Drucksache Nr. 2898/2022:
Verordnung über die Einrichtung einer Verbotszone über das Führen von Waffen, Messern und gefährlichen Gegenständen in der Landeshauptstadt Hannover

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Nachrichtlich:

  • Stadtbezirksrat Mitte

Inhalt der Drucksache:

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Landeshauptstadt HannoverBeschlussdrucksache-ZeichenBeschlussdrucksache
In den Ausschuss für Haushalt, Finanzen, Rechnungsprüfung, Feuerwehr und öffentliche Ordnung
In den Verwaltungsausschuss
In die Ratsversammlung
An den Stadtbezirksrat Mitte (zur Kenntnis)
 
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2898/2022
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Verordnung über die Einrichtung einer Verbotszone über das Führen von Waffen, Messern und gefährlichen Gegenständen in der Landeshauptstadt Hannover

Antrag,

die in der Anlage 1 beigefügte Verordnung über die Einrichtung einer Verbotszone über das Führen von Waffen, Messern und gefährlichen Gegenständen in der Landeshauptstadt Hannover zu beschließen.

Berücksichtigung von Gender-Aspekten

Gender-Aspekte sind nicht berührt.

Kostentabelle

Es entstehen keine finanziellen Auswirkungen.

Begründung des Antrages


Bereits am 19.12.2019 hat der Rat eine Verordnung über die Einrichtung einer Verbotszone zum Schutz vor gefährlichen Gegenständen in der Landeshauptstadt Hannover beschlossen. Diese war zunächst auf drei Jahre befristet und läuft mithin zum 19.12.2022 aus.

Hintergrund für den Erlass dieser Verordnung war, dass es in den bahnhofsnahen Bereichen, insbesondere am Raschplatz, durch die sich dort aufhaltenden Personen, insbesondere feiernde Partygänger*innen, aber auch Personen aus der Drogen- oder Trinkerszene häufig zu drogen- oder alkoholbedingten gewalttätigen Auseinandersetzungen kam und eine Trennung der einzelnen Gruppierungen sehr schwierig war. Durchgeführte Atemalkoholtests ergaben überproportional oft Werte von um und über vier Promille, welche auch schon vormittags festgestellt wurden. Die Notwendigkeit der polizeilichen Begleitung von Rettungseinsätzen sowie des polizeilichen Einschreitens aufgrund von Streitigkeiten, Rohheitsdelikten (insbesondere Raub und Körperverletzung) wurde und wird heute noch vielfach darauf zurückgeführt.

Die Alkoholisierung und der Drogenmissbrauch schon zur Tageszeit führt zu einem erhöhten Konflikt- und Aggressionspotential, das abends und vor allem am Wochenende auf feiernde Menschen mit ähnlichen Begleiterscheinungen durch Rauschmittel trifft. Im Fall einer Auseinandersetzung stellt insbesondere das Mitführen eines Messers oder eines anderen gefährlichen Gegenstands eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben im Falle einer Gewalteskalation dar.

Die sog. „Messerangriffe“ werden seit 2020 im polizeilichen Vorgangsbearbeitungssystem als Begrifflichkeit geführt. Hier werden Straftaten ausgewählter Deliktsschlüssel erfasst, bei denen während der Tatausübung ein Messer verwendet wurde. Das bloße Mitführen eines Messers reicht für die Erfassung als Messerangriff nicht aus. Während die Anzahl von Straftaten unter Verwendung eines Messers von 2020 auf 2021 leicht rückläufig gewesen ist, muss für 2022 eine deutliche Zunahme von Straftaten um rd. 54 % unter Verwendung eines Messers festgestellt worden. Als Tatmittel wurden dabei alle Arten von Messern verwendet, darunter auch solche, die nicht dem Waffengesetz unterliegen.


1. Lageentwicklung

Auffällig ist vor allem der Anstieg der Raubstraftaten, die häufig unter Verwendung von Messern, gefährlichen Gegenständen oder Waffen verübt werden. Im öffentlichen Raum im ersten Halbjahr 2022, die sich im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt haben, die Zahl der gefährlichen und schweren Körperverletzungsdelikte ist im Vergleich zum Vorjahr um 49 % angestiegen. Mit einem Anstieg von Bedrohungsdelikten (Bedrohung, Nötigung) um 30 % im Vergleich zum Vorjahr wird auch hier ein Wert erreicht, der das Ergreifen von repressiven Maßnahmen erfordert.

Bei Taten unter Verwendung eines Messers ist besorgniserregend, dass der Anteil der unter 21jährigen Tatverdächtigen im Zuständigkeitsbereich der Polizeiinspektion Hannover bei 31 % liegt – etwa 28 % sind zum Tatzeitpunkt 14 – 20 Jahre alt und 3 % unter 13; 90 % der Täter sind männlich. Ein vergleichbares Bild lässt sich bei den Opfern ziehen – etwa 26 % der Opfer sind unter 21 Jahre alt, davon 21 % zwischen 14 und 20 Jahren. Rund 80 % der Opfer sind männlich. In rund der Hälfte der Messervorfälle in diesem Fokus-Bereich ist eine Vorbeziehung nicht erkennbar und in rund 70 % der Fälle handelte ein Einzeltäter.

Bei genauer Betrachtung der Tatorte der betrachteten Gewaltdelikte wird deutlich, dass die meisten Straftaten in den Bereichen rund um das Steintorviertel (Anstieg im Jahr 2022 um ca. 45 % im Vergleich zum Vorjahr) und am Hauptbahnhof / Raschplatz (Anstieg um ca. 28 % im Vergleich zum Vorjahr) verübt wurden.

Betrachtet man speziell die Raub-, Bedrohungs- und Körperverletzungsdelikte (ohne Tötungs-, Sexual- und Widerstandsdelikte) können wir am Steintor / Marstall einen Anstieg um ca. 50% im Vergleich zum Vorjahr feststellen, am Hauptbahnhof / Raschplatz um ca. 37 %. Die in der Anlage 2 befindliche Heat-Map der Polizei veranschaulicht diese beiden Areale als sog. Hotspots.

Bemerkenswert ist die Konzentration in diesen beiden Bereichen deshalb, weil sie nur 10% der Fläche des Stadtteils Mitte ausmachen und ca. 2/3 der Kriminalitätsentwicklung im o.g. Deliktsfeld hier stattfindet.



2. Räumliche Beschreibung

Im Einzelnen können die räumlich betroffenen Bereiche wie folgt beschrieben werden:

Raschplatz

Das Areal am Raschplatz ist ein Ort für Aktivitäten am Abend und an den Wochenenden, geprägt durch Bars und Diskotheken, finden sich vornehmlich junge Feiernde in den o. g. Zeiträumen vor. Durch den Konsum von Alkohol und/ oder Drogen steigt bei diesen Besucher*innengruppen das Aggressionspotenzial, während die Hemmschwelle zu körperlichen Auseinandersetzungen in gleichem Maß sinkt.

Neben den Partygänger*innen halten sich aber auch alkohol- und drogenabhängige Personen gerne im Umfeld des gut frequentierten Hauptbahnhofes auf, da sich rund um den Bahnhof für die jeweilige Gruppierung entsprechende Anlaufpunkte (Bars, Diskotheken, Kinos, Spielbank, medizinische Versorgung, ÖPNV etc.) befinden und die Unterführung insbesondere zum Bahnhof und zum Andreas-Hermes-Platz einen Wetter- und Sichtschutz bietet. Des Weiteren hat sich insbesondere in der Unterführung Richtung Lister Meile/Pavillon („Frauen von Messina“) bis zum Andreas-Hermes-Platz mittlerweile eine „Drogendealer-Szene“ fest etabliert.

Bei Kontrollen ist darüber hinaus festzustellen, dass die Durchgänge von der U-Bahn-Unterführung zum Platz unterhalb des Ausgangs Rundestraße (in der Nähe der dort ansässigen Einzelhandelsgeschäfte) besonders gern und vor allem auch durch größere Menschengruppen genutzt werden. Es ist auch zu beobachten, dass in diesen Bereichen vermehrt Drogen konsumiert werden und mit Drogen gehandelt wird. Des Weiteren werden die Treppen am Raschplatz zum Aufenthalt als Sitzgelegenheit genutzt, so dass die Nutzung für andere Personen erheblich erschwert wird und regelmäßig von Ordnungskräften eingegriffen werden muss. Das Zusammentreffen von drogen- und alkoholabhängigen Menschen mit multiplen Unterstützungsbedarfen einerseits sowie feiernden Gästen, Reisenden, Berufstätigen und Kund*innen des Bahnhofs und der dort angesiedelten Geschäfte andererseits führt wahrnehmbar zu einem permanent hohen Konfliktpotenzial; sowohl innerhalb der Szene, als auch in Bezug auf Passanten. Durch die genannte Klientel wird eine Vielzahl von Rohheitsdelikten, Verstößen gegen das BtMG und Diebstahlsdelikten begangen. So berichten ansässige Gewerbetreibende davon, dass sie insbesondere in den Nachtstunden einen Begleitservice für ihre Kund*innen zum Bahnhof eingerichtet haben, damit diese sicher nach Hause kommen.

Der am nördlichen Teil des Raschplatzes ansässige Kontaktladen „Mecki“ bietet grundsätzlich eine soziale Anlaufstation für Wohnungslose. Teilweise dient der Platz vor dem „Mecki“ auch als Schlafplatz. Zunehmend ist jedoch zu beobachten, dass dieser Bereich, vermutlich durch das sich dort etablierte Angebot an Drogen, auch von Hartdrogenabhängigen aufgesucht wird, die die Angebote des „Mecki“ ebenfalls nutzen. Es kommt zu vermehrten Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz (BtmG) und teils auch einer deutlich wahrnehmbaren Erhöhung des Konfliktpotentials, so dass der „Mecki“ einen Sicherheitsdienst engagiert hat, um die Angebotsadressant*innen zu schützen.


Andreas-Hermes-Platz

Der Andreas-Hermes-Platz und die Zuwegung der Treppen zum Tunnel in Richtung Raschplatz haben sich als Aufenthaltsort für Konsumenten aus dem Betäubungsmittelbereich etabliert und weisen eine erhöhte Kriminalitätsbelastung auf. Am Andreas-Hermes-Platz sowie am Seitenausgang zur Lister Meile sind seit einiger Zeit vermehrt Hartdrogenabhängige zu beobachten, hier werden offen Drogen konsumiert und gehandelt. Die Drogensüchtigen lagern im geschützten, weil überdachten Bereich an der Treppe zum Aufgang Richtung Lister Meile/Pavillon („Frauen von Messina“). Sie nutzen den zurzeit wasserleeren Brunnen auf dem Andreas-Hermes-Platz zum Schlafen, zum Konsum von Drogen oder für sexuelle Aktivitäten. Spritzen und anderer Unrat werden auf den Platz, aber auch über den Zaun der anliegenden Kindertagesstätte geworfen. Mangels Toiletten wird der Ort auch für die Notdurft genutzt. Insbesondere Cracksüchtige neigen zu sehr aggressivem und unkontrollierbarem Verhalten, so dass Konflikte entstehen. Aus diesem Grund kommt es hier ebenfalls zu Gewaltdelikten, die nicht selten unter Einsatz von Messern oder gefährlichen Gegenständen verübt werden.


Steintor und Marstall

Der Bereich Steintor/Marstall stellt durch die besondere Zusammensetzung der dort im Amüsierviertel angesiedelten Diskotheken, Bars, Clubs, Bordelle und Laufhäuser, Spielhallen, Wettbüros und Sexshops eine sehr spezielle kriminalgeografische Örtlichkeit dar. Die Entwicklung des Steintors zu einer Amüsiermeile im Herzen der Innenstadt der Landeshauptstadt Hannover bedeutet, dass es hier im Aufeinandertreffen verschiedener menschlicher Charaktere in den Lokalitäten und dem angrenzenden öffentlichen Raum mit oftmals einhergehenden Alkohol- und Drogenkonsum der Besuchenden zu Konflikten kommt, die auch in Gewaltdelikten unterschiedlicher Art münden. Drogenkonsum und Drogenhandel bilden einen weiteren, in nicht unerheblichem Maß vertretenen Deliktsbereich, der nebenher die Gefahr von in der Öffentlichkeit ausgetragenen Auseinandersetzungen innerhalb der am Drogenhandel beteiligten Personen birgt.


3. Fazit und weiteres Vorgehen

Die insbesondere im Vergleich der Jahres 2021 und 2022 signifikante Zunahme von Straftaten mit dem Tatmittel Messer macht eine Intensivierung der sowohl präventionsorientierten wie auch von repressiven Ansätzen erforderlich.

Die Stadtverwaltung hat einen Runden Tisch zum Phänomen „Messergewalt“ einberufen, um mit relevanten Akteuren und Experten neben repressiven Maßnahmen auch präventive Problemlösungsansätze zu diskutieren und zu entwickeln.

Des Weiteren arbeitet die Verwaltung im Rahmen einer interdisziplinären Arbeitsgruppe daran, entsprechend des Ratsbeschlusses „Bahnhofsnahe Plätze | Raschplatz – Weißekreuzplatz – Andreas-Hermes-Platz“ (DS NR. 1719/2021) eine Entzerrung der sich dort aufhaltenden Gruppierungen herbeizuführen. Um eine Verbesserung dieser Situation herbeizuführen sollen kurzfristig umsetzbare Maßnahmen im repressiven wie präventiven Bereich die Nutzer*innenkonflikte entschärfen. Dazu gehört neben der Entzerrung der Gruppierungen, eine höhere Sauberkeit zu schaffen, die Präsenz zu verstärken und die Plätze attraktiver zu gestalten und zu beleben.

Mit dem auch auf die Initiative Niedersachsens zurückgehenden 3. Änderungsgesetz zum Waffenrecht im Jahre 2020 ist den Kommunen im Bereich der repressiven Handlungsoptionen ergänzend die Möglichkeit eröffnet worden, der Kriminalitätsentwicklung durch das explizite Verbot von Messern mit feststehender oder feststellbarer Klinge mit einer Klingenlänge von über 4 cm zu begegnen.

Voraussetzung hierfür sind Bereiche mit einer hohen Anzahl von Menschen, welche durch das Mitführen von Waffen i. S. d. § 1 Abs. 2 WaffG oder Messern einer erhöhten Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt sind und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass das Verbot oder eine Beschränkung zur Abwehr dieser Gefahr erforderlich ist (§ 42 Absatz 6 Waffengesetz). Etwaige Verstöße dagegen können als Ordnungswidrigkeiten geahndet werden und sind mit höheren Sanktionen belegt. Zum verbesserten Schutz der sich in den beschriebenen Gebieten aufhaltenden Personen soll daher eine Verordnung erlassen werden, die der Rechtsänderung und den Sanktionsmöglichkeiten einerseits und der aktuellen Kriminalitätsentwicklung andererseits Rechnung trägt.

Die Wirksamkeit der Verordnung hängt entscheidend auch davon ab, dass engmaschig überwacht wird. In dem hier beschriebenen wesentlichen Deliktsbereich ist dies vor allem eine Aufgabe der Polizei, die ihre Kontrolltätigkeit bereits intensiviert und die Zusage gegeben hat, dies auch in Zukunft zu tun. Die Stadtverwaltung wird ihrerseits ihre Präsenz vor Ort erhöhen, Ordnungswidrigkeitenanzeigen konsequent verfolgen und die Bemühungen zur Verbesserung der Situation und des Sicherheitsgefühls sukzessiv durch weitere Maßnahmen zur räumlichen Gestaltung und Belebung des Bereichs in unmittelbarer Nähe zum Geltungsbereich der Verordnung, insbesondere an den bahnhofsnahen Plätzen und durch Verbesserungen in der Zusammenarbeit mit den Akteuren vor Ort im Rahmen eines wirkungsvollen Gesamtkonzepts flankieren.

Dazu gehören insbesondere auch präventive Maßnahmen mit einem ganzheitlichen Ansatz, insbesondere zur Aufklärung und Information von jungen Menschen, aber auch deren Eltern. Schulen und Jugendarbeit werden im Rahmen ihrer (kriminal)präventiven Aktivitäten eine Schwerpunkt zu Gewaltvorfällen mit Messern setzen und werden dabei durch die Expertise des Runden Tisches „Messergewalt“, zu deren festen Mitgliedern neben verschiedenen Fachbereichen der Stadtverwaltung, u.a. das Landeskriminalamt, die Polizeidirektion Hannover, das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen, das Deutsch-Europäische Forum für Urbane Sicherheit, die Geschäftsstelle des Kommunalen Präventionsrats der Landeshauptstadt, üstra, protec, die Staatsanwaltschaft Hannover zählen, begleitet.


4. Rechtliche Bewertung

Rechtsgrundlagen für diese Verordnung sind in Bezug auf das Verbot gefährlicher Gegenstände zum einen § 55 Niedersächsisches Polizei- und Ordnungsbehördengesetz (NPOG) sowie hinsichtlich der Waffen- und Messerverbotszone § 42 Abs. 6 Waffengesetz (WaffG) in Verbindung mit § 5 Abs. 2 der Verordnung zur Durchführung des Waffengesetzes, welcher die Ermächtigung zum Erlass der Verordnung nach § 42 Abs. 6 Satz 1 WaffG auf die Landkreise, kreisfreien Städte, großen selbständigen Städte und selbständigen Gemeinden überträgt. Damit ist die Landeshauptstadt hierfür zuständig.

Beide Normen setzen voraus, dass eine Gefahr vorliegt. Eine Gefahr liegt vor, wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Geschehensablauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit die öffentliche Sicherheit oder Ordnung schädigen wird. Zu den Schutzgütern der öffentlichen Sicherheit, auf deren wahrscheinliche Verletzung sich der Gefahrbegriff bezieht, gehört neben der Unverletzlichkeit der Normen der Rechtsordnung die Unversehrtheit von Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre und Vermögen des Einzelnen sowie der Bestand und das Funktionieren des Staates und seiner Einrichtungen.

Vorrangig betroffen sind hier die Schutzgüter Leben und Gesundheit. Es ist anerkannt, dass sich die für die Annahme einer Gefahr erforderliche hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nach dem Wert des zu schützenden Rechtsgutes richtet. Zum Schutz hochwertiger Rechtsgüter wird also keine erhöhte Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts vorausgesetzt, sondern reicht vielmehr auch eine mehr als nur geringfügige Wahrscheinlichkeit hin. Zur näheren Konkretisierung und Abgrenzung von der Gefahrenvorsorge hat das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil vom 3. Juli 2002 (Az. 6 CN 8/01) Folgendes ausgeführt: „Die zur Feststellung einer abstrakten Gefahr erforderlichen Erkenntnisse über die Einzelheiten der zu regelnden Sachverhalte und/oder über die maßgeblichen Kausalverläufe können sich allerdings nicht nur aus wissenschaftlichen Erkenntnissen oder denen fachkundiger Stellen, sondern auch aus der allgemeinen Lebenserfahrung ergeben“.

Zur Begründung der Verordnung wurde eine aktuelle polizeiliche Auswertung der Gewaltdelikte - dazu zählen Raub, schwere und gefährliche Körperverletzung sowie Nötigung und Bedrohung - der Jahre 2017 bis 2022 (jeweils Januar bis Ende September) herangezogen. Die Entwicklung der hier betrachteten Gewaltdelikte in der Innenstadt Hannovers hat im Jahr 2022 im Vergleich zu den ersten drei Quartalen der Vorjahre deutlich zugenommen. Bei genauerer Betrachtung der Tatorte der Delikte wird deutlich, dass die meisten der Straftaten in den Bereichen Steintorviertel und Hauptbahnhof / Raschplatz verübt wurden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die beiden Gebiete gemeinsam nur ca. 10 % der gesamten Fläche des hier betrachteten Stadtteils Hannover-Mitte ausmachen.

Seit 2017 wurden 9179 Gewaltdelikte unabhängig vom Einsatz von Tatmitteln im Stadtteil Mitte analysiert, davon ereigneten sich allein 35 % in den letzten 21 Monaten. Nach Aufhebung der meisten Corona-bedingten Einschränkungen im aktuellen Jahr hat die Zahl der Straftaten am 30.09.2022 bereits das Niveau der Vorjahre (jeweils ganzes Jahr) übertroffen. Die vorhandene polizeiliche Auswertung belegt darüber hinaus, dass es in den beiden Gebieten Steintorviertel und Hauptbahnhof / Raschplatz zu einer überdurchschnittlichen Anzahl von Straftaten speziell im Bereich der gefährlichen Körperverletzungs- und Raubdelikte kommt.

Die Erfassung von Messerangriffen, d.h., Taten, bei denen ein Messer zum Einsatz kam (nicht das bloße Mitführen), wurde erst zum Jahresbeginn 2020 im polizeilichen Vorgangsbearbeitungssystem eingeführt, so dass es keine Vergleichszahlen für die Jahre vor der Pandemie gibt. Hier hat sich die Zahl seit dem Jahr 2020 von 105 Delikten deutlich auf 144 Delikte in 2022 erhöht, was einer Steigerung von mehr als 37% entspricht. Auch für die Messerangriffe ist eine Konzentration der Fallzahlen für den Bereich Hauptbahnhof / Raschplatz sowie das Steintorviertel festzustellen. Allein am Hauptbahnhof / Raschplatz wurden seit dem Jahr 2017 249 und am Steintor /Marstall 285 Messer jeglicher Art verwendet.

Das Mitführen gefährlicher Gegenstände soll in den beschriebenen Zonen verboten werden. Zwar ist das Mitführen der in der Verordnung genannten (gefährlichen) Gegenstände für sich betrachtet legal, die vorliegende polizeiliche Auswertung zeigt aber, dass im Zusammenhang mit dem Konsum von Alkohol- und / oder Betäubungsmitteln die Hemmschwelle sinkt und diese nicht selten als „Waffen“ eingesetzt werden. Durch den zweckwidrigen Einsatz dieser Gegenstände kann es infolgedessen zu erheblichen Verletzungen oder gar Todesfällen bei potentiellen Opfern kommen. Der polizeilichen Auswertung ist zu entnehmen, dass seit 2017 im Bereich Hauptbahnhof / Raschplatz und Steintor / Marstall 452 Mal Flaschen bei Auseinandersetzungen zum Einsatz kamen, 193 Mal waren es Reizstoffsprühgeräte und Schlagstöcke wurden immerhin noch 44 Mal verwendet.

Durch das Mitführen von gefährlichen Gegenständen sowie Messern und der Neigung, diese bei Vorhandensein auch einzusetzen sind sowohl Leib und Leben als auch die Gesundheit des Einzelnen gefährdet und bei Anwendung unter anderem die Tatbestände des schweren Raubes (§ 250 StGB), der gefährlichen Körperverletzung (§ 224 StGB) und der schweren Körperverletzung (§ 226 StGB) erfüllt. Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht mithin.

Wie bei allen Grundrechtseingriffen ist stets die Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme zu prüfen. Die Einrichtung der Verbotszonen verfolgt einen legitimen Zweck, nämlich Leib und Leben der sich in den Verbotszonen aufhaltenden Menschen zu schützen. Sie stellt ferner ein legitimes Mittel dar, um Gefahren für die öffentliche Sicherheit abzuwehren. Die Maßnahme ist auch geeignet. Sie ist erforderlich, denn andere mildere gleich geeignete Mittel zur Zweckerreichung sind nicht ersichtlich. Eine Beschränkung nur auf bestimmte Personengruppen ist nicht möglich, weil diese oftmals nicht mit hinreichender Sicherheit als solche zu erkennen und als ausschließlicher Adressat gefahrenabwehrrechtlicher Maßnahmen zu identifizieren sind.

Schließlich ist die Maßnahme auch angemessen, denn sie dient dem Schutz besonders hochwertiger Rechtsgüter wie Leib und Leben. Die Verbotszeit ist auf die kritischen Abend- und Nachtstunden beschränkt worden, um den Eingriff in die Freiheitsrechte der Bürger*innen möglichst gering zu halten. Wie sich aus der statistischen Auswertung der Polizei ergibt, kommt es außerdem insbesondere in den Abend- und Nachtstunden zu einer Häufung von Gewaltdelikten. Die Täter-Opfer-Konstellation sind zu 50% keine in einer Beziehung zu einander stehende Personen. So ist festzustellen, dass im Bereich des Hauptbahnhofes eine Häufung von Straftaten zwischen 20 Uhr und 4 Uhr morgens zu verzeichnen ist. Am Steintor ist festzustellen, dass die meisten Taten zwischen 21 Uhr und 6 Uhr morgens geschehen. Aus diesem Grund soll die Verordnung einen zeitlichen Geltungsbereich von 21 Uhr bis 6 Uhr haben.

Die Verordnung schränkt Personen sowohl räumlich als auch zeitlich nur in dem polizeilich als unmittelbar erheblich erachteten Risikobereich und in den Gefahren-Spitzenzeiten in der allgemeinen Handlungsfreiheit oder Eigentumsgarantie ein. Insbesondere wurden bestimmte Personengruppen, die ein berechtigtes Interesse an der Mitführung solcher Gegenstände haben, von dem Verbot ausgenommen. Folgende Ausnahmen von dem Verbot sind nach § 3 der Verordnung u. a. vorgesehen: für Mitarbeiter*innen von Polizei, Rettungsdiensten und privaten Sicherheitsdiensten, jeweils bei ihrer Dienstausübung; durch Gewerbetreibende, die zum Handel mit den in § 1 Abs. 1 der Verordnung benannten Gegenständen berechtigt sind, deren Angestellte und Kund*innen, das Führen von Waffen oder Messern durch Handwerker*innen und Gewerbetreibende; die Verwendung von Essbesteck im Rahmen eines gastronomischen Betriebes.

Darüber hinaus ist vorgesehen, in regelmäßigen Intervallen eine Evaluation der Maßnahme durchzuführen, um festzustellen, ob die Verbotszonen weiter aufrechterhalten werden sollten und die Grundrechtseingriffe noch gerechtfertigt sind.
32.4 
Hannover / 04.11.2022