Informationsdrucksache Nr. 1791/2012:
Pflegekinderdienst / Familienersetzende Hilfen im Kommunalen Sozialdienst (KSD)

Inhalt der Drucksache:

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1791/2012
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Pflegekinderdienst / Familienersetzende Hilfen im Kommunalen Sozialdienst (KSD)

Die Verwaltung informiert mit dieser Drucksache, um die Leistungen im Rahmen des § 33 SGB VIII für Kinder und Jugendliche und die Entwicklungen aufzuzeigen.

Der Pflegekinderdienst arbeitet fachlich inhaltlich systemisch, d. h. die besondere Identität von Pflegekindern, eine leibliche Familie zu haben, aus der sie fort mussten und in eine erst einmal fremde oder andere Familie zu kommen, wird gestützt und gestärkt. Beide Familien müssen ganz Ungewöhnliches leisten und leben in einer Ausnahmesituation. Die abgebenden Eltern müssen ihr Kind früher loslassen, als dies den natürlichen Entwicklungsphasen entspricht. Die Pflegefamilie übernimmt Elternrolle für ein Kind, das nicht ihr „eigenes“ ist. In diesem Spannungsfeld kommt dem Pflegekinderdienst die wichtige Funktion zu, beiden Familien Wege zu vermitteln, mit diesen besonderen Herausforderungen leben zu können. Insbesondere zu Beginn der Vermittlungsphase ist hierbei eine enge Zusammenarbeit mit der Herkunftsfamilie, aber auch mit den Institutionen erforderlich, in denen das Kind bis dahin gelebt hat.

1. Allgemeiner Überblick zum Pflegekinderdienst / Familienersetzende Hilfen

Rechtliche Grundlagen für die Aufgaben
o Hilfe zur Erziehung gem. § 27 SGB VIII oder § 41 SGB VIII, Hilfe für junge Volljährige in der Ausgestaltung von Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII
o § 44 SGB VIII regelt, wer eine Erlaubnis zur Vollzeitpflege benötigt
o §§ 36, 37 und 39 SGB VIII regeln die Mitwirkung, die Beteiligungen und Erstellungen des Hilfeplans, die Eignungsprüfung von Pflegepersonen durch das Jugendamt sowie die Leistungen zum Unterhalt des Kindes/Jugendlichen
o § 8a SGB VIII Schutzauftrag

Aufgaben des Pflegekinderdienstes
o Vorbereitung und Prüfung von Pflegeeltern
o Vermittlung von Kindern, insbesondere von 0 – 10 Jahren, in geeignete Pflegefamilien
o Legalisierung von Pflegeverhältnissen, die von Beteiligten angestrebt oder bereits installiert sind
o ganzheitliche Betreuung
o Werbung, Öffentlichkeitsarbeit und Gruppenarbeit

Vollzeitpflege ist die kostengünstigste und einzige vollstationäre Hilfe zur Erziehung, die überwiegend von Laien in dem geschützten Lebensraum der Familie im Auftrag der öffentlichen Jugendhilfe wahrgenommen wird. Sie ist damit Ausdruck freiwilligen bürgerschaftlichem Engagement. Dem öffentlichen Jugendhilfeträger kommt eine besondere Verantwortung hinsichtlich der Vorbereitung und kontinuierlichen Unterstützung von Pflegefamilien zu. Vor allem jüngere Kinder erhalten bei Pflegefamilien gute Entwicklungschancen und die Möglichkeit, erlittene Traumata in einem neuen intakten Umfeld aufzuarbeiten.
In der Landeshauptstadt Hannover werden daher die Erlaubnis zur Vollzeitpflege gemäß § 44 SGB VIII sowie die weitere Betreuung und Begleitung der Pflegefamilien durch den örtlichen Träger der Jugendhilfe – Fachbereich Jugend und Familie – wahrgenommen und nicht auf andere freie Träger der Jugendhilfe übertragen. Hierdurch wird die besondere Qualität dieser Hilfeform gewährleistet.

Formen der Vollzeitpflege
Auf der Grundlage der oben genannten Gesetzesvorgaben wurden aufgrund der spezifischen Bedarfe der zur Vermittlung gemeldeten Kinder ergänzend zur klassischen
o Vollzeitpflege auf Dauer und
o Sonderpflege auf Dauer für entwicklungsbeeinträchtigte Kinder (s. DS Nr. 638/76)
die folgenden ergänzenden Pflegeformen in den letzten Jahren konzeptionell entwickelt:
o Befristete Vollzeitpflege mit Rückkehroption,
o Profi-Pflegefamilie,
o Sonderformen (in besonderen Einzelfällen)

Seit 2005 haben darüber hinaus Netzwerkfamilien (Pflegeeltern sind Verwandte, Bekannte, Freunde o. a.), die Kinder in Vollzeit- oder Sonderpflege betreuen, bundesweit an Bedeutung gewonnen.

Umsetzung der vom Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration empfohlenen Pflegeformen
Das Land Niedersachsen hat im November 2008 Anregungen und Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Vollzeitpflege für die Niedersächsischen Jugendämter mit folgenden Inhalten herausgegeben: Vereinheitlichung der Pflegeformen, der finanziellen Konditionen für Pflegeeltern, der Strukturen und Qualitätsstandards sowie Regelungen für die Kooperation zwischen den Jugendämtern in Niedersachsen, um somit die Vollzeitpflege zu stärken und für mehr Kinder geeignete Pflegefamilien zu finden, um Heimunterbringungen zu vermeiden.
Die Landeshauptstadt Hannover hat in Abstimmung mit allen Pflegekinderdiensten der Region Hannover die Umsetzung der Standards in den folgenden zwei Stufen vereinbart:

Umsetzungsinhalte 2012:
o Realisierung der empfohlenen Personalstandards, die in der Landeshauptstadt Hannover bereits erfüllt sind,
o Pauschalierung notwendiger Beihilfen für Sonderbedarfe für Pflegekinder statt bisher einzeln zu beantragende Beihilfen. Die vom Land Niedersachsen empfohlenen monatlichen Pauschalbeträge werden in jeder Altersstufe aufgrund der Kostensteigerung um 30 € erhöht. Für Sonderleistungen im Einzelfall, die nicht in der Liste der Pauschalen bzw. in dem Betrag für materielle Aufwendungen enthalten sind, können vor Inanspruchnahme Einzelanträge gestellt werden, s. anliegendes Informationsblatt zur „Monatlichen Pauschale für Vollzeitpflegeeltern der LHH für Sonderbedarfe“ von Februar 2012.

Umsetzungsinhalte 2013:
o Einführung der drei Pflegeformen „Allgemeine Vollzeitpflege“, Sozialpädagogische Vollzeitpflege“ und „Sonderpädagogische Vollzeitpflege“.

Weitere Kooperationsmöglichkeiten der beteiligten Jugendämter der Region Hannover werden im Hinblick auf vorbereitende bzw. fortlaufende Qualifikationen der Pflegeeltern gesehen.

Ziele der Vereinheitlichung der oben genannten Standards sind, dass Pflegeeltern in ihrem besonderen Engagement qualifiziert auf ihre Aufgabe durch Fachkräfte vorbereitet und kontinuierlich begleitet werden, die finanziellen Konditionen für sie verlässlich und unabhängig von ihrem Wohnort vereinheitlicht und ihnen als wichtige Kooperationspartner/ innen der Jugendhilfe selbstverantwortliche Spielräume gegeben werden. Darüber hinaus führt die Pauschalierung zu Verwaltungsvereinfachungen.

Die bisherigen Pflegeformen werden begrifflich ab 2013 wie folgt bezeichnet:

Derzeit
Zukünftig
Vollzeitpflege
Allgemeine Vollzeitpflege
Sonderpflege
Sozialpädagogische Vollzeitpflege
Profipflegefamilien
Sonderpädagogische Vollzeitpflege
Sonderformen
entfallen
Begrenzte Vollzeitpflege
Befristete Vollzeitpflege mit Rückkehroption
Allgemeine Vollzeitpflege für Netzwerkfamilien
Großeltern- und Verwandtenpflege

Im Rahmen des Schutzauftrages nach § 37 Abs. 3 SGB VIII und der notwendigen Risikoeinschätzung für jedes Kind gemäß § 8a SGB VIII wird ab April 2012 das Eignungsfeststellungsverfahren durch die Vorlage einer „Ärztlichen Bescheinigung“ ergänzt. Damit wird eine weitere Empfehlung des Landes Niedersachsen umgesetzt. Die Bescheinigung beinhaltet, dass keine ansteckenden Krankheiten, und keine Anhaltspunkte für somatische -, psychische - oder Suchterkrankungen vorliegen. Um die Qualität und den Standard der Pflegeverhältnisse zu sichern, werden regelmäßige Hausbesuche und Hilfeplangespräche durch den Pflegekinderdienst durchgeführt. Verschiedenste Fachkräfte, z. B. aus Kindertagestätten, Schulen, Sozialpädiatrischem Zentrum, Ärzte werden, sofern erforderlich beteiligt. Hilfeplangespräche, Ergebnisse der Hausbesuche und die Durchführung der Kollegialen Beratungen werden dokumentiert und bewertet. Die Prüfung wird regelmäßig durch den Pflegekinderdienst durchgeführt. Sollten sich im Rahmen des Pflegeverhältnisses Fragen bezüglich des Gesundheitszustandes der Pflegeeltern ergeben, so werden weitere Untersuchungen eingeleitet. Liegt bei Pflegeeltern der Verdacht vor, illegale Drogen zu konsumieren, wird durch den Fachbereich Jugend und Familie eine weitergehende ärztliche Untersuchung, insbesondere eine Haaranalyse durch die Gerichtsmedizin, veranlasst. Es wird durch dieses Verfahren gewährleistet, dass der Schutz von Kindern gemäß § 8a SGB VIII -gerade auch in Pflegefamilien- in einem hohen Maße gesichert ist.

Kostenauswirkungen
Grundlage der Berechnung des Entgeltes für Pflegeeltern ist unverändert der Runderlass „Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege – Festsetzung der monatlichen Pauschalbeträge (Pflegegeld)“, der jährlich auf der Basis der aktualisierten Empfehlungen für „normale“ Vollzeitpflege des Deutschen Vereins vom Nds. Ministerium für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration angepasst wird und für das Land Niedersachsen verbindlich ist.

Sozialpädagogischen und sonderpädagogischen Pflegestellen wird ab 2013 in Höhe von 10% bzw. 20% ein Mehrbedarf für höhere materielle Aufwendungen gezahlt, der bisher über individuelle Sonderleistungen oder Sonderleistungen im Einzelfall bedarfsgerecht zusätzlich zum Pflegegeld gezahlt wurde. Der Grundbetrag des Erziehungsbeitrags bei „normaler“ Vollzeitpflege und bei der sozialpädagogischen Vollzeitpflege in Höhe des doppelten Erziehungsbeitrags bleibt unverändert. Bei der sonderpädagogischen Pflege wird dem besonderen Qualifikationserfordernis durch Zahlung des vierfachen Erziehungsbeitrags Rechnung getragen. Im Rahmen des Konzeptes „Profipflegefamilien“ werden derzeitig 190 € insgesamt monatlich mehr als in den Empfehlungen vorgeschlagen gezahlt.

Die vorgeschlagene Kostenstruktur orientiert sich in Niedersachsen an den üblichen Sätzen für die materiellen Aufwendungen (Pflegegeld), die Kosten der Erziehung und für Sonderbedarfe. Nach Abstimmung mit der Region Hannover am 29.09.2011 werden die entstehenden Kosten im Rahmen des Jugendhilfekostenausgleiches sichergestellt.

2. Besondere Angebote für Pflegeeltern

Informationsveranstaltungen für Bewerberinnen und Bewerber
Gute Erstinformationen sind bedeutsam für die realistische Selbsteinschätzung von potentiellen Bewerberinnen und Bewerbern und als Gruppenveranstaltung zeiteffektiv. Deshalb wird seit Jahren regelmäßig pro Quartal eine Informationsveranstaltung angeboten. 2011 haben sich von 96 teilnehmenden Personen anschließend 26 Personen beworben.

Vorbereitungsseminare


Die Teilnahme an einem Vorbereitungsseminar ist seit Jahren ein Qualitätsstandard, um Bewerber und Bewerberinnen mit den rechtlichen, institutionellen, pädagogischen und psychologischen Grundtatsachen eines Pflegeverhältnisses vertraut zu machen und sowohl ihnen als auch dem Pflegekinderdienst eine realistische Entscheidungsgrundlage zu geben.

Fortbildungsangebote


Neben der kontinuierlichen Beratung von Pflegeeltern bietet der Pflegekinderdienst zweimal jährlich allen Pflege- und Adoptiveltern thematisch ausgerichtete Fortbildungsveranstaltungen an. Im Jahr 2011 haben 50 Pflege- und Adoptiveltern mit sehr positiver Resonanz daran teilgenommen.

Supervision


Auf der Grundlage einer Bedarfsabfrage bietet der Pflegekinder- und Adoptionsdienst seit 2010 Pflege- und Adoptiveltern problemzentrierte Supervisionen durch eine externe Supervisorin an 10 Abenden jährlich an, die von 15 Personen genutzt werden.

Sommerfest


Zum 22. Mal hat das Pflegekindersommerfest 2011 traditionell im Spielpark Tiefenriede mit 240 Gästen stattgefunden. Das Fest dient dem informellen Austausch zwischen Pflege- und Adoptiveltern und -kindern, sorgt für Zusammenhalt und fördert gegenseitige Hilfe untereinander. Im letzten Jahr wurden die Pflege- und Adoptiveltern in diesem Rahmen für ihr besonderes Engagement für „ihre“ Kinder durch den Oberbürgermeister besonders gewürdigt.

3. Aktivitäten im Bereich Werbung und Öffentlichkeitsarbeit

Öffentlichkeitsarbeit und Werbung sind zum einen darauf ausgerichtet, neue Pflegeeltern zu gewinnen und zum anderen, gesellschaftliche Vorbehalte gegenüber Pflegekindern und -eltern abzubauen.

4. Ausblick

Neben der Umsetzung der vom Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration empfohlenen finanziellen Leistungen für Pflegeeltern als auch der auf Dauer angelegten Pflegeformen und der damit verbundenen Vereinheitlichung der Standards in der Region Hannover erfolgen 2012 und 2013 weiterhin

gezielte Werbemaßnahmen, um Pflegefamilien zu gewinnen.
Ziel ist es, den seit Jahren konstant bestehenden Anteil der Erziehungshilfen gemäß § 33 SGB VIII von durchschnittlich 30% zu erhöhen, um mehr Kindern die Möglichkeit des Aufwachsens in einer Pflegefamilie bieten zu können und somit auch die Kosten für Hilfen zur Erziehung zu reduzieren.

Berücksichtigung von Gender-Aspekten

Die Maßnahmen Hilfen zur Erziehung richten sich grundsätzlich an Mädchen und Jungen. Es werden in der Hilfeplanung dem Geschlecht angemessene Formen der Unterstützung und der Förderung angeboten.

Kostentabelle

Die finanziellen Auswirkungen sind im Rahmen des Jugendhilfekostenausgleiches der Region Hannover gedeckt.

51.2 
Hannover / 15.08.2012