Drucksache Nr. 1791/2019 F1:
Antwort der Verwaltung auf die
Anfrage der SPD-Fraktion zur Beteiligung der Landeshauptstadt Hannover an der Umsetzung des Teilhabechancengesetztes
in der Ratssitzung am 29.08.2019, TOP 3.2.2.

Inhalt der Drucksache:

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1791/2019 F1
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Antwort der Verwaltung auf die
Anfrage der SPD-Fraktion zur Beteiligung der Landeshauptstadt Hannover an der Umsetzung des Teilhabechancengesetztes
in der Ratssitzung am 29.08.2019, TOP 3.2.2.

Der Bundestag hat das Gesetz zur Schaffung neuer Teilhabechancen für Langzeitarbeitslose auf dem allgemeinen und sozialen Arbeitsmarkt" (Teilhabechancengesetz — 10. SGB II-ÄndG) beschlossen. Am 01.01.2019 trat dieses Gesetz in Kraft. Der Bund stellt für die Betreuung, Integration und Teilhabe von Langzeitarbeitslosen bis zum Jahr 2022 zusätzliche Mittel in Höhe von 4 Milliarden € im Bundeshaushalt zur Verfügung. Damit kann erstmals ein sog. „Passiv-Aktiv-Transfer" ermöglicht werden. Dies bedeutet, dass die durch die Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen eingesparten Leistungen zum Lebensunterhalt wiederum zur aktiven Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen in das System einfließen können. Mit dem Gesetz wurden Forderungen von Fachleuten der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungsförderung, Sozialverbänden und kommunalen Spitzenverbänden zum Aufbau eines „Sozialen Arbeitsmarktes" aufgegriffen.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Verwaltung:

1. Welche Änderungen zur bestehenden Gesetzgebung des § 16e SGB II ergeben sich aus der Novelle und wie und mit welchem finanziellen Ansatz wird sich die Stadt Hannover bei der operativen Umsetzung von beschäftigungsfördernden Maßnahmen einbringen?

2. Welche Perspektiven bietet das Teilhabechancengesetz über den Förderzeitraum hinaus und mit welchen Mitteln will die Stadtverwaltung eine nachhaltige Verbesserung für die Lebenssituation der Zielgruppe erreichen?

3. Was plant die Landeshauptstadt Hannover, um durch interdisziplinäre Aktivitäten des Sozial- und des Wirtschaftsdezernats Unternehmen zu gewinnen, um auf der Grundlage des §16i des SGB II Mitarbeitende einzustellen, um diese somit in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren?

Christine Kastning

Fraktionsvorsitzende

Text der Antwort

Der Bundestag hat das Gesetz zur Schaffung neuer Teilhabechancen für Langzeitarbeitslose auf dem allgemeinen und sozialen Arbeitsmarkt" (Teilhabechancengesetz — 10. SGB II-ÄndG) beschlossen. Am 01.01.2019 trat dieses Gesetz in Kraft. Der Bund stellt für die Betreuung, Integration und Teilhabe von Langzeitarbeitslosen bis zum Jahr 2022 zusätzliche Mittel in Höhe von 4 Milliarden € im Bundeshaushalt zur Verfügung. Damit kann erstmals ein sog. „Passiv-Aktiv-Transfer" ermöglicht werden. Dies bedeutet, dass die durch die Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen eingesparten Leistungen zum Lebensunterhalt wiederum zur aktiven Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen in das System einfließen können. Mit dem Gesetz wurden Forderungen von Fachleuten der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungsförderung, Sozialverbänden und kommunalen Spitzenverbänden zum Aufbau eines „Sozialen Arbeitsmarktes" aufgegriffen.

Frage 1: Welche Änderungen zur bestehenden Gesetzgebung des § 16e SGB II ergeben sich aus der Novelle und wie und mit welchem finanziellen Ansatz wird sich die Stadt Hannover bei der operativen Umsetzung von beschäftigungsfördernden Maßnahmen einbringen?

Das Teilhabechancengesetz setzt zum einen mit einer Änderung beim bestehenden § 16e SGB II und zum anderen mit der Einführung des neuen Paragrafen § 16i SGB II an.
Arbeitgeber können im Rahmen des § 16e SGB II für die nicht nur geringfügige Beschäftigung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die seit mindestens zwei Jahren arbeitslos sind, durch Zuschüsse zum Arbeitsentgelt gefördert werden, wenn sie mit diesem ein Arbeitsverhältnis für die Dauer von mindestens zwei Jahren begründen. Der Zuschuss beträgt im ersten Jahr 75 Prozent und im zweiten Jahr 50 Prozent des zu berücksichtigenden Arbeitsentgelts, das den allgemeinen Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz nicht unterschreiten darf. Anders als nach der bis zum 01.01.2019 geltenden Fassung des § 16e SGB II knüpft der neue Lohnkostenzuschuss weder bei der Auswahl der förderfähigen Personen, noch bei der Dauer der Höhe der Förderung an Merkmale wie Minderleistung oder das Vorliegen von Vermittlungshemmnissen an.
Mit dem Paragrafen 16i SGB II wurde ein neues Instrument zur Förderung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung sehr arbeitsmarktferner Personen eingeführt (zunächst befristet bis Ende 2024). Es beinhaltet einen hohen Lohnkostenzuschuss an Arbeitgeber für eine Dauer von bis zu fünf Jahren, der degressiv von 100 % in den ersten beiden Jahren bis hin zu 70 % im fünften Jahr gestaffelt ist, wenn der Arbeitgeber mit zugewiesenen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis begründet. Inhaltlich unterliegt das Beschäftigungsverhältnis keinen Vorgaben. Nach der Gesetzesbegründung richtet sich die Fördermöglichkeit an alle Arbeitgeber, unabhängig von Art, Branche, Rechtsform und Region. Es kommt nicht darauf an, ob die Arbeitgeber erwerbswirtschaftlich tätig, gemeinnützig oder öffentliche Arbeitgeber sind.

Beschäftigt werden können Personen, die innerhalb von sieben Jahren mindestens sechs Jahre im Bezug von Leistungen des SGB II waren und in dieser Zeit nicht oder nur sehr kurz oder geringfügig beschäftigt waren. In den folgenden Fällen reicht gem. § 16i Abs. 3 Satz 3 SGB II ein Leistungsbezug in den letzten fünf Jahren:
- Die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person lebt mit mindestens einem minderjährigen Kind in einer Bedarfsgemeinschaft; Grund hierfür ist, dass diese Personengruppe Vorbildfunktion für die Kinder hat, die dadurch zum Ausdruck kommen soll, dass sie einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachgeht.
- Die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person ist schwerbehindert im Sinne des § 2 Abs. 2, 3 SGB IX; dies Erleichterung dient der Förderung von Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsplatz.

Der besondere Förderbedarf, der Zielgruppe gemäß § 16i SGB II beim Übergang in Erwerbsarbeit wird auch darin deutlich, dass der Gesetzgeber ein beschäftigungsbegleitendes Coaching im ersten Förderjahr zwingend vorgeschrieben hat. Die erforderliche ganzheitliche beschäftigungsbegleitende Betreuung erfolgt nur im Kontext der Beschäftigung und nur mit Einverständnis der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person. Darüber hinaus können pro Förderfall Qualifizierungskosten von bis zu 3.000,- € von den Jobcentern übernommen werden.
Aufgrund der positiven Rahmenbedingungen des vorliegenden Gesetzes bezüglich Finanzierung und Einsatzmöglichkeiten sowie den langjährigen Erfahrungen der städtischen Beschäftigungsförderung mit der operativen Umsetzung von beschäftigungsfördernden Maßnahmen beabsichtigt die Landeshauptstadt Hannover, bis zu 100 langzeitarbeitslose Menschen auf der Grundlage des § 16i SGB II zu beschäftigen. Die in der Regel fünfjährige Beschäftigung soll im Rahmen der Arbeitsgebiete der Beschäftigungsförderung OE 50.4 und in den verschiedenen Fachbereichen der Verwaltung erfolgen. Darüber hinaus wird ein Einsatz auch bei den Beteiligungen der Stadt geprüft. Im August sind 36 Personen (darunter sind 34 Männer und zwei Frauen) mit einem Vertrag nach § 16i SGB II im Bereich 50.4 beschäftigt. Die Anbahnung von Beschäftigungsmöglichkeiten in den übrigen Fachbereichen gestaltet sich bislang schwierig. Der Hauptgrund liegt, neben der Schwierigkeit passende Arbeitsinhalte zu generieren, in fehlenden Möglichkeiten den Eigenfinanzierungsanteil zu erwirtschaften. Während der Eigenfinanzierungsanteil, der über 5 Jahre gerechnet bei ca. 30 % liegt, in der Beschäftigungsförderung über Aufträge für die Fachbereiche erwirtschaftet werden muss, sind in den Fachbereichen diese Kosten aus den laufenden Budget zu erbringen.
25 von den 36 beschäftigten Personen sind über 50 Jahre und sechs Personen sind über 60 Jahre alt. In diesen Zahlen spiegelt sich wider, dass Langzeitarbeitslosigkeit nach wie vor ein großes Problem älterer Menschen ist.

Frage 2: Welche Perspektiven bietet das Teilhabechancengesetz über den Förderzeitraum hinaus und mit welchen Mitteln will die Stadtverwaltung eine nachhaltige Verbesserung für die Lebenssituation der Zielgruppe erreichen?

In einem idealtypischen Verlauf eines geförderten Arbeitsverhältnisses geht die öffentlich geförderte Beschäftigungsphase von maximal fünf Jahren in eine dauerhafte Weiterbeschäftigung über. Allerdings enthält der § 16i SGB II im Unterschied zu Eingliederungszuschüssen nach dem SGB III keine Nachbeschäftigungspflicht. Es gelten die normalen arbeitsrechtlichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses nach Ende der Förderung. Dies bedeutet, dass ohne die Möglichkeit der Einmündung auf eine Planstelle bei der LHH keine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach fünf Jahren möglich ist.
Die Prozessverantwortung für die im Rahmen des § 16i SGB II beschäftigten Personen obliegt während des gesamten Förderzeitraums dem zuständigen Jobcenter als Leistungsträger. So soll der Leistungsträger die Arbeitnehmerin bzw. den Arbeitnehmer auch umgehend aus dem geförderten Beschäftigungsverhältnis abberufen, wenn er diese Person in eine zumutbare Arbeit oder Ausbildung vermitteln kann. Ebenso kann die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen, wenn die Aufnahme einer Arbeit oder Ausbildung möglich ist. Während der Beschäftigungszeit sind somit neben dem Arbeitgeber auch weiterhin die Vermittlungsfachkräfte des Jobcenters und die Coaches in der Unterstützung und Begleitung der bei der LHH beschäftigten Personen nach § 16i SGB II einbezogen.

Die Frage der Perspektiven nach dem Förderzeitraum setzt nach Einschätzung der Verwaltung so auch bereits am ersten Beschäftigungstag einer beschäftigten Person an. Denn die Förderung im Rahmen des § 16i SGB II ist für Menschen gedacht, die bereits sehr lange vom Arbeitsmarkt entfernt sind und in der Regel bildet die lange Dauer des Leistungsbezuges ein signifikantes Vermittlungshemmnis und ist in vielen Fällen mit weiteren Vermittlungshemmnissen wie gesundheitlichen Einschränkungen, Qualifikationsdefiziten oder Alter (siehe oben) verbunden. Die Beschäftigungszeit an sich, muss so auch als Chance und Perspektive auf dem Weg zurück in ein ungefördertes Arbeitsleben oder in einigen Fällen auch als würdiger Übergang in den Lebensabschnitt Rente gesehen werden. Der Gesetzgeber hat es in der Begründung zum Teilhabechancengesetz so formuliert: „Durch diese Förderung und eine ganzheitliche beschäftigungsbegleitende Betreuung wird diesem Personenkreis, der in absehbarer Zeit keine realistische Chance auf eine ungeförderte Beschäftigung hätte, eine längerfristige Perspektive zur Teilhabe am Arbeitsmarkt eröffnet. Neben der Eröffnung von Teilhabechancen bleibt der Übergang aus der geförderten Beschäftigung in eine ungeförderte Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mittel- und langfristiges Ziel“.
Die Verwaltung wird alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzen, um den beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Rahmen von § 16i SGB II die Chancen auf ein ungefördertes Arbeitsverhältnis zu ermöglichen.

Frage 3: Was plant die Landeshauptstadt Hannover, um durch interdisziplinäre Aktivitäten des Sozial- und des Wirtschaftsdezernats Unternehmen zu gewinnen, um auf der Grundlage des §16i des SGB II Mitarbeitende einzustellen, um diese somit in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren?

Die Zuständigkeit für operative Umsetzung des Teilhabechancengesetzes obliegt den hiesigen Jobcentern. Entsprechend der Zuständigkeiten für die Prozessverantwortlichkeit in den geförderten Einzelfällen obliegt es den Jobcentern vor Ort die operative Gesamtumsetzung zu organisieren. Hierzu gehört insbesondere die Akquise von Arbeitgebern und potentiellen Beschäftigten.
Im Jobcenter Region Hannover sind seit Jahresbeginn so auch zusätzliche Jobakquisiteure tätig. Aufgabe dieser Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist es u.a. die persönlichen Ansprechpartner im Jobcenter bei der Akquise und Umsetzung von geförderten Beschäftigungsmöglichkeiten gemäß § 16i SGB II zu unterstützen. Ein weiterer Schwerpunkt dieses Teams liegt in der Betreuung von Arbeitgebern, die § 16i Stellen anbieten. Hierzu gehört auch die Betreuung von sog. Fokus-Arbeitgebern des Jobcenters (z.B. Continental oder Rewe).
Entsprechend der Intention des Gesetzgebers (Absatz 9 des § 16i SGB II) sollen die Vertreter der Sozialpartner in den örtlichen Beiräten der Jobcenter nach § 18d SGB II einmal jährlich eine Stellungnahme zu den Einsatzfeldern der unter § 16i SGB II geförderten Arbeitsverhältnisse abgeben. Damit soll die Expertise der Sozialpartner für die Verhältnisse am örtlichen Arbeitsmarkt und für Risiken, die sich aus dem Einsatz des Förderinstruments für das Gleichgewicht am Arbeitsmarkt und im örtlichen Wettbewerb ergeben könnten, genutzt werden. Das Jobcenter ist an diese Stellungnahmen nicht gebunden, muss aber substantiiert darlegen, warum es davon ggf. abweicht.

Die LHH ist sowohl Mitglied in der Trägerversammlung als auch im Beirat des Jobcenters und unterstützt in diesem Rahmen das Jobcenter konstruktiv bei Planung und Umsetzung des Teilhabechancengesetzes. Darüber hinaus ist die LHH, wie ausgeführt, einer der größten operativen Partner als Arbeitgeber bei der Beschäftigung langzeitarbeitslosen Menschen, der 100 von ungefähr 1.400 möglichen Arbeitsverhältnissen in der Region Hannover schaffen möchte.