Informationsdrucksache Nr. 2600/2020:
Digitale Transformation der Senior*innenarbeit

Inhalt der Drucksache:

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2600/2020
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Digitale Transformation der Senior*innenarbeit

Seit dem Jahr 2014 beschäftigt sich der Fachbereich Senioren mit Digitalisierung der Senior*innenarbeit. Durch zahlreiche digitale Projekte des Fachbereichs ist Hannover Impulsgeber*in in der digitalen Senior*innenarbeit und gestaltet dieses Themenfeld maßgeblich in Deutschland. Bisher beschäftigen sich nur wenige Kommunen mit der Digitalisierung der Senior*innenarbeit, obwohl Handlungsbedarf besteht. Nicht nur in Zeiten von Covid-19.

Der in diesem Jahr veröffentlichte 8. Altersbericht der Bundesregierung zu „Digitalisierung und Alter“ betont die notwendige Gestaltungsaufgabe der Kommunen zur Ermöglichung digitaler Teilhabe älterer Menschen. Beispielhaft werden auch Projekte des Fachbereichs Senioren im Altersbericht erwähnt. Weiterhin erhält der Fachbereich, nach Veröffentlichung des Altersberichts, vermehrt Anfragen zum Austausch und Vernetzung von sozialen Organisationen und Kommunen. Ebenso wurden einzelne Projekte in Wettbewerben, wie z. B. der Google Impact Challenge, mit dem Goldenen Internetpreis ausgezeichnet.

Die Ausrichtung der digitalen Senior*innenarbeit in Hannover ist bundesweit als bisher einzigartig z. B. durch die Vielfalt der Themenfelder und die Berücksichtigung aktueller Technologien wie Smart-Home oder Virtual Reality zu bezeichnen. Als erster Fachbereich in der Stadtverwaltung werden Veranstaltungen gestreamt und in zunehmender Anzahl von den Senior*innen genutzt.


In folgenden Themenfeldern ist der Fachbereich Senioren bereits aktiv
· digitale Bildung (Projekte wie ehrenamtliche Medien- und Techniklots*innen, BAGSO Digital Kompass Standort Hannover, Virtual Reality & Demenz)
· digitales Wohnen durch technische Assistenzsysteme (Beratung und smarte Musterwohnung, Handbuch zu technischen Assistenzsystemen)
· digitale Begleitdienste (digitaler Partnerbesuchsdienst Projekt in Kooperation mit Studierenden der Hochschule Hannover und digitale Techniksprechstunden)
· digitale Informationsangebote (eigene barrierefreie Internetseite u.a. mit Vorlesefunktion und leichter Sprache sowie erster Podcast für Senior*innen in Deutschland geplant)
· digitale Quartiersentwicklung (Kooperation mit der Nachbarschaftsplattform nebenan.de und eine geplante App, um Infrastrukturen in Quartieren aufzuzeigen)
· digitale Veranstaltungsformate (Livestreaming von Vorträgen)
· digitale Pflege (Pflege 4.0 und e-Learning)

Der Fachbereich will auch zukünftig die digitale Daseinsvorsorge und digitale Senior*innenarbeit gestalten. Dabei soll sich auf die Themen digitale Teilhabe, digitale Pflege und digitale Prävention fokussiert werden. Diese Themen werden im nächsten Abschnitt beschrieben.

Inhaltliche Dimensionen



Digitale Teilhabe

Ältere Menschen können erheblich von den Potenzialen digitaler Anwendungen profitieren. Digitale Kommunikation unterstützt beim Überwinden räumlicher Distanz und ermöglicht den persönlichen Kontakt. In der aktuellen Covid-19 Lage und bei entfernt lebenden Familienmitgliedern sowie Freund*innen, ist dies häufig die einzige Möglichkeit der Kontaktpflege. Auch das Teilen von Informationen und Fotos schafft emotionale Nähe, trotz Distanz. Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass der Wunsch nach Kontakt für ältere Menschen eine zentrale Motivlage darstellt, digitale Technik zu erlernen. Des Weiteren zeigt eine aktuelle BITKOM Studie im Vergleich zum vorherigen Erhebungszeitraum, dass die Covid-19-Situation dazu geführt hat, dass ältere Menschen dem Thema Digitalisierung aufgeschlossener gegenüber stehen. Studien belegen, dass sich Einsamkeitsgefühle, soziale Isolation und depressive Symptome durch die Nutzung von Internet, Videotelefonie und E-Mail verringern. Immer mehr ältere Menschen nutzen moderne digitale Technik wie z. B. Internet und Smartphone für ein selbstständiges und selbstbestimmtes Altern.

Digitale Teilhabe wird aber durch zahlreiche Faktoren beeinflusst wie z. B. die Barrierearmut von Hard- und Software. Die digitale Kluft verläuft nicht nur zwischen den Generationen, sondern auch zwischen den Altersgruppen. Mit zunehmendem Alter sinkt die Wahrscheinlichkeit der Internetnutzung. Zudem verstärken sich im Alter Faktoren wie formaler Bildungsabschluss, geografische Effekte, Genderaspekte, Migrationshintergrund, Morbidität und finanzielle Aspekte auf die Auswirkungen sozialer Ungleichheit. Häufig sind ältere Menschen, wie z. B. Frauen, mit geringem sozioökonomischen Status mehrfach benachteiligt. Diese Faktoren werden verstärkt durch die zunehmende Digitalität des Alltags. Die Relevanz digitaler Teilhabe steigt. Dabei geht es um mehr als die Nutzung von Internet und Smartphone zu Freizeitzwecken, sondern immer mehr Dienstleistungen und Angebote, vor allem in Zeiten von Covid-19, werden ausschließlich digital angeboten. Das Onlinezugangsgesetz (kurz OZG) verspricht die Digitalisierung der Verwaltungsleistungen. Telemedizinische Anwendungen und technische Assistenzsysteme zur Erhaltung der Selbstständigkeit zu Hause, gewinnen an Bedeutung. Wenn ältere Menschen zu diesen Bereichen nur eingeschränkt Zugang haben, sind sie digital und gesellschaftlich ausgeschlossen. Diese digitale Exklusion ist kein exklusives Phänomen der „Älteren“. Durch kürzere Technologiezyklen und Innovationen werden auch andere Generationen zunehmend stärker betroffen sein. Daher braucht es u. a. mehr differenzierte Bildungsangebote und Ansätze des lebenslangen Lernens. Weiterhin haben finanzielle Möglichkeiten einen starken Einfluss, denn neben den Einmalkosten für die Geräte kommen monatliche Kosten für einen Internetvertrag hinzu. Auch Bildungsangebote z. B. von Volkshochschulen sind nicht immer kostenfrei. Der Trend der Altersarmut wird dieses verstärken. Digitale Teilhabe bedeutet Teilhabe am sozialen Leben und ist somit wesentlicher Bestandteil von Inklusion.

Um die digitale Teilhabe älterer Menschen zu ermöglichen bietet der Fachbereich Senioren zahlreiche Ansätze. Zum einen werden mit den ehrenamtlichen Medien- und Techniklots*innen ältere Menschen mit dem Öffnen des digitalen Fensters seit dem Jahr 2015 unterstützt. Sie unterstützen Menschen über 60 Jahren bei der Aneignung von neuen Medien sowie bei der Einrichtung und Bedienung. Durchschnittlich helfen die Medien- und Techniklots*innen rund 1.000 Klient*innen pro Jahr. Mit geduldigen und verständlichen Erklärungen helfen sie in Einzelterminen in gewohnter Umgebung - zu Hause, in offenen Techniksprechstunden im Quartier sowie den Menschen in Alten- und Pflegeheimen. Ergänzend werden Kurse für Computer, Tablet und Smartphone angeboten. Durch diesen ortsnahen Angebotsmix, mehrsprachige Technikberatung und die Erarbeitung der individuellen Motivlage kann digitale Teilhabe ermöglicht werden.


Digitale Pflege

Grundlage des digitalisierten Pflegeprozesses im stationären Bereich ist die elektronische Dokumentation. Darüber hinaus bietet die Auswertung und Nutzung strukturierter Daten ein enormes Potenzial in allen Phasen des Pflegeprozesses. Dies geht mit einer spürbaren Unterstützung und Entlastung des Personals einher. Sturz- und Dekubitusrisiken können durch technische Lösungen für die Pflegedürftigen minimiert werden. Intelligente Matratzen sind in der Lage, frühzeitig Inkontinenzprobleme vorherzusagen. Außerdem helfen Sensorik-Lösungen wie z. B. intelligente Pflaster, Sturzsensoren, Fitnessarmbänder im Hintergrund ohne aktive Bedienung dabei, die Pflege zu unterstützen. Von Sprachsteuerungssystemen, Tablets mit einfachen Oberflächen sowie circadianen Licht, welches den Tagesrhythmus insbesondere von Menschen mit Demenz unterstützt, profitieren Bewohner*innen, Mitarbeiter*innen sowie die Einrichtungen gleichermaßen.

Voraussetzung einer Digitalisierung im Pflegesektor ist ein fundiertes Verständnis technischer und medizinisch-pflegerischer Grundlagen bei allen Beteiligten. Digitale Kompetenzen können einen wichtigen Beitrag zur Steigerung der Attraktivität des Berufsbildes leisten. Vor diesem Hintergrund braucht es regelmäßige Fort- und Weiterbildungen und angepasste Ausbildungs-Curricula unter Nutzung von blended-learning Ansätzen für Mitarbeiter*innen in Pflegeeinrichtungen sowie für die Führungs- und Managementebene. Deshalb ist die Nutzung einer E-Learning Plattform für die städtischen Alten- und Pflegezentren geplant.

Weiterhin braucht es eine angemessene digitale Grundausstattung von Einrichtungen z. B. mit WLAN. Bisher wurden digitale Assistenzsysteme eher in Ansätzen und Einzelfällen in Pflegeeinrichtungen erprobt. Deshalb haben die städtischen Alten- und Pflegezentren Anfang 2020 das Projekt Pflege 4.0 gemeinsam mit der Rut-und- Klaus-Bahlsen-Stiftung initiiert, um zu erfahren, wie digitale Systeme die Pflege unterstützen und die Zeitgewinne für Kommunikation und Beziehungspflege genutzt werden können.

Die Familie und die Angehörigen von Pflegebedürftigen sind und bleiben der größte Pflegedienst Deutschlands und sichern maßgeblich die Versorgungsstruktur bei Pflegebedürftigkeit ab. Auch hier können technische Assistenzsysteme zu mehr Selbstständigkeit und einer höheren Lebensqualität beitragen sowie die häusliche Pflege unterstützen. Auch die REACH-Studie zeigt, dass vor allem pflegende Angehörige in ihrem Pflegearrangement und der Betreuung z. B. von Menschen mit Demenz von technischen Assistenzsystemen profitieren. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn die digitalen Hilfsmittel gut in den Pflegealltag eingebettet und auf die Pflegesituation abgestimmt sind. Zudem sind vorhandene technische Lösungen der Mehrheit der älteren Menschen und (pflegenden) Angehörigen unbekannt. Deshalb hat der Fachbereich Senioren bereits im Jahr 2014 eine Beratungsstelle zu technischen Assistenzsystemen aufgebaut. Mit Schulungsprogrammen wurden Mitarbeiter*innen der Senioren- und Pflegestützpunkte sowie Wohn- und Pflegeberatung weitergebildet und sensibilisiert.

Des Weiteren eröffnete der Fachbereich im Jahr 2017 die erste smarte Musterwohnung in Hannover in Kooperation mit dem Wohnungsunternehmen Gundlach. Damit ist die Landeshauptstadt Hannover eine der wenigen Kommunen in Deutschland die sich intensiv mit dem Thema beschäftigt. Die Einrichtung einer weiteren smarten Musterwohnung ist geplant.

Neben Grenzen technischer Möglichkeiten im Bereich Datenschutz sollten die Chancen digitaler Pflege genutzt werden, jedoch die Pflegearbeit durch die Pflegekräfte nicht substituieren. Die Technik ist als Ergänzung und Unterstützung zu verstehen, die Selbstbestimmung der pflegebedürftigen Menschen ist anzuerkennen und die Menschen sind zu beteiligen.


Digitale Prävention

Über Smartphone und Tablet ist eine Kontaktaufnahme zu anderen Menschen komfortabler und schneller geworden. Das Videotelefonat oder eine Kurznachricht kann zwar eine direkte Kommunikation vor Ort nicht ersetzen, aber dennoch Einsamkeit ein Stück entgegenwirken. In Zeiten von Covid 19 häufig die einzige Möglichkeiten Kontakt zu halten. Auch interessengeleitete Social-Mediagruppen oder Kontaktportale für Menschen ab 50 Jahren, wie www.lebensfreunde.de, bieten immer mehr Austauschmöglichkeiten mit Gleichgesinnten. In Kooperation mit der digitalen Nachbarschaftsplattform nebenan.de vernetzt der Fachbereich Senioren die Generationen im Quartier. Die digitale Nachbarschaftsplattform ist dabei nur Werkzeug, um sich kennenzulernen. Der Austausch findet meist real statt. Im Lockdown der Covid-19-Pandemie wurden die 28.000 angemeldeten Nutzer*innen der nebenan.de-Plattform in Hannover genutzt, um die Menschen mit Hilfebedarf mit engagierten Unterstützer*innen digital zu verbinden.


Digitale Prävention funktioniert auch mit Fitnessarmbändern durch Monitoring des Gesundheitszustandes oder durch digitale Anwendungen zur Sturzprävention. Die Anwendung analysiert den Gang einzelner Senior*innen. Mit dem Ergebnis kann in Sportgruppen für Senior*innen ein gezieltes Training aufgenommen werden, um Stürze zu verhindern. Auch Exergames, Konsolenspiele zur Therapie, können gezielt Muskeln trainieren und damit zur Vitalität älterer Menschen beitragen sowie die Motivation, sich zu bewegen, erhöhen. Seit Anfang Oktober 2020 können Ärzt*innen mit dem Digitalen-Versorgung-Gesetz Gesundheitsapps, z. B. zur Sturzprävention oder Tinnitusbehandlung, verschreiben. In der smarten Musterwohnung und einem städtischen Alten- und Pflegezentrum werden diese Möglichkeiten zur Gesundheitsprävention exemplarisch erprobt.

Ausblick

Einerseits kann Digitalisierung dazu führen, dass soziale Lagen, wie Altersarmut, soziale Ungleichheit und Vereinsamung verstärkt werden. Andererseits besteht jedoch auch die Chance, diese Lagen mit Hilfe von Digitalisierung zu verbessern.

Es braucht dafür und um letztlich den sozialen Zusammenhalt in einer Stadt zu stärken, eine Steuerung des Einsatzes und des Ausbaus von sowie Mittelbereitstellung für Infrastrukturen und Vernetzung. Dabei sind insbesondere die Bedarfe der älteren Menschen und der Angehörigen in den Fokus zu rücken. Die Expertise des Fachbereichs Senioren kann hier unterstützen.

Ältere Menschen und Mitarbeiter*innen sind bei der Angebotsentwicklung zu beteiligen und durch Fortbildungen zu befähigen, die digitale Transformation mitzugestalten.

Berücksichtigung von Gender-Aspekten

Mit dieser Informationsdrucksache wird über die Aktivitäten des Fachbereichs Senioren in der Digitalisierung der Senior*innenarbeit berichtet. Genderspezifische Aspekte sind hierdurch nicht unmittelbar betroffen.

Kostentabelle

Es entstehen keine finanziellen Auswirkungen.

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Hannover / 03.11.2020