Informationsdrucksache Nr. 2210/2003:
Sachstand zur Zielgruppe der delinquenten Kinder und Jugendlichen, so genannte Intensivtäter

Inhalt der Drucksache:

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2210/2003
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Sachstand zur Zielgruppe der delinquenten Kinder und Jugendlichen, so genannte Intensivtäter

Informationsdrucksache

In der jüngsten Zeit steht die Zielgruppe der mehrfach kriminell auffällig gewordenen Minderjährigen im Blickpunkt des öffentlichen Interesses. Notwendige Präventions- und Interventionsstrategien stellen besondere Anforderungen an die Jugendhilfe.

Der Kommunale Sozialdienst befasst sich in Zusammenarbeit mit städtischen und freien Jugendhilfeträgern mit dieser Zielgruppe. Zu unterscheiden ist die Gruppe der Kinder, d. h. der nicht Strafmündigen bis zum 14. Lebensjahr und die Gruppe der strafmündigen Jugendlichen ab dem 14. Lebensjahr.
Ca. 50% der insgesamt 30 Intensivtäter wohnen mit ihren Familien in Linden-Süd.

Nicht strafmündige Intensivtäter
Es handelt sich um eine kleine Gruppe von zurzeit ca. 4 Kindern, die aus Migrationsfamilien kommen und Gewalterfahrungen in der eigenen Familie haben. Sie sind der eigenen Kultur entwurzelt, ohne gleichzeitig bei uns integriert zu sein. Teilweise handelt es sich um Sinti-/Roma- Familien.
Die Kinder besuchen keine Einrichtungen der Jugendpflege und sind nicht in Sportvereinen zu finden, sondern schaffen sich ihre "eigenen Welten”, wobei ihre Bezüge zu einer Gruppe nach Bedarf wechseln. Für diese auffälligen, aggressiven Kinder sind neue Erziehungshilfeangebote notwendig. In erster Linie sind es die Eltern, die in ihrer Erziehungsverantwortung gefordert sind. Die Jugendhilfe hat die Aufgabe, sie in ihrer Verantwortung zu unterstützen. Häufig zeigt sich hier Überforderung der Eltern und Hilflosigkeit.

Wenn Eltern sich dauerhaft ihrer Verantwortung entziehen, müssen vormundschaftsgerichtliche Maßnahmen eingeleitet werden. Bei Mitarbeit der Eltern sind intensive Einzelbetreuungen im Rahmen der Erziehungshilfe möglich. Intensive, am Einzelfall zu erarbeitende Betreuungskonzepte müssen einen Beziehungsaufbau in Form einer emotionalen Annahme der Kinder und eine persönliche Auseinandersetzung beinhalten mit dem Ziel, Verhaltensweisen zu verändern, Verlässlichkeit zu erfahren und neue Werte zu erkennen.
Es gelten die Prinzipien

verbindliche Betreuung


schnelle Reaktion auf bekannt gewordene Straftaten
keine Toleranz gegenüber jeder von den Kindern begangenen Straftat
keine Ausgrenzung der Kinder

Beispielhaft sollen zwei Fälle dargestellt werden:

Im Fall X wurde im September 2002 begonnen mit einem engen Betreuungsrahmen von 45 Stunden wöchentlich im Rahmen der Hilfe zur Erziehung. Diese flexible Betreuung konnte innerhalb von 9 Monaten auf 15 Stunden wöchentlich reduziert werden. Ergänzend zu dieser ambulanten Einzelbetreuung erhielt X eine Einzelbeschulung. Seit Januar 2003 ist die Beschulung in einer Sonderschule möglich; X zeigt inzwischen soziales Verhalten und ist in der Klasse akzeptiert. Vor Beginn der Betreuung war X aus der Schule wegen untragbarem Verhalten ausgeschlossen worden.

Im Fall Y wurde zunächst von den Eltern eine Mitarbeit abgelehnt. Der Einsatz eines Betreuungshelfers musste abgebrochen werden. Einer vorübergehenden Unterbringung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie erfolgte nach veränderter Haltung der Eltern und Akzeptanz der erzieherischen Hilfe eine intensive, sozialpädagogische Einzelbetreuung mit einem 5-monatigen Aufenthalt auf einem Binnenschiff und anschließender Förderung in einer Wohngruppe. Eine Beschulung erfolgt in der Sonderschule.

In beiden Fällen sind seit dem Betreuungsbeginn keine Straftaten mehr aufgetreten.


Es findet gemeinsam mit den fallverantwortlichen Sozialarbeitern des KSD ein Träger übergreifender Austausch über die Intensivtäter in Linden-Süd statt.

Strafmündige jugendliche Intensivtäter ab 14 Jahren
Auch bei dieser Gruppe handelt es sich überwiegend um Jugendliche mit Migrationshintergrund. Es gibt zurzeit ca. 26 Jugendliche, die dieser Zielgruppe zuzurechnen sind. Für diese Zielgruppe ist das vorrangige Jugendverfahren mit einer gemeinsamen Erklärung der Polizeidirektion, des Amtsgerichts, der Staatsanwaltschaft und der Landeshauptstadt Hannover seit April 2003 eingeführt worden. Innerhalb von 4 Wochen nach der polizeilichen Vernehmung kommt es zur Hauptverhandlung. Bis heute wurden drei Verfahren durchgeführt.
Die bisherige Erfahrung zeigt, dass es eine gute, kooperative Zusammenarbeit zwischen Fachbereich Jugend und Familie, Polizei und Justiz gibt. Das vorrangige Jugendverfahren ist sinnvoll, wenn ein möglicher Jugendhilfebedarf ausreichend geprüft werden kann und eventuelle Weisungen zeitnah erfolgen können.

Notwendige Kooperation der Bezugssysteme
Neben den besonderen Betreuungsformen hat die Verwaltung gleichzeitig an einem verbesserten Zusammenwirken der unterschiedlichen Unterstützungs-, Hilfe- und Kontrollsysteme gearbeitet. Eine gut funktionierende Kooperation zwischen den unterschiedlichen Institutionen konnte erreicht werden. Zwischen Polizei und KSD finden für die nicht strafmündigen Kinder so genannte Fallgespräche statt, deren Ziel ein vernetztes Vorgehen der beteiligten Behörden ist. Maßnahmen werden aufeinander abgestimmt.
An der Arbeitsgruppe "auffällige Kinder und Jugendliche" nehmen unter Federführung des Fachbereiches Jugend und Familie die Polizei, die Staatsanwaltschaft und das Amtsgericht teil.
Der gegenseitige Austausch an Informationen wird von allen Seiten als außerordentlich konstruktiv erlebt.
Die Kooperation zwischen Polizei und KSD ist wesentlich verbessert und hat zu erhöhter und nachhaltiger gegenseitiger Akzeptanz geführt.
Um die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Bereiche des Fachbereichs Jugend und Familie zu optimieren, sichert eine interne Kooperationsvereinbarung zur Zusammenarbeit bei gefährdeten und von Straffälligkeit bedrohten Kindern die gegenseitige Information und Abstimmung. Einbezogen sind die Sachgebiete Bezirkssozialarbeit, Jugendgerichtshilfe, Jugendschutz sowie Spielparks und Jugendzentren.
Jugendhilfe muss mit dieser Zielgruppe nach dem Leitmotiv “schnell handeln, analysieren, bewerten, konfrontieren, unterstützen” arbeiten.
Die Bezirkssozialarbeit wird in einem strukturierten Rahmen den Prozess vom Bekanntwerden einer Straftat über ein Beratungssetting von präventiven Reaktionen unter Nutzung der sozialräumlichen Ressourcen bis hin zu erzieherischen Hilfen gestalten.
Insgesamt zeigt die Arbeit mit delinquenten Kindern und jugendlichen Intensivtätern Grenzen öffentlicher Jugendhilfe auf, aber auch die Notwendigkeit der erforderlichen Qualifikation von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, in der professionellen Sozialarbeit mit vernachlässigten und seelisch verletzten Kindern zu arbeiten. Erforderlich ist die frühzeitige Nutzung präventiver, niedrigschwelliger Angebote.

58 /51.2
Hannover / 20.10.2003