Antrag Nr. 2684/2020:
Dringlichkeitsantrag der Gruppe LINKE & PIRATEN zu Mindeststandards für Obdachlose

Informationen:

verwandte Drucksachen:

2684/2020 (Originalvorlage)

Beratungsverlauf:

  • 16.11.2020: Sozialausschuss: Abstimmung über die Dringlichkeit: 4 Stimmen dafür, 7 Stimmen dagegen, 0 Enthaltungen
  • 02.12.2020: Stadtentwicklungs- und Bauausschuss: 1 Stimme dafür, 10 Stimmen dagegen, 0 Enthaltungen
  • 02.12.2020: Sozialausschuss: 1 Stimme dafür, 10 Stimmen dagegen, 0 Enthaltungen
  • 10.12.2020: Verwaltungsausschuss: 1 Stimme dafür, 10 Stimmen dagegen, 0 Enthaltungen
  • 17.12.2020: Ratsversammlung: Einzelabstimmung: Punkt 1: Gegen 6 Stimmen und 2 Enthaltungen abgelehnt. Punkt 2: Gegen 6 Stimmen abgelehnt. Punkt 4: Gegen 5 Stimmen abgelehnt. Punkt 6: Gegen 5 Stimmen abgelehnt. Punkt 9: Gegen 7 Stimmen und 1 Enthaltung abgelehnt. Restliche Punkte: Gegen 5 Stimmen abgelehnt.

Antragsteller(in):

Gruppe LINKE & PIRATEN

Inhalt der Drucksache:

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Dringlichkeitsantrag der Gruppe LINKE & PIRATEN zu Mindeststandards für Obdachlose

Antrag

zu beschließen:

Um das Überleben von obdachlosen Menschen während der Corona-Pandemie zu ermöglichen, wird die Verwaltung aufgefordert, folgende Maßnahmen umzusetzen:

1.
a)
Öffnung der Notschlafstellen auch tagsüber.
b)
Alternierend: Sozialpädagogisch betreute Tagesaufenthalte in der Nähe der Notschlafstellen.

2.
a)
Schließung der Notschlafstelle Alter Flughafen.
b)
Umbau und Betrieb der Notschlafstelle Alter Flughafen zu Lagerboxen/einem Lagerraum in Kooperation mit einem geeigneten freien Träger. Sichere Unterbringung von Hab und Gut wohnungs- und obdachloser Menschen in der Lagerbox bzw. im Lagerraum.

3. Umbau von Notschlafstellen (u.a. Wörthstraße) in Unterkünfte mit Einzelschlafplätzen, Kücheneinrichtung und Verbesserung bzw. Aufstockung der sanitären Anlagen.

4. Anmietung von Hotels oder anderen geeigneten Immobilien zur menschenwürdigen Einzelunterbringung obdachloser Menschen.

5. Betreuung von in Hotels oder anderen geeigneten Immobilien untergebrachten obdachlosen Menschen durch speziell in der Arbeit mit Obdachlosen mit und ohne BTM-Konsum ausgebildete bzw. geschulte Sozialarbeiter*innen.

6. Eine würdige Unterbringung von Menschen ohne sozialrechtliche Ansprüche in Deutschland nach den für die Unterbringung von Obdachlosen in Hannover gültigen Standards (siehe interfraktioneller Dringlichkeitsantrag auf Drs. 0863/2019 i.V.m. Unterbringungssatzung gem. Drs. 3321/2019 N1).

7. Eine Ausdifferenzierung von Unterbringungsangeboten, so dass Menschen nach ihren Bedürfnissen eine annehmbare Wohnform finden (Gewaltopfer, Frauen, Pärchen, Tierhalter*innen etc.).

8. Verhinderung des Zusammenbruchs der Versorgungsstrukturen der Obdachlosen durch
a)
Einbindung der Tafeln in die Versorgungskette,
b)
Finanzielle Stärkung der ehrenamtlichen Gruppen (z.B. Bollerwagen Café Hannover, Obdachlosenhilfe Hannover e.V. etc.),
c)
Entwicklung von Notfallplänen für die Tagestreffs zusammen mit freien Trägern, um Schließungen zu vermeiden.

9. Einrichtung einer 24 Stunden-Hotline: Hilfe für Obdachlose in Hannover im Winter.

10. Freie ÖPNV-Fahrscheine für alle Obdach- und Wohnungslosen, damit diese die Unterkünfte und Aufenthaltsstellen auch erreichen können.

11. Angebot von kostenlosem WLAN in Gemeinschaftsunterkünften (Wohnheimen, Wohnprojekten, Notschlafstellen) durch Aufnahme als verpflichtende Aufgabe in die Betreiberverträge.

12. Die Beurteilung des konzeptionellen Anteils am Angebot bei der Vergabe von Betreiberverträgen soll entsprechend der gängigen Gewichtung (Konzept 65 % gegenüber 35 % für den Preis) künftig im Sozialdezernat erfolgen. Betreiberverträge für Obdachlosen- und Flüchtlingsunterkünfte dürfen nur in Abstimmung mit dem Sozialdezernat erfolgen.

13. Einführung des Models „Hotel Plus“ in Hannover für Wohnungslose mit psychischen Beeinträchtigungen bzw. Erkrankungen.

14. Auflegung eines „Housing First Hannover Fond“ nach Düsseldorfer Vorbild.

15. Einrichtung einer Task-Force zur Bekämpfung der Wohnungs- und Obdachlosigkeit unter Leitung des Oberbürgermeisters. Zu dieser Task-Force sollten Wohnungsunternehmen, Betreiber von Unterkünften, Wohlfahrtsverbände, Obdachloseninitiativen und Vertreter*innen aller im Rat der Landeshauptstadt vertretenen Fraktionen und Gruppen eingeladen werden. Die Task-Force soll nicht nur dem Meinungsaustausch dienen, sondern in Arbeitsgruppen ergebnisorientiert tätig werden.

Begründung


Hannover im Herbst 2020.

Aktivist*innen von „Sonst besetzen wir“ verkünden im ganzen Stadtgebiet durch Plakate, dass sie Häuser besetzen werden, um das Leben von obdachlosen Menschen zu retten, sollte die Stadt bis Ende November keine ausreichenden, menschenwürdigen Unterbringungen für Obdach- und Wohnungslose organisiert haben.

„Wir führen bald eine Strichliste mit Toten“, so die Headline der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 9. November 2020.

Aus Empörung über die Ausweisung von obdachlosen Menschen aus dem Naturfreundehaus spendeten in den vergangenen Wochen viele hannöversche Bürger*innen zehntausende von Euro, um die Unterbringung von wohnungslosen Menschen zu finanzieren.

Doch von unserem Oberbürgermeister Belit Onay kommt wenig Substanzielles zur Bekämpfung von Wohnungs- und Obdachlosigkeit. Um zu verhindern, dass die Notunterkunft Alter Flughafen sich zu einem Corona-Hotspot entwickelt, ist eine sofortige Schließung der Unterkunft angesagt.

Ein neuer Tagestreff hätte schon zu Beginn der Corona-Krise zur Verfügung gestellt werden müssen. Mit der Auswahl des Standortes im Schulzentrum Ahlem (ab 16.11.2020) werden Obdachlose sprichwörtlich weiter an den Rand der Stadtgesellschaft gedrängt. Das Nichthandeln, verspätete Handeln bzw. das falsche Handeln der Landeshauptstadt Hannover (Beendigung der Unterbringung im Naturfreundehaus) bedarf dringend einer Korrektur. Es müssen ordnungsrechtliche Unterbringungsverfügungen des Wohnungsamtes ausgestellt werden, um Menschen kurzfristig in Hotels oder anderen geeigneten Immobilien unterbringen zu können. Die Aussage von Baudezernent Thomas Vielhaber (HAZ, 10.11.220), dass an Corona erkrankte Obdachlose in ein Quarantänehotel ziehen dürfen, klingt ausgesprochen geschmacklos und zynisch. In Hannover darf nicht sein, dass man erst schwer erkranken muss, um eine menschenwürdige Unterkunft zu bekommen.

Die Stadt muss auf die Not der Obdachlosen endlich adäquat reagieren.