Drucksache Nr. 0112/2020 F1:
Antwort der Verwaltung auf die
Anfrage der SPD-Fraktion zum Themenfeld sexuelle Orientierung, geschlechtliche Identität und Migration im Lokalen Integrationsplan (LIP)
in der Ratssitzung am 30.01.2020, TOP 3.5.2.

Inhalt der Drucksache:

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0112/2020 F1
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Antwort der Verwaltung auf die
Anfrage der SPD-Fraktion zum Themenfeld sexuelle Orientierung, geschlechtliche Identität und Migration im Lokalen Integrationsplan (LIP)
in der Ratssitzung am 30.01.2020, TOP 3.5.2.

Viele Zuwandernde schweigen aus Angst vor Repressalien über ihre sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität. Ein Zugang zur einer unabhängigen und kostenlosen Asylverfahrensberatung für die Zielgruppe der LSBTI-Flüchtlinge besteht – jenseits der als Pilotprojekt angelegten Sprechstunde des Integrationsmanagements – bislang nicht. Gleichwohl ist davon auszugeben, dass gerade bei diesen Personen ein erhöhter Beratungsbedarf besteht – einerseits auf Grund fehlender Akzeptanz in der eigenen Community sowie überwiegend fehlender familiärer Bindungen.

Die Förderung und Akzeptanz von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in der Landeshauptstadt Hannover wurde zuletzt in der Drucksache 2703/2017 beschrieben. Anlässlich der Fortschreibung des Lokalen Integrationsplans 2.0 ist es dringend geboten, das Themenfeld sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität im Lokalen Integrationsplan strategisch und maßnahmenorientiert zu konkretisieren.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Verwaltung:

1. Welche Erfahrungen hat das Integrationsmanagement mit dem Pilotprojet einer wöchentlichen Sprechstunde in den Räumen von 18.LS gemacht?
2. Wie wird dafür Sorge getragen, dass das Aufgabenfeld Förderung und Akzeptanz von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt im Lokalen Integrationsplans (LIP) verankert wird?
3. Mit welchen Maßnahmen wird die Akzeptanz von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt generell im diesem Jahr in der Landeshauptstadt gefördert werden?

Lars Kelich

Fraktionsvorsitzender

Text der Antwort

Frage 1: Welche Erfahrungen hat das Integrationsmanagement mit dem Pilotprojekt einer wöchentlichen Sprechstunde in den Räumen von 18.LS gemacht?

Seit Ende des Jahres 2016 wird eine offene Sprechzeit wöchentlich für Geflüchtete aus dem LSBTIQ-Kontext angeboten. Diese Beratungsform ist wichtig, da es sich hierbei um eine Menschengruppe handelt, die aufgrund ihrer Identität in den Herkunftsländern Gefährdungen ausgesetzt war und sich auch in Deutschland in den Unterkünften nicht sicher vor Anfeindungen fühlt. So finden sie hier in den Räumen von 18LS einen Ort, der Sicherheit und Akzeptanz bietet. In den Jahren 2016, 2017 und 2018 wurden insgesamt 150 Beratungen durchgeführt. Das Jahr 2019 wird derzeit ausgewertet. Nach vorläufiger Hochrechnung wird von ca. 90 Beratungen im Jahr 2019 ausgegangen.

Inhaltlich werden neben den Fragen wie Arbeit bzw. Ausbildung und Wohnungssuche auch queer-spezifische Themen bearbeitet. Dabei kann es zum Beispiel um Fragen rund um gleichgeschlechtliche Beziehungen, Coming-Out oder soziale Ausgrenzung aufgrund der sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität gehen.

Sie fühlen sich in diesem Beratungssetting sicher und akzeptiert. Das Bekenntnis der LHH zur sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt erleben sie in den Räumen der Brüderstraße 5 als Stärke und können ein neues Selbstwertgefühl entwickeln, nachdem sie oftmals diskriminierende bzw. ablehnende Erfahrungen gemacht haben.

Das Wiederkehren vieler Ratsuchender ist als Vertrauen zu bewerten. Sie nutzen diese Anlaufstelle als Ressource um viele Anforderungen auf dem Weg der Integration zu bewältigen.
Über die Beratungsarbeit hinaus, hat das Integrationsmanagement einen „queeren Workshop“ entwickelt, welcher die Sichtbarkeit und Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt fördern soll. Die Durchführung fand in Kursen für interkulturelle Kompetenz für Geflüchtete statt, die das Integrationsmanagement intern organisiert und umsetzt. Dieser Workshop soll im Jahr 2020 weiter vorangetrieben werden und wäre auch in anderen Gruppen denkbar.

Frage 2: Wie wird dafür Sorge getragen, dass das Aufgabenfeld Förderung und Akzeptanz von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt im Lokalen Integrationsplan verankert wird?

Das Thema der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt wird neben den Themen Beteiligung, Einbürgerung, Antirassismus und Antidiskriminierung im Handlungsfeld 3 „Demokratie“ im Lokalen Integrationsplan 2.0 innerhalb einer Expert*innengruppe bearbeitet. Im Lokalen Integrationsplan aus dem Jahr 2008 wurde das Thema noch im Handlungsfeld „Soziales“ behandelt. Im Überarbeitungsprozess des Lokalen Integrationsplanes werden die damals formulierten Ziele an die bestehenden Erfordernisse angepasst und konkretisiert werden. Darüber hinaus wird das Thema Antidiskriminierung als Querschnittsthema im Lokalen Integrationsplan 2.0 behandelt. Die konkrete Zielformulierung und die daraus resultierenden Handlungsansätze werden in der zweiten Hälfte des Jahres 2020 bearbeitet. Hierzu sollen bestehende Netzwerke einbezogen werden.

Frage 3: Mit welchen Maßnahmen wird die Akzeptanz von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt generell im kommenden Jahr in der Landeshauptstadt gefördert werden?

Die Landeshauptstadt Hannover erkennt den Handlungsbedarf im Bereich der Mehrfachdiskriminierung an und ist bemüht, Dienstleistungen und Maßnahmen mit einem intersektionalen Blick zu prüfen oder, wo nötig, zu entwickeln. Sie versucht dies durch die fachbereichs- und dezernatsübergreifende Zusammenarbeit der zu vielfalts- und diskriminierungsbezogenen Themen arbeitenden Bereiche – z.B. im Rahmen der internen Vernetzungsgruppe Diversity – zu gewährleisten.

So betreffen erkanntermaßen die Herausforderungen des demographischen Wandels in hohem Maße auch die Gruppe lesbischer, schwuler, bisexueller, trans*, inter* und queerer (LSBTIQ) Menschen. Daher fördert die Landeshauptstadt Hannover die Akzeptanz von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt durch Analyse von Bedarfen, Prüfung und Weiterentwicklung kommunaler Dienstleistungen sowie Entwicklung von konkreten Maßnahmen und Integration des Themas LSBTIQ in Aktionsplänen wie dem Gleichstellungsaktionsplan, dem lokalen Integrationsplan etc. im interdisziplinären fachlichen Austausch zwischen den Beauftragten für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt, der Gleichstellungsbeauftragten, der internen Vernetzungsgruppe Diversity, dem Fachbereich Senioren, dem Fachbereich Jugend und Familie, dem Fachbereich Soziales – hier besonders dem Bereich Migration und Integration – und vielen weiteren.

Als konkrete Beispiele für Maßnahmen, die generell in der Überschneidung der Bereich LSBTIQ und Migration im kommenden Jahr gefördert werden, sind zu nennen:

· Beratung von LSBTIQ-Geflüchteten

· Schutzunterbringung von LSBTIQ-Geflüchteten

· Schulung von Mitarbeitenden zum Thema LSBTIQ im Kontext Migration und Asyl

· Integration des Themas LSBTIQ in interkulturelle Kompetenz Kurse für Geflüchtete

· Aufklärung zu sexueller Gesundheit und LSBTIQ in Unterkünften für Geflüchtete

· Schwerpunktthema der Beauftragten für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt


Darüber hinaus sind exemplarisch als weitere intersektionale Maßnahmen, die die Landeshauptstadt Hannover im kommenden Jahr fördert zu nennen:

· Im Bereich LSBTIQ, Jugend und Familie:
Zusammen mit dem Fachbereich Jugend und Familie konnten durch Anschubfinanzierung des Landes Niedersachsen im Jahr 2018 und 2019 zwei neue Schulungen für Mitarbeitende der Landeshauptstadt Hannover entwickelt und durchgeführt werden. Nach Evaluation der Schulungen sollen diese ab dem Jahr 2020 im regulären Fortbildungsprogram der Landeshauptstadt fortgeführt werden. Dabei handelt es sich um:

o Eine Schulung zur sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt in Kindertagesstätten für Mitarbeitende der städtischen Kindertagesstätten

o Eine Schulung zum speziell zum Thema geschlechtlicher Vielfalt, Trans* und Inter* für Führungskräfte und Mitarbeitende des Fachbereichs Jugend und Familie

· Im Bereich LSBTIQ und Sport:
Die Landeshauptstadt Hannover ist aktives Gründungsmitglied des Sportbündnisses FarbenSpiel und setzt sich damit aktiv für die Schaffung eines offenen Umfeldes für die Akzeptanz von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt im Sport ein.

o Bei einer Veranstaltung im Rahmen des Schützenfestes 2020 werden auch in diesem Jahr auf die Aktivitäten des vergangenen Jahres zurückgeblickt und Best Practice Beispiele der zahlreichen Vereine und Institutionen präsentiert.

o Zusammen mit Dezernat III und dem Fachbereich Sport und Bäder ist es den Beauftragten für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt gelungen, ab Januar 2020 im Hallenbad Anderten regelmäßige monatliche Schwimmzeiten für trans*, inter* und nonbinäre Personen anzubieten. Die speziellen Schwimmzeiten bieten unter dem Namen „All Bodies Swim“ einen Schutzraum und ermöglichen der Zielgruppe eine anfeindungsfreie sportliche Teilhabe, die zu regulären Bäderöffnungszeiten nicht mögliche wäre.

· Im Bereich LSBTIQ und Alter:
Im Arbeitskreis ältere LSBTI arbeiten die Beauftragten für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt zusammen mit dem Fachbereich Senioren sowie freien Trägern zur intersektionalen Diskriminierung von älteren LSBTIQ.

o Mit Unterstützung des Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung wurden ein Fortbildungskonzept zum Umgang mit älteren LSBTI für Einrichtungen der stationären und mobilen Pflege entwickelt und Schulungen 25x kostenfrei für Interessent*innen aus Einrichtungen in Hannover durchgeführt. Ab 2020 können Schulungen nicht mehr kostenlos, auf Anfrage jedoch kostenpflichtig durchgeführt werden. Parallel dazu wurde das Schulungskonzept verschriftlicht und die Broschüre „Zum adäquaten Umgang mit älteren LSBTI – Damit nicht erneut Unrecht geschieht“ verfasst, innerhalb derer das Schulungskonzept mit einer Fachveranstaltung Ende 2019 veröffentlicht wurde. Im Jahr 2020 soll weitere Öffentlichkeitsarbeit sowie die weitere Verbreitung der bereits jetzt aus vielen anderen Städten und Bundesländern angefragten Broschüre erfolgen.

o Für das Jahr 2020 ist außerdem eine Fachtagung zum Thema Trans* und Inter* in Alter und Pflege geplant. Sie soll, aufbauend auf der bereits erfolgten Arbeit, das Thema der geschlechtlichen Identität in Alter und Pflege, das bis jetzt noch weniger berücksichtigte Diskriminierungsformen und Herausforderungen birgt, näher beleuchten. Die für Herbst 2020 geplante Fachtagung soll sowohl bundesweite Expertise und Best Practice Beispiele zusammenbringen als auch ein Beteiligungsformat für einen selbstbestimmten Dialog der betroffenen Zielgruppe ermöglichen.