Drucksache Nr. 2158/2018 F1:
Antwort der Verwaltung auf die
Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu Geschichtsrevisionismus und Antisemitismus in Gedenkstätten
in der Ratssitzung am 25.10.2018, TOP 3.2.

Inhalt der Drucksache:

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2158/2018 F1
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Antwort der Verwaltung auf die
Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu Geschichtsrevisionismus und Antisemitismus in Gedenkstätten
in der Ratssitzung am 25.10.2018, TOP 3.2.

Übereinstimmenden Presseberichten zufolge kam es bereits im Mai im Verlauf einer Führung in der Gedenkstätte Sachsenhausen durch eine Besuchergruppe der Bundestagsabgeordneten der AfD Alice Weidel zu geschichtsrevisionistischen und antisemitischen Störungen. Die Existenz von Gaskammern wurde angezweifelt. Die Verbrechen der Nazis im Konzentrationslager Sachsenhausen wurden verharmlost.
Die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten bezeichnete die Äußerungen der AfD-Gruppe als "manifeste rechtsextreme Argumentationsmuster". Auch auf mehrmalige Aufforderung hörten die Störungen nicht auf, so dass die Führung abgebrochen werden musste.
Laut tagesschau.de vom 31.08.2018 sagte der Leiter der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Axel Drecoll, dass es immer mehr Vorfälle gäbe, bei denen Besucher*innen die Verbrechen der Nazis relativieren wollten.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Verwaltung:

1. Wie stellt sich die Situation in der Gedenkstätte Ahlem dar, ist dort ein Anstieg an Besucher*innen zu verzeichnen, die geschichtsrevisionistische und/oder antisemitische Argumentationen vorbringen und wie ist der Umgang der Gedenkstätten mit diesen Vorfällen?

2. Wie sind die Erfahrungen mit Gedenkveranstaltungen in Hannover, gab es Versuche, diese zu instrumentalisieren, um geschichtsrevisionistische und/oder antisemitische Positionen zu vertreten? falls ja, welche Gegenmaßnahmen stehen zur Verfügung und welche werden ergriffen?

3. Fließen diese Erkenntnisse in die Konzeption des geplanten Erinnerungsorts?

Dr. Freya Markowis
Fraktionsvorsitzende

Text der Antwort


Frage 1: Wie stellt sich die Situation in der Gedenkstätte Ahlem da, ist dort ebenfalls ein Anstieg an Besucher*innen zu verzeichnen, die geschichtsrevisionistische und/oder antisemitische Argumentationen vorbringen und wie ist der Umgang der Gedenkstätte mit diesen Vorfällen?

Die Gedenkstätte Ahlem befindet sich in der Trägerschaft der Region Hannover. Der Leiter der Stelle für Erinnerungskultur der Landeshauptstadt Hannover ist Mitglied in der Fachkommission der Gedenkstätte Ahlem. Der Fachkommission sind keine Vorfälle oder Tendenzen bekannt, die einen Anstieg an Äußerungen geschichtsrevisionistischer und/oder antisemitischer Argumentationen erkennbar werden lassen.

Frage 2: Wie sind die Erfahrungen mit Gedenkveranstaltungen in Hannover, gab es Versuche, diese zu instrumentalisieren, um geschichtsrevisionistische und/oder antisemitische Positionen zu vertreten? Falls ja, welche Gegenmaßnahmen stehen zur Verfügung und welche werden ergriffen?

Die Städtische Erinnerungskultur verantwortet über das Jahr Veranstaltungen unterschiedlicher Ausrichtung. Es gibt Gedenkveranstaltungen im engeren Sinne (z.B. am 17. Dezember, 12 Uhr zum Gedenken an die Deportation aus Hannover), die stark auf Erinnerung an die Opfer des NS-Unrechtsstaates ausgerichtet sind.

Weiter finden Veranstaltungen statt, die ein breiteres Themenspektrum ansprechen und die auf einen großen Interessenkreis aus der Bevölkerung ausgerichtet sind. Solche Veranstaltungen sind zum Beispiel die gut besuchten Filmreihen der „Erinnerungsbilder“, die die Städtische Erinnerungskultur in Kooperation mit dem Kommunalen Kino anbietet.
Im öffentlichen Raum erfolgt beispielsweise die Verlegung von Stolpersteinen.

Die Veranstaltungen der Städtischen Erinnerungskultur sind in den vergangenen Jahren ohne Zwischenfälle und ohne einen erkennbaren Anstieg von Versuchen, sie für geschichtsrevisionistische und/oder antisemitische Positionen zu instrumentalisieren durchgeführt worden. Lediglich bei den zuletzt genannten Aktionen im öffentlichen Raum sind überhaupt Reaktionen wahrnehmbar, etwa im Sinne von „Es muss endlich einmal Schluss sein“ oder „Haben Sie nichts Besseres zu tun?“.
Aber das sind nur ganz vereinezelte Reaktionen von Passanten, die zufällig vorbeikommen.

Frage 3: Fließen diese Erkenntnisse in die Konzeption des geplanten Erinnerungsorts?

Die Konzeption des Lernortes geht davon aus, dass auch bei nicht offen erkennbarer geschichtsrevisionistischer und/oder antisemitischer Position eine breite latente Bereitschaft zur Annahme solcher Positionen besteht. Die empirische Basis hierzu wird bestätigt durch die bekannten sozialwissenschaftlichen Untersuchungen zum offenen und latenten Antisemitismus.
Modul-Gestaltung und pädagogisches Konzept des geplanten Lernorts sind auf die kritische Auseinandersetzung mit judenfeindlichen (auch antiziganistischen, rassistischen und anderen) Vorurteilen ausgerichtet. Die Konzeption sieht kürzere (zweistündige) und längere (halbtägige und mehr) Besuchseinheiten bis hin zu Tages-Workshops vor. Konzeptionell ist der geplante Lernort mit diesem Instrumentarium auf die Auseinandersetzung mit den genannten Positionen gerüstet.
Die Städtischen Erinnerungskultur / der geplante Lernort wird in ständigem Austausch mit dem Historischen Seminar der Universität, dem Netzwerk Erinnerung und Zukunft e.V. sowie der Gedenkstätte in Ahlem stehen.
Außerdem bestehen Kontakte zu der niedersächsischen Präventions- und Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus und ihren verwandten Einrichtungen.
In der aktuellen Entwicklungsstufe des geplanten Lernorts ist die Zusammenarbeit mit Einrichtungen wie dem Lernort-Kooperationspartner 7xjung in Berlin Basis für eine gründliche methodische Vorbereitung der Arbeit im Lernort und seiner Ausstattung auch als Trainingsplatz gegen geschichtsrevisionistische und/oder antisemitische Argumentationen.