Informationsdrucksache Nr. 2988/2018:
Niedrigschwelliges Wohnangebot für Wohnungslose

Inhalt der Drucksache:

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2988/2018
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Niedrigschwelliges Wohnangebot für Wohnungslose

Auftrag der Politik

SPD-Fraktion, Fraktion Bündnis90/Die Grünen und FDP-Fraktion im Rat der Landeshauptstadt Hannover erteilten der Verwaltung den Auftrag, gemeinsam mit der Region und Trägern ein Pilotprojekt “Niederschwelliges Wohnangebot für Wohnungslose“ zu planen (Drucks. Nr. 2847/2017). Es sollte im Jahr 2018 ein Konzept in Anlehnung an das Prinzip des „Housing First“ mit Angaben zum Betrieb, zur Finanzierung, zu den Zielgruppen u.ä. vorgelegt werden.

Entwicklung eines Konzeptes

Der Fachbereich Soziales hat sich entschieden, die Erarbeitung des Projektentwurfes gemeinsam mit Vertreter*innen der Region, potentiellen Projektpartner*innen (Träger der Wohnungslosen- und Suchthilfe) und der Wohnungswirtschaft in mehreren Workshops zu bearbeiten.

Optimal wäre es gewesen, ein Konzept anhand eines konkreten Objektes (einzelne Wohnungen oder ein Haus mit mehreren Wohnungen) zu erstellen. Die beteiligten Akteur*innen waren sich jedoch einig, dass eine passende Immobilie kurzfristig nicht zur Verfügung stehen wird und haben daher erst einmal ein später noch anzupassendes Rahmenkonzept erarbeitet. Dazu wurden Projektideen zum Betrieb, zu den Zielgruppen und zu Finanzierungsmöglichkeiten gesammelt. Des Weiteren wurden Rahmenbedingungen definiert, zusätzliche Projektpartner*innen identifiziert und Herausforderungen benannt und mögliche Lösungswege gesucht. Aus der Trägerschaft wurde eine klare Forderung nach geeignetem Wohnraum und aktivem Engagement auch der LHH formuliert.

Das dabei entstandene Rahmenkonzept ist in der Anlage beigefügt.

Was bedeutet eine Umsetzung von Housing First?

Das Konzept von Housing First basiert darauf, Wohnungslose direkt mit einer Wohnung zu versorgen und nicht erst stufenweise in vorangegangen Hilfemaßnahmen eine Stabilisierung („Wohnfähigkeit“) zu erarbeiten.

Es wird ein normales, unbefristetes Mietverhältnis mit allen Rechten und Pflichten abgeschlossen. Housing First entkoppelt dabei das Mietverhältnis vom Unterstützungsangebot.

Wohnbegleitende Hilfen werden aktiv angeboten. Betroffene werden dazu ermutigt Probleme mit Unterstützung z.B. durch Sozialarbeiter*innen anzugehen, aber nicht dazu verpflichtet. Dies entspricht einem Menschenbild von Freiheit, Selbstbestimmung und dem Recht auf Wohnen.

Es gibt grundsätzlich zwei verschiedene Auslegungen des Housing First-Ansatzes:
- Sofortige Unterbringung mit Mietsicherheit in freien oder öffentlichen Wohnungen
- Sofortige Unterbringung in betreuten Wohnhäusern speziell für Wohnungslose mit Mietsicherheit
Zusatzleistungen und Betreuungsangebot werden oft in folgender Form angeboten:
- Sozialpädagogische Beratung
- Sozialpädagogische Begleitung z.B. bei Amtsgängen
- Haushaltshilfe
- Hausmeisterdienste, Facilitydienste
- Suchtberatung
- Schuldnerberatung u.ä.
Die Chance von Housing First ist, Menschen direkt von der Straße mit einer gesicherten Mietwohnung zu versorgen und die Betroffenen damit in die Lage zu versetzen, selbst zu entscheiden, welche Hilfen sie wann annehmen wollen und können. Mit dem Abschluss eines Mietvertrages entsteht ein „normales“ privatrechtliches Mietverhältnis mit allen Rechten und Pflichten.

Dieses bildet aber formell auch einen Nachteil bei den Umsetzungschancen des Projektes. Gibt es nach dem Einzug Probleme und die Mieter*in ist nicht bereit oder in der Lage Hilfe und Beratung anzunehmen, greifen ausschließlich die Regularien des Mietrechtes (Abmahnung, Kündigung, Räumungsklage). Neben einem unkalkulierbaren Risiko für die Vermieter*innen ist dieses auch mit Blick auf Nachbar*innen nicht unproblematisch. Ein „Probemietvertrag“ o.ä. ist nicht Ziel des Konzeptes Housing First und auch mietvertraglich nicht zulässig. Es wurde daher in den Workshops sehr intensiv diskutiert, ob ein solches „bedingungsloses Bereitstellen von Wohnungen“ überhaupt in Hannover umsetzbar ist und welche Rahmenbedingungen erforderlich sind.

Rahmenbedingungen für die Umsetzung von Housing First
· Finanzierung
Durch den Abschluss eines Mietvertrages und das offensive Anbieten von Unterstützungsleistungen ist eine Finanzierung nur durch die Kombination unterschiedlicher Kostenbestandteile möglich:
· Unterkunftskosten
werden über die Leistungen „Kosten der Unterkunft“ nach SGB II oder SGB XII übernommen, später dann eventuell auch über andere Einkommensvarianten.
· Individuelle Unterstützung
muss aus dem bestehenden Hilfesystem genutzt und finanziert werden (z.B. Suchtberatung, Therapie, Schuldnerberatung, sozialpsychiatrische Beratung, Fachleistung für Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten). Die Kosten werden nur auf die jeweilige Leistung bezogen über unterschiedliche Kostenträger abgedeckt.
· Basisunterstützung
Eine wichtige Voraussetzung für Housing First ist das offensive Anbieten von Unterstützung und Beratung. Dafür ist Personal erforderlich, das nicht einzelfallbezogen finanziert werden kann. Die Erfahrungswerte der Einrichtungen weisen auf einen Personalschlüssel von bis zu 1:15 (eine sozialpädagogische Kraft auf 15 Betreute) hin. Üblich sind bei bisherigen Projekten allerdings Personalschlüssel von 1:50 (die von der Region Hannover im Rahmen eines begleiteten Wohnprojektes übernommen werden können). Hier ergibt sich derzeit eine Finanzierungslücke, deren Finanzierung nur an Hand eines konkreten Objektes / Projektes genauer kalkuliert werden kann (u.a. abhängig von der Zahl der im Projekt betreuten Personen). Bei einem Umfang von ca. 60.000,00 € wäre zum Beispiel eine Projektfinanzierung der nicht abgedeckten Kosten zu 50% von der Landeshauptstadt Hannover und zu 50% von der Region Hannover denkbar. Hierzu stehen auf städtischer Seite derzeit aber keine finanziellen Mittel zu Verfügung und eine langfristige Finanzierung (über den Projektzeitraum hinaus) wäre auch nicht gegeben.
Die Region hat signalisiert, dass über einen anderen Personalschlüssel im Einzelfall und projektbezogen verhandelt werden kann.
Anderweitige Fachleistungen können nach dem § 67 SGB XII u.U. ebenfalls durch die Region übernommen werden.
· Personal- und Sachkosten einzelfallübergreifend
Ausgaben für Beratung vor Aufnahme in das Projekt, Akquise, Regiekosten, ggf. Hauswirtschaftliche Anleitung, Fahrzeit und Fahrtkosten der Mitarbeiter*innen, Projektleitung und ggf. wissenschaftliche Begleitung sind nur genauer im konkreten Projekt zu kalkulieren. Eine Kostendeckung ist teilweise schwierig.
· Weitere objektbezogen Kosten
müssen objektbezogen ermittelt werden (Umbau, Herrichtung etc.). Die Finanzierung muss daher zu einem späteren Zeitpunkt geklärt werden. Denkbar sind Kosten für Haustechnik/Hausmeister, Versicherungen, erhöhte Abnutzung, Verwaltungskosten, erhöhter Mietausfall, Versicherungsschutz. Dieses ist teilweise über die Miete abdeckbar.
Insgesamt ist die Finanzierung auf ein konkretes Objekt und Projekt bezogen näher zu bestimmen Es sind aber bereits jetzt zahlreiche Kostenbestandteile zu erkennen, die derzeit im Rahmen bestehender Regelfinanzierungsmodelle nur schwierig / gar nicht finanziert werden können. Im Teilhaushalt Soziales stehen aktuell keine Mittel zur Verfügung.
· Wohnraum/Wohngebäude
Grundvoraussetzung für das Angebot Housing First ist genügend passender, anmietbarer Wohnraum. Die Überlegungen, ob es sich dabei um einzelne Wohnungen oder ein Gebäude mit mehreren geeigneten Wohnungen handeln soll, war dabei nicht ausschlaggebend. Die Projektgruppe war sich einig, dass die Anmietung einzelner Wohnungen vorzuziehen ist, schloss aber die Nutzung eines kompletten Gebäudes nicht aus.


Wie setzt man in Deutschland bereits Housing First um?
Vergleich zweier Housing First Projekte in Deutschland


Düsseldorf

Ein Projekt des Paritätischen Wohlfahrtverbandes NRW und fiftyfifty/Asphalt e.V. finanziert Wohnungen in und um Düsseldorf für wohnungslose Menschen mit einem Housingfirstfonds. Der Fonds wurde aus dem Erlös von Bilderspenden berühmter Künstler*innen aufgelegt. Mit den Fondsmitteln werden Finanzierungsgrundlagen zum Ankauf von Wohnungen geschaffen sowie Umbaumaßnahmen, Renovierungskosten, Fachberatung und Begleitung finanziert.

Fiftyfifty praktiziert seit 2 Jahren Housing First. Sie haben zwei Häuser und bis heute mehr als 30 Wohnungen auf dem herkömmlichen Wohnungsmarkt erworben.

https://www.housingfirstfonds.de/

Berlin

Das dreijährige Modellprojekt der Berliner Projektpartnerschaft Neue Chance gGmbH und der Berliner Stadtmission bietet 40 Plätze zur Überwindung von Wohnungslosigkeit für Menschen mit langjährigen Problemlagen, bei denen bestehende Hilfeangebote keinen Erfolg hatten. Die Projektverantwortung liegt bei der Neuen Chance gGmbH. Das Projekt startete am 01.10.2018.

Die Wohnungen werden durch das Projekt auf dem Berliner Wohnungsmarkt akquiriert. Die Anmietung erfolgt durch die Mieter*innen in Form von üblichen Mietverträgen. Interessierte Personen werden durch das Projekt ausgewählt und dem Vermieter vorgestellt. Die Finanzierung der Miet- und Mietnebenkosten erfolgt über die Mietparteien. Diese müssen aber einem direkten Kontakt zwischen Projekt und Hausverwaltung zustimmen.

Die Vorteile für die Vermieter*innen bestehen darin, dass bei Mietrückständen Mietkosten bis zur Höhe von 3 Monatsmieten übernommen werden und ein Aufschlag bis zu 20% gegenüber den allgemeinen Mietobergrenzen (bis zu 80,00€) akzeptiert wird.

https://housingfirstberlin.de/

Nach Einschätzung des Fachbereichs Soziales ließen sich Housing First Projekte in anderen Städten dort durchführen, wo geeigneter Wohnraum zur Verfügung gestellt wurde und mit Unterstützung Dritter (z.B. Künstlerszene) die Umsetzung offensiv verfolgt wurden. Housing First in „der reinen theoretischen Form“ ist dieses aber in der Regel nicht, sondern ein niedrigschwelliges Wohnprojekt angepasst an die örtlichen Besonderheiten.

Gibt es entsprechende Angebote in der Landeshauptstadt Hannover?

Wohnangebote gibt es in Hannover in unterschiedlichster Form, wobei die Palette von Wohnung zu Übergangsangeboten und Einrichtungen bis zu Unterkünften reicht:
· Mietwohnungen am freien Wohnungsmarkt,
· „Sozialwohnungen“ mit unterschiedlichen Einkommensgrenzen und teilweise mit Belegrechten der Stadt
· Wohnprojekte, begleitetes Wohnen u.ä. als Wohnen mit Unterstützungsangeboten.
· Angebote, in denen befristete Wohnmöglichkeiten mit Beratungs- und Unterstützungsangeboten verknüpft werden (z.B. Bachstraße),
· Angebote mit fachlicher Unterstützung als Einrichtung (für Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten und Menschen mit Behinderungen),
· Notunterkünfte und Sleep Ins
· Frauenhäuser,
· Pensionen und Hotels.

Ein Projekt, das die Kriterien für Housing First zu 100 Prozent erfüllt, gibt es in Hannover derzeit nicht, aber Angebote, die mit einer ähnlichen Ausrichtung arbeiten. Dieses sind zum Beispiel:
· SWH Soziale Wohnraumhilfe gGmbH verwaltet 178 öffentlich geförderte Wohnungen in Hannover, Burgdorf und Langenhagen. Die Wohnungen werden Menschen, die unmittelbar von Wohnungslosigkeit betroffen oder bedroht sind oder über einen unzureichenden Wohnraum verfügen, vermietet. Eine sozialpädagogische Betreuung ist durch mehrere sozialpädagogische Kräfte gesichert, die schwerpunktmäßig aufsuchende Hilfen gewähren.
· Johann Jobst Wagenersche Stiftung stellt 79 Wohnungen in einer durchschnittlichen Größe von 35m² Menschen mit wirtschaftlicher Schwäche und teilweise körperlicher oder seelischer Behinderung zur Verfügung. Die Mieter*innen werden sozial- und kulturpädagogisch unterstützt.
Die gerade neu gegründete Stiftung „Ein Zuhause“ hat das Ziel, Wohnraum für hilfebedürftige Wohnungslose im Gebiet der Region Hannover und darüber hinaus in Niedersachsen zu schaffen. Dieses soll durch das Einwerben von Wohnimmobilien sowie durch Erwerb und Bau von geeignetem Wohnraum erfolgen. Die Stiftung wäre damit mittel- und langfristig eine mögliche neue Partnerin für künftige Projekte.

Durch die in Hannover wie auch anderen vergleichbaren Großstädten sehr angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt ist es für wohnungslose Menschen (und hier besonders für wohnungslose Menschen mit einer psychiatrischen Erkrankung / Auffälligkeit und / oder Suchtproblemen) fast aussichtslos, eine reguläre Mietwohnung zu bekommen.

„Sozialwohnungen“ stehen für Alleinstehende nur in geringer Anzahl zur Verfügung und die betroffenen Wohnungslosen konkurrieren dabei mit anderen wohnungslosen Menschen, die die Kriterien für eine solche Wohnung erfüllen. Die oben beschriebenen Angebote leiden ebenfalls unter dieser Entwicklung, Plätze / Wohnungen werden kaum noch zur Nachbelegung frei.

Dadurch verfestigt sich für viele Wohnungslose der Aufenthalt auf der Straße mit einer oft zunehmenden Verschlechterung der Lebenssituation und der individuellen Gesundheitslage.

Mehr Wohnungen und parallel alternative Angebote zu schaffen ist daher nach einhelliger Meinung aller am Projekt Beteiligten dringend erforderlich. Ob dabei aber ein neues Projekt mit dem Konzept Housing First die richtige Strategie ist, wurde kontrovers diskutiert.

Fazit

Die Verwaltung hat den Auftrag zur Konzepterstellung mit dem anliegenden Rahmenkonzept bearbeiten können. Eine weitere Konkretisierung ist nur möglich, wenn ein Objektes zur Verfügung steht. Der Fachbereich Soziales verfügt nicht über eigene Objekte. Im Rahmen der vorhanden Möglichkeiten wurden in Betracht kommende Kooperationspartner*innen angesprochen und sensibilisiert. Bisher konnte keine Liegenschaft gefunden werden.

Die Finanzierung der Umsetzung eines Projektes ist zu klären. Zum einen sind keine Mittel im Fachbereich Soziales vorhanden, zum anderen ist eine Finanzierung über einen möglichen Projektstatus hinaus langfristig noch unklar. Bei der Umsetzung würde die Landeshauptstadt Hannover das Projekt aktiv begleiten. Die praktische Durchführung wäre aber Aufgabe eines noch zu bestimmenden externen Trägers.

Die Projektarbeit mit den Einrichtungen, die allgemeine Recherchen und Vergleiche mit anderen Städten wirft weiterhin die Frage auf, ob die Umsetzung eines Projektes Housing First in Hannover erforderlich ist oder ob der Ausbau bestehender Projekte (Soziale Wohnraumhilfe etc.) der sinnvollere Weg sein könnte. Es arbeiten bereits andere Bereiche der Stadtverwaltung (Fachbereich Stadterneuerung und Wohnen) mit der Region Hannover und der Wohnungswirtschaft in ihren bewährten Netzwerken am Ausbau der bestehenden Angebote. Unter anderem hat sich in den letzten Wochen eine Dachstiftung zur Umsetzung solcher Projekte gebildet. Hier wäre die Unterstützung der Arbeit mit einer wissenschaftlichen Begleitung bzw. zur Evaluation bereits bestehender Angebote als Basis für eine bedarfsgerechte Weiterentwicklung unter Umständen ein zu prüfender Alternativweg.

Berücksichtigung von Gender-Aspekten

Das Konzept von Housing First basiert darauf, wohnungslose Frauen und Männern direkt mit einer Wohnung zu versorgen und nicht erst stufenweise in vorangegangen Hilfemaßnahmen eine Stabilisierung („Wohnfähigkeit“) zu erarbeiten. Das Konzept gilt für Frauen und Männer gleichermaßen.

Kostentabelle

Es entstehen keine finanziellen Auswirkungen.

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Hannover / 12.12.2018