenträgerin und ehemalige Bürgermeisterin Frau Lange begrüßt hatte, erteilte sie Herrn Müller, Geschäftsführer des hamburger Landesbetriebs Erzie­hung und Beratung das Wort. Dieser erklärte, wie die Hansestadt Hamburg mit unbegleiteten minderjähri­gen Flüchtlingen umgehe. Dort habe man frühzeitig den Koordinierungsbedarf erkannt und eine zentrale Stelle zur Betreuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge eingerichtet. Dies habe sich bewährt, da der gesamte Prozess ab der Erstaufnahme bis zum Ende der Inobhutnahme koordiniert ablaufe. Doch auch in Hamburg leide man darunter, dass die Ausländerbehörden mit der Bearbeitung der Aufenthaltsanträge hinterher hinkten. Um dennoch den Standards der Jugendhilfe gerecht zu werden, seien – auch in Anbetracht der steigenden Zahl unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge – zahlreiche Nachjustierungen der Abläufe in sehr kurzer Zeit nötig geworden.
Die Ausführungen von Herrn Müller sind dem Protokoll als Anlage 3 beigefügt.

Auf eine Verständnisfrage des Ratsherrn Böning zu einem Artikel über ein Dossier des Lan­deskriminalamtes zu kriminellen Flüchtlingskindern erläuterte Herr Müller, dass in der zwei­ten Jahreshälfte 2014 vermehrt Kinder aus Marokko, Algerien und Ägypten nach Hamburg gekommen seien. Diese Kinder seien hoch delinquent gewesen, waren zum Teil auch medi­kamentenabhängig und seien, wie später bekannt wurde, auch in anderen Städten aufgetaucht. Sie hätten eine große Anzahl Straftaten, darunter Kör­perverletzungsdelikte, be­gangen und seien pädagogisch nicht zugänglich gewesen. Die Jugendbehörde habe hier ver­stärkt mit der Polizei und der Jugend­staatsanwaltschaft zusammen gearbeitet. Es sei zu In­haftierungen und längeren Phasen von Untersuchungshaft gekommen. Im März 2015 habe man dann eine Ein­richtung in Betrieb nehmen können, in der man sich mit diesem Klientel beschäftige und die auch ein räumliches Konzept verfolge. Diese Maßnahmen hätten bis jetzt gute Erfolge gezeigt.

Ratsfrau Barnert fragte nach, was unter "besondere Einrichtungen“ zu verstehen sei.

Herr Müller erläuterte, dass es sich hier um Einrichtungen für minderjährige Mütter mit kleinen Kindern und um Wohngruppen handle, die sich konzeptionell auf die Betreuung von 14- oder 15-jährigen Flüchtlingen ausgerichtet habe.

Daraufhin erhielt Frau Rommel das Wort und führte aus:
Ich versuche, nur noch das zu sagen, was bisher nicht gesagt worden ist. Ich bin Frau Rommel und habe im Jahre 2002 den Bereich Kinder und Jugendliche im niedersächsischen Flüchtlingsrat mit wechselnden Vorzeichen aufgebaut, weil wir immer nur über Projektierungen arbeiten können. Deshalb bin ich im Moment erwerbslos und habe daher Zeit, hier bei Ihnen im Jugendhilfeausschuss zu sein.
Ich möchte ergänzend noch mal erwähnen, dass es sich bei denen die kommen weder um Kinder noch um Jugendliche, sondern schlicht um junge Erwachsene handelt. Der Schwerpunkt liegt in Niedersachsen bei 16- bis 18-jährigen Jugendlichen. Die Männ­lichkeitsquote liegt je nach Erhebung nicht bei 90, sondern bei 92 bis 96 %. Das hat verschiedene Gründe. Die werden sehr häufig von den Eltern geschickt und haben be­stimmte Aufträge, zum Beispiel Geld zu besorgen. Dieses wird eher den Jungen an­heim gestellt, während die Mädchen überwiegend in Familien kommen. Die einzelnen Mädchen kommen eher aus afrikanischen Räumen, zumindest in Niedersachsen. Die Schwerpunktländer sind, anders als bei Erwachsenen, überwiegend die Kriegs- und Kri­senregionen wie Afghanistan, Eritrea, Syrien, Somalia und der Irak. Allerdings – um nochmal an Herrn Müller anzuknüpfen – hat sich hier Marokko dazwischen geschoben, was die Inobhutnahmen betrifft. Nach einem Bericht von 2014 liegt Marokko an fünfter Stelle bei den Inobhutnahmen. Das ist in der Tat ein problematisches Klientel, und die Fachleute sollten überlegen, wie man damit sinnvoll agieren kann oder sollte.
Ich möchte nochmal generell sagen: Wenn das Gesetz jetzt so schnell in Kraft treten sollte, so finde ich es wichtig, für die jungen Menschen die kommen sich der Frage der Rechtsvertretung zuzuwenden. Die Vormundschaft soll ja erstmal vorübergehend eingerichtet werden; ich würde dafür plädieren, eine vernünftige rechtliche Betreuung zu installieren, die bleibt.
Ganz wichtig ist die Frage, wo eine Zuständigkeitskonzentration ist. Eine breite Verteilung in die Fläche, wo Jugendämter oft überfordert sind, ist nicht sinnvoll. Die Infrastruktur ist alles. Es muss ein Zugang bestehen zu Arbeit, Ausbildung und Schulen, vor allem Schulen. Das ist wirklich das A und O, und daher mein Plädoyer für eine Zuständigkeitskonzentration.
Das nächste sind Kenntnisse in Asyl- und Aufenthaltsgestattung. Das muss sich nicht jeder in jedem kleinen Jugendamt aneignen. Da muss man Kongruenzen schließen, schauen, dass man eine Vernetzung hinbekommt, die sinnvoll sein könnte.
Als drittes ist sehr wichtig der Zugang zur spezifischen Gesundheitsversorgung. Es kam jetzt häufig vor, dass die Gesundheitsprüfung bei den Erstmeldern nicht stattfand, wie dies in der Regel standardisiert nur in den Erstaufnahmeeinrichtungen war. Das ist sträflich, auch Anderen gegenüber, und man muss schauen, wie und mit welchen Strukturen man das hinbekommt.
Das nächste ist, was Herr Müller auch gesagt hat, der Fachkräftemangel. Alle Men­schen, die hier in Niedersachsen mit dem Klientel zu tun haben, haben genau das bemängelt. Also es geht um die Qualifizierung von diesen möglichst konzentrierten Fachkräften. Dann geht es um eine Bündelung der Kompetenzen vor Ort. Wir müssen zusammenarbeiten mit Jobcentern, Ausländerbehörden und so weiter.
Dann möchte ich noch auf ein Problem hinweisen, was noch nicht so sehr erwähnt wurde. Sehr viele kommen auch in dem Übergangsalter. Die sind achtzehn plus/minus. Keiner weiß das so genau, manchmal die jungen Menschen selber nicht. Aber auch diese Menschen brau­chen ja den Anschluss. Das war bisher ein Problem, und es wird sicher größer, allein weil die Quantität auch wesentlich größer ist. Hier muss überlegt werden, was mit diesen Menschen gemacht werden kann, wie hier eine Anknüpfung zu erreichen ist. Das ist ja etwas anderes als ein 15- oder 16-Jähriger, der über die Bil­dungssysteme integriert werden kann. Das bitte ich einfach zu bedenken, denn eine Lösung ist auch nicht immer ganz einfach.
Bitte wundern Sie sich nicht über die Zahlen, die teilweise variieren. Das liegt daran, dass bei allen Anfragen immer nur ein Teil der Jugendämter zurückmeldet oder die Zahlen gar nicht erfasst und dass wirklich – ich bin Sozialwissenschaftlerin und weiß das daher – die Zahlen nur sehr schwer verifizierbar sind. Die letzte Erhebung von Nieder­sachsen im vergangenen Jahr war, dass hier 377 Jugendliche waren, aber das stimmt nicht. Wir wissen allein von den großen Aufnahmeeinrichtungen, dass es über 400, eher 500 in Nieder­sachsen waren.
Eine weitere Überlegung ist, ob man Pflege- oder Gastfamilien mit hinzunimmt. Hier hätte ich eher bedenken, denn es muss geschaut werden, wie diese Familien wieder betreut und vor­bereitet werden, wie ein Austausch stattfinden kann und wie sicherge­stellt wird, dass das dem Kindeswohl entspricht.

Herr Faridi meinte, dass auch Pflegefamilien eingesetzt werden könnten, um we­nigstens die unproblematischen Fälle aufzunehmen und fragte nach diesbezüglichen Erfahrungen.

Herr Türk vertrat die Auffassung, sich hier auch für Pflegefamilien zu öffnen. Die Philo­sophie, solche Kinder nicht in Pflegefamilien zu geben, weil durch ihre Traumatisie­rung jeder Normal­bürger überfordert wäre, könne so pauschal nicht angewandt werden. Es müsse vielmehr jeder einzelne Fall betrachtet werden. Oft könne ein traumatisiertes Kind in einer Familie, die sich kümmere, besser aufgehoben sein als in einer großen Einrichtung.

Herr Müller erklärte, dass die Jugendlichen es gar nicht wollten, hier wieder in eine Familie zu kommen. Zum anderen gebe es angesichts eines Todesfalls in einer Pflege­familie einen Prüfprozess, in dem sehr harte Kriterien aufgestellt würden, um als Pfle­geperson anerkannt zu werden. Überdies seien vielfach die räumlichen Verhältnisse nicht so, ein Kind aufzu­nehmen, selbst wenn die Familie engagiert sei. Es gebe in Hamburg derzeit ein Projekt, in dem die Einbindung von Pflegefamilien ausprobiert werde. Er und viele andere in der Stadt glaubten jedoch nicht, dass das der richtige Weg sei.

Frau Rommel wies ergänzend darauf hin, dass die Erwartungen der Pflegefamilien oft nicht der Realität entsprächen. Überdies habe auch sie die Erfahrung gemacht, dass die Jugend­lichen so etwas nicht wollten.

Herr Duckstein äußerte sich kritisch zum Altersfeststellungsverfahren und fragte nach den Vor- und Nachteilen, die ein Flüchtling hier habe, je nachdem, ob er unter oder über 18 Jahre alt sei.

Herr Müller wies auf die qualitativen Unterschiede bei der Aufnahme von Jugendlichen und Erwachsenen hin und ging auf die Notwendigkeit eines medizini­schen Altersfeststellungs­verfahrens, wie es in Hamburg betrieben werde ein. Es gebe genügend Menschen, die schon erwachsen seien, jedoch versuchten, die Vorteile in Anspruch zu nehmen, die ein jugendlicher Flüchtling habe.

Frau Decarli verdeutlichte, dass Jugendliche unter 18 Jahren in Obhut zu nehmen seien. Nach der neuen Gesetzeslage solle bei der Erstaufnahme eine Alterseinschät­zung erfolgen. Erst wenn das Zuweisungsjugendamt den Menschen in Obhut genommen habe, könne eine medizinische Altersfestsetzung erfolgen.
Nach der neuen Gesetzeslage müsse das Jugendamt auch eine neue Haltung gegenüber Fluchtgemeinschaften entwickeln, die sich nicht in Obhut nehmen lassen und weiterreisen wollten. Die Frage sei, wie mit dem erklärten Kindeswillen umzugehen sei.

Herr Türk sprach sich energisch gegen das Verfahren einer Altersfestsetzung aus und schilderte einen Fall, wo die Dokumente die Minderjährigkeit belegt, die Inaugenscheinnahme jedoch für die Volljährigkeit gesprochen habe. Zwar könne man diese Dinge sehr wohl diskutieren, was auch gut sei. Jedoch wenn man den Menschen vor sich sehe und das Leid, was da im Raum stehe, so halte er dieses Verfahren nicht für eine im Interesse dieses Menschen stehende Rechtsvertretung.

Nachdem Frau Rommel dafür plädiert hatte, eine Standardisierung zu finden und nicht an dem jungen Menschen herumzuzerren, fragte Herr Bindert, wie in Hamburg im Rahmen der Straßensozialarbeit damit umgegangen werde, dass einige Jugendliche sich nicht in das System eingliedern lassen wollten.

Herr Müller antwortete, dass es keine institutionalisierte Zusammenarbeit mit der Stra­ßen­sozialarbeit gebe.

Daraufhin bedankte sich Ratsfrau de Buhr bei den Referentinnen und Referenten dafür, dass sie in dieser Weise durch das Thema geführt und sich den Fragen gestellt hätten und schloss die Sitzung.







(Walter) Für die Niederschrift:
Stadtrat (Krömer)