Gemeinsame Sitzung Sozialausschuss, Jugendhilfeausschuss, Schul- und Bildungsausschuss am 17.02.2020

Protokoll:

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Landeshauptstadt Hannover - 50.08 - Datum 18.02.2020

PROTOKOLL

Gemeinsame Sitzung des Sozialausschusses, des Jugendhilfeausschusses,
des Schul- und Bildungsausschusses am Montag, 17. Februar 2020,
Rathaus, Hodlersaal

Beginn 15.00 Uhr
Ende 17.15 Uhr

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Anwesend:


Sozialausschuss

Ratsfrau Klingenburg-Pülm (Bündnis 90/Die Grünen)
Ratsherr Alter (SPD)
Ratsherr Albrecht (CDU)
Ratsfrau David (Bündnis 90/Die Grünen)
Ratsherr Döring (FDP) 16.49 - 17.15 Uhr
Ratsherr Hellmann (CDU)
Ratsfrau Iri (SPD)
Ratsherr Jacobs (AfD)
Ratsfrau Jeschke (CDU)
Beigeordneter Machentanz (LINKE & PIRATEN)
Ratsherr Nicholls (SPD)

Beratende Mitglieder:
Herr Fahlbusch (SPD) 16.42 - 17.15 Uhr
Frau Merkel
Frau Stadtmüller

Grundmandat:
Ratsherr Klippert (Die FRAKTION)


Jugendhilfeausschuss

Ratsherr Döring (FDP) 16.49 - 17.15 Uhr
Ratsherr Finck (SPD)
Ratsherr Gast (Bündnis 90/Die Grünen)
Ratsherr Klapproth (CDU)
Ratsfrau Klebe-Politze (SPD)
Frau Kniesz-Nettlau
Ratsherr Pohl (CDU)
Herr Rauls
Herr Teuber
Frau Wilke
Ratsherr Wolf (LINKE & PIRATEN)

Beratende Mitglieder:
Frau Merkel
Herr Pohl
Frau Diplom Sozialarbeiterin Schnieder
Frau Voigt

Grundmandat:
Ratsherr Förste (Die FRAKTION)



Schul- und Bildungsausschuss

Ratsherr Wolf (LINKE & PIRATEN)
Ratsherr Dr. Menge (SPD) 15.00 - 17.05 Uhr
Beigeordnete Gamoori (SPD)
Ratsfrau Klingenburg-Pülm (Bündnis 90/Die Grünen)
Bürgermeisterin Kramarek (Bündnis 90/Die Grünen)

Grundmandat:
Ratsherr Braune (parteilos) 15.20 - 17.15 Uhr
Ratsherr Klippert (Die FRAKTION)


Verwaltung (für alle Ausschüsse):
Stadträtin Beckedorf, Sozial- und Sportdezernentin
Stadträtin Ryski, Personal-, Bildungs-, Jugend- und Familiendezernentin
Herr Belitz, Fachbereich Jugend und Familie
Frau Kämpfe, Gleichstellungsbeauftragte
Frau Ruhrort, Fachbereich Soziales
Frau Vogt-Janssen, Fachbereich Senioren
Frau Ehlers, Fachbereich Soziales
Frau Feuerhahn, Fachbereich Soziales
Frau Frischen, Fachbereich Jugend und Familie
Frau Kuhlmey, Fachbereich Jugend und Familie
Frau Lucas, Fachbereich Schule
Frau Dr. Mardorf, Sozial- und Sportdezernat, Sozialplanung
Frau Rawers, Fachbereich Soziales
Herr Rieger, Fachbereich Soziales
Frau Merzbach, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Frau Sauermann, Sozial- und Sportdezernat, Sozialplanung
Herr Scholz, Fachbereich Schule
Herr Schwarz, Fachbereich Schule
Frau Teschner, Fachbereich Jugend und Familie
Herr Waldburg, Fachbereich Soziales
Frau Hanebeck, Fachbereich Soziales
Frau Lubes, Fachbereich Soziales
beide für das Protokoll


Presse:
Frau Rinas, HAZ
Herr Krasselt, NP
Herr Macke, Asphalt-Magazin


Gäste der Anhörung:
Frau Christine Volland
(Landesarmutskonferenz
c/o. Arbeitsgemeinschaft der Familienverbände in Nds.)

Frau Beatrice Försterra
(Stadt Braunschweig, Sozialreferat)

Herr Rainer Müller-Brandes
(Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege
c/o. Diakonisches Werk)

Frau Dr. Antje Richter-Kornweitz
(Landesvereinigung und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e.V.)

Frau Kornelia Rust-Bulmahn
(Hilfe für unsere Kinder gGmbH)

Frau Dr. Irina Volf
(Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V.)

Herr Prof. Dr. Michael Wrase
(Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH)

Frau Birgit Würdemann
(Deutscher Kinderschutzbund
LV Niedersachsen e.V.)

Herr Marcus Olm (für Frau Burcu Kaya)
(Per Mertesacker Stiftung)

Frau Dr. Anja Langness
(Bertelsmann Stiftung)

Frau Anja Piel, MdL

Tagesordnung:

1. Eröffnung der Sitzung, Feststellung der ordnungsgemäßen Einberufung und Beschlussfähigkeit sowie Feststellung der Tagesordnung

2. A N H Ö R U N G gem. § 35 der Geschäftsordnung des Rates zum THEMA: "Maßnahmen gegen Kinder- und Familienarmut in Hannover"
Eingeladen sind:

Landesarmutskonferenz
c/o. Arbeitsgemeinschaft der Familienverbände in Nds.
Frau Christine Volland

Stadt Braunschweig, Sozialreferat
Frau Beatrice Försterra

Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege
c/o. Diakonisches Werk
Herr Rainer Müller-Brandes

Landesvereinigung und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e.V.
Frau Dr. Antje Richter-Kornweitz

Hilfe für unsere Kinder gGmbH
Frau Kornelia Rust-Bulmahn

Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V.
Frau Dr. Irina Volf

Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH
Herr Prof. Dr. Michael Wrase

Deutscher Kinderschutzbund
LV Niedersachsen e.V.
Frau Birgit Würdemann

Per Mertesacker Stiftung
Herr Marcus Olm (für Frau Burcu Kaya)

Bertelsmann Stiftung
Frau Dr. Anja Langness

Frau Anja Piel, MdL

abgesagt haben:
Universität zu Köln, Humanwissenschaftliche Fakultät
Herr Prof. Dr. Christoph Butterwegge

Justus-Liebig-Universität Gießen
Frau Prof. i.R. Dr. Uta Meier-Gräwe

Frau Petra Joumaa, MdL

3. Bericht der Dezernentin


TOP 1.
Eröffnung der Sitzung, Feststellung der ordnungsgemäßen Einberufung und Beschlussfähigkeit sowie Feststellung der Tagesordnung

Ratsfrau Klingenburg-Pülm eröffnete die Sitzung und stellte die ordnungsgemäße Einladung sowie die Beschlussfähigkeit der Ausschüsse fest.

Zur Tagesordnung gab es keine Änderungswünsche.


TOP 2.
A N H Ö R U N G gem. § 35 der Geschäftsordnung des Rates zum THEMA: "Maßnahmen gegen Kinder- und Familienarmut in Hannover"
Eingeladen sind:

Landesarmutskonferenz
c/o. Arbeitsgemeinschaft der Familienverbände in Nds.
Frau Christine Volland

Stadt Braunschweig, Sozialreferat
Frau Beatrice Försterra

Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege
c/o. Diakonisches Werk
Herr Rainer Müller-Brandes

Landesvereinigung und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e.V.
Frau Dr. Antje Richter-Kornweitz

Hilfe für unsere Kinder gGmbH
Frau Kornelia Rust-Buhlman

Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V.
Frau Dr. Irina Volf

Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH
Herr Prof. Dr. Michael Wrase

Deutscher Kinderschutzbund
LV Niedersachsen e.V.
Frau Birgit Würdemann

Per Mertesacker Stiftung
Herr Marcus Olm (für Frau Burcu Kaya)

Bertelsmann Stiftung
Frau Dr. Anja Langness

Frau Anja Piel, MdL

abgesagt haben:
Universität zu Köln, Humanwissenschaftliche Fakultät
Herr Prof. Dr. Christoph Butterwegge

Justus-Liebig-Universität Gießen
Frau Prof. i.R. Dr. Uta Meier-Gräwe

Frau Petra Joumaa, MdL



Ratsfrau Klingenburg-Pülm begrüßte die anzuhörenden Expertinnen und Experten. Bezüglich der Reihenfolge werde sie ihr angekündigt worden, dass sich Frau Volland sowie Frau Dr. Langness etwas verspäten würden; dies werde sie bei der Reihenfolge der Vorträge entsprechend berücksichtigen.

Zum geplanten Ablauf der Anhörung wies Ratsfrau Klingenburg-Pülm darauf hin, dass zunächst jedem*r Vortragenden, wie bereits in der Einladung durch die Verwaltung mitgeteilt, 5 Minuten Redezeit zur Verfügung stehe. Alle Gäste trügen nacheinander vor, dann schließe sich eine Runde mit gezielten Nachfragen durch die Mitglieder der Ausschüsse an. Insbesondere auf die Einhaltung der Redezeit werde sie strikt achten, damit die Aufmerksamkeit der Zuhörenden gleich hoch bleiben könne.


Frau Försterra stellte sich als Koordinatorin für Kinderarmut im Sozialreferat der Stadt Braunschweig vor. Im Folgenden wolle sie den Braunschweiger Weg der Prävention und Linderung von Kinderarmutsfolgen schildern. Die Struktur sowie das Zusammenspiel in der Kommune könne am ehesten mit dem Bild eines „Hauses“ (s. S. 3 der Präsentation) beschrieben werden.

Das Fundament bilde das seit 2007 bestehende Präventionsnetzwerk Kinderarmut. Der damalige Sozialdezernent (und heutige Oberbürgermeister) Ulrich Markurth hatte unter der Fragestellung „Gibt es Kinderarmut in Braunschweig und wie gehen wir damit um?“ zu einem Hearing eingeladen. Daran anknüpfend wurde in einem gemeinsamen Arbeitsprozess die Organisationsstruktur Netzwerk und Beirat entwickelt sowie der Schulmittelfonds für das operative Geschäft auf den Weg gebracht. Im Netzwerk (die linke Säule des „Hauses“) würden im gemeinsamen Austausch aktuelle Lagen diskutiert, grobe Marschrichtungen abgestimmt und festgelegt. Das entsprechende Pendant hierzu sei der Baustein Beirat Kinderarmut (die rechte Säule des „Hauses“). Der Beirat sei ein Entscheidungs- und Arbeitsgremium, in dem aktuelle Herausforderungen diskutiert, Ideen entwickelt und auf den Weg gebracht würden. Darüber hinaus sei der Beirat verantwortlich für den Braunschweiger Fonds. In der Praxis arbeite der Beirat eigenverantwortlich und lege über seine Arbeit dem Netzwerk gegenüber Rechenschaft ab. Das Kommunale Handlungskonzept Kinderarmut „Braunschweig für alle Kinder“ bilde das gemeinsame Dach, das 2012 vom Rat der Stadt Braunschweig verabschiedet wurde. Es fuße auf den Leitlinien zur Armutsprävention und den Handlungsempfehlungen, die 2010 bzw. 2011 vom Beirat Kinderarmut und dem Präventionsnetzwerk erarbeitet wurden. Die Erarbeitung sei mit Unterstützung der Landesvereinigung und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e.V. in Person von Frau Dr. Richter-Kornweitz erfolgt.

In einem breit aufgestellten Abstimmungs- und Aushandlungsprozess konnte folgender Konsens erzielt werden:

Alle Kinder und Jugendliche sollen unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Herkunft und sozialer Lage gleiche Chancen auf ein Aufwachsen in Wohlergehen, einen erfolgreichen Bildungsweg und auf gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht werden.

Grundlage des kommunalen Handlungskonzepts bilde die Braunschweiger Präventionskette. Sie sei zu verstehen als eine integrierte kommunale Strategie, bei der die Hilfesysteme und Praxisfelder so miteinander verzahnt würden und miteinander kooperierten, dass sie positive Lebens- und Teilhabebedingungen für Alle eröffneten durch eine fördernde Begleitung von der Geburt bis zum Berufseinstieg. Um diesen komplexen Prozess am Laufen zu halten, wurde mit Ratsbeschluss in 2013 eine Koordinierungsstelle Kinderarmut mit 30 Wochenstunden neu eingerichtet und dem Sozialreferat angegliedert. Sie selbst sei Sozialpädagogin und seit Beginn in 2013 mit dieser Aufgabe betraut. Zu den Aufgaben der Koordinierungsstelle gehöre die Geschäftsführung von Beirat und Netzwerk sowie die des Braunschweiger Fonds. Sie sei die Schnittstelle zur Verwaltung und zuständig für die Umsetzung des Handlungskonzeptes sowie die Weiterentwicklung der Präventionskette. Im Schaubild des „Hauses“ auf Seite 3 der Präsentation sei zwischen den Säulen Koordination Kinderarmut und Beirat Kinderarmut ein wechselseitiger Pfeil dargestellt, der verdeutliche, dass die Arbeit am intensivsten zwischen diesen beiden Gremien stattfinde.

Im Obergeschoss des „Hauses“ finde sich der Braunschweiger Fonds für Kinder und Jugendliche, der sich aus Spenden speise, mit dem Ziel bessere Chancen zur materiellen Teilhabe zu schaffen und entsprechende Benachteiligungen auszugleichen. Der Fonds bilde einen wichtigen Baustein, um direkt Verbesserungen erzielen zu können.

(Hinweis der Protokollführung:
Die Präsentation findet sich als Anlage 1 zu diesem Protokoll).


Herr Müller-Brandes sagte, er spreche heute für die eingeladene Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege. Die Arbeitsgemeinschaft umfasse die Arbeiterwohlfahrt, das Deutsche Rote Kreuz, den Paritätischen Wohlfahrtsverband, den Caritasverband sowie das Diakonische Werk.

Er wolle 3 Punkte benenne, die für das Thema der heutigen Anhörung bedeutsam seien:

„Der Hannoversche Weg“ sei hinlänglich bekannt. Er sei deshalb gut, da er verschiedene, möglichst passgenaue Instrumente umfasse, die auf die Bedarfe der unterschiedlichen Stadtteile anwendbar seien. Dies verdiene hohen Respekt. In Hannover seien soziale Themen wichtig, im Bereich der Kinder- und Familienarmut sei eine Vielzahl von Instrumenten entwickelt worden, bei denen auch die Wohlfahrtsverbände unterstützen könnten.

Zwar kämen viele Menschen zur Beratung, aber die Zahlen zeigten, dass der Hilfs- und Unterstützungsbedarf immens sei. Das Monitoring zeigt, dass jede vierte Familie alleinerziehend sei und die Hälfte dieser Familien auf Unterstützung zum Lebensunterhalt angewiesen sei. Jedes vierte Kind/jeder vierte Jugendliche in Hannover sei auf Transferleistungen angewiesen. Es sei also eine 5-stellige Zahl von Kindern und Jugendlichen betroffen, zu denen auch noch die Eltern hinzugerechnet werden müssten. Hier sei zu fragen, wie die vorhandenen Informationen bei den Betroffenen ankämen. Hier müsse der Blick auch einmal außerhalb von Hannover gerichtet werden. In Tübingen gebe es das diakonische Projekt “Tübinger Ansprechpersonen“ (kurz: TAP) als Multiplikator*innen. Die immerhin 130 TAPs seien weiter in ihren Organisationen tätig und machten dort bekannt, dass sie zu Fragen rund um „wenig Geld“ ansprechbar seien. Sie übernähmen diese Rolle freiwillig, hätten direkten Zugang zu Informationen, gäben diese weiter oder verwiesen direkt an die jeweiligen Anlaufstellen. Zielgruppe seien, Kinder, Jugendliche, Eltern und Familien, die von Armut bedroht oder betroffen seien. Die Taps agierten für diese als Mittler. Die Taps seien deswegen eine gute Idee, da sie den Zugang über die gewohnten Anlaufstellen böten. Natürlich müssten diese Personen geschult und regelmäßig mit aktuellen Informationen versorgt werden. Hierzu bedürfe es einer hauptamtlichen Unterstützung, die gewährleiste, dass diese Informationen in die Dienstbesprechungen der entsprechenden Institutionen gelangten. Die Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege biete an, bei Bedarf hierüber für Hannover ins Gespräch zu kommen und im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu unterstützen.

Wichtig sei, dass dem Reden auch ein Handeln folge. Es gebe kein alleiniges Mittel gegen Kinder- und Familienarmut. Dennoch müsse an die vorhandenen Erfahrungen und Ideen angeknüpft werden. Die Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege stehe hierfür bereit. Es dürfte Einigkeit darüber herrschen, dass die Kinder und Familien, mithin die Zukunft, es wert seien, sich weiterhin um sie zu kümmern und für sie einzusetzen.


Frau Dr. Richter-Kornweitz stellte sich als Fachreferentin bei der Landesvereinigung und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e.V., Arbeitsbereich Sozialmedizin, vor.

Frau Dr. Richter-Kornweitz las ihre Stellungnahme vor.

(Hinweis der Protokollführung:
Die Stellungnahme findet sich als Anlage 2 zu diesem Protokoll).


Frau Dr. Volf stellte sich als Bereichsleitung für die Themenbereiche „Armut“ und „Migration“ beim Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V. vor. Sie wolle über die Ergebnisse der Langzeitstudie von Arbeiterwohlfahrt in Zusammenarbeit mit dem Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V., die über 22 Jahre Biografien und Lebensverläufe von mehreren hundert Menschen untersucht habe, berichten. Die Studie gehe auf das Jahr 1997 zurück. Seinerzeit wurden in 60 Kindertageseinrichtungen bundesweit 893 Kinder aus Erzieherinnenperspektive untersucht. Dabei habe die Frage im Raum gestanden, was Kinder erreiche vor dem Hintergrund, ob sie in finanziell starken oder schwachen Familien aufwachsen. Die Kinder wurden im Folgenden im Alter von 8, 10, 16-17 sowie 25 Jahren untersucht. Zuletzt konnten 205 Studienteilnehmer*innen erreicht werden. Es sollte auch erforscht werden, ob es ehemals armen Kindern gelungen sei, den Sprung aus der Armut zu schaffen und wenn ja, wie ihnen dies gelungen sei und was die Langzeitfolgen von Armut seien.

In ihrem Vortrag wolle sie nun direkt zum Fazit übergehen, um dann die sich daraus ergebenen Handlungsansätze zu schildern.

Kinderarmut zieht nicht automatisch Armut im jungen Erwachsenenalter nach sich. 2/3 gelingt der Ausstieg; der Hälfte davon beim Übergang ins junge Erwachsenenalter. Dennoch hinterlasse auch punktuelle Armut sichtbare Spuren bis ins junge Erwachsenenalter.; dauerhafte Armut erhöhe das Risiko multipler Deprivation (Einschränkungen in 3-4 verschiedenen Lebenslagendimensionen) im jungen Erwachsenenalter erheblich. Insbesondere in kulturellen und gesundheitlichen Lebenslagen zeigten sich gravierende Einschränkungen, die junge Menschen im Alter von 25 Jahren erlebten, differenziert danach, ob sie bereits im Alter von 6 Jahren in armen oder nichtarmen Familien lebten.

Multiple Deprivationen bei jungen Erwachsenen, die aktuell in finanziell stabilen Verhältnissen lebten, sei mit 3 % nahezu nicht vorhanden. Im Gegensatz dazu liege die multiple Deprivation bei dauerhaft in Armut lebenden Menschen bei 25 %.

Der Übergang ins junge Erwachsenenalter stelle für Armutsbetroffene eine ungleich höhere Herausforderung dar, da diese häufig entweder von Verzögerungen oder gleichzeitiger Bewältigung von mehreren Aufgaben geprägt sei. Die Übergänge ins junge Erwachsenenalter seien statistisch empirisch nach 5 Indikatoren geprüft worden: Beruflicher Abschluss, feste Partnerschaft, Auszug aus dem Elternhaus, Vorhandensein von Kindern, Arbeitsaufnahme (alles jeweils für das Alter von 25 Jahren). Dabei seien 4 unterschiedliche Übergangstypen gefunden und festgestellt worden, dass sich Armut unterschiedlich auf diese 4 Typen verteile. Insbesondere bei jungen Menschen, die in Kindheit oder Jugend Armut erlebt hätten, seien große Verzögerungen feststellbar. Sie setzten die Entwicklungsaufgaben parallel um oder verfügten noch immer nicht über einen Berufsabschluss oder die Integration in den Arbeitsmarkt. Bei den Übergängen benötigten insbesondere arme junge Menschen intensive Unterstützung seitens der sozialen Dienste. Die jungen Menschen seien befragt worden, ob sie bereits Fachberatungsstellen aufgesucht hätten um ihre Probleme zu lösen. Dabei sei festzustellen, dass dies tatsächlich häufiger erfolgt sei als bei nicht von Armut Betroffenen. Dennoch habe nur jede 8. Person um Unterstützung bei Problemlagen wie Gewalterfahrungen, Erziehungsproblemen, Arbeitsmarktintegration, berufliche Orientierung oder Geldmangel nachgesucht.

Aus dem Vorgenannten wolle sie Empfehlungen für den Hannoverschen Weg unter der Überschrift „Hilfen an Menschen bringen“ abgeben:

Junge Erwachsene, die als Kinder und/oder Jugendliche von Armut betroffen waren meldeten, dass sie nie gelernt hätten, wie man erwachsen werde. Ihnen fehlten die Vorbilder in den Familien um zu lernen, was bspw. beim Abschluss eines Handy- oder Mietvertrages berücksichtigt werden müsse, an wen wende man sich bei Problemen mit Schwangerschaft. Sie wünschten sich eine Ansprechperson, einen „One-Stop-Shop“, um Beratung aus einer Hand zu erhalten. Sie frage, ob es dies bereits in der Praxis gebe oder ob Möglichkeiten gesehen würden, dies zu etablieren.

Aufsuchende Arbeit bei jungen Menschen im SGB-II-Bereich. Die jungen Menschen bräuchten Unterstützung und ihnen müssten Wege aufgezeigt werden, wie sie den Sprung aus der familiären Armut schaffen, sich verselbständigen und finanziell unabhängig werden könnten.

Die bisher in Hannover umgesetzten Maßnahmen seien beeindruckend. Wenn auch andere Kommunen diesen Weg gehen würden, wäre dies ein großer Schritt nach vorne. Zu hinterfragen sei jedoch, ob die Hilfen auch bei den Betroffenen ankämen. Dazu müssten die umgesetzten Maßnahmen evaluiert werden um zu prüfen, ob die Lebenslagen der Kinder in armen und nichtarmen Familien tatsächlichen angeglichen würden und wenn eine Wirkung eintrete, wie trete sie ein.

(Hinweis der Protokollführung:
Die komplette Präsentation findet sich als Anlage 3 zu diesem Protokoll).


Herr Prof. Dr. Wrase (Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH) sagte, entsprechend seiner bereits übersandten Stellungnahme wolle er das Konzept eines Teilhabepasses, dass er in einer ersten Idee „Hannover Card“ benannt habe, anregen. Aufgrund des bekannten Zusammenhanges zwischen Einkommens- und Teilhabearmut werde zu oft, allein, der Weg der monetären Unterstützung gegangen. Dies sei zweifelsohne wichtig, noch wichtiger für die Entwicklungschancen von Kindern und Jugendlichen sei aber ein Angebot, dass es ihnen ermögliche, unmittelbar soziale und kulturelle Leistungen anzunehmen.

Zur Frage der Umsetzung habe eine Expertenkommission Überlegungen angestellt. In verschiedenen Ländern und Kommunen gebe es bereits einen Teilhabepass, bspw. in Berlin den Berlin-Pass, der versuche Ansprüche zu begründen, die unmittelbar von den Kindern und Jugendlichen über diesen Pass geltend gemacht werden könnten und andererseits Infrastrukturmaßnahmen anzuregen. Für den Bereich der Bildungs- und Teilhabeleistungen gebe es bereits entsprechende Entwicklungen. Durch Evaluationen sei belegt, dass diese gute Absicht in großen Teilen an zu hohen bürokratischen Hürden scheitere. Daher müssten die Leistungen möglichst gebündelt sein und von nur einer Stelle abgerechnet werden. Mit dem Pass sollten gegenüber der Schule oder anderen Leistungsanbietern die Leistungen unmittelbar und damit niedrigschwellig in Anspruch genommen werden können. Dies böte die Möglichkeit, auf die Nutzer*innen abgestellte Angebote zur Verfügung zu stellen, die die Kinder und Jugendlichen auch abrufen wollten. Dadurch würden die Träger stimuliert, möglichst passgenaue Angebote zu schaffen. Durch die zentrale Abrechnung würde sich dieselbe ebenfalls vereinfachen. Der Zusammenhang zwischen dem individuellen Anspruch, der von den Kindern und Jugendlichen selbstbestimmt geltend gemacht werden könne und den dadurch angeschobenen und ausgebauten Infrastrukturmaßnahmen sei offensichtlich.

Da es sich zum großen Teil um Bundesmittel handele, sei es von großem Interesse für die Länder und Kommunen, diese Mittel auch auszuschöpfen und die Angebote auszuweiten. Dies solle weiter fortentwickelt werden. Die Leistungen für Sport, Freizeit und kulturelle Angebote seien mit 15 €/mtl. pauschal deutlich zu niedrig bemessen. Die Kommunen könnten dies aufstocken, um passendere und zusätzliche Angebote über die durch das Bildungs- und Teilhabepaket abgedeckten hinaus zur Verfügung stellen und finanzieren zu können.


Frau Würdemann sagte, sie wolle vom Projekt „Mitten drin!“ berichten, dass der Deutsche Kinderschutzbund, Landesverband Niedersachsen e.V. seit 2014 sehr erfolgreich gemeinsam mit dem Land Niedersachsen durchführe. Bei dem Projekt handele es sich um den Nachfolger des Fonds „DabeiSein!“, der hier möglicherweise bekannt sei. Anders als mit diesem Fonds würden mit dem Projekt nicht die Kinder und Jugendlichen selbst, sondern Projektträger gefördert. Durch vielerlei Abstimmung sei es gelungen, einen Weg zu finden, der es auch kleineren Trägern ermögliche, ohne großen bürokratischen Aufwand Mittel zu beantragen. Das Projekt sei in den ersten 3 Jahren bei den Kindern und Jugendlichen (und nicht den Trägern) evaluiert worden. Dabei habe sich das von Herrn Prof. Dr. Wrase Geäußerte eindeutig bestätigt. Vorrangig seien nicht die monetären Probleme, sondern der Mangel an gesellschaftlicher Teilhabe, die Mutlosigkeit und das Gefühl, nicht mitmachen zu können. Auch die Bertelsmann Stiftung habe diesen Eindruck bestätigen können.

Die Förderhöhe richte sich danach, ob es sich um eine „Mikroprojekt“ (bis 3.000 €) oder ein „Makroprojekt“ (bis 10.000 €) handele. Förderungen für Mikroprojekte könnten ohne Eigenmittel oder Wahrung besonderer Fristen durchgängig vergeben werden. Über die größeren Projekte werde gemeinsam mit dem Land und externen Experten, u.a. Jugendlichen aus dem Jugendrat 1/4-jährlich entschieden. Bisher konnten fast 790 Projekte umgesetzt werden. In 2018 sei ein „Niedersachsentour“ durch die Gemeinden und Kommunen von Delmenhorst bis Wolfsburg durchgeführt worden. Dabei sei deutlich geworden, dass, obwohl die Kommunen sehr unterschiedlich seien, sich die Problemlagen glichen.

Insgesamt sei zu beobachten, dass insbesondere die kleineren Träger nahezu nicht vernetzt seien. Dies müsse auch bei dem positiv zu wertenden „Hannoverschen Weg“ besondere Berücksichtigung finden. Daneben sei die aufsuchende (Sozial-) Arbeit wichtig, damit diejenigen, die Hilfe benötigten, diese auch erhielten. Insbesondere für kleinere Träger sollte die Bürokratie möglichst geringgehalten werden, denn wenn der Aufwand für einen Antrag zu recherchieren um diesen stellen zu könne größer sei als die Durchführung des Projektes selber, seien schlicht die Prioritäten falsch.


Für die Per Mertesacker Stiftung bestätigte Herr Olm, auch diese wünsche sich eine stärkere Vernetzung auf Anbieterseite. Inhaltlich könne er an das von seiner Vorrednerin Gesagte anknüpfen.

Die Per Mertesacker Stiftung sei vor 12 Jahren gegründet worden und baue auf 2 Säulen auf. Dies sei zum einen Kinder und Jugendliche in der Schule zu unterstützen und mittels Sport in die Gesellschaft zu integrieren. Bei ihrer Arbeit betreue die Stiftung die Kinder über 10 Jahre von Klassenstufe 1 bis 10, also dem ersten Schulabschluss. Neben der sprachlichen Unterstützung die Stiftung arbeite vor Ort in den Stadtteilen, z.B. Mühlenberg, Garbsen-Auf der Horst und aktuell auch Roderbruch mit über 100 Kindern und den dazu gehörenden Familien mit einem erheblichen Migrant*innenanteil von über 80 %, aber auch einem Mädchenanteil von 25 %, da selbstverständlich auch diese Fußball spielten. Insgesamt seien die bereits geschilderten Probleme auch hier feststellbar. Die Familien wüssten nicht, an wen sie sich wenden könnten, um in Vereine zu kommen, Kontakte zu knüpfen. Der Stiftung gelinge es über die Schulen bekannt zu werden. Bei den von der Stiftung geschaffenen Möglichkeiten handele es sich über das schulische Maß hinaus besondere Aktionen vor allem für Jugendliche um Dinge wie Demokratiekenntnis, in diesem Jahr wurde bspw. der Deutsche Bundestag in Berlin besucht, einschließlich Diskussion mit einem Abgeordneten.

Letztendlich spiele der Fußball, für den sich viele Kinder und Jugendliche interessierten natürlich bei einer solchen Stiftung eine herausragende Rolle. Über den Sport sei es möglich, Kinder und Jugendliche zu motivieren, über die Grundschulzeit hinaus motiviert zu bleiben. Auch aus einem anderen Grund spiele der Sport eine große Rolle, da er auch dazu beitrage, Persönlichkeiten zu entwickeln. Wer mit Kindern und Jugendlichen gemeinsam Sport treibe, könne auch entsprechende Werte und Tugenden vermitteln.

Bisher sei die Stiftung rein privat finanziert, es sei aber wünschenswert, wenn weitere Mittel sowie Unterstützung auch aus der Politik dazu beitragen könnten, mehr als die 100 genannten Kinder und Jugendlichen zu unterstützen. Darüber hinaus sei, gerade für eine verhältnismäßig kleine Stiftung, eine weitere Vernetzung mit Anderen wichtig.


Frau Dr. Langness wies darauf hin, dass sich die Bertelsmann Stiftung bereits intensiv mit dem Thema Kinderarmut befasst habe und diverse Studien dazu vorgelegt. Dabei konnten auch die negativen Auswirkungen aufgezeigt werden. Hannover befinde sich bei Kindern im SGB-II-Bezug im Vergleich zu anderen Kommunen im Mittelfeld. Die Studien hätten gezeigt, dass Armut für Kinder ein Dauerzustand sei und die Konsequenzen erheblich seien. Das nordrhein-westfälische Projekt „Kein Kind zurücklassen – Kommunen schaffen Chancen“, bei dem 40 Kommunen unterstützt wurden, kommunale Unterstützungsketten aufzubauen, sei von der der Bertelsmann Stiftung über 7 Jahre hinweg wissenschaftlich begleitet worden.

Wichtigstes Ergebnis für das Handeln von Kommunen und Ländern sei eine kleinräumige Berichterstattung sowie Bedarfsermittlung. Für Hannover sei dies bereits erfolgt. Anzuregen sei darüber hinaus bspw. noch die Frage nach dem Gesundheits- und Bildungszustand, nach dem sozialen Status in den einzelnen Sozialräumen um dies dann kartografisch abzubilden. Dies ermögliche dann eine genauere Betrachtung der „roten Felder“, um dann ungleiches auch bei der Mittelverteilung ungleich zu behandeln. Hierfür sei nicht allein die SGB-II- Quote ausschlaggebend, sondern auch die soeben genannten anderen Parameter mit einzubeziehen.

Ein guter und bedarfsgerechter Ausbau sowie ausreichend Mittel für Kindertageseinrichtungen und Schulen in sozialen Brennpunkten müssten zur Verfügung gestellt werden. Die Bertelsmann Stiftung habe festgestellt, dass in vielen Kommunen zwar gute Programme vorhanden seien, diese aber nicht die richtigen Adressaten, sondern die Mittelschicht oder die obere Bildungsschicht erreichten. In einer Befragung in Nordrhein-Westfalen seien 4.000 Eltern dazu befragt worden, wo sie sich informierten. Neben Freunden und Verwandten („Peer-Education“) sei immer wieder der Kinderarzt als zentrale Informationsquelle genannt worden. Leider sei die Koordination der Angebote immer wieder bei den Jugendämtern angesiedelt, die nicht mit dem Gesundheitssektor vernetzt seien. Der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) habe die Aufgabe, insbesondere Prävention und Gesundheitsvorsorge für Benachteiligte zu betreiben.

Die Verwaltungsstrukturen müssten vom Kind her gedacht werden. Gemeinsam müssten die einzelnen Ämter ihre Arbeit darauf ausrichten. Leider erfolge noch immer oft keine Abstimmung zwischen den einzelnen Ämtern und diese verharrten in ihrer eigenen Fachlichkeit.

Eine systematische Befragung von Kindern und Jugendlichen zu ihren Bedürfnissen werde angeregt. In einem Pilotprojekt in Herne und Bottrop würden alle Kinder und Jugendlichen in Jahrgangsstufe 5 und 7 dazu befragt, wie sie sich fühlten, wie sie ihren Gesundheitszustand einschätzten, ob es eine Vertrauensperson in den Schulen gebe. Bei letzterem seien die Ergebnisse bemerkenswert, denn 50 % der Befragten gaben an, in den Schulen keine erwachsene Vertrauensperson zu haben.

(Hinweis der Protokollführung:
Die komplette Präsentation findet sich als Anlage 4 zu diesem Protokoll).


Frau Piel wies darauf hin, dass nicht alle Kinder in Armut von Transferleistungen lebten. Umso wichtiger sei eine Kindergrundsicherung, um den Unterhalt dauerhaft zu sichern, auch wenn diese in absehbarer Zeit politisch nicht umsetzbar sein werde. Ein weiterer wichtiger Baustein sei die Infrastruktur vor Ort, zu der die Stadt Hannover bereits ein umfangreiches Bildung- und Freizeitangebot biete. Das Bildungs- und Teilhabepaket ermögliche darüber hinaus weitere Möglichkeiten, werde aber nur von der Hälfte der Berechtigten in Anspruch genommen, auch wenn für Hannover die Zahlen hierzu etwas positiver seien. Solche Angebote müssten beworben und Menschen entsprechend angesprochen werden. Aus Studien der Heinrich Böll Stiftung sei bekannt, dass Kartensysteme angeboten werden müssten. Hannover verfüge über ein solches System. Die Stiftung weise darauf hin, dass diejenigen Systeme am erfolgreichsten seien, die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes mit vermarkte. Eine Kombination sei also umso wichtiger.

Ein anderes Modell, das immer wieder angeführt werde, sei das des Fonds. Als Beispiel wolle sie den Bildungsfonds ihrer Heimatstadt Lübeck nennen. Ursprünglich sei dieser von der Stadt Lübeck, dem Land Schleswig-Holstein und weiteren mit ursprünglich 2 Mio. Euro gespeist worden. Dies biete den Vorteil, dass auch Angebote wie Musikschule, die nicht über das Bildungs- und Teilhabepaket finanziert würden möglich seien sowie eine enorm einfache Antragstellung den Zugang vereinfache. Der Nachteil des Fonds sei, dass die Initiative hierzu aus der Verwaltung kommen müsse, die diesen dann begleite und Landes- sowie Spendengelder benötigt würden.


Frau Volland stellte sich als Vertreterin für die Landesarmutskonferenz vor, bei der ihr Verband, die Arbeitsgemeinschaft der Familienverbände, vertreten sei. Sie denke, dass Hannover in einigen Teilen bereits gut aufgestellt sei. Es gebe die Sozialberichterstattung, die Broschüre „Der kleine Geldbeutel“ mit Hinweisen für Personen mit geringem Einkommen und auch die Familienzentren seien recht gut ausgestattet.

Der Vorschlag eines Runden Tisches „Kinderarmut“ sei positiv zu bewerten, wenn auch Betroffene sowie Migrantenselbsthilfeorganisationen einbezogen würden. Darüber hinaus müsse dieser Runde Tisch sinnvollerweise mit eigenen Mitteln ausgestattet werden. Durch den Runden Tisch könne eine weitere Vernetzung vorangebracht werden. Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter e.V. sowie die Föderation türkischer Elternvereine e.V. als Mitgliedsverbände der Arbeitsgemeinschaft der Familienverbände seien in Hannover ansässig und stünden für einen Runden Tisch zur Verfügung.


Ihr Kollege Klaus-Dieter Gleitze von der Landesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege habe den Kulturentwicklungsplan angesehen und dabei sei aufgefallen, dass Armutsbekämpfung eine Querschnittsaufgabe sei. An einigen Stellen werde in dem Plan von Teilhabe gesprochen, allerdings nur auf abstrakter Ebene; das Thema Armutsbetroffenheit werde nicht aufgegriffen.

Die Idee einer Card sei zu begrüßen, wenn auch die Bezieher*innen von Wohngeld und Kinderzuschlag mit einbezogen würden. Dies fokussiere nur auf Kinder, Thema heute sei aber auch Familienarmut. Hannover könne hierzu ein Modellprojekt „Einheitliche Antragstelle“ analog zu EU-Förderungen initiieren. Allgemein bekannt sei, dass viele Leistungen nicht in Anspruch genommen würden, weil sie nicht bekannt, die Antragstellungen zu kompliziert oder Eigenleistungen notwendig seien. Nach ihrer Kenntnis müsse ein Antrag allerdings als gestellt gelten, sobald er bei der Verwaltung eingehe und nicht nur, wenn er zum zuständigen Amt gelange. Die Idee wäre, eine einheitliche Stelle zu schaffen, bei der sich die Familie mit ihren Unterlagen und dem Hinweis, dass das Einkommen nicht auskömmlich sei, melden könne. Diese Stelle bündele dann die Unterlagen und versende dann gebündelt den entsprechenden Bescheid. Der derzeitige Weg zu diversen Behörden erübrige sich dann und könne die Familien mit dieser einheitlichen Stelle enorm entlasten. Notwendig sei allerdings geschultes Personal für diese Stelle.

Nachdem der Deutsche Familienverband seine Geschäftsstelle Ende 2016 habe schließen müssen, gab es keine Stelle für die Antragstellung von freiwilligen Mitteln beim Land Niedersachsen für Familienerholung. Dies habe sich zwar inzwischen geändert, aber im vergangenen Jahr seien lediglich 24 Anträge gestellt worden. Dies erscheine ihr sehr wenig; vielleicht könnte auf die Möglichkeit offensiver als nur im „Kleien Geldbeutel“ aufmerksam gemacht werden.

Die Stadtkarte zur Armutsverteilung zeige deutlich, dass diese geballt anzutreffen sei. Die „Ghettoisierung“ gelte es zukünftig zu vermeiden und Sozialwohnungen müssten mehr gemischt in anderen Quartieren angeboten werden.


Frau Rust-Bulmahn wies darauf hin, dass sie mit Hilfe für unsere Kinder gGmbH eine kleine Träger vertrete, der sich mit gesunder Ernährung, Bildung, Teilhabe und Integration beschäftige und mit Schulen und sozialtherapeutischen Einrichtungen zusammenarbeite. In Zusammenarbeit mit Schulen kochten Schüler für Schüler. Für freie Träger seien die immer höheren Voraussetzungen bei der Beantragung sowie die daraus resultierenden Nacharbeiten sehr schwierig.

Die immer höheren Anforderungen machten die Arbeit enorm schwierig. Da es bei eingangs genannten Projekt um Lebensmittelverarbeitung gehe, müssten die Kinder hierfür eigens andere Schuhe tragen. Dies sei deswegen schwierig, da viele dieser stark vernachlässigten Kinder nur über ein einziges Paar Schuhe verfügten. Wenn kein Unterschied zu Großküchen gemacht werde, erschwere dies die 20 Jahren erfolgreiche Arbeit ungemein. Die Kinder lernten, wie sie eine gesunde und kostengünstige Mahlzeit herstellten. Wenn diese gute Projektarbeit aufgegeben werden müsse, nur weil die gleichen Anforderungen wie bei gewerblichen Betrieben gestellt würden, sei dies sehr schade. Sie würde sich wünschen, wenn bei sozialen Projekten zur Bildung und Teilhabe weniger strenge Regeln gelten würden.


Ratsfrau Klingenburg-Pülm dankte den Gästen für ihre Vorträge sowie dafür, dass es ihnen gelungen sei, sich an die engen Zeitvorgaben zu halten. Dies ermögliche es dem Sozialausschuss, abschließende Fragen zur Vertiefung zu stellen.


Beigeordneter Machentanz sagte, der Braunschweiger Fonds für Kinder und Jugendliche sei interessant. Seiner Ansicht nach müsse ein solcher Fonds mit 100 € pro Kind und Monat ausgestattet sein, damit er wirklich weg aus der Armut führen könne, und Einkünfte wie Kindergeld dürften nicht angerechnet werden. Er bitte um nähere Erläuterungen zum Braunschweiger Fonds.

Frau Försterra antwortete, der Fonds existiere seit 2007. Das Spendenvolumen betrage bisher insgesamt 2,6 Mio. Euro. Aus dem Fonds würden Einzelfallhilfen zur direkten Unterstützung von Kindern und Jugendlichen in Notlagen, Mittagessendefizitausgleich (damit alle Kinder und Jugendlichen am Mittagessen in Kindertagesstätten und Schulen teilnehmen könnten) sowie Projektförderung geleistet. Für letzteres seien zwischen 2013 und 2018 mit ca. 150.000 Euro Projekte unterstützt worden. Das Verfahren sei bewusst einfach gehalten worden; es gebe keine Antragsvordrucke. Der Beirat entscheide in seinen Sitzungen unmittelbar über die Vergabe der Projektmittel. Im Jahr 2014 habe der Fonds eine Großspende in Höhe von 1 Mio. Euro von einem Braunschweiger Unternehmer erhalten. Dies habe den Beirat vor eine große Herausforderung gestellt. Im Zuge dessen sei das Resilienzförderungskonzept „Starke Kinder und Jugendliche“ für die Felder Schule und Kindertagesstättenbetreuung auf den Weg gebracht worden.

Ratsherr Finck bat um nähere Informationen zum Runden Tisch in Braunschweig und darüber hinaus um Einschätzungen aller Expert*innen, ob und wie ein Runder Tisch einen wirksamen Beitrag zur Bekämpfung von Kinder- und Familienarmut leisten könne.

Frau Försterra wies auf ihre eingangs gemachten Ausführungen hin. Demnach sei das Netzwerk auf Initiative des seinerzeitigen Sozialdezernenten entstanden. Es verfüge nicht über eine bestimmte Rechtsform, sondern arbeite nach einer getroffenen Vereinbarung. Dieses Konstrukt funktioniere bereits seit 2007. Aus Sicht der Stadt Braunschweig biete die Verbindung von Netzwerk und Beirat den Vorteil, dass das Thema Kinderarmut stärker in der Stadtgesellschaft verankert werden könne. Braunschweig habe sich das afrikanische Sprichwort „Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf“ zum Leitspruch gemacht. Dieser schaffe auch eine Gemeinsamkeit aller Beteiligten. Die Konstruktion von Beirat und Netzwerken befürworte sie sehr, zumal der Beirat auch als Expertengremium, das etwas unabhängig von der Verwaltung Position beziehen könne, funktionieren könne.

Herr Müller-Brandes sagte, für die Region Hannover gebe es mit der „HAZ Weihnachtshilfe“, die insbesondere bei den Wohlfahrtsverbänden viel Arbeit verursache, eine durchaus ähnliche Einrichtung. Bei einem Runden Tisch müssten die Ziele und Ausrichtung sehr genau definiert werden.

Frau Dr. Richter-Kornweitz verwies auf das von ihr eingangs Gesagte. Im Vorfeld der Einrichtung eines Runden Tisches oder Beirates solle ein Diskurs zu Strategien und Strukturen über den künftigen Hannoverschen Weg stattfinden; Runder Tisch oder Beirat könnten den Diskurs begleiten. Die Beantwortung der zu stellenden Fragen gehe über die Einrichtung eines Runden Tisches oder Beirates weit hinaus. Ein Beirat könne sehr dazu beitragen, einen Überblick über Bedarf und Bedürfnisse zu erhalten; die Zusammensetzung sei daher sehr genau zu überlegen. darüber hinaus sei die Festlegung der Aufgaben und Ziele für und mit dem Beirat sehr genau zu beachten. Schließlich müsse geregelt werden, wie die Ergebnisse und Empfehlungen des Beirates diejenigen, die die Entscheidungen träfen, erreichten und wie eine Rückkopplung zum Beirat erfolgen könne.

Dem schlossen sich Frau Rust-Bulmahn und Frau Volland an. Dabei seien Ziel und Zweck genau zu definieren, um neue Ideen initiieren zu können.

Frau Dr. Volf meinte, auch eine bloße öffentliche Sensibilisierung für das Thema könne als Gewinn betrachtet werden. Armutsensibles Handeln auf allen Ebenen von Geburt an sei enorm wichtig um mit der Integration in den Arbeitsmarkt den Absprung aus der familiären Armut zu schaffen.

Herr Prof. Dr. Wrase ergänzte, ein solches Gremium dürfe nicht dazu eingerichtet werden, um Probleme wegzudelegieren. Er selbst sei Teilnehmer des Ausschusses Kinderarmut der Stadt Hildesheim. Dieser Ausschuss habe relativ wenig Mittel zur Verfügung. Anfangs sei nicht klar gewesen, welches die Aufgaben des Ausschusses sein sollten. Zwar seien alle Beteiligten sehr bemüht, Lösungen zu finden, aber die Möglichkeiten seien begrenzt. Es bedürfe zu Beginn einer Initiative und politischer Vorgaben. Teilnehmer sollten Expert*innen, freie Träger sowie die Verwaltung sein.

Frau Würdemann sagte, jede Form von Austausch und Vernetzung mit einer klaren Zielrichtung sei zu begrüßen.

Frau Dr. Langness meinte, ein bloßer Austausch genüge nicht. Unabdingbar seien Ziel und Strategie, politischer Rückhalt in der Verwaltungsspitze, Personen, die den Auftrag klar beförderten, eine strategische Zusammenarbeit der einzelnen Fachbereiche sowie eine Partizipation aller Akteure vor Ort. Geklärt werden müsse, wie der Runde Tisch zusammengesetzt werden solle: verwaltungsintern/erweitert um Experten sowie die Kommunikation nach außen. Ihrer Ansicht nach müsse sich der Tisch nach außen öffnen mit Partizipation auch der Betroffenen. In einem von der Bertelsmann Stiftung veranstalteten Workshop seien auch Mitarbeitende aus Schulen und Kindertageseinrichtungen sowie interessierte Bürger*innen beteiligt gewesen. Diese hätten zunächst definiert, was sie sich für ihre Kommune und ihren Sozialraum wünschten. Damit sei wahre Partizipation gewährleistet, da die Menschen einbezogen würden. Allerdings sei dies als Gegenentwurf zu einem weiteren Vernetzungsformat zu sehen, bei dem nur die „Profis“ zusammenkämen.

Frau Piel sagte, sie bevorzuge Arbeitsgruppen, die einen klaren Handlungsspielraum hätten, Mittel verteilen könnten, über einen klaren Auftrag verfügten, wie Zielkorridore auszusehen hätten und wann bestimmte Ergebnisse vorliegen müssten. Sie stimme sehr mit ihrer Vorrednerin überein, dass auch Betroffene mit einbezogen werden müssten, um ihre Bedarfe zu schildern.

Zu Fragen von Ratsfrau David antwortete zunächst Frau Dr. Volf. Zunächst wolle sie darauf aufmerksam machen, wie Einkommensarmut definiert worden sei. Zum einen sei dies der Bezug staatlicher Transferleistungen oder relative Einkommensarmut (weniger als 60 % des mittleren Einkommens in Deutschland). In der Stichprobe habe die Einkommensarmut bei 23 % der jungen Erwachsenen gelegen. Zu 4 Altersabschnitten (6/8/10/16 Jahre) sei untersucht worden, in welchen Situationen die Kinder gelebt hätten und für jede Person ein Pfad nachgezeichnet worden, in welchem Alter die Person aus der Armut ausgestiegen sei. Dabei sei festgestellt worden, dass die Kinder, die mit 6 Jahren in Armut lebten zu 54 % bis zum Jugendalter in Armut lebten. Diejenigen Kinder, die mit 6 Jahren nicht in Armut lebten, waren im Jugendalter (81 %) bzw. im jungen Erwachsenenalter (68 %) weiterhin nicht von Armut betroffen. Direkt am Übergang vom Jugend- zu jungen Erwachsenenalter gelinge der Hälfte der Betroffenen der Sprung aus der Armut. Sobald die Ausbildung abgeschlossen und die Integration in den Arbeitsmarkt vollzogen sei, stünden sie auf festen Beinen im Leben. Auch eine feste Partnerschaft sei als Schutzfaktor anzusehen. Diejenigen Personen, die aus dem Elternhaus ausgezogen, eine Ausbildung abgeschlossen und in fester Partnerschaft lebten, zeigten mit 14 % die geringsten Armutsraten auf.


Frau Försterra berichtete, das Resilienzstärkungskonzept umfasse die Implementierung des Excellenceansatzes im Familienzentrum. Hierzu habe sich Braunschweig von Hannover inspirieren lassen. In Braunschweig hätten die Familienzentren angelehnt an den Early-Excellence-Ansatz gearbeitet. Mit der genannten Spende konnte die vollständige Qualifizierung des gesamten Teams sowie der Leitung finanziert werden. Im Bereich der Schulen sei ein Konzept „Education Y“ (ehemals buddY e.V.) aufgelegt worden, an dem 6 Schulen teilgenommen hätten. Schwerpunkt waren Selbstwirksamkeitserfahrungen für die Kinder möglich zu machen und Veränderungen innerhalb des Kollegiums sowie des Systems Schule stärkt und schützt, ohne arme Kinder zu stigmatisieren. Ein besonderer Ansatz war, die Leitungen mit einzubeziehen und nicht wie sonst üblich einige Lehrkräfte auf Fortbildung zu schicken in der Erwartung, sie multiplizierten in das gesamte Kollegium hinein. Voraussetzung war, dass ein Großteil des Kollegiums teilnahm und die Schulleitungen gecoacht wurden. Das Projekt sei im April 2019 ausgelaufen, werde aber weiterhin begleitet. Alle beteiligten Schulen arbeiteten entsprechend in ihren Strukturen weiter und hätten bspw. Klassenratsituationen eingeführt.

Zur Fragen von Beigeordnetem Machentanz erläuterte Frau Volland, der Vorteil von aktivem Quartiersmanagement liege darin, dass sich die Beteiligten vor Ort kennten und auf den Stadtteil abgestimmte Maßnahmen initiieren könnten. Familienzentren seien bereits eine gute Möglichkeit, Familien mit Vorschulkindern zu erreichen. Dies könne auf andere Altersgruppen ausgedehnt werden.

Zur Frage von Ratsherrn Braune, warum die Grünen auf Landesebene keine Anträge für zusätzliche Psychologenstellen insbesondere an Brennpunktschulen gestellt hätten, wies Frau Piel darauf hin, dass ein Antrag nichts an der Tatsache ändere, dass es generell zu wenig Psychiater und Psychologen gebe.

Frau Dr. Volf sagte, es gebe Querschnitt- und Längsschnittuntersuchungen. Die Querschnittuntersuchungen zeigten, wie es den jungen Erwachsenen heute gehe, differenziert nach Armut und Nicht-Armut. Im Längsschnitt werde gezeigt, wie es den ehemals armen Kindern heute gehe. Im Querschnitt seien gravierende Einschränkungen im Bereich materielle Lage und gesundheitliche Lage zu sehen. Die gesundheitlichen Probleme kumulierten in Armut; von psychischen Problemen mit vielen Auffälligkeiten sei jede 2. Person in Armut betroffen. Aus der Forschung sei bekannt, dass psychische Erkrankungen bis zum 24. Lebensjahr entstünden.

Die Kinder, die in Armut aufgewachsen seien, erlebten Einschränkungen in 2 gravierenden Bereichen: kulturelle Teilhabe und gesundheitliche Lage. In Befragungen hätten die 23 interviewten jungen Erwachsenen Schule eine besondere Bedeutung zugemessen, allerdings in negativem Kontext. Die Aussage war, „ich habe es trotz Schule geschafft“, Schule stellte keine hilfreiche Ressource dar, sondern ein Hindernis, an gute Bildung zu gelangen. Die armutsbetroffenen Jugendlichen, die in ihren Familien, die in ihren Familien lebenseinschneidende Erlebnisse hatten, nutzten die Berufskollegs deutlich häufiger als die Nicht-Armen und deuteten dies positiver. Nach ihren Angaben nutzten sie die sozialpädagogischen Hilfestellungen an Berufskollegs nicht nur dazu, ihren Bildungsabschluss nachzuholen sondern auch, um ihre Lebenssituation zu bewältigen. Im Alter von um 20 Jahren waren sie dann besser dazu in der Lage, ihre Lebenssituation einzuschätzen und den Fokus auf Bildung zu legen. Dies sei ein Ergebnis der Längsschnittuntersuchung.

Frau Dr. Langness wies darauf hin, dass die Kinderärzt*innen nicht die Zeit dafür hätten, Familien- oder Erziehungsberatung zu leisten. Bei Auffälligkeiten erfolge zwar eine Meldung an die Jugendämter, aber bevor es dazu käme, gebe es diverse Stadien, in denen die Kinderärzt*innen die einzigen Expert*innen seien, die Kontakt zu diesen besonders von Armut und Benachteiligung betroffenen Familien hätten und diese in ihrer Lotsenfunktion weiterverweisen könnten. Im Ausland gebe es verschiedene Beispiele dafür, dass dies auch das Personal in der Anmeldung der Praxen übernehmen könnte, da dieses häufig einen noch engeren Kontakt zu den Familien habe. In einigen Kommunen gebe es das „grüne Rezept“, mit dem die Ärzte bspw. an die frühen Hilfen weiter „überweisen“ könnten. Wenn diese Empfehlung von Seiten der Kinderärzt*innen käme, habe dies eine viel höhere Bedeutung und werde öfter befolgt.

Sie habe die Version eines „Lernortes“, an dem neben Lehrer*innen auch die Bereiche Gesundheit, Psychologie, Therapie angesiedelt seien, auch wenn dies in Deutschland aufgrund des sektoralen Denkens schwer zu verwirklichen sein werde. Familienzentren seien ein erster Schritt, auch wenn dort Lehrende unter sich seien. Den Gesundheitsaspekt mit hineinzubringen, sei enorm wichtig, scheitere sicher auch an den Unterscheidungen in den Sozialgesetzbüchern, kreative Lösungen seien gefragt. Kommunen könnten Projekte fördern. Das Land Nordrhein-Westfalen starte derzeit eine Ausschreibung zur Förderung von Projekten von Kommunen, die eine Kooperation von Geburtskliniken mit Pädagog*innen in Jugendämtern sowie Erzieher*innen organisierten und managten. Für Kommunen käme auch eine Zusammenarbeit mit den örtlichen Krankenkassen in Betracht, die seit jeher Prävention und Gesundheitsförderung in Bildungseinrichtungen durchführten. Über das Bundespräventionsgesetz sei der Auftrag an die Krankenkassen gegeben worden, sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche in Bildungseinrichtungen sowie in Kommunen zu unterstützen. Aus Nordrhein-Westfalen sei ihr bekannt, dass die Kommunen eine Vielzahl von Anträgen gestellt hätten, die Krankenkassen sich aber schwer damit täten, diese zu bewilligen. Die finanzielle Ausstattung für diesen Zweck sei enorm, es bestehe die Verpflichtung, diese Mittel auszugeben.

Herr Prof. Dr. Wrase sagte, natürlich könne eine mögliche Stigmatisierung durch einen Teilhabepass nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Dies werde auch häufig als Argument genannt, um einen solchen Pass nicht einzuführen. Kommunen und Bundesländer, die einen solchen Pass begrenzt auf die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes anböten hätten die Erfahrung gemacht, dass die positiven Wirkungen die möglichen Diskriminierungen deutlich überwögen. Wenn ein solcher Pass eingeführt werde, müsse dieser positiv begleitet werden. Der „Berlin-Pass“ unter dem Motto „Erschließ‘ Dir die Stadt“ sei entsprechend ansprechend gestaltet. In einem zweiten Schritt wäre es wünschenswert, diesen Pass für alle Kinder über das Bildungs- und Teilhabepaket weit hinaus, bei Nichtbeziehern staatlicher Leistungen gegen eine entsprechende finanzielle Beteiligung der Eltern flächendeckend anzubieten.

Frau Piel machte auf die Stadt Erlangen aufmerksam, in der die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes online von der zur Verfügung stehenden Karte abgebucht werden können. Darüber hinaus gebe es mit der Karte Vergünstigungen in Freizeiteinrichtungen, im Einzelhandel sowie in Apotheken. Begünstigter Personenkreis seien in Erlangen auch die Teilnehmenden des Freiwilligen Sozialen Jahres sowie die Bundesfreiwilligendienst Leistenden. Damit sei die Karte nochmals attraktiver.

Frau Dr. Langness meinte, die Karten seien ein wunderbares Instrument. In Nordrhein-Westfalen gebe es in Hamm die „YouCardHamm“. Dort gebe es durch die Karte inzwischen eine Inanspruchnahme der Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes von 70 %. Nur um diese Quote einordnen zu können, weise sie darauf hin, dass diese in anderen Kommunen teilweise nur 3-4 % betrage. Die Bundesmittel seien vorhanden. Wenn dies vor Ort durch die Kommunen entsprechend über eine derartige Card organisiert werde, könne der Effekt schon nach wenigen Jahren anhand der Zahlen abgelesen werden.


Bürgermeisterin Kramarek wies noch einmal auf das Thema der Anhörung „Maßnahmen gegen Kinder- und Familienarmut“ hin. Sie habe aus den Vorträgen bisher den Eindruck gewonnen, dass diese auf Maßnahmen bei Kinder- und Familienarmut ausgerichtet waren. Es habe sie erstaunt zu erfahren, dass es immerhin 2/3 aller im Kindesalter von Armut betroffenen Menschen gelinge, diese im Erwachsenalter zu überwinden. Offenbar hänge dies mit der dann vorhandenen eigenen Möglichkeit der Arbeitsaufnahme zusammen. In einer von Frau Dr. Langness gezeigten Grafik zu in SGB-II-Bezug stehenden Kindern habe Bayern die niedrigste Quote aufgewiesen. Dies korrespondiere mit der ebenfalls in Bayern am niedrigsten Arbeitslosenquote. Dies mache deutlich, dass Beschäftigung ein Schlüssel für oder gegen Armut sei. Sie frage daher, welche Möglichkeiten Kommunen in diesem Bereich hätten und inwieweit die Zahlen von Arbeitslosigkeit mit denen der Kinderarmut zusammenhingen. Inwiefern gebe es Möglichkeiten für Schule? Ihr sei bekannt, dass in den Schulen zwar die Schüler*innen gut erreicht werden könnten, die Eltern aber zumeist schlecht. Dies werde immer wieder thematisiert. Wenn über Maßnahmen gegen Kinderarmut gesprochen werde, müssten immer auch die Eltern mit einbezogen werden. Dies sei für ihr Empfinden in der Anhörung bisher zu kurz gekommen.

Frau Volland sagte, es gebe einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Kinderarmut. Lege man die entsprechenden Karten aufeinander, seien diese sicher fast vollständig deckungsgleich. Jede Familie, die ihren Lebensunterhalt frei von Transferleistungen bestreiten könne, habe allein dadurch schon ein anderes Selbstbewusstsein. Aus diesem Selbstbewusstsein heraus falle es ihnen dann leichter, ihre Kinder auf einen guten Weg zu bringen. Familienzentren wie in Hannover seien bereits eine gute Möglichkeit, um die Eltern zu erreichen. Bei älteren Kindern mit den Eltern in Kontakt zu treten, falle ungleich schwerer. Hier sei eher die Arbeitsvermittlung in JobCentern gefragt.

Sie selbst sei in der Lenkungsgruppe für die handlungsorientierte Sozialberichterstattung in Niedersachsen vertreten und müsse leider konstatieren, dass von dem wirtschaftlichen nicht alle Menschen teilhaben konnten. Bspw. habe sich bei dem Anteil an Langzeitarbeitslosigkeit so gut wie nichts geändert. Häufig handele es sich dabei um Menschen mit den sog. multiplen Vermittlungshindernissen, so dass vermutlich kurzfristig keine Lösung möglich sein werde. Bei anderen Familien werde das Arbeitslosengeld II lediglich ergänzend bezogen, weil wegen Pflege- oder Erziehungspflichten keiner Vollzeitbeschäftigung nachgegangen werden könne, das Einkommen auch schlicht nicht ausreiche. Erst kürzlich habe sie über den hohen Grad an Mindestlohnbetrug gelesen. Dies alles seien Punkte, an denen angesetzt werden könne: Mindestlohnbetrug bekämpfen, bei niedriger Qualifikation die Möglichkeit eröffnen, Abschlüsse nachzuholen usw. Jeder Erfolg bei diesen Maßnahmen, hole Familien und damit auch Kinder aus der Armut heraus.

Frau Piel ergänzte, die Probleme, wie Arbeit entlohnt werde, wie prekär Arbeitsverhältnisse seien und wie Menschen trotz Arbeit lebten, könnten innerhalb kurzer Zeit, insbesondere von Kommunen, nicht gelöst werden, da es sich hier um gesamtgesellschaftliche Probleme handele. Die Familienzentren böten bereits eine gute Möglichkeit, Eltern mit einzubeziehen. Der Ausweg aus Kinderarmut sei ohne eine verlässliche Kindergrundsicherung, die den Kindern die Chance eröffne, aus den prekären Verhältnissen herauszukommen sowie gute Ausbildungs- und Arbeitsverhältnisse sowie eine Bildung, die Gerechtigkeitslücken schließe kaum zu realisieren.

Beigeordnete Gamoori wies darauf hin, dass Kinder- und Familienarmut und die damit verbundenen Schwierigkeiten mehr in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gelangen und auf den verschiedenen Ebenen bearbeitet werden müsste. Der bereits in Hannover vorhandene HannoverAktivPass müsse ausgeweitet werden. Auf kommunaler Ebene sei das Programm „Schulen mit besonderen Herausforderungen“ auf den Weg gebracht worden. Komplementär dazu gebe es auf Landesebene „SchulePlus“. In Hannover seien daran 8 (landesweit 20) Schulen beteiligt. In Hannover würden diese Schulen als solchen mit besonderen Herausforderungen (gemeinhin „Brennpunktschulen“ genannt). Das Programm sei mit mehreren Mio. Euro ausgestattet. Sie bitte die Expert*innen um eine kurze Einschätzung, inwieweit das Programm ihnen bekannt sei und wie sie es einschätzten.

Frau Försterra sagte, unter dem Aspekt, dass ungleiches ungleich zu behandeln sei, begrüße sie es, wenn Schulen mit besonderem Handlungsbedarf Unterstützung erführen.

Herr Müller-Brandes sagte, das Programm sei bekannt und helfe.

Frau Dr. Richter-Kornweitz sagte, wichtig sei es, den Fokus auf den Übergang von Kindertagesstätte zu Schule zu richten. Ob 20 Schulen niedersachsenweit lediglich ein Anfang sein könnten, könne sie nicht beurteilen. Sie empfehle auch den Blick über die Landesgrenzen hinaus um zu schauen, welche Ideen in anderen Bundesländern verfolgt würden. Familien-Grundschule, Familien – gesunde Grundschulen, verschiedene Disziplinen sollten mehr miteinander verbunden werden, um Familien mehr zu erreichen und Schulen auch für Eltern zu einem Ort zu machen, an dem sie Unterstützung erhalten könnten, ohne Schwellenangst, die Viele noch immer von Schule fernhalte.

Frau Rust-Bulmahn sagte, sie sei ein großer Fan von „SchulePlus“. Sie halte es für immens wichtig Schulen zu unterstützen, da bereits dort die erste Chance bestehe, etwas gegen Kinderarmut zu unternehmen.

Frau Volland sagte, sie kenne das Programm leider bisher nicht.

Frau Dr. Volf sagte, sie stelle fest, dass es große Überschneidungen zu Forderungen der Arbeiterwohlfahrt anlässlich der 5. Phase der AWO-ISS Langzeitstudie formuliert habe und sie nutze die Chance, diese vorzutragen:
- Einkommens- und Familienarmut wirkungsvoll bekämpfen
- Form der familienpolitischen Leistungen
- Soziale Infrastruktur stärken, verzahnen und präventiv ausrichten
- in Bildung als Schutzfaktor gegen Armut investieren
- nachhaltige Integration in Ausbildung und Arbeit für alle jungen Erwachsenen sicherstellen

Herr Prof. Dr. Wrase sagte, ihm selbst sei das Programm nicht bekannt, aber grundsätzlich sei es sehr sinnvoll, ein solches Bildungsangebot in sozial problematischen Regionen vorzuhalten. In London sei es bspw. gelungen, ehemalige Brennpunktschulen, die sozial-ethnisch sehr divers seien von sehr schlechten Schulergebnissen durch einen intensiven Schulentwicklungsprozess, der angestoßen und (auch durch externe Coaches) begleitet worden sei, zu Schulen mit sehr guten Ergebnissen zu entwickeln. Lehrkräfte wurden für Fortbildungen freigestellt, zusätzliche Unterstützung angeboten. Insgesamt handele es sich um einen langfristig angelegten Unterstützungsprozess, der angestoßen worden sei.

Für nicht sinnvoll erachte er das in Berlin bestehende Bonusprogramm, bei dem Zuweisungen an Schulen nur aufgrund eines bestimmten Sozialindexes gemacht würden. Viele Kinder mit Anspruch auf Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabepaket kämen an die Schulen, ohne dass begleitend eine entsprechende Schulentwicklung initiiert werde. Dies könne sogar negative Auswirkungen haben, dass diese Schulen mit dem negativ besetzten Begriff „Brennpunktschule“ bedacht würden, ohne dass die Probleme angegangen würden.

Frau Würdemann sagte, sie habe schon von der Idee gehört und begrüße diese. Ohne eine Investition in Aus- und Fortbildung und mit der noch immer nicht ausreichenden Unterrichtsversorgung an den Schulen werde es zumindest sehr schwierig.

Herr Olm sagte, alle Beteiligten seien sich einig, dass Schulen in sozialen Brennpunkten Unterstützung bedürften. Wichtig sei eine begleitende Evaluation und Auswertung.

Frau Dr. Langness sagte, sie kenne das Programm nicht, wisse aber, dass auch andere Bundesländer ähnliche Ideen verfolgten. In Nordrhein-Westfalen werde mit ebenfalls begrenzter Anzahl von Schulen ein Projekt durchgeführt. Zu fragen sei, warum Pilotprojekte durchgeführt würden, da doch die Notwendigkeiten bekannt seien. Bei einem Pilotprojekt rate sie dazu zu schauen, wie andere dies bereits umgesetzt hätten und sich Anregungen zu holen, innovativ zu sein, auch um sich von anderen abzugrenzen, indem bspw. der Gesundheitsbereich mit hinzugenommen werde, eine gute Evaluation durchzuführen, die auch veröffentlicht werde und eine langfristige Strategie sowie Finanzierung insbesondere für die beteiligten Schulen anzustreben.

Frau Piel sagte, Einsatz an Brennpunkten sei immer sinnvoll und rechtfertige Aufwand. Anschließen wolle sie sich ihrer Vorrednerin, dass die Beteiligten mit den positiv gemachten Erfahrungen weiterarbeiten könnten. Hierfür müssten auch Freiräume geschaffen werden.

Herr Teuber wies darauf hin, dass zwischen den frühen Hilfen und der Schule noch die Kindertagesstätten angesiedelt seien. Mit diesen würden auch die Familien, die in prekären Verhältnissen lebten, erreicht. Ein Ergebnis der AWO-ISS Langzeitstudie sei, dass wenn die Kinder erreichbar seien, die Maßnahmen auch zum Tragen kämen. Die Schwierigkeit mit den 25 % Kindern und Jugendlichen, die in Armut lebten sei, dass immer wieder neue hinzukämen. Daher sei die Erfolgsquote auch entsprechend gut. In Hannover sei die Kindertagesstätte in der Elmstraße seit 22 Jahren an der Langzeitstudie beteiligt gewesen.

Darüber hinaus sei darüber nachzudenken, den HannoverAktivPass mit den Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabepaket zu kombinieren. Diese Forderung sei bereits mehrfach gestellt worden; hierzu müssten allerdings Gespräche mit der Region Hannover geführt werden.

Er begrüße die Idee, zur Bewusstseinsbeförderung Armut als Querschnittsaufgabe zu begreifen und über einen Runden Tisch dazu nachzudenken. In der Behindertenhilfe habe dies dazu geführt, dass dies inzwischen als Dauerthema im Querschnitt begriffen werde.

Frau Stadtmüller forderte alle Anwesenden auf, alles zu unternehmen, um Kindern in Armut zu helfen. Der Seniorenbeirat habe eine Untersuchung bei hochaltrigen Menschen, die in großer Armut lebten, gemacht und die dazu beitragenden Faktoren ermittelt. Zwar seien diese Menschen in einer anderen Zeit aufgewachsen, aber mangelnde Bildung sei auch in dieser Generation der meistgenannte Punkt gewesen, dazu kam keine Förderung der Gesundheit im Kindesalter, keine Teilhabe im Alter. Diese Menschen seien auch im Alter noch arm und auf Unterstützung angewiesen. Um dieses Schicksal den jungen Generationen zu ersparen, müsse alles unternommen werden, um hier zu investieren.

Ratsfrau Klingenburg-Pülm sagte, sie habe aus der Anhörung auch mitgenommen, dass über, aber nicht mit den Betroffenen gesprochen werde. Dies solle bei künftigen Anhörungen berücksichtigt werden und auch die vom Thema unmittelbar Betroffenen eingeladen werden.


ASozial: Die Anhörung wurde durchgeführt
AJHA: Die Anhörung wurde durchgeführt
ASchuBi: Die Anhörung wurde durchgeführt


TOP 3.
Bericht der Dezernentin

Stadträtin Beckedorf sagte, ihr lägen keine Berichte für die gemeinsame Sondersitzung vor.


Ratsfrau Klingenburg-Pülm schloss die Sitzung.


Konstanze Beckedorf Hanebeck
Stadträtin für das Protokoll