Antrag Nr. 1715/2021:
Antrag der Gruppe LINKE & PIRATEN: "Zweckentfremdungssatzung erlassen"

Informationen:

verwandte Drucksachen:

1715/2021 (Originalvorlage)

Beratungsverlauf:

  • 15.07.2021: Verwaltungsausschuss: Auf Wunsch der Die FRAKTION in die Fraktionen gezogen
  • 15.07.2021: Ratsversammlung: Abgesetzt
  • 22.07.2021: Verwaltungsausschuss: 1 Stimme dafür, 9 Stimmen dagegen, 0 Enthaltungen
  • 23.09.2021: Ratsversammlung: Gegen 3 Stimmen und bei 2 Enthaltungen abgelehnt.

Antragsteller(in):

Gruppe LINKE & PIRATEN

Inhalt der Drucksache:

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Antrag der Gruppe LINKE & PIRATEN: "Zweckentfremdungssatzung erlassen"

Antrag

zu beschließen:

Nach § 1 Abs. 1 des niedersächsischen Gesetzes über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (NZwEWG) vom 27.03.2019 (Nds. GVBl. 2019,72) und § 10 des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes vom 23.12.2010 (Nds. GVBl. 2010, 576ff) beschließt der Rat der Landeshauptstadt Hannover folgende Satzung:

Satzung der Landeshauptstadt Hannover über das
Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum in Hannover


§ 1 Anwendungsbereich

(1) In Hannover ist die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem Wohnraum zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet (Wohnraummangellage) und diesem Wohnraummangel kann innerhalb der nächsten fünf Jahre nicht mit anderen zumutbaren Mitteln in angemessener Zeit begegnet werden.
(2) Die Satzung gilt für die Zweckentfremdung von frei finanziertem Wohnraum im Stadtgebiet Hannovers. Nicht betroffen ist Wohnraum, so lange er den Bindungen des Niedersächsischen Wohnraumfördergesetzes (NWoFG) unterliegt, was der Antragsteller nachzuweisen hat.

§ 2 Wohnraum

(1) Wohnraum im Sinne der Satzung sind sämtliche Räume, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Satzung zur dauerhaften Wohnnutzung geeignet und bestimmt sind und deshalb in ihrem Bestand zu schützen sind. Dazu zählen auch Werk- und Dienstwohnungen sowie Wohnheime. Erforderlich ist, dass die Räume (alleine oder zusammen mit anderen Räumen) die Führung eines selbständigen Haushalts ermöglichen.


(2) Wohnraum im Sinne dieser Satzung liegt nicht vor, wenn
1. der Raum dem Wohnungsmarkt nicht generell zur Verfügung steht, weil das Wohnen in einem engen räumlichen Zusammenhang an eine bestimmte Tätigkeit geknüpft ist (z. B. Wohnraum für Aufsichtsperson auf Betriebsgelände, Hausmeisterwohnung im Schulgebäude) und dies baurechtlich abgesichert ist.
2. baurechtlich eine Wohnnutzung nicht zulässig und auch nicht genehmigungsfähig ist,
3. ein dauerndes Bewohnen unzulässig oder unzumutbar ist, weil der Raum einen schweren Mangel bzw. Missstand aufweist oder unerträglichen Umwelteinflüssen ausgesetzt ist und die Wiederbewohnbarkeit nicht mit einem objektiv wirtschaftlichen und zumutbaren Aufwand hergestellt werden kann. Dies ist stets der Fall, wenn die aufzuwendenden finanziellen Mittel nicht innerhalb eines Zeitraumes von 10 Jahren durch entsprechende Erträge ausgeglichen werden können oder die Kosten des Abbruchs zuzüglich der Neuerrichtung die eines vergleichbaren Gebäudes erreichen;
4. der Raum aufgrund der Umstände des Einzelfalls nachweislich nicht mehr vom Markt angenommen wird, z. B. wegen seiner Größe oder seines Grundrisses.

§ 3 Zweckentfremdung

(1) Eine Zweckentfremdung liegt vor, wenn der Wohnraum
1. zu mehr als 50 v. H. der Gesamtfläche für gewerbliche oder berufliche Zwecke verwendet oder überlassen wird,
2. baulich derart verändert oder in einer Weise genutzt wird, dass er für Wohnzwecke nicht mehr geeignet ist,
3. mehr als insgesamt zwölf Wochen im Kalenderjahr tage- oder wochenweise entgeltlich als Ferienwohnung vermietet oder sonst entgeltlich für eine Fremdbeherbergung verwendet wird oder
4. länger als sechs Monate ununterbrochen leer steht.
(2) Eine Zweckentfremdung liegt in der Regel nicht vor, wenn der
1. Wohnraum bereits vor dem 1. Juli 2019 rechtmäßig zur Fremdenbeherbergung genutzt worden ist
2. Wohnraum leer steht, weil er trotz nachweislicher geeigneter Bemühungen über längere Zeit nicht zu einer angemessenen Nettokaltmiete wieder vermietet werden konnte,
3. Wohnraum nachweislich zügig umgebaut, instand gesetzt oder modernisiert wird oder alsbald veräußert werden soll und deshalb vorübergehend unbewohnbar ist oder leer steht,
4. Wohnraum nicht ununterbrochen genutzt wird, weil er bestimmungsgemäß der/dem Verfügungsberechtig­ten als Zweitwohnung dient,
5. Wohnraum mit anderem Wohnraum zur weiteren Wohnnutzung zusammengelegt oder geteilt wird.
(3) Eine Zweckentfremdung von Wohnraum liegt ebenfalls dann nicht vor, wenn es sich um Wohnraum handelt, der durch Nutzungsänderung von gewerblich oder sonstig genutzten Räumen während der Geltungsdauer dieser Satzung entstanden ist und sich die Eigentümer- oder Besitzerseite vor Nutzungsänderung in Wohnraum durch die Zweckentfremdungsstelle eine Rückumwandlungsoption hat bescheinigen lassen.



§ 4 Genehmigung

(1) Wohnraum darf nur mit der Genehmigung der zuständigen Behörde zweckentfremdet werden.
(2) Eine Genehmigung
1. ist auf Antrag zu erteilen, wenn vorrangige öffentliche Interessen oder schutzwürdige private Interessen das Interesse an der Erhaltung des betroffenen Wohnraums überwiegen.
2. kann im Übrigen erteilt werden, wenn dem Interesse an der Erhaltung des Wohnraums durch Ausgleichsmaßnahmen, insbesondere durch Ersatzwohnraum oder durch Entrichtung einer Ausgleichszahlung, in verlässlicher und angemessener Weise Rechnung getragen wird.
(3) Einer Genehmigung bedarf es nicht für die Nutzung von Wohnraum, der der Unterbringung von Personen dient, die der Gemeinde zugewiesen worden sind.
(4) Die Genehmigung wirkt für und gegen Rechtsnachfolgerin und Rechtsnachfolger; das Gleiche gilt auch für Personen, die den Besitz nach Erteilung der Genehmigung erlangt haben.
(5) Die Genehmigung zur Zweckentfremdung ersetzt keine nach anderen Bestimmungen erforderlichen Genehmigungen (z. B. des Baurechts), kann aber im Zusammenhang mit diesen Genehmigungen erteilt werden.

§ 5 Genehmigung aufgrund vorrangiger öffentlicher Belange und überwiegender private Interessen

(1) Vorrangige öffentliche Belange nach § 4 Abs. 2 Nr. 1, 1. Variante für eine Zweckentfremdung sind in der Regel gegeben, wenn Wohnraum zur Versorgung der Bevölkerung mit sozialen Einrichtungen (z. B. für Erziehungs-, Ausbildungs-, Betreuungs- oder gesundheitliche Zwecke) oder lebenswichtigen Diensten (z. B. ärztliche Betreu­ung) verwendet werden soll, die gerade an dieser Stelle der Gemeinde dringend benötigt werden und für die andere Räume nicht zur Verfügung stehen oder nicht zeitgerecht geschaffen werden können.
(2) Überwiegende schutzwürdige private Interessen nach § 4 Abs. 2 Nr. 1, 2. Variante sind insbesondere
1. bei einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz oder
2. bei nicht mehr erhaltungswürdigem Wohnraum gegeben.

§ 6 Genehmigung gegen Bereitstellung von Ersatzwohnraum

(1) Ein beachtliches und verlässliches Angebot zur Bereitstellung von Ersatzwohnraum nach § 4 Abs. 2 Nr. 2, 1. Variante lässt das öffentliche Interesse an der Erhaltung des Wohnraums in der Regel entfallen, wenn die Wohnraumbilanz insgesamt wieder ausgeglichen wird.
Etwas anderes kann gelten, wenn es aus besonderen Gründen im öffentlichen Interesse geboten ist, dass ganz bestimmter Wohnraum nicht zweckentfremdet wird. Das ist z. B. bei einer besonderen Lage (Innenstadt) oder kultureller oder historischer Bedeutung des Wohnraums der Fall.
(2) Ein beachtliches Angebot zur Errichtung von Ersatzwohnraum liegt vor, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
1. Der Ersatzwohnraum wird im Gebiet der Stadt Hannover geschaffen.
2. Der Ersatzwohnraum wird von der Inhaberin/vom Inhaber der Zweckentfremdungsgenehmigung geschaffen.
3. Der Ersatzwohnraum wird in zeitlichem Zusammenhang mit der Zweckentfremdung geschaffen (kein Ersatzwohnraum „aus dem Bestand“ oder „auf Vorrat“).
4. Der neu zu schaffende Wohnraum darf nicht kleiner als der zweckzuentfremdende Wohnraum sein und diesen im Standard nicht in einer für den allgemeinen Wohnungsmarkt nachteiligen Weise unterschreiten. Umgekehrt darf der Standard des Ersatzwohnraums auch nicht zu aufwändig sein (nicht ausgesprochen luxuriöser Wohnraum).
5. Der Ersatzwohnraum steht dem allgemeinen Wohnungsmarkt so zur Verfügung wie vorher der zweckzuentfremdende Wohnraum. Familiengerechter Wohnraum darf nur durch ebensolchen Wohnraum ersetzt werden.
6. die öffentlich-rechtliche Zulässigkeit des Bauvorhabens ergibt sich aus prüffähigen Unterlagen (z.B. Baugenehmigung).
(3) Die Verlässlichkeit des Angebots zur Errichtung von Ersatzwohnraum ist gegeben, wenn sich seine öffentlich-rechtliche Zulässigkeit aus prüfbaren Unterlagen ergibt und die Antragstellerin/der Antragsteller glaubhaft macht, dass sie bzw. er das Vorhaben finanzieren kann. Es ist in der Genehmigung durch eine Bedingung sicherzu­stellen, dass die Wirksamkeit der Genehmigung erst eintritt, wenn nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften mit der Errichtung des Ersatzwohnraums begonnen werden darf. Außerdem muss die Genehmigung eine Auflage enthalten, dass der Ersatzwohnraum innerhalb einer bestimmten Frist zu errichten ist.
(4) Der Interessenausgleich durch Bereitstellung von Ersatzwohnraum ist auch in Kombination mit Ausgleichzahlungen (§7 der Satzung) möglich.

§ 7 Genehmigung gegen Entrichtung von Ausgleichsbeträgen

(1) Im Einzelfall kann auch durch eine einmalige oder laufende Ausgleichszahlung § 4 Abs. 2 Nr. 2, 2. Variante erreicht werden, dass das öffentliche Interesse an der Erhaltung eines bestimmten Wohnraums hinter das Inter­esse an einer Zweckentfremdung zurücktritt. Mit der Ausgleichszahlung sollen die durch die Zweckentfremdung bedingten Mehraufwendungen der Allgemeinheit für die Schaffung neuen Wohnraums teilweise kompensiert und so ein Ausgleich für den Verlust an Wohnraum geschaffen werden. Die Ausgleichsbeträge sind zweckgebunden für die Schaffung neuen Wohnraums zu verwenden.
(2) Der Berechnung der einmaligen Ausgleichszahlung wird ein Betrag von 3.500 Euro/m² Wohnfläche zugrunde gelegt. Die Berechnung der Wohnfläche erfolgt hierbei nach der Wohnflächenverordnung (WoFIV).
(3) Bei nur vorübergehendem Verlust des Wohnraums kommt eine laufende, monatlich zu entrichtende Ausgleichszahlung in Höhe der durchschnittlichen Hannoveraner Nettokaltmiete für den entsprechenden Wohnraum in Betracht.
(4) Die Ausgleichszahlung kommt als alleinige Ausgleichsmaßnahme oder als ergänzende Maßnahme (bei noch nicht ausreichender anderweitiger Kompensation, insbesondere zu geringem Ersatzwohnraum) in Betracht.
(5) Die Antragsteller müssen glaubhaft machen, dass sie zur Leistung der Ausgleichszahlung bereit und im Stande sind.
(6) Die Ausgleichsbeträge sind durch eine Nebenbestimmung zur Genehmigung festzusetzen.



§ 8 Nebenbestimmungen

(1) Die Genehmigung zur Zweckentfremdung von Wohnraum kann befristet, bedingt oder unter Auflagen erteilt werden. Die Nebenbestimmungen sind in den Bescheid aufzunehmen, um Genehmigungshindernisse auszuräu­men, die Zweckentfremdung so gering wie möglich zu halten oder den im Einzelfall vorliegenden Interessenaus­gleich rechtlich zu sichern.
(2) Ist aufgrund einer Nebenbestimmung die Wirksamkeit einer Genehmigung erloschen, so ist der Raum wieder als Wohnraum zu behandeln und Wohnzwecken zuzuführen.

§ 9 Negativattest

Bei Maßnahmen, für die eine Genehmigung nicht erforderlich ist, weil Wohnraum nicht vorhanden ist (§ 2 Abs. 2) oder eine Zweckentfremdung nicht vorliegt (§ 3 Abs. 2) oder Genehmigungsfreiheit besteht (§ 4 Abs. 3), ist auf Antrag ein Negativattest auszustellen.

§ 10 Auskunfts- und Betretungsrecht

(1) Die dinglich Verfügungsberechtigten und die zum Besitz berechtigten Personen haben der Behörde die Auskünfte zu geben und die Unterlagen vorzulegen, die erforderlich sind, um die Einhaltung der Vorschriften des Gesetzes über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum und dieser Satzung zu überwachen.
(2) Den von der Stadt beauftragten Personen ist der Zutritt, zu angemessener Tageszeit Grundstücke, Gebäude, Wohnungen und Wohnräume zu ermöglichen (§ 4 Abs. 3 NZwEWG).
(3) Auf der Grundlage des § 4 Abs. 3 NZwEWG und dieser Satzung wird das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung eingeschränkt (Art. 13 GG).

§ 11 Anordnungen

(1) Ist eine Zweckentfremdung auch nachträglich nicht genehmigungsfähig, kann der/dem Verfügungsberechtigten und der Nutzerin bzw. dem Nutzer aufgegeben werden, die Zweckentfremdung in angemessener Frist zu been­den und den Wohnraum wieder Wohnzwecken zuzuführen.
(2) Ist Wohnraum unbewohnbar geworden, kann eine Instandsetzung angeordnet werden, wenn sie mit einem vertretbaren Aufwand möglich ist. Dies ist nicht der Fall, wenn die Instandsetzung und/oder Instandhaltung innerhalb der nächsten zehn Jahre einen Aufwand erfordern würde, der nur unerheblich hinter den Kosten eines vergleichbar großen Neubaus zurückbleibt.

§ 12 Werbeverbot

(1) Liegt eine Genehmigung zur Zweckentfremdung nicht vor, so ist es verboten, für Wohnraum im Anwendungs­bereich der Satzung die Nutzung zu den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 und Nr.3 der Satzung genannten Zwecken anzubieten oder dafür zu werden oder hierfür Angebote oder Werbung zu verbreiten oder deren Verbreitung zu ermöglichen.
(2) Die zuständige Behörde kann anordnen, dass Diensteanbieter im Sinne des Telemediengesetzes nach Absatz 1 verbotene Angebote und Werbung von den von ihnen betriebenen Internetseiten unverzüglich zu entfernen haben.

§ 13 Verwaltungsgebühren

Die Erhebung von Verwaltungsgebühren richtet sich nach der Verwaltungskostensatzung in ihrer jeweils geltenden Fassung.

§ 14 Ordnungswidrigkeiten
(1) Mit einer Geldbuße bis zu 100.000,00 Euro kann nach § 6 NZwEWG belegt werden, wer
1. ohne die erforderliche Genehmigung Wohnraum überwiegend anderen als Wohnzwecken zuführt
2. einer vollziehbaren Auflage nach § 8 der Satzung zuwiderhandelt,
3. einer vollziehbaren Anordnung nach § 11 der Satzung nicht nachkommt,
4. einem Verbot nach § 12 Abs. 1 der Satzung zuwiderhandelt
5. oder einer Vollziehbaren Anordnung nach § 12 Abs. 2 der Satzung nicht, nicht vollständig oder nicht fristgemäß nachkommt
(2) Eine begangene Ordnungswidrigkeit wird durch eine nachträgliche Genehmigung nicht geheilt.

§ 15 Inkrafttreten

Die Satzung tritt am Tag ihrer Verkündung in Kraft. Sie tritt mit Ablauf von fünf Jahren außer Kraft.

Begründung

Hannover leidet unter akuter Wohnraumknappheit. Die Folge sind drastisch steigende Mieten auf der einen Seite und lange und zähe Wohnungssuche auf der anderen Seite.

Nachdem der Niedersächsische Landtag das Niedersächsische Gesetz über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (NZwEWG) erlassen hat, besteht für die Landeshauptstadt Hannover als Kommune mit offenbarem Wohnraummangel die Möglichkeit, tätig zu werden.

Mit Beschluss dieser Zweckentfremdungssatzung kann sowohl dauerhafter, oft spekulativ veranlasster Leerstand untersagt werden, wie auch die dauerhafte Vermietung an Feriengäste.

  1. Rechtsgrundlage

Der Landesgesetzgeber hat, mit dem am 5. April 2019 in Kraft getretenen Gesetz über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (NZwEWG), ein Gesetz erlassen, das Gemeinden mit nachgewiesenem Wohnraummangelmangel dazu ermächtigt, eine Satzung gegen die Zweckentfremdung von Wohnraum zu erlassen (Nds. GVBl. 2019, 72)). Auf dieser Grundlage kann Wohnraum dann nur mit Genehmigung der Gemeinde der Wohnnutzung entzogen werden. Ob Wohnraummangel besteht, müssen die Gemeinden selbst aufgrund der örtlichen Mietpreisentwicklung oder statistischer Daten feststellen.

B. Voraussetzung für den Erlass der Zweckentfremdungssatzung

Voraussetzung für den Erlass einer Zweckentfremdungssatzung ist nach § 1 NZwEWG, dass in der Gemeinde die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem Wohnraum zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist ("Gemeinden mit Wohnraummangel"), und diesem Wohnraummangel nicht mit anderen zumutbaren Mitteln in angemessener Zeit durch die Gemeinde begegnet werden kann.

Die Gesetzesbegründung führt aus, dass Gemeinden Wohnungsmangel feststellen können, durch gemeindliche Informationen,

  • wie etwa Bautätigkeit,
  • zur Anzahl unversorgter Wohnberechtigter
  • zur örtlichen Mietpreisentwicklung
  • durch Daten der amtlichen Statistik, etwa zur Bevölkerungsentwicklung und zum Wohnungsbestand.

Es wird aber auch ausgeführt, dass nach dem VGH Mannheim (DVBL 2016, 255) ein starkes Indiz für das Vorliegen der Voraussetzung „Gemeinde mit Wohnraummangel“ ist, wenn die Gemeinde von der Landesregierung durch Verordnung zur Festlegung des Anwendungsbereichs bundesrechtlicher Mieterschutzvorschriften (Niedersächsische Mieterschutzverordnung - MietSchVO) vom 8. November 2016 (Nds GVBL 2016, S. 252) zum Gebiet mit angespannten Wohnungsmarkt nach §§ 556 d Abs. 2 und 3 BGB erklärt worden ist, in dem die Kappungsgrenze gesenkt worden ist nach § 558 Abs. 3 BGB oder in dem die Kündigungssperrfrist bei Umwandlung in Wohnungseigentum verlängert worden ist nach § 577a Abs. 2 BGB. Für die Landeshauptstadt Hannover greifen alle drei Schutzinstrumente nach §§ 1 bis3 MietSchVO.

Die nach dem NZwEWG erforderliche Wohnraummangellage kann im Stadtgebiet von Hannover darüber hinaus auch durch statistisches Material begründet werden:

„In der Summe beläuft sich die Zahl der Nachfragenden nach preiswertem Wohnraum grob überschlagen auf etwa 60.000 Haushalte (Einzelpersonen bzw. Einpersonenhaushalte, Mehrpersonenhaushalte oder Familien). Dem steht ein Angebot von rund 30.000 geförderten Wohnungen gegenüber […]. Dazugehören Wohnungen mit und ohne Belegrecht, geförderte Wohnungen und Wohnheimplätze und auch nur temporär nutzbarer Wohnraum für kurzfristige Unterbringungen. Es sind jedoch–bei vorsichtiger Schätzung – doppelt so viele Haushalte in der Stadt Hannover auf preiswerten Wohnraum angewiesen als geförderter Wohnraum zur Verfügung steht.“ (Schriften zur Stadtentwicklung Nr. 137, „Wohnungsmarktbeobachtung in der Landeshauptstadt Hannover 2019“, Seite 27).

Auf dem Wohnungsmarkt von Hannover besteht also kontinuierlich eine angespannte Wohnungsmarktsituation. Insbesondere mangelt es an bezahlbarem Wohnraum.

Diesem Wohnraummangel in Hannover kann mit zumutbaren Mitteln in angemessener Zeit nicht begegnet werden, da kaum noch freies Bauland zur Verfügung steht. Die Entwicklungen der Baugebiete Wasserstadt Limmer und Schwarze Heide stagnieren. Die Zahl der Bauvorhaben aus Innenentwicklungsmöglichkeiten ist gering. Der Neubau wird daher auch in den kommenden Jahren nicht dazu ausreichen, den steigenden Bedarf zu decken.

Wir sind daher der Meinung, dass auch ohne hinreichenden Datensätze zu Leerständen von Wohnungen und Umnutzungen zu Ferienwohnungen oder aber Nutzung von Wohnraum zu Gewerbezwecken hinreichend belegt ist, dass Hannover ein Wohnraummangelgebiet ist. Jeglicher Leerstand oder Umnutzung zu Ferienwohnungen oder Gewerbeeinheiten verschärft den Wohnungsmangel noch zusätzlich.

Die Verwaltung schlägt daher vor, dass das durch den Gesetzgeber im NZwEWG eingeräumte Ermessen dahingehend ausgeübt wird, dass die Anwendung des Zweckentfremdungsverbots durch Satzung auf die in § 1 NZwEWG genannten Zweckentfremdungen angewendet wird. Danach gilt als Zweckentfremdung, wenn der Wohnraum

1. zu mehr als 50 Prozent der Wohnfläche für gewerbliche oder berufliche Zwecke verwendet oder überlassen wird,
2. baulich derart verändert oder in einer Weise genutzt wird, dass er für Wohnzwecke nicht mehr geeignet ist,
3. mehr als insgesamt zwölf Wochen im Kalenderjahr tage- oder wochenweise entgeltlich als Ferienwohnung vermietet oder sonst entgeltlich für eine Fremdenbeherbergung verwendet wird; in Gebieten, die überwiegend durch den Fremdenverkehr geprägt sind (§ 22 des Baugesetzbuchs), beträgt die Höchstdauer acht Wochen,
4. länger als sechs Monate ununterbrochen leer steht

Sollte sich eine Entspannung der Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt in Hannover ergeben, wird die Verwaltung prüfen, ob eine ausdrückliche Aufhebung der Satzung vorzunehmen ist.

C. Satzungsinhalt

zu § 1 Anwendungsbereich

Die Einschränkung des Anwendungsbereichs auf frei finanzierten Wohnraum hängt mit dem Verhältnis zu § 10 Nds. Wohnraumfördergesetz zusammen, der eigene Regelungen zur Zweckentfremdung enthält.

zu § 2 Wohnraum

Wohnraum im Sinn der Satzung ist der konkrete Wohnraum, der zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zweckentfremdungsverbots für Wohnzwecke geeignet und bestimmt ist. Erforderlich ist, dass in die Räume die Führung eines "selbständigen Haushalts“ möglich ist. In § 2 Abs. 2 der Satzung ist eine "Negativaufzählung" für die Fälle enthalten, in welchen Fällen gar nicht erst von Wohnraum ausgegangen wird.

zu § 3 Zweckentfremdung

Enthält eine abschließende Aufzählung der Zweckentfremdungstatbestände.

zu § 4 Genehmigung

Die Zweckentfremdung ist grundsätzlich verboten und nur dann zulässig, wenn eine Genehmigung vorliegt ("Verbot mit Genehmigungsvorbehalt“).

§ 4 Abs. 2 der Satzung enthält zwei unterschiedliche Genehmigungstatbestände:

Die Nr. 1 regelt einen Anspruch auf die Genehmigung ("ist zu erteilen"), wenn vorrangige öffentliche Interessen oder schutzwürdige private Interessen das Interesse an der Erhaltung des Wohnraums überwiegen. Dies entspricht § 2 Abs. 1 NZwEWG.

Im Rahmen der "pflichtgemäßen Ermessensausübung" "kann" die Genehmigung hingegen nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 der Satzung erteilt werden, wenn dem Interesse an der Erhaltung des Wohnraums durch "Ausgleichsmaßnahmen" Rechnung getragen wird. Dies kann durch Ersatzwohnraum" oder "Ausgleichszahlung" geschehen. Dies ist § 2 Abs. 2 NZwEWG nachgebildet.

Eine Genehmigung ist nicht erforderlich, wenn die Nutzung des Wohnraums der Unterbringung von Personen dient, die der Landeshauptstadt Hannover zugewiesen worden sind. Diese Genehmigungsfreiheit entspricht der gesetzlichen Regelung in § 2 Abs. 5 NZwEWG.

zu § 5 Genehmigung aufgrund vorrangiger öffentlicher Belange und überwiegender privater Interessen

§ 5 enthält die Ausführungen zu § § 4 Abs. 2 Nr. 1 der Satzung

Vorrangige öffentliche Interessen für eine Zweckentfremdung sind insbesondere gegeben, wenn Wohnraum zur Versorgung der Bevölkerung mit sozialen Einrichtungen oder lebenswichtigen Diensten verwendet werden soll, die gerade an dieser Stelle dringend benötigt werden und für die anderen Räume nicht zur Verfügung stehen oder nicht zeitgerecht geschaffen werden können. Dies ist grundsätzlich bei Betreuungseinrichtungen der Fall, die der Stabilisierung und Aufrechterhaltung sozial intakter Nachbarschaften dienen (z. B. Stadtteiltreffs, Kindergärten o. Ä.).

Schutzwürdige private Interessen liegen vor allem dann vor, wenn ohne Nutzung der betreffenden Räume der Mieter oder Verfügungsberechtigte in seiner bestehenden wirtschaftlichen Existenz bedroht ist oder der Wohnraum nicht mehr erhaltungswürdig ist.

zu § 6 Genehmigung gegen Bereitstellung von Ersatzwohnraum

§ 6 Abs. 1 Satz 2 der Satzung ermöglicht es, die Umwandlung von Wohnungen in Ferienwohnungen in der historischen Altstadt auch dann zu untersagen, wenn Ersatzwohnraum angeboten wird. Die Regelung ist als Ermessensvorschrift ausgebildet, um der touristischen Bedeutung von Hannover Rechnung tragen zu können, aber trotzdem ein wirksames Werkzeug gegen Umwandlungen zu haben. Soweit es nicht aus besonderen Gründen im öffentlichen Interesse geboten ist, dass ganz bestimmter Wohnraum nicht zweckentfremdet wird, lässt ein beachtliches und verlässliches Angebot zur Bereitstellung von Ersatzwohnraum das öffentliche Interesse an der Erhaltung des Wohnraums in der Regel entfallen, wenn die Wohnraumbilanz insgesamt ausgeglichen bleibt. Entscheidend ist, dass in Hannover in der Summe durch den Ersatzwohnraum wieder gleich viel Wohnraum zur Verfügung steht. Deshalb liegt ein beachtliches Angebot zur Errichtung von Ersatzwohnraum nur dann vor, wenn alle sechs Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 der Satzung zusammengegeben sind:

zu § 7 Genehmigung gegen Entrichtung von Ausgleichsbeträgen

Im Einzelfall kann auch durch eine Ausgleichszahlung erreicht werden, dass das private Interesse an der Zweckentfremdung das öffentliche Interesse an der Erhaltung des Wohnraums überwiegt. Ausgleichzahlungen sollen durch die Zweckentfremdung bedingte Mehraufwendungen der Allgemeinheit bei der Schaffung neuen Wohnraums teilweise kompensieren und sind zweckgebunden zu verwenden. Die Entscheidung steht im pflichtgemäßen Ermessen der Landeshauptstadt. Bei vorübergehender Zweckentfremdung orientiert sich die Ausgleichszahlung an der Vergleichsmiete, bei dauerhafter Zweckentfremdung an den Kosten für die Herstellung entsprechenden Wohnraums.

zu § 8 Nebenbestimmungen

Unter welchen Voraussetzungen Nebenbestimmungen zur Genehmigung zur Zweckentfremdung möglich und erforderlich sind, richtet sich nach § 8 der Satzung

zu § 9 Negativattest

Ist eine Zweckentfremdungsgenehmigung wegen Nichtvorliegens von Wohnraum, Nichtvorliegens einer Zweckentfremdung oder wegen Genehmigungsfreiheit nicht erforderlich, kann ein Negativattest beantragt werden.

zu § 10 Auskunfts- und Betretungsrecht

§ 10 beinhaltet die zum Vollzug der Satzung erforderlichen Auskunfts- und Betretungsrechte.

Diese sind schon in § 4 NZwEWG enthalten. Die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) wird hierdurch zulässiger Weise eingeschränkt.

zu § 11 Anordnungen

§ 11 regelt die Zulässigkeit einer Anordnung, die Zweckentfremdung (den Leerstand) wieder zu beenden, soweit diese nicht genehmigungsfähig ist. Wenn der Wohnraum unbewohnbar ist kann eine Instandsetzung angeordnet werden. Diese ist nur zulässig, wenn sie mit vertretbarem Aufwand möglich ist.

zu § 12 Werbeverbote

§ 12 ermächtigt zu Anordnungen, um gegen die Bewerbung von Ferienwohnungen oder Gewerbevermietungen vorzugehen

Zu § 13 Verwaltungsgebühren

Die Erhebung von Verwaltungsgebühren richtet sich nach der Verwaltungsgebührensatzung.

Bislang besteht noch kein spezieller Gebührentatbestand für die einzelnen Handlungen nach dieser Satzung (Zweckentfremdungsgenehmigung, Negativattest, Anordnungen u. a.). Eine entsprechende Überarbeitung der Verwaltungsgebührensatzung ist zeitnah vorzusehen.

Zu § 14 Ordnungswidrigkeiten

Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmungen können mit einer Geldbuße bis zu € 100.000 geahndet werden. Die Regelung entspricht § 6 NZwEWG. Diese Ordnungswidrigkeiten werden durch eine nachträgliche Genehmigung nicht geheilt.

Zu § 15 Inkrafttreten und Geltungsdauer

Hier werden das Inkrafttreten sowie die Befristung der Geltungsdauer auf fünf Jahre geregelt. Die Befristung dient der Umsetzung der gesetzlichen Vorgabe in § 1 Abs. 1 S. 3 NZwEWG.

D. Finanzielle Auswirkungen

Es ist davon auszugehen, dass ein Personalaufwand entstehen wird, welcher nicht durch Gebühren, die aufgrund der Zweckentfremdungsverbotssatzung i. V. m. der Verwaltungsgebührensatzung erhoben werden, gedeckt ist.