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1. Das Pilotprojekt der Antidiskriminierungsstelle des Bundes
In Zusammenarbeit mit dem Institut zur Zukunft der Arbeit und der Kooperationsstelle Wissenschaft und Arbeitswelt an der Europa-Universität Viadrina (Frankfurt an der Oder) startete die Antidiskriminierungsstelle des Bundes im November 2010 ein Pilotprojekt zur Anonymisierung von Bewerbungsverfahren mit insgesamt acht Organisationen.
Vier weltweit agierende Konzerne, drei öffentliche Verwaltungen und ein mittelständisches Unternehmen erklärten sich bereit, für einen Zeitraum von 12 Monaten eingehende Bewerbungsunterlagen anonymisiert einzusehen.
Im Vorhinein verständigte man sich auf den Umfang der Anonymisierung. Folgende Angaben wurden anonymisiert: Name, Geschlecht, Nationalität, Geburtsort, Behinderung, Geburtsdatum (bzw. Alter), Familienstand und Foto. Zudem wurden Angaben, die indirekte Rückschlüsse auf Diskriminierungsmerkmale zulassen, weitestgehend anonymisiert.
Dabei wurden verschiedene Methoden der Anonymisierung angewendet:
· Standardisierte Bewerbungsformulare
· Blindschaltung sensibler Daten durch ein Online-System
· Übertragung der Daten der Bewerbenden in standardisierte Tabellen
· Manuelle Schwärzung sensibler Daten
In den Organisationen waren die Beschäftigungsbereiche Nachwuchskräfte, Fachkräfte und Führungskräfte berührt. Bei einigen Organisationen waren mehrere Bereiche berührt, andere konzentrierten sich auf nur einen Bereich.
Das Pilotprojekt endete Anfang 2012 und im April 2012 wurde der Abschlussbericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes veröffentlicht.
2. Die Evaluierung des Pilotprojektes
Standardisierte Bewerbungsformulare erwiesen sich, insbesondere in Bezug auf die Praktikabilität, für die Personalverantwortlichen und die Bewerbenden als empfehlenswerte Methode. Die Formulare unterstützen sowohl die Vergleichbarkeit der Bewerbenden als auch die Konzentration auf das Wesentliche einer Bewerbung, die Qualifikation. Das Formular enthält ein Deckblatt für personenbezogene Daten, welches für die Vorauswahl von den Angaben zur Qualifikation getrennt wird. Die Anonymisierung wird nach der Entscheidung für oder gegen eine Einladung aufgehoben. Im Falle einer positiven Rückantwort werden die Bewerbenden aufgefordert, Zeugnisse und weitere Nachweise einzureichen.
Die Bewerbenden nahmen die Anonymisierung selbst vor, sodass der zusätzliche Zeitaufwand für die Organisationen relativ gering war. Der Mehraufwand bei der Erstellung der Formulare kann, vor allem nach einer Eingewöhnungsphase, zu einer zeitlichen Ersparnis führen.
Bei der manuellen Schwärzung von Bewerbungen gingen am wenigsten Informationen gegenüber einer herkömmlichen Bewerbung verloren, allerdings erwies sich die Methode als zeitintensiv.
Bezüglich des Umfangs der Anonymisierung wurde der Verzicht auf Bewerbungsfotos besonders positiv beurteilt, da diese irreführend sind und nichts über die Qualifikation oder den Charakter des Bewerbenden aussagen. Die Fokussierung auf die Qualifikationen wurde ebenfalls als positiv beurteilt. Hingegen wurde die Anonymisierung von Angaben, die Rückschlüsse auf bestimmte Merkmale zulassen, kritisch beurteilt, weil dadurch wichtige Informationen verloren gehen können.
Grundsätzlich eignen sich alle Beschäftigungsbereiche für die Anwendung des anonymisierten Verfahrens. Eine Anonymisierung ist jedoch überflüssig, wenn bereits bei Ausschreibung feststeht, dass alle Bewerbenden zu einem Einstellungsgespräch oder Eignungstest eingeladen werden. Eine Auswahl der Nachwuchskräfte für den Verwaltungsdienst bei der Stadtverwaltung Hannover anhand eines anonymisierten Verfahrens ist ausgeschlossen, da alle Bewerbenden zu Einstellungstests eingeladen werden.
Die Personalverantwortlichen der Organisationen hoben insbesondere hervor, dass das anonymisierte Verfahren Sicherheit gibt, Einladungen ausschließlich aufgrund von Qualifikationen ausgesprochen und somit rechtskonform gehandelt zu haben. Als zusätzlicher Effekt wurde der mögliche Imagegewinn durch eine objektive Auswahl genannt.
Die Ergebnisse zur Wirkung von anonymisierten Bewerbungen sind:
· tendenzielle Chancengleichheit für alle Bewerbendengruppen
· tendenziell bessere Chancen für Frauen
· verbesserte Chancen für Bewerbende mit Migrationshintergrund
Die ermittelten Effekte sind nicht repräsentativ, da die Mehrheit der teilnehmenden Organisationen bereits zuvor überdurchschnittliche Maßnahmen zur Förderung von Diversity ergriffen hatten.
Die Anonymisierung erstreckt sich nur auf die Entscheidung für oder gegen eine Einladung, daher ist die gezielte Förderung von unterrepräsentierten Gruppen bei gleicher Qualifikation im weiteren Verfahren nicht ausgeschlossen.
3. Die Erfahrungen der Stadt Celle
Die Stadtverwaltung Celle hat als einzige Kommunalverwaltung an dem Pilotprojekt teilgenommen und somit konnte Celle als erste deutsche Gemeinde Erfahrungen mit dem Verfahren sammeln. Die Verwaltung der Landeshauptstadt Hannover steht seit einem Telefoninterview im Juni 2012 in Kontakt mit der Stadtverwaltung Celle.
Celle hat im Frühjahr 2011 begonnen, externe Ausschreibungen einschließlich der Ausschreibungen für Nachwuchskräfte zu anonymisieren. Aufgrund von unterstellter fehlender Medienkompetenz werden Stellenausschreibungen, für die keine Ausbildung erforderlich ist, von der Anonymisierung ausgenommen. In einigen Verfahren werden alle Bewerbenden eingeladen, sodass sich eine Anonymisierung erübrigt. Die Entscheidung hierzu wird im Einzelfall getroffen.
Während der Projektphase wurden 30 Stellen mit dem anonymisierten Verfahren besetzt und über 1000 Bewerbungen eingesehen.
Als Methode wurden standardisierte Bewerbungsformulare gewählt, weil der dadurch entstehende Mehraufwand gegenüber den anderen Methoden als am geringsten eingeschätzt wurde. Das Formular wurde um die Möglichkeit einer freiwilligen Angabe einer Schwerbehinderung erweitert. Nach einer Eingewöhnungsphase zu Beginn des Projektes stellte die Verwendung der Formulare eine Arbeitserleichterung dar.
Celle hat sich entschieden, die Anonymisierung auch weiterhin fortzusetzen. Zudem werden alle Bewerbenden aufgefordert, keine Fotos einzusenden.
4. Die Erfahrungen weiterer Projektteilnehmer
Die Regionaldirektion Nordrhein-Westfallen der Bundesagentur für Arbeit hat mit der manuellen Schwärzung insgesamt 1.900 Bewerbungsunterlagen anonymisiert und möchte dieses Verfahren aufgrund des Imagegewinns und der Erschließung neuer Bewerbendengruppen weiter fortsetzen.
Die Deutsche Post DHL hat rund 1.100 Bewerbungen von Nachwuchskräften durch ein Blindschalten anhand eines Online-Bewerbungssystems und weitere 100 Bewerbungen für eine Ausbildungsrichtung durch manuelles Schwärzen anonymisiert. Man hat sich entschieden, die Anonymisierung nicht fortzusetzen, da das bestehende Bewerbungsmanagement bereits die Chancengleichheit gewährleistet.
Das mittelständische Unternehmen MYDAYS hat 32 Stellen besetzt und dabei über 1.000 anonymisierte Bewerbungen eingesehen. Es wurden hierzu Bewerbungsformulare verwendet. Das Formular wurde während des Projektes angepasst, um Probleme beim Ausfüllen zu vermeiden. Die Anonymisierung wird zur Verringerung unterbewusster Diskriminierung auch weiterhin fortgesetzt. Die Anonymisierung erübrigte sich in einigen Verfahren, da aufgrund des Fachkräftemangels bereits bei Ausschreibung feststand, dass alle Bewerbenden eingeladen werden.
Die Deutsche Telekom hat sich entschlossen, die Anonymisierung nicht fortzuführen, da kein zusätzlicher positiver Effekt zum bisherigen Verfahren (Assessment-Center) festgestellt werden konnte.
5. Die Erfahrungen anderer Kommunen
Die Stadt Wuppertal hat im Juli 2012 eine bundesweite Umfrage an zahlreiche Kommunen durchgeführt und dabei unter anderem die bisherigen Erfahrungen abgefragt. Keine der 18 befragten Kommunen hat eine Anonymisierung durchgeführt oder plant eine Einführung des Verfahrens. Die verbreitetste Meinung ist, dass die bestehenden Maßnahmen bereits geeignet sind, um eine Chancengleichheit herzustellen.
Die Stadt Wuppertal erwägt einen Modellversuch im Bereich der Kindertagestätten.
Ebenso plant die Stadt Nürnberg im Rahmen eines Pilotprojektes ab 2013 Bewerbungen für Stellen als Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen und zusätzlich im Kulturbereich zu anonymisieren. Auf eine Methode wurde sich noch nicht abschließend geeinigt.
6. Umsetzung der Erfahrungen bei der Stadtverwaltung Hannover
Zu prüfen ist, ob anonymisierte Bewerbungen über die bisherigen Erfolge hinaus helfen können, mögliche Diskriminierungen bei Bewerbungen auf Stellen der Stadtverwaltung Hannover abzubauen.
Bereits heute haben 12 Prozent der Beschäftigten der Stadtverwaltung Hannover einen Migrationshintergrund und der Gesamtanteil an Frauen liegt bei knapp über 55 Prozent. Diese Fakten sprechen dafür, dass seit langem eine Personalauswahl mit einer außerordentlichen hohen Chancengleichheit betrieben wird. Die Stadtverwaltung Hannover ist bereits heute in der Personalarbeit mit dem eigenen Stellenbesetzungsleitfaden, der Umsetzung des Niedersächsischen Gleichberechtigungsgesetzes, des Lokalen Integrationsplans und weiteren Instrumenten gut aufgestellt, um jegliche Art der Diskriminierung zu verhindern und Chancengleichheit sicherzustellen.
Die außerordentlich positiven Meinungen der an dem Pilotprojekt teilnehmenden Personalverantwortlichen zu dem Verzicht auf Fotos in Bewerbungsunterlagen wurden aufgenommen. Alle Ausschreibungen der Landeshauptstadt Hannover werden daher in Zukunft mit einem entsprechenden Hinweis versehen, dass auf Bewerbungsfotos verzichtet wird. Zudem wird in Drucksachen, Anträgen an den Gesamtpersonalrat und Bewerberübersichten auf das Geburtsdatum verzichtet.
Über dies hinaus werden im Jahr 2013 die Bewerbungen auf alle externen Ausschreibungen in dem Fachbereich Planen und Stadtentwicklung und dem Fachbereich Gebäudemanagement anonymisiert. In den Fachbereichen 19 und 61 wurden im Jahr 2011 insgesamt 23 Stellen extern ausgeschrieben. Bezüglich des Verfahrens orientiert sich die Stadtverwaltung an den Erfahrungen der Stadt Celle.
Quelle:
Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2012): Pilotprojekt „Anonymisierte Bewerbungsverfahren“ - Abschlussbericht -
Es entstehen keine finanziellen Auswirkungen.