Änderungsantrag zum Haushalt Nr. H-0378/2021:
Teilhaushalt: 51 Jugend und Familie
Produkt: 36301 Verwaltung der Jugendhilfe
NEU: Hannoverfonds für Kinder und Jugendliche

Inhalt der Drucksache:

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Teilhaushalt: 51 Jugend und Familie
Produkt: 36301 Verwaltung der Jugendhilfe
NEU: Hannoverfonds für Kinder und Jugendliche

Antrag zu beschließen:

Bei o.g. „übrigen“ Produkt folgende Änderungen vorzunehmen:

Alle Kinder und Jugendlichen sollen unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Herkunft und
sozialen Lage gleiche Chancen auf ein Aufwachsen in Wohlergehen, einen erfolgreichen
Bildungsweg und auf gesellschaftliche Teilhabe in Hannover erhalten. Zur Förderung der Chancengerechtigkeit für Kinder und Jugendliche werden deswegen folgende kurz- und mittelfristige Maßnahmen beschlossen:
1. Als kurzfristige Maßnahme werden für den Doppelhaushalt 2021/2022 je Haushaltsjahr 100.000 Euro zur strukturellen Stärkung vorhandener Projekte für Kinder und Jugendliche im Stadtgebiet zur Verfügung gestellt. Hiervon sollen primär bestehende Programme und Angebote freier Träger in Gebieten mit besonderem sozialem Handlungsbedarf mit maximal 30.000 Euro unterstützt und gefördert werden. Grundlage bieten hierfür die bestehenden Zuwendungsanträge. Die Verwaltung legt dem Jugendhilfeausschuss bis Mai 2021 einen Vorschlag zum Mitteleinsatz vor.
Ab 2023 stehen diese Mittel dem Hannoverfonds (siehe 3.) zur Verfügung.
2. Als weitere kurzfristige Maßnahme wird unter Leitung und Koordination der Stadt eine maximal 15-köpfige Expert*innenkommission zur Förderung von Chancen- und Teilhabegerechtigkeit junger Menschen in Hannover eingerichtet, die sich aus Vertretern der Zivilgesellschaft, Verbänden, Wissenschaft, Kirchen sowie der Stadtverwaltung (FB Jugend und FB Soziales) zusammensetzt. Eine Teilnahme von Vertreter*innen der Wirtschaft und der Region Hannover ist wünschenswert.

Die Expertenkommission hat folgenden Auftrag:
- Positionsbestimmung und Strategieentwicklung für eine sowohl sozialraum- und zielgruppengerechte als auch strukturell-integrierte Ausrichtung der Förderung von Chancengerechtigkeit und Teilhabeverbesserung junger Menschen auf Basis der Drucksache 0348/2020 „Kinderarmut in Zahlen - Update 2020. Handlungsansätze für Teilhabe trotz Armut“ sowie eine kontinuierliche Verbesserung und Anpassung des Hannoverschen Wegs gegen Kinderarmut.

- Hierbei sollen auch die Erfahrungen und Auswirkungen der aktuellen Corona-Pandemie berücksichtigt und den Grundsätzen frühestmöglicher Bildungsteilhabe sowie einer optimalen Verzahnung bestehender Hilfesysteme und Praxisfelder gefolgt werden (bspw. durch eine Bündelung der Angebote im Bereich der Frühen Hilfen). Grundsätze der Ausrichtung sollen geschlechtersensibel erfolgen, sowie in einer Betrachtung, die streng vom Kind ausgehend denkt. Dabei ist auch die Lebenswirklichkeit von unterschiedlichen Bevölkerungsgruppe mit einzubeziehen (bspw. Einelternkinder, Kinder aus zugewanderten Familien etc.). Dies beinhaltet auch:
,
a. Einrichtung eines regelmäßigen Berichtswesens zum Thema Chancengerechtigkeit innerhalb des Rates und der Bezirksräte zur Herstellung von Transparenz und Sensibilität,
b. Erarbeitung eines Konzeptes zur Einrichtung eines Hannoverfonds ab 2022 zur Stärkung und Förderung sozial benachteiligter Kinder und Jugendlicher. Das Konzept soll Kriterien zur Steuerung und Legitimität der Mittelverwendung beinhalten. Die Einsetzung eines Beirates ist zu prüfen.
Als Grundlage für diese Arbeit legt die Verwaltung im ersten Halbjahr 2022 eine umfassende Drucksache mit kurz- und mittelfristigen Bedarfen (inkl. zur Umsetzung benötigten Finanzmitteln) auf Basis kleinräumiger Sozialdaten (unter Einbeziehung der Sozialdatenstelle im Dez III sowie der Jugendhilfeplanung im FB Jugend und Familie) vor.
Befragungen (z.B. die Anfang 2021 erfolgende Schüler*innenbefragung und die geplante Befragung der Familien im Familienservicebüro) können dazu genutzt werden, die Sozialdaten mit der Selbsteinschätzung der Schüler*innen und Familien zu unterfüttern. Hierzu bieten sich auch die Ergebnisse und Analysen des fortlaufenden Familiendialogs an.


Für die Entwicklung der Strategie, zur Koordination und für die Öffentlichkeitsarbeit werden ab 2021 pro Haushaltsjahr 100.000 Euro für Personal- und Sachkosten bereitgestellt. Bei der Entwicklung der Konzeption ist der Rat zu beteiligen.
3. Als mittelfristige Maßnahme wird ab 2022 ein Hannoverfonds eingerichtet, durch den sowohl individuelle Förder- und Unterstützungsangebote als auch Projektförderungen unterstützt werden können. Der Fonds wird durch die Stadt Hannover jährlich mit bis zu 150.000 Euro gefüllt und ist zudem offen für Spenden von Bürger*innen oder Unternehmen. Die Einrichtung des Fonds soll durch eine Öffentlichkeitskampagne begleitet werden. Zudem soll geprüft werden, ob eine Kooperation mit der Aktion HAZ-Weihnachtshilfe möglich ist und beides als ganzjähriger Ansatz weiterentwickelt werden kann.
Zur Erhöhung der Wirksamkeit können bis zu 50% der eingeworbenen Mittel für die Dauer von drei Jahren an Projektträger vergeben werden.
Zudem kann insbesondere Erschwerniskitas ein Teilhabebudget zur Förderung der sozialen und kulturellen Teilhabe aus dem Fonds zugewiesen werden.
Im Dezember 2021 sollen die Förderkriterien gemeinsam dem Sozialausschuss und Jugendhilfeausschuss zur Entscheidung vorgelegt werden.
Folgende Ansatzveränderung in 2021 vorzunehmen:

Der Aufwand in Höhe von 0 Euro
wird um 200.000 Euro
auf insgesamt 200.000 Euro erhöht.

Dieser Ansatz ist für den Sammeltopf (150.000 Euro) sowie anteilig die verwaltungsseitige Unterstützung der Expertenkommission.

Folgende Ansatzveränderung ab 2022 vorzunehmen:

Der Aufwand in Höhe von 0 Euro
wird um 350.000 Euro
auf insgesamt 350.000 Euro erhöht.

Die Ansatzveränderung gliedert sich auf in den Sammeltopf und Hannoverfonds (zusammen 250.000 Euro in 2022) zzgl. der verwaltungsseitigen Unterstützung der Expertenkommission (100.000 Euro).

Begründung:

Alle Kinder in Hannover brauchen Chancen auf ein gelingendes Aufwachsen. Das heißt, sie brauchen Chancen auf materielle, gesundheitliche, bildungsbezogene und soziokulturelle Teilhabe. Arme Kinder und Jugendliche sind Teil armer Familien und ihr Alltag ist geprägt von multiplen Problemlagen, zu denen Einkommensarmut, zu kleiner Wohnraum ohne
Rückzugsmöglichkeiten, Mangel an sozialer Unterstützung oder eine nicht ausreichend passgenaue Infrastruktur gehören. Sie haben oftmals erheblich schlechtere Chancen auf einen guten Bildungsabschluss, gesellschaftliche Teilhabe und eine aussichtsreiche Zukunft. Obwohl die Handlungsspielräume als Kommune begrenzt sind, soll das Thema durch Weiterentwicklung des seit 2010 bestehenden Konzeptes „Hannoverscher Weg für Perspektiven von Kindern in Armut“ in den nächsten Jahren wieder eine erhöhte politische und öffentliche Aufmerksamkeit in der Stadt erfahren (siehe auch Drucks. Nr. 0771/2010).

Laut des aktuellen Sozialberichts der Stadt Hannover lebt jede*r vierte Minderjährige*r in einem einkommensarmen häuslichen Umfeld (27,2 Prozent). Das sind immerhin rund 22.786 hannoversche Kinder und Jugendliche unter 18 Jahre. Besonders trifft dies auf Kinder von Alleinerziehenden, Arbeitslosen und auf Familien mit Migrationshintergrund zu. Die sozialen Folgen der COVID-19 Pandemie sind hierbei noch nicht berücksichtigt, wirken jedoch wie ein Brennglas auf die sozialen Probleme von Familien mit niedrigem Einkommen. Obwohl die Handlungsspielräume als Kommune begrenzt sind, sollte das Thema erhöhte Aufmerksamkeit erfahren, um die vorhandenen Möglichkeiten auch effektiv und effizient zu nutzen.

Besonders gravierend und nicht hinnehmbar sind die Stadtteilunterschiede bei der Betroffenheit der dort lebenden Kinder und Jugendlichen in Familien, die Transferleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beziehen. Die Spanne reicht von unter 5 Prozent in Isernhagen-Süd, Zoo, Kirchrode oder Waldheim und Seelhorst bis 45 Prozent und mehr in Linden-Süd, Hainholz, Vahrenheide, Sahlkamp und Mühlenberg (siehe auch Anhang der Drucksache Nr. 0348/2020). Der Grundsatz des Umgangs dazu ist, dass ungleiche Lebenschancen auch ungleich zu behandeln sind. Eine Verteilung von Ressourcen (Räumen, Personaleinsatz etc.) sollte also auch nach Bedarfen erfolgen, ergo dort höher ausfallen, wo die Bedarfe nach Teilhabe trotz Armut am höchsten sind.

Der „Hannoversche Weg“ weist angesichts der anhaltend hohen Kinderarmutsquoten in diversen Sozialräumen in die richtige Richtung, ebenso wie der Ansatz der Sozialraumorientierung, der bereits im Sozialbericht 2018 angekündigte Ausbau der sozialen Infrastruktur und der Bildungseinrichtungen. Die unternommenen Anstrengungen der vergangenen zehn Jahren bedürfen daher grundsätzlich großer Beachtung. Bedeutend ist neben der beeindruckenden Zahl an Maßnahmen und ihrer Bandbreite quer durch alle Fachbereiche jedoch auch, ob und wie es gelingt, die Vielzahl unterschiedlicher Angebote miteinander zu verknüpfen sowie ausreichend Transparenz über die Aktivitäten zu schaffen. Dies erfordert eine intensivierte Kooperation und Kommunikation in Form einer fachbereichs- und dezernatsübergreifenden Koordinierung zur Erreichung strategischer Ziele.

Es bedarf daher einer Weiterentwicklung des „Hannoverschen Wegs“, hin zu einer integrierten kommunalen Strategie bzw. kommunalen Präventionskette, die Kinder, Jugendliche und Eltern von der Zeit rund um Schwangerschaft/Geburt bis zum Übergang Schule/Beruf umfasst. Hierbei sollen Lücken im Unterstützungssystem identifiziert und ressourcenorientierte Maßnahmen entwickelt werden.

Die Anhörung des Sozial- und Jugendhilfeausschuss im Januar 2020 hat das gemeinsame Ziel vorgeben und bekräftigt, wonach das Aufwachsen im Wohlergehen für alle Kinder in Hannover – insbesondere aber für diejenigen, die in prekären Lebenslagen aufwachsen handlungsleitend sein muss.

Lars Kelich Dr. Daniel Gardemin Wilfried H. Engelke
Fraktionsvorsitzender Fraktionsvorsitzender Fraktionsvorsitzender