Informationsdrucksache Nr. 1733/2021:
Sucht im Alter

Inhalt der Drucksache:

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1733/2021
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Sucht im Alter

In dem Haushaltsbegleitantrag H-0164/2021 wurde die Verwaltung aufgefordert, den Sachstand der städtischen Beratungsangebote zum Thema „Sucht im Alter“ darzustellen, sowie eine Handlungsperspektive für die nächsten Jahre aufzuzeigen.

Begriffsklärung

Bei dem Thema „Sucht im Alter“ gibt es zwei Begriffe, die für die weitere Bearbeitung genauer zu klären sind:

1) Die Zielgruppe dieser Informationsdrucksache betrifft, bezogen auf den Begriff des Alters, nicht nur Menschen, die vom Erwerbsleben in die Rente eintreten. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO beginnt der Prozess des physiologischen Alterns bereits mit 45 Jahren. In den Bereichen der Suchtprävention und Beratung gibt es eine allgemeine Orientierung an der Einschätzung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung im Zusammenhang von Sucht im Alter von Menschen ab 55 Jahren zu sprechen. Insofern sind alle Menschen, von den Jungen Alten (55+) bis zu den hochbetagten Menschen darunter zu verstehen. Dies bedeutet eine große Spanne, die mit Menschen beginnt, die noch in verpflichtenden beruflichen und familiären Zusammenhängen stehen, wie auch ältere Menschen, die in Heimen oder privat gepflegt werden. Der für viele Menschen wichtige Übergang vom Erwerbsleben zum Renteneintritt ist dabei nur ein Kriterium, das für die Kategorisierung heranzuziehen ist.

2) Nach gleichlautenden Rückmeldungen aller Fachstellen für Sucht und Suchtprävention spielen bei den Suchtformen, die in dem Zusammenhang mit dieser Zielgruppe zu nennen sind, der Konsum von Alkohol die wesentlichste Rolle. Dabei stehen zum einen diejenigen im Fokus, die erst in diesem Alter eine substanzbezogene Erkrankung entwickelt haben. Zum anderen handelt es sich um Menschen, die schon eine lange Suchtkarriere hinter sich haben und inzwischen altersbedingt zu dieser Gruppe zu rechnen sind.

Bei den Medikamenten haben vor allem die Psychopharmaka und Benzodiazepine neben ihrer ursprünglichen Behandlungsgrundlage, wie zum Beispiel in Bezug auf Schmerzen, Schlafstörungen und Angstzustände Nebenwirkungen und ein bedenkliches Suchtpotential. Seit der letzten Reform der „Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung“ (BtMVV) kann neben dem Heroin auch die Abhängigkeit von synthetischen Opioiden, wie Tilidin und Tramadol (Schmerzmittel), eine Substitutionsbehandlung begründen.

Zwischen den Wirkstoffen vieler Medikamente und Alkohol kann es zu gesundheitsschädigenden und sogar gefährlichen Wechselwirkungen kommen.

Außerdem befinden sich in dieser Alterskohorte auch vermehrt Konsument*innen illegaler Drogen auf, die die jahrzehntelange Abhängigkeit überlebt haben und inzwischen pflegebedürftig sind.

Sucht und Alter

Viele Lebensgewohnheiten und Verhaltensweisen stellen erst beim Älterwerden ein Problem dar. Da ein alter Mensch im Vergleich weniger Körperflüssigkeit hat, führt die gewohnte Konsummenge an Alkohol zu unerwarteten Ausfallerscheinungen. Außerdem baut der Körper wegen der eingeschränkten Funktion von Leber und Niere Medikamente langsamer ab. Bereits bei einer über einen längeren Zeitraum eingenommenen gleichbleibend geringen Dosis kann es insbesondere bei Benzodiazepinen zu einer sogenannten Niedrig-Dosis-Abhängigkeit kommen. Dies sind nur einige Beispiele, weshalb auch ältere Menschen eine Suchterkrankung entwickeln können beziehungsweise ihr bisheriges Konsumverhalten, zum Beispiel beim Alkohol, in eine Abhängigkeit führen kann.

Gesellschaftliche Bedeutung

Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit ist auch im Alter verbreitet. Die bundesweite Datenlage dazu ist aber recht dünn. Zum einen liegt es daran, dass das Thema „Sucht im Alter“ ist im hohen Maße schambesetzt ist und insofern von einer höheren Dunkelziffer ausgegangen werden muss. Außerdem galt lange das Forschungsinteresse dem Substanzkonsum der Altersgruppe zwischen 18 und 59 Jahren. Erst 2006 erweiterte der Epidemiologische Suchtsurvey für Deutschland seine Altersobergrenze auf 64 Jahre.

In den hannoverschen Krankenhäusern wurden im Jahr 2020 insgesamt 126 Menschen ab 55 Jahren wegen einer Alkoholentgiftung behandelt. Darunter waren 96 Männer und 30 Frauen. Dies entspricht 18,9% aller aufgenommenen alkoholisierten Patient*innen in Hannover und ist in etwa vergleichbar mit der Zahl der 148 eingelieferten Minderjährigen. Wegen einer überhöhten Medikamenteneinnahme wurden in 2020 11 Menschen im Klinikum der Region Hannover behandelt.

Finanzierung

Grundsätzlich ist die Altersgruppe 55+ in den Regelleistungen Beratung und Betreuung, Behandlung und Nachsorge der Fachstellen Sucht und Suchtprävention integriert. Aus diesem Grund ist eine finanzielle Zuordnung der betreffenden Zuwendungen auf diese Altersgruppe in vielen Fällen nicht möglich.

Die Kosten für diese Klient*innengruppe in 2020 in den beiden Dienststellen Sucht Garbsen und Sucht Hannover zusammen des Caritasverbandes Hannover e.V. betrugen im Jahr 2020 23.100€.

Zusätzlich hat der Rat seit 2014 eine Zuwendung an die Step gGmbH bewilligt, die anfangs 35.000€ betrug und sich in 2021 auf 36.648€ beläuft.

Eine Beratung für alte Menschen und deren Angehörigen findet in den Fachstellen der Träger Caritasverband Hannover e.V., der Step gGmbH, dem Diakonischen Werk Hannover und prisma gGmbH statt.

Nutzung des Beratungsangebotes in allen Fachstellen

Nach Rückmeldung der vier Fachstellen haben 2018 579 ältere Menschen ab 55 Jahren sowie deren Angehörigen das Beratungsangebot in unterschiedlicher Form (ein- oder mehrmalige Beratungstermine, Vermittlung in weiterführende Maßnahmen etc.) genutzt. 2019 waren dies 558 Personen und im letzten Jahr 519 Bürger*innen. Gemessen an den Gesamtzahlen der Nutzungsstruktur dieser Fachstellen und der Alterspyramide der Gesellschaft ist die Altersgruppe der über 55Jährigen unterrepräsentiert. Dies liegt vor allem an dem Schamgefühl der betroffenen Menschen sowie auch der Unkenntnis der Angehörigen, ob beispielsweise die regelmäßige Medikamenteneinnahme medizinischer Notwendigkeit entspricht oder schon ein Abhängigkeitsverhältnis verdeutlicht. Das gleiche gilt für unvorhersehbare Verhaltensweisen und Aggressionen älterer Menschen, die möglicherweise durch Entzugserscheinungen zu erklären sind. Ob sich die Zugänge für ältere Menschen und deren Angehörige durch den Aufbau digitaler Beratungsangebote während der Corona-Pandemie verändert haben, lässt sich momentan noch nicht abschließend einschätzen.

Bei allen Fachstellen für Sucht und Suchtprävention ist durchgängig der häufigste Grund für ein Beratungsinteresse eine Problematik im Umgang mit Alkohol, gefolgt von dem Thema Medikamentenabhängigkeit.

Die Zuwendung „Sucht im Alter“ in Höhe von aktuell 36.648€ ist innerhalb der Step gGmbH bei der FAM (Fachstelle für Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit) zugeordnet und ist konzeptionell als Schnittstelle zu den Bedarfen der Betroffenen, der Angehörigen und der Pflegenden aufgestellt. Unter anderem wird daraus eine halbe Personalstelle finanziert. Die Schwerpunkte dieser Tätigkeit liegen in den Bereichen


- Beratung von älteren Menschen und/oder deren Angehörigen

- aufsuchende Bedarfssprechstunde im Clementinenhaus (sowohl Mitarbeitende als auch Patient*innen)


Für die beiden Bereiche wurden im Jahr 2020 222 Menschen und im Jahr 2019 250 Menschen beraten und zum Teil in weiterführende Maßnahmen vermittelt

- Multiplikator*innen-Schulungen (ambulante Altenpfleger*innen, Kommunaler Seniorenservice, Caritasforum Demenz etc.)

- Netzwerkarbeit/Mitarbeit in sechs regelmäßig tagenden Arbeitskreisen wie z.B. dem Arbeitskreis Alter(n) und Gesundheit oder dem Arbeitskreis Verwahrlosung


Im Jahr 2020 hat es eine deutliche Verlagerung der Beratungs- und Netzwerkarbeit in Richtung telefonischer und digitaler Formate gegeben.

Derzeit ist in allen Fachstellen eine zeitnahe Beratung durch offene Sprechstunden und digitale Zugänge möglich.

Krisenintervention

Die Mobile Einzelfallhilfe des Fachbereiches Senioren als Krisenintervention arbeitet mit folgenden Stellen zusammen, wenn sich eine Suchterkrankung innerhalb einer Fallkonstellation als Problem darstellt:

- Step gGmbH – Fachstelle für Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit (FAM)

- Caritasverband Hannover e.V. – Fachstelle für Sucht und Suchtprävention in Hannover und Garbsen, K-Punkt

- Diakonisches Werk Hannover gGmbH – Suchtberatung

In der Regel funktionieren die Angebote nicht aufsuchend, aber mit der FAM gibt es die Vereinbarung, dass sie im begründeten Einzelfall auch gemeinsam mit der Mobilen Einzelfallhilfe einen Hausbesuch übernehmen.

Zielgruppen und konzeptionelle Ausrichtung

Die Analyse zeigt, dass das Thema „Sucht im Alter“ perspektivisch in zwei Richtungen gehen muss:

Zum einen geht es um ältere Menschen, die erst im fortgeschrittenen Alter ein suchtkrankes Verhalten entwickeln bzw. deren Suchterkrankung erst dann auffällig wird. Dort sind es in der Regel Probleme mit der legalen Drogen Alkohol und/oder einem abhängigen Verhalten mit Medikamenten. Auf der anderen Seite gibt es den Bereich der alternden Suchtkranken, die zum Teil seit Jahrzehnten im Bereich der Sucht- und Drogenhilfe betreut werden. Hier spielt ebenfalls der Konsum von Alkohol und/oder illegalen Drogen eine entscheidende Rolle.

Zukünftige Zielsetzung „Sucht im Alter“

Sowohl bei Menschen, die eine jahrzehntelange Suchtkarriere hinter sich haben, als auch bei denen, deren Abhängigkeit sich erst im fortschreitenden Alter entwickelt hat, stellt sich die Frage, welches Ziel mit den Angeboten der Suchthilfe zu verbinden ist. Es erscheint sehr zweifelhaft, dass das Ziel der Abstinenz gegenüber Suchtmitteln in diesem Lebensabschnitt ein erstrebenswertes Ziel und Grund für die Motivation ist, helfende Angebote in Anspruch zu nehmen. Vielmehr sind für diese Altersgruppe der kontrollierte Konsum bzw. eine akzeptierende Suchthilfe die Grundlage für die Wahrnehmung der Angebote. Da die (Wieder-)Eingliederung ins Berufsleben nur in wenigen Einzelfällen angezeigt ist, steht die Teilhabe am familiären und gesellschaftlichen Leben beziehungsweise deren Wiedererlangung, sowie eine möglichst selbstständige Lebensführung im Vordergrund des Hilfsangebotes. Dieser Fokus auf ein medizinisch-therapeutisches Angebot bedeutet, dass in Einzelfällen die Rentenversicherung und vor allem die Krankenkassen bei den Kostenübernahmen als Gesprächspartner zu wählen sind. Bei Menschen, die weder Ansprüche aus der Renten- noch aus der Krankenversicherung haben, übernehmen die Träger der Sozialhilfe die Kosten.

Suchterkrankung im fortgeschrittenen Alter

Um bei älteren Menschen, die ihr Leben lang keine oder kaum nennenswerte Probleme im Umgang mit Drogen und Medikamenten hatten, die aber im Alter eine entsprechende Problematik entwickeln, bedarf es einerseits Fachkenntnisse, um diese suchtkranken

Veränderungen wahrzunehmen und diese von Alterungsprozessen unterscheiden zu können. Zusätzlich ist es notwendig, die bisherigen Strukturen zu Präventionsangeboten und Krisenintervention für die eigene (Pflege-)Einrichtung zu kennen und zu nutzen.

a) Initiierung des Themas Sucht in der Pflegeausbildung

Die Ausbildung im Pflegeberuf hat sich gewandelt. Heute gibt es keine Sektoren wie Kinder- oder Altenpflege mehr, sondern eine Ausbildung zur Pflegefachfrau/zum Pflegefachmann. Dadurch ist schwieriger geworden, das Thema „Sucht im Alter“ gezielt in den Lehrplan für angehende Fachkräfte der Altenpflege zu konzipieren. Auf der anderen Seite haben sämtliche Auszubildende Pflichteinsätze in wechselnden Einsatzbereichen wie Akutversorgung, Psychiatrie und auch Altenpflege, die mit einem definierten Stundenkontingent hinterlegt sind. Dadurch lernen die Auszubildenden diverse spätere Arbeitsfelder kennen.

Für den Ausbildungsplan soll ein ganzer Schultag im Umfang von acht Schulstunden für das Thema angeboten werden. Der Unterrichtsablauf ist der Anlage 1 zu entnehmen. Ziel ist es, das Thema zu einem regelmäßig wiederkehrenden Thema der Ausbildung in jedem Jahrgang zu machen.

b) aufsuchende Präventionsarbeit

Die Zahlen aus der Analyse belegen, dass alte Menschen und deren Angehörige prozentual nicht die Angebote in Anspruch nehmen, wie es laut der demografischen Zahlen zu vermuten wäre. Aus dem Grund ist es notwendig, diesen Bereich der Präventionsarbeit aus den Fachstellen heraus zu den Pflegeheimen und Senior*innenangebote der Wohlfahrtsverbände und städtischen Einrichtungen zu verlagern. Um dieses auf der Basis einer regelmäßigen Zusammenarbeit zu ermöglichen, ist der nachfolgende Punkt wichtig.

c) Aufbau eines Netzwerkes zwischen der Suchthilfe und der Altenpflege

Beide Bereiche arbeiten selbstständig, aber bislang nur mit wenigen Berührungspunkten zueinander. Besonders für die Themen der Multiplikator*innenschulung, gemeinsamen Präventionsarbeit und der Information über Angebote ergibt sich die Notwendigkeit eines Netzwerkes, welches eine regelmäßige Zusammenarbeit initiieren sollte. Da das Thema Sucht im Alter nach wie vor tabuisiert wird und vielfach mit großen Schamgefühlen belegt ist, benötigt es die Anstrengung von allen Beteiligten, dazu einen Kulturwandel zu bewirken, damit mehr Menschen diese Hilfen in Anspruch nehmen.

Alternde Suchtkranke

Zum anderen gibt es die alternden Suchtkranken, die über jahrzehntelang vor allem illegale Drogen konsumieren und nun in ein Alter kommen, in dem die Bedürftigkeit in Bezug auf Betreuung oder Pflege deutlich ansteigt. Bei Menschen, die in stationären Einrichtungen nach § 67 SGB XII betreut werden, ergibt sich die konkrete Schwierigkeit, dass sie dort nur betreut werden können, wenn sie maximal den Pflegegrad 1 haben. Seit Jahren gibt es große Schwierigkeiten, diese Personengruppe ab einem Pflegegrad 2 in ein pflegerisches Angebot zu übernehmen.

Die Zahlen des Fachbereiches Soziales weisen für das Jahr 2020 aus, dass 330 Leistungsberechtigte eine stationäre Betreuung nach § 67 SGB XII in Anspruch nahmen. Davon waren im gesamten letzten Jahr 40 Männer über 60 Jahre. Zum Stichtag 31.12.2020 war dies bei 25 Männern der Fall. Welche zukünftige Dimension diese Aufgabe einnimmt, zeigen die Zahlen der über 55Jährigen. Dort waren es bereits 92 Männer und 2 Frauen für

das gesamte Jahr 2020 und zum Stichtag 31.12. 59 Männer und 2 Frauen. Hinzu kommt auch noch die Gruppe der Personen, die nach § 73 SGB XII (Hilfe in sonstigen Lebenslagen) Unterstützung bekommen, über 55 Jahre alt und ebenfalls vielfach suchtkrank sind. Diese Gruppe umfasst 39 Menschen.

Für die Zukunft ist die Frage zu klären, ob diese Menschen in einer Senior*innen-Einrichtung oder in einem Haus nach § 67 SGB XII zu betreuen ist, welches konzeptionell den Schwerpunkt auf Suchterkrankte im Alter legt.

Die Basis für die neuen Pflegestärkungsgesetze 1 bis 3 ist die Definition und Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Seit 1. Januar 2017 erhalten alle Pflegebedürftigen einen gleichberechtigten Zugang zu Pflegeleistungen, unabhängig davon, ob sie an körperlichen Beschwerden oder an einer Demenz erkrankt sind. Kognitive oder seelische Einschränkungen – wie sie zum Beispiel bei psychischen Erkrankungen wie Demenz oder Depression auftreten – oder geistige Behinderungen blieben bei der vorherigen gesetzlichen Lage weitestgehend unberücksichtigt. Diese neue juristische Grundlage berücksichtigt auch die unterschiedlichen Formen einer Suchterkrankung. Für die Finanzierung ist die Pflegekasse zuständig.

Für Bewohner*innen stationärer Einrichtungen, in denen sie auf Basis des SGB XII § 67 SGB XII bzw. auf Basis der Hilfen gem. § 75 Abs. 3 §§ 19, 35 i.V. § 73 (Langzeithilfen) betreut werden und in denen sie mitunter bereits 10 bis 20 Jahre leben, bedeutet das Erreichen des Pflegegrades II eine bislang unvermeidbare Weitervermittlung in Pflegeheime. Diesen Pflegegrad bekommen auch vorgealterte Bewohner einer Einrichtung, da der jahrzehntelange Konsum von Suchtstoffen vorzeitig zu Demenzerkrankungen, wie z.B. Korsakow, führen kann.

Der Zeitpunkt des Erreichens eines Pflegegrades, kann jedoch durch entsprechende Unterstützung deutlich hinausgezögert werde. Hierzu bedarf es einerseits einer Begleitung der persönlichen Körper- und Zimmerhygiene, sowie andererseits einer Aktivierung durch eine Alltagsbegleitung bzw. einer angemessenen Tagesstruktur.

Die oben genannten Einrichtungen nach § 67 SGB XII sind weder aus baulichen noch aus personellen Gründen (Betreuungsschlüssel und entsprechende Berufsgruppen) in der Lage, den pflegerischen Bedarf bzw. die Alltagstrukturierung und die Tagesstruktur sicherzustellen.

Bei einer unvermeidlichen Überführung in ein Altenpflegeheim bei Erreichen des Pflegegrad II, wird lediglich der pflegerische Bereich gedeckt, eine altersgerechte Aktivierung und Tagesstruktur ist hier nicht vorgesehen.

Aus diesem Grund gab es allein im „Haus Flensburg“ des Werkheims Hannover e.V. mit ihren Langzeithilfen für alleinstehende Männer in den letzten drei Jahren 19 dieser Fälle.

Für die weitergehende Pflege dieser Menschen gibt es in Hannover mehrere Einrichtungen:


- Pflegeheim & Betreutes Wohnen Hannover - Medizin Mobil, Bodestraße 2-6,

30167 Hannover – 108 Plätze, Schwerpunkt in der Versorgung von Menschen mit Korsakow-Syndrom

- Pflegeheim am Weddigenufer, Königsworther Str. 18, 30167 Hannover – 80 Plätze, Alkoholkonsum wird in der Einrichtung geduldet, Schwerpunkt in der Pflege und Betreuung von Substitutionspatient*innen, HIV, Hepatitis

- Betreuungskette Am Seelberg, Denickeweg 5, 30629 Hannover – 123 Plätze, Schwerpunkt in der Wiedereingliederung von suchtkranken Menschen


Grundsätzlich liegt die Vermittlung häufig nicht im Interesse der Suchtkranken. Diese sind in ihrer jetzigen Umgebung, inklusive der Mitbewohner*innen und dem Personal, oft über viele Jahre vertraut. Eine Neuorientierung birgt zahlreiche Risiken und Nachteile, die unter Umständen zu einer Verstärkung auch der Suchterkrankung führen können.

Diese Vermittlung gestaltet sich in der Praxis auch als sehr schwierig, da die Anzahl der Heime, die diese Menschen mit ihrer schon bei der Vergabe bekannten Suchterkrankung, aufnehmen gering und derzeit nicht bedarfsdeckend sind. Dies führt nicht selten zu dem Dilemma, die alte Einrichtung verlassen zu müssen, ohne eine neue zu haben.

Für die Zukunft sind neben der Weitervermittlung auch Alternativen konzeptionell zu entwickeln, die pflegedürftigen Suchtkranken einen Verbleib in ihren bisherigen Einrichtungen als Option ermöglicht. Dafür ist eine Erhöhung der Zuwendungen für die Pflegeleistungen in den bisherigen Einrichtungen erforderlich. Für diese Mehrkosten muss der örtliche Sozialhilfeträger aufkommen.

Durch medizinische Fortschritte und eine kontinuierliche Begleitung durch die Suchthilfe ist das Durchschnittsalter der Substituierten im Stadtgebiet auf ca. 50 Jahre in den letzten Jahren weiter gestiegen. Durch den § 5c BtMVV (Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung) ist Substitution auch in Pflege- und Altenheimen möglich. Seitdem gibt es bereits Ärzt*innen, die für die Substitution Pflegeheime und stationäre Wohnangebote aufsuchen. Durch das auch in den nächsten Jahren steigende Alter der Substituierten ist grundsätzlich ein Ausbau dieses mobilen Einsatzes, vor allem durch Depotgaben, notwendig. Dies würde die Pflegekräfte vor Ort deutlich entlasten. Mit Hilfe dieser externen, mobilen Unterstützung ist es grundsätzlich allen Pflegeeinrichtungen möglich, auch substituierte, alte Menschen aufzunehmen.

Bislang offen ist die Frage des Umgangs mit Konsument*innen illegaler Drogen, wie Heroin und Crack, die keine Substitution akzeptieren oder bei denen diesbezüglich schon mehrere Versuche der Entgiftung und Substitution fehlgeschlagen sind. Diese Menschen sind sehr schwer in den Alltag einer Pflegeeinrichtung zu integrieren. Denkbar ist die Anmietung von kleinen Wohnungen, in denen sie durch eine mobile Versorgung durch die Diamorphinambulanz und durch einen ambulanten Pflegedienst versorgt werden. Alternativ dazu ist die Anmietung kleiner Wohnungen möglich, in denen die Menschen durch die Diamorphinambulanz und/oder ambulante Pflegedienste versorgt werden können. Eine dritte Möglichkeit ist eine Neueinrichtung einer kleinen Pflegeeinrichtung zu konzipieren, die sich m Schwerpunkt um diese Menschen kümmert.

Fazit:


- Verankerung des Themas „Sucht im Alter“ in der Ausbildung zur Pflege

- Initiierung eines Netzwerkes von Pflegeeinrichtungen und Suchthilfe


· Krisenintervention

· Präventionsangebote in Senior*inneneinrichtung (aufsuchend)

· Beginn mit Rundbrief an alle Senior*inneneinrichtungen und Betreuungsangebote


- Verbleib von älter gewordenen Suchtkranken in ihrer bisherigen Einrichtung ermöglichen

- Erweiterung der Pflegeangebote für suchtkranke, alte Menschen, inkl. eines neuen Angebotes für Konsument*innen illegaler Drogen

- Beratungsangebote in den Suchthilfeeinrichtungen zum Thema Sucht im Alter für Betroffene und Angehörige derzeit bedarfsdeckend

- Vernetzung Suchttherapie vor Ort und Ausbau medizinischer, aufsuchender Arbeit

Berücksichtigung von Gender-Aspekten

Das Angebot gilt für Frauen und Männer gleichermaßen

Kostentabelle

Es entstehen keine finanziellen Auswirkungen

Dez. III 
Hannover / Jun 8, 2021