Drucksache Nr. 2152/2006:
Hannah-Arendt-Stipendium Hannover:
Beitritt der Landeshauptstadt zum Internationalen Städtenetzwerk für verfolgte
Schriftsteller (International Cities of Refuge Network - ICORN) mit Sitz in Stavanger (Norwegen)

Inhalt der Drucksache:

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2152/2006
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Hannah-Arendt-Stipendium Hannover:
Beitritt der Landeshauptstadt zum Internationalen Städtenetzwerk für verfolgte
Schriftsteller (International Cities of Refuge Network - ICORN) mit Sitz in Stavanger (Norwegen)

Antrag,

zu beschließen:

Die Landeshauptstadt Hannover tritt dem Internationalen Städtenetzwerk für verfolgte Schriftsteller-/innen (ICORN) ab 01.01.2007 bei und führt das Hannah-Arendt-Stipendium im Rahmen des Netzwerkes fort.

Berücksichtigung von Gender-Aspekten

Die Aufnahme von Schriftstellerinnen und Schriftstellern richtet sich nach der konkreten Bedrohungssituation und den Möglichkeiten des oder der Betroffenen, das Land zu verlassen. Die Stadt wird bei ihrer Entscheidung in Abstimmung mit dem das Stipendium ebenfalls tragenden Literaturbüros Hannover e.V. und auf Vorschlag des ICORN Frauen und Männer in gleicher Weise bei der Aufnahme berücksichtigen, wenn und soweit eine Auswahlmöglichkeit besteht.

Kostentabelle

Darstellung der zu erwartenden finanziellen Auswirkungen:
Investitionenin €bei HMK
(Deckungsring)/
Wipl-Position
Verwaltungs-
haushalt;
auchInvestitions-
folgekosten
in € p.a.bei HMK
(Deckungsring)/
Wipl-Position
EinnahmenEinnahmen
Finanzierungsanteile von DrittenBetriebseinnahmen
sonstige EinnahmenFinanzeinnahmen von Dritten
Einnahmen insgesamt0,00 € Einnahmen insgesamt0,00 € 
AusgabenAusgaben
ErwerbsaufwandPersonalausgaben
Hoch-, Tiefbau bzw. SanierungSachausgaben2.000,00 €3490.000-600000
EinrichtungsaufwandZuwendungen
Investitionszuschuss an DritteKalkulatorische Kosten
Ausgaben insgesamt0,00 € Ausgaben insgesamt2.000,00 € 
Finanzierungssaldo0,00 € Überschuss / Zuschuss-2.000,00 € 

Begründung des Antrages

Verfolgung und Unterdrückung, Morde und erzwungenes Exil sind für Schriftstellerinnen und Schriftsteller weiterhin in einem erschreckenden Ausmaß Realität in vielen Ländern der Erde. Nach dem „Writers in Prison“-Bericht des PEN-Zentrums Deutschland zur Frankfurter Buchmesse 2006 sind dem internationalen PEN z. Z. Fälle von 719 Autorinnen und Autoren bekannt, die davon betroffen waren. Im ersten Halbjahr 2006 wurden nach dieser Darstellung 19 Schriftstellerinnen oder Schriftsteller getötet. Etwa 200 wurden mit dem Tode bedroht, entführt oder inhaftiert u.ä. - www.pen-deutschland.de – Der Mord an der russischen Journalistin Anna Politkowskaja ist das jüngste Beispiel.

Weltweit haben sich schon in der Vergangenheit Städte zusammengeschlossen, um verfolgten Autoren/-innen Schutz zu geben.

Die Stadt Hannover nimmt seit dem Jahr 2000 verfolgte Schriftsteller-/innen im Rahmen des Hannah-Arendt-Stipendiums, das von der Stadt (Kulturbüro) und dem Literaturbüro Hannover e.V. getragen wird, auf.


Es waren dies bisher:

· Ales Rasanau aus Weißrussland (2000-2002)
· Carlos Valerino aus Kuba (2002-2004)
· Wladimir Sorokin aus Russland (2004)
· Marwan Othman aus Syrien (2004-2006)

Die Stipendien werden überwiegend aus dem städtischen Haushalt (z.Zt. jährlich 9.900 €) und durch private Spenden finanziert. Eine Wohnungsbaugesellschaft stellt eine Wohnung mietfrei zur Verfügung. Die Gäste erhalten mtl. Barleistungen in Höhe von rd. 950 Euro; sie sind krankenversichert und nutzen die städt. Kultureinrichtungen kostenlos ebenso wie die Beförderung im Netz der ÜSTRA.

Alle Stipendiaten-/innen konnten in Hannover sicher und unter guten Bedingungen leben und arbeiten, teilweise gelang es, ihre Schriften mit finanzieller Hilfe der S-Hannover-Stiftung der Sparkasse zu veröffentlichen. Soweit sie damit einverstanden sind, werden sie in entsprechenden Veranstaltungen der Öffentlichkeit vorgestellt.

Das 1993 vom Internationalen Schriftstellerparlament begründete Städtenetzwerk „Cities of Asylum“, dem die Stadt im Jahre 2000 beigetreten war, erwies sich aus verschiedenen Gründen als nicht lebensfähig. Die Stadt stellte – wie andere deutsche Kommunen auch – ihre Mitarbeit dort im Jahre 2002 wieder ein. Dieses Netzwerk wurde im Juni 2005 auch formal aufgelöst.

Um das Projekt eines weltweiten Zusammenschlusses von Zuflucht-Städten für Autorinnen und Autoren neu zu beleben, hat sich im norwegischen Stavanger mit Unterstützung des Internationalen PEN und dessen Komitee „Writers in Prison“ ein Städtenetzwerk konstituiert. Die Versammlung verabschiedete am 11. Juni 2006 eine Gründungscharta (Anlage).

Als wesentliche und unmittelbare Ziele des Städtenetzwerks werden dort formuliert:

  • verfolgten Schriftstellerinnen und Schriftstellern Schutz zu geben,
  • demokratische Prinzipien, insbesondere die Freiheit des Wortes, aktiv und offensiv zu verteidigen,
  • die internationale Kooperation in diesen Fragen zu stärken.

Insgesamt geht es damit auch um die Herstellung von Öffentlichkeit und politischem Druck, um die Lebens- und Arbeitsbedingungen von bedrohten Autorinnen und Autoren in ihren eigenen Ländern zu verbessern und demokratische Entwicklungen dort zu unterstützen.

An der ersten General-Versammlung 2006 beteiligten sich neben der Gastgeber-Stadt weitere Städte aus Norwegen (Bergen, Kristiansand, Oslo, Skien, Tromso, Trondheim), Großbritannien (Edinburgh, Glasgow), Schweden (Stockholm), Deutschland (Frankfurt/Main, Hannover), Italien (Region Toskana), Spanien (Region Katalonien/Barcelona), Mazedonien und Mexiko (Mexico-City) sowie Gastautor/-innen aus China, Indien und Zimbabwe.


Im jetzt vorliegenden Mustervertrag zwischen dem ICORN und der jeweils beteiligten Stadt sind folgende wesentlichen Aufgaben des Städtenetzwerkes bzw. seiner Geschäftsführung vorgesehen:
  • Vorschläge zur Aufnahme eines bestimmten Gastes mit ausreichender und dokumentierter Begründung, in Zusammenarbeit mit dem „Writers in Prison“–Komitee des Internationalen PEN,
  • Bildung von Netzwerken und Kommunikationsstrukturen zwischen den am Netzwerk beteiligten Städten und den in den Städten lebenden Schriftstellerinnen und Schriftstellern,
  • „Fundraising“-Aktivitäten,
  • Einrichtung und Pflege einer Website zur Darstellung der Ziele des Städtenetzwerks und Herausgabe eines Newsletters für die beteiligten Städte und aufgenommenen Autorinnen und Autoren,
  • Organisation von Seminaren, Literaturveranstaltungen usw., um die schriftstellerischen Arbeiten der Gäste des Städtenetzwerkes zu verbreiten.

Die Aufgaben der dem Städtenetz angehörenden Kommunen sind danach u.a.:
  • Finanzierung und Betreuung des jeweiligen Gastes; mtl. Barstipendium, angemessene Wohnung, Krankenversicherung usw. - je Gast in einem Zeitraum von bis zu zwei Jahren,
  • Klärung des aufenthaltsrechtlichen Status vor der Aufnahme, Übernahme notwendiger (Ein-)Reisekosten,
  • Unterstützung des Autors bei der Teilnahme am öffentlichen Leben, der Nutzung öffentlicher Institutionen und Dienste und beim Erlernen der Sprache des Gastlandes,
  • Zahlung eines Jahresbeitrages an das Städtenetzwerk zu den Kosten der Geschäftsführung in Höhe von 2.000 €.
Die Ziele der Charta des ICORN stimmen mit den Intentionen des Hannah-Arendt-Stipendiums überein. Mit dem Beitritt zum (neuen) Städtenetzwerk macht die Stadt (kultur-)politisch deutlich, dass sie sich weiterhin aktiv für die Freiheit des Wortes und ungefährdete Arbeits- und Lebensbedingungen für Schriftstellerinnen und Schriftsteller in aller Welt einsetzt. Sie setzt damit die im Jahre 2000 durch die Begründung des Hannah-Arendt-Stipendiums und frühere Aktivitäten begonnenen Traditionen fort und unterstreicht ihr Engagement in diesen Fragen. In erster Linie aber gibt sie jeweils einem/einer individuell verfolgten Autor-/in Schutz „in ihren Mauern“.
Dez. IV  / 41
Hannover / 07.11.2006