Antrag Nr. 2217/2018:
Änderungsantrag von Vertreterinnen und Vertretern der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege (AGW) zu Drucks. Nr. 1714/2018: "Qualitätsoffensive Grundschulkinderbetreuung - Stufenplan"

Inhalt der Drucksache:

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Änderungsantrag von Vertreterinnen und Vertretern der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege (AGW) zu Drucks. Nr. 1714/2018: "Qualitätsoffensive Grundschulkinderbetreuung - Stufenplan"

Antrag

Die im Jugendhilfeausschuss der Stadt Hannover vertretenen Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege in der Stadt Hannover (AWO, Caritas, Diakonie, DRK und Paritäten) beantragen, die Beschlussdrucksache 1714/2018 abzulehnen.

Begründung

Die der AGW angeschlossenen Gliederungen, Vereine und Verbände tragen die meisten Horte in der Stadt Hannover. Sie sehen die Gefahr, dass durch den in der Beschlussdrucksache 1714/2018 herbeigeführten Auftrag der Fortbestand der Horte massiv gefährdet wird. Mit den Trägern der Horte und Schulen kann auch ohne diesen Beschluss gesprochen werden.
Die AGW hat der Stadt Hannover die Gründe für diese Ablehnung in einer fachlichen Stellungnahme mit Schreiben vom 12.09.2018 ausführlich erläutert. Die AGW geht davon aus, dass diese Stellungnahme den Ratsmitgliedern zur Meinungsfindung zugegangen ist.
Sollte dieses nicht so sein, bringen wir die wesentlichen Bestandteile der Stellungnahme als Begründung für den obigen Antrag hier mit ein:
Unter der Überschrift „Qualitätsoffensive Grundschulkinderbetreuung-Stufenplan" schlägt die Verwaltung der Stadt Hannover in der Beschlussdrucksache 1714/2018 vor, Planungsgespräche mit den beteiligten Schulen, den Trägern der Ganztagsschulen und den Trägern der Horte zu führen.
Die Verwaltung bezieht sich hierbei auf die Vorgaben der Haushaltskonsolidierungsbeschlüsse zur Drucksache 1810/2015.
Ziel der Beschlussdrucksache 1714/2018 ist die Zusammenführung aller Betreuungsangebote für Grundschulkinder in den Ganztagsschulen. Betroffen sind hiervon neben den Horten also auch die innovativen Modellprojekte und sonstige schulergänzende Betreuungsangebote.
Es wird vorgeschlagen, diese Veränderungen in einem ersten Schritt an den Standorten bereits bestehender Ganztagsgrundschulen durchzuführen und in einem zweiten Schritt auch an den Standorten, an denen für die Zukunft Ganztagsschulen geplant sind. Konkrete Zeitpläne, Statistiken zu den Auswirkungen und entsprechende Kostentabellen hierzu sind in der Beschlussdrucksache gelistet und aufgeführt.
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass alle Träger die Betreuungsangebote für Grundschulkinder anbieten und regelmäßige Planungsgespräche mit der Fachverwaltung führen, sonst wäre eine entsprechend sachgerechte Umsetzung der Jugendhilfemaßnahmen nicht möglich. Insofern muss die Fachverwaltung durch die Ratsmitglieder durch einen solchen Beschluss nicht gesondert ermächtigt werden.
Die Beschlussdrucksache impliziert eine viel weitergehende Entscheidung. Aus den Zielvorgaben in der Beschlussdrucksache wird deutlich, dass mit diesem Vorschlag ein Paradigmenwechsel in der Entscheidung über die Existenzberechtigung der Horte in der Landeshauptstadt Hannover eingeleitet werden soll. Dabei ist zunächst davon auszugehen, dass die Horte und andere Betreuungsformen zu Gunsten der Ganztagsschulbetreuung abgeschafft werden sollen.
Bislang galt, dass die Eltern ein Wunsch- und Wahlrecht haben. Wo vorhanden, konnten sie ihre Kinder entweder im Ganztagsschulbetrieb anmelden oder im Hort betreuen lassen. Ein gesetzlicher Rechtsanspruch oder eine Verpflichtung der Eltern, ihre Kinder überhaupt in eine dieser beiden Betreuungsformen zu geben, besteht hingegen nicht.
Durch die angezeigte Nachfrage wurde dann entschieden, ob für eine Hortgruppe weiterhin eine Existenzberechtigung gesehen wird oder ob durch die zurückgehenden Anmeldungen ggf. eine Umwandlung dieser Hortgruppe in eine Krippe oder Kindergartengruppe oder die Schließung der Einrichtung notwendig war. Selbstverständlich war bisher auch, dass die jeweiligen Träger hierzu im regelmäßigem Austausch mit der Fachverwaltung waren und darüber gesprochen wurde, ob die Umwandlung zukunftsweisend ist oder ob der Hort erhalten werden sollte.
Die Vorgabe, Hortgruppen nur dann umzuwandeln oder zu schließen, wenn kein Bedarf mehr besteht, war von den politischen Entscheidungsträgern ausdrücklich so gewünscht. Um den Bedenken entgegen zu wirken, die anfänglich gegenüber den Ganztagsschulen bestand, haben die politischen Verantwortungsträger in ihren Veröffentlichungen immer darauf hingewiesen, dass die Hortbetreuung in Hannover nicht grundsätzlich abgeschafft werden soll. Ganztagsschulen sollten zusätzlich geschaffen werden, um mit einer gleichwertigen und qualitativ hochwertigen Betreuung die Förderung und Bildung für Kinder im Grundschulalter zusätzlich zu sichern. Ziel war es dabei insbesondere, mehr Kinder zu erreichen. Viele sozial engagierte Menschen, Verbände und nicht zuletzt die Verbände der freien Wohlfahrtspflege haben dieses Vorhaben unterstützt, sich aktiv an der Umsetzung in den Ganztagsschulen beteiligt und den Bedenken, die Stadt Hannover würde die Hortbetreuung abschaffen, entgegen gewirkt.
Mit der Drucksache 1714/2018 wird jetzt eine neue Zielvorgabe deutlich. Bestehende Horte sollen im großen Stil, nämlich derzeit mehr als 480 Plätze, abgebaut und in die Ganztagsschulbetreuung über­führt werden.
Durch den gleichzeitigen Beschluss, langfristig möglichst alle Grundschulen in Ganztagsschulen umzuwandeln, werden dann letztendlich alle Horte gefährdet.
Mehr als 290 Hortplätze wurden in Hannover bereits einvernehmlich umgewandelt oder abgebaut. Auch die Träger von Horten in der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege in der Stadt Hannover haben daran mitgewirkt und sich beteiligt, wenn am jeweiligen Standort kein Bedarf mehr gesehen wurde. Auch unter dem Gesichtspunkt der Qualitätsoffensive in den Ganztagsschulen lässt sich aber der jetzt eingeleitete Schritt nicht mehr rechtfertigen.
Den Eltern würde durch die Schließung der Horte eine wesentliche und über Jahrzehnte bewährte Bildungseinrichtung und Betreuungsform für ihre Kinder entzogen werden. Des Weiteren wird durch die Drucksache die Konfliktsituation zwischen den Handelnden, die sich für eine Ganztagsschule ein­setzen und denjenigen, die eine Hortbetreuung wünschen, unnötig verstärkt. Schon jetzt ist hier in den Fachkreisen, insbesondere durch die Erzieher/innen eine Konkurrenzsituation entstanden.
Dem Elternwunsch wird nicht Rechnung getragen, wenn die Horte verschwinden. Aus Sicht der Wohlfahrtspflege haben beide Betreuungsformen, unabhängig voneinander, eine Existenzberechtigung. Ein systematischer Abbau der Horte ist nicht hinzunehmen.
Die Mitglieder der AGW appellieren daher an alle politischen Verantwortungsträger und an die Stadtverwaltung, den Eltern die Möglichkeit zur Wahlfreiheit zwischen Hort- und Ganztagsschulbetreuung nicht zu nehmen.
Viele der in der Drucksache angesprochenen Horte haben eine sehr gute Auslastung und sogar Wartelisten. Die Nachfrage ist ungebrochen hoch. Obwohl die Elternbeiträge für die Horte nicht abgeschafft wurden, entscheiden sich viele Eltern bewusst für einen Hortplatz, weil sie nur dort eine an­gemessene und für ihre Kinder geeignete Betreuungsform sehen. Viele der Kinder sind in der Ganztagsschulbetreuung schon aufgrund der Größe und durch die langen Aufenthaltszeiten in der Schule überfordert. Sowohl von den Eltern als auch von den verantwortlichen Lehrer/innen wird daher für diese Kinder oft eine Hortbetreuung empfohlen. Die Kinder sind in den Horten auch deshalb besser aufgehoben, weil dort oft bereits abzeichnende Probleme der Kinder besser und ohne die Schule im Hintergrund aufgefangen werden können.
Auch für die Qualität der Kinderbetreuung im Grundschulalter ist eine Vielfalt in den unterschiedlichen Betreuungsformen notwendig und angemessen. Um der Vielfältigkeit, den Unterschieden in der kindlichen Entwicklung und den individuellen Bedürfnissen und Problemen in den Familien gerecht zu werden, sind auch unterschiedliche Betreuungsformen notwendig.
Statt die Schulen durch die Einführung der Ganztagsbetreuung aufzuwerten, würde durch die Abschaffung der Horte eine notwendige und für das Gelingen einer gut funktionierenden Stadtgesellschaft eine wesentliche Betreuungsform verloren gehen. Die Qualität wird, anders als in der Beschlussdrucksache suggeriert, nicht wachsen, sondern insgesamt eingeschränkt. Das ist kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt.
Letztlich ist auch zu hinterfragen, ob die Abschaffung der Horte unter dem Gesichtspunkt der Haushaltskonsolidierung tatsächlich gewollt oder notwendig ist. Im Rahmen der Haushaltskonsolidierung wird die Jugendarbeit und jetzt auch die Notwendigkeit der Kinderbetreuung in Hannover oft und schnell hinterfragt. Dieses ist eine sehr kurzsichtige Betrachtungsweise, da jede Kürzung in diesem Bereich zwangsläufig Folgeerscheinungen hat, die dann noch sehr viel teurer werden.
Die AGW ist der Auffassung, dass Horte nur dann aufgegeben werden sollten, wenn adäquate andere Betreuungsformen mit gleicher oder besserer Qualität und im gleichen oder größerem Umfang nach­gewiesen zur Verfügung stehen und der Bedarf aufgrund fehlender Nachfragen nicht mehr gegeben ist. Dieses kann die Stadt Hannover derzeit aber (noch) nicht gewährleisten.
Sicherlich kann niemand mit Bestimmtheit voraussagen, ob und welche Probleme oder welche gesellschaftlich negativen Auswirkungen der Wegfall der Hortbetreuung mit sich bringt. Fest steht aber, dass die Horte bisher eine „sichere Bank" waren und die Kinder hier im Übergang in eine selbständige und verantwortungsvolle Jugend gut und sorgfältig vorbereitet wurden.
Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege in der Stadt Hannover, die AWO, die Caritas, die Diakonie, das DRK und die Paritäten, lehnen daher die Beschlussdrucksache in dieser Form ab.

Burkhard Teuber

Nicole Wilke

Georg Steinmann