Informationsdrucksache Nr. 2354/2008:
"Beschleunigtes Verfahren" bei Trennung und Scheidung

Inhalt der Drucksache:

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"Beschleunigtes Verfahren" bei Trennung und Scheidung

Das bisherige Verfahren bei Trennung und Scheidung fand in einem verhältnismäßig langen Zeitraum statt. Da Trennungs- und Scheidungssituationen Eltern und Kinder vor große, häufig sehr Konflikt beladene Herausforderungen stellen, sah der Fachbereich Jugend und Familie hier Handlungsbedarf.
Es wurde sich zum Ziel gesetzt, im Interesse der betroffenen Kinder eine Deeskalation der Scheidungssituation zu erreichen und zu einer beschleunigten Verfahrensweise im Trennungs- und Scheidungsfall zu kommen.
Auf diese Weise sollen für Kinder Phasen von Kontaktabbrüchen zu einem Elternteil möglichst vermieden werden, denn aus Sicht der Kinder gilt: Eltern bleiben Eltern, auch wenn sie als Paar nicht mehr zusammenleben.

Entwicklung in Hannover
Ausgehend von den in der Stadt Cochem entstandenen Ideen, dem "Cochemer Modell", hat sich auf Initiative des Fachbereichs Jugend und Familie, des Amtsgerichts Hannover und Rechtsanwälten der multiprofessionelle regionsweite "Arbeitskreis Hannoversche Familien Praxis" im Jahr 2005 konstituiert.
Es hieß also, die in der Kleinstadt Cochem entwickelten Ideen und Verfahrensweisen für die Stadt Hannover und die Region zu nutzen und die bisher übliche Form der Zusammenarbeit bei Trennung und Scheidung zwischen den Beteiligten weiterzuentwickeln.
Durch ein abgestimmtes Zusammenwirken der am Familienkonflikt beteiligten Berufsgruppen und Institutionen - RichterInnen, VerfahrenspflegerInnen, RechtsanwältInnen, GutachterInnen, Beratungsstellen und Jugendämter – sollte in Hannover eine stärker am Kindeswohl orientierte Verfahrensgestaltung und ein Rahmen für kooperative und tragfähige Konfliktregelungen entstehen.
Seit Februar 2005 wurde im interprofessionellen Arbeitskreis das Konzept zum "Beschleunigten Verfahren" entwickelt und im Mai 2006 in die Praxis umgesetzt.
Die "Hannoversche Familien Praxis" versteht sich als Projekt, das aus Praxiserfahrungen lernt und sich während der Umsetzung weiterentwickelt, verändert und ausdifferenziert.
Im Arbeitskreis arbeiten der Kommunale Sozialdienst (KSD) und die Jugend- und Familienberatung des Fachbereichs Jugend und Familie aktiv mit.

Im Beschleunigten Verfahren stehen kurze Wege und die Suche nach gemeinsam mit den Eltern entwickelten Lösungen im Vordergrund. Der Austausch umfangreicher Berichte und anderer Schriftstücke ist im Rahmen des neuen Verfahrens nicht mehr notwendig und findet deshalb nicht statt.

Zum Gelingen sind das konstruktive Zusammenwirken aller Beteiligten und eine frühzeitige gerichtliche Anhörung erforderlich. Hier wurde in Hannover eine Frist von 4 Wochen gesetzt, die von allen Beteiligten neue Arbeitsweisen erforderte.

Entwicklungen im Fachbereich Jugend und Familie
Kommunaler Sozialdienst
Bei Trennungs- und Scheidungsverfahren wurde in der Vergangenheit der Kommunale Sozialdienst (KSD) schriftlich durch das Gericht informiert. Der KSD erstellte dann innerhalb eines Zeitraums von ca. 3 Monaten nach intensiven Gesprächen mit den Familien einen Bericht und danach erfolgte die Terminierung der Anhörung durch das Familiengericht.
Diese verhältnismäßig langen Zeiträume, häufig verbunden mit nicht geregelten Kontaktmöglichkeiten zwischen Elternteilen und Kindern sowie die parallel laufenden Schriftwechsel über die RechtsanwältInnen der beiden Parteien, waren oft für eine konstruktive Lösung nicht förderlich.
Mit der Umsetzung des Beschleunigten Verfahrens veränderte der KSD die Bearbeitung in Trennungs- und Scheidungsverfahren dahingehend, dass aus jeder Dienststelle eine Mitarbeiterin/ein Mitarbeiter diese Aufgabe gebündelt wahrnimmt. Diese Bündelung auf 11 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stärkt eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen RichterInnen und MitarbeiterInnen des KSD.
Die "Beauftragten" für das Beschleunigte Verfahren treffen sich alle 6 Wochen in einem KSD-internen Arbeitskreis und besprechen inhaltliche und organisatorische Fragen, die im Rahmen des Beschleunigten Verfahrens entstehen.

Statistische Erhebung im KSD
In der Zeit vom 01.05.2006 bis 30.04.2007 wurde im KSD eine statistische Erfassung zum Beschleunigten Verfahren durchgeführt.
Im Erhebungszeitraum gab es insgesamt 119 Beschleunigte Verfahren, an denen der KSD beteiligt war.
Die Zeitspanne vom Falleingang im KSD bis zur ersten Anhörung betrug im Durchschnitt 20 Tage. Dies liegt unter dem vereinbarten Zeitraum von 4 Wochen = 28 Tagen.
In 24 Fällen gab es eine zweite Anhörung. Der Zeitraum zwischen erster und zweiter Anhörung betrug im Durchschnitt 64 Tage.
Es gab nur eine dritte Anhörung.
In 31 Scheidungsverfahren erfolgte eine weitere Begleitung durch den KSD oder eine Beratungsstelle.

Jugend- und Familienberatung
Im Bereich Jugend- und Familienberatung entwickelte das Team ElternTrennungsBeratung (ETB) gemeinsam mit Beratungsstellen in freier Trägerschaft einen Kooperationsleitfaden zu den Arbeitsweisen der Beratungsstellen. Auch hier wird das Ziel verfolgt, einen frühen ersten Beratungstermin anzubieten. Anschließend ist in der Regel eine intensive Arbeit angezeigt, um die emotional sehr aufgeheizte Atmosphäre durch das Erstellen und Überprüfen differenzierter Elternvereinbarungen nach und nach zu beruhigen. Es sind meistens die „hochstrittige Familiensituationen“, die über das Gericht, die Anwälte und den KSD an die Beratungsstellen weiterverwiesen werden.
In der Vergangenheit hat sich bewährt, dass in der ETB im Bereich Jugend- und Familienberatung bereits seit vielen Jahren Gender-Aspekte berücksichtigt werden. Drei Co-Berater-Paare, bestehend aus je einer Beraterin und einem Berater, stehen den Eltern zur Verfügung.

Statistische Erhebung ETB
Für die Beratungsstellen war bisher kaum relevant, ob das gerichtliche Verfahren auf die herkömmliche Art und Weise oder im „Beschleunigten Verfahren“ verhandelt wurde. Die Praxis zeigt, dass das Familiengericht im schnellen ersten Verhandlungstermin auch eine beschleunigte Lösung durch Vergleich oder Beschlusslage favorisiert und nur in wenigen Fällen das Verfahren ausgesetzt und eine Rückkoppelung über den Vermittlungsverlauf erwartet wird.
Im Jahr 2007 wurde eine Gesamtzahl von 455 Familien im Kontext der ETB begleitet. In 261 Fällen wurden Mütter bzw. Väter allein beraten, in 194 Fällen die Eltern gemeinsam überwiegend durch die Co-Beratung. 33 (17%) Elternpaare folgten einer Beratungsempfehlung des Familiengerichts.
Die ETB wird mehrheitlich von Eltern in Anspruch genommen, die über die Vermittlung einen Weg suchen und häufig finden, sich außergerichtlich zu verständigen.
Die 33 gerichtsrelevanten Fälle beziehen sich auf den Personenkreis „hochstrittiger Eltern“, die überwiegend einer Empfehlung des Familiengerichts folgten, nach der Beschlussfassung oder im Rahmen eines Vergleichs zur Verbesserung ihrer Kommunikation eine Beratungsstelle aufzusuchen. In 13 Fällen lagen die Voraussetzungen für eine Vermittlung zwischen den Eltern nicht vor, sie wurden getrennt beraten oder es kam zum Abbruch. Zugrunde lagen hier Androhung von Kindesentzug, stoffgebundene Süchte, Gewalt gegen Kinder oder zwischen den Eltern sowie in einem Fall eine psychiatrische Erkrankung.
In den anderen 20 Fällen wurden Regelungen zu Umgangsfragen im Kontext des Sorgerechts sowie zu Absprachen zum Aufenthaltsbestimmungsrecht erzielt.

Perspektiven
Vom Arbeitskreis "Hannoversche Familien Praxis" wurde das "Kunststück" versucht, möglichst viele Beteiligte der verschiedenen Professionen für das neue Vorgehen zu gewinnen. Hier gilt es auch nach der Novellierung des FGG aktiv zu bleiben und das Beschleunigte Verfahren weiterzuentwickeln und zu etablieren, damit immer mehr Familien und insbesondere die Kinder von den Vorteilen profitieren können. Aktuell wird noch nach beiden Verfahren gearbeitet und der zuständige Familienrichter/die Familienrichterin entscheidet über die Zuordnung.
Im laufenden Prozess der Umsetzung gibt es immer wieder Klärungsbedarf und Verfahrenswege, die neu zu entwickeln sind. Dazu bietet der interdisziplinäre Arbeitskreis mit themenspezifischen Arbeitsgruppen ein geeignetes Forum.
Weiterhin wichtig im Arbeitskreis sind das gegenseitige Kennenlernen innerhalb der unterschiedlichen Professionen, die wechselseitige Aufgabentransparenz und der Austausch über das jeweilige Selbstverständnis sowie die Kommunikation über Erfolge und Stolpersteine des Beschleunigten Verfahrens.
Zurzeit kann festgestellt werden, dass die Einführung des Beschleunigten Verfahrens in Hannover gelungen ist. Rückmeldungen von Familien und den beteiligten Professionen bestätigen, dass der beschrittene Weg fortgesetzt werden sollte.

Weitere Informationen unter www.HannFamPraxis.de

Berücksichtigung von Gender-Aspekten

Die Beratung im Rahmen von Trennung und Scheidung richtet sich an Mütter und Väter sowie deren Kinder gleichermaßen. Es werden in der Beratung dem jeweiligen Geschlecht angemessene Formen der Unterstützung, des Lernens, der Förderung und der Konfliktlösung angeboten.

Kostentabelle

Es entstehen keine finanziellen Auswirkungen.

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Hannover / 01.10.2008