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Die Verwaltung hat eine vertrauliche Ratsdrucksache über den Verkauf einer ca. 5 ha großen Fläche an die Genossenschaft ecovillage hannover e.G. in die Ratsgremien eingebracht. Da ein öffentliches Interesse an dem ungewöhnlichen Bauprojekt für ca. 500 Wohnungen für ca. 850 Menschen besteht, unterrichtet die Verwaltung hiermit parallel in einer nichtvertraulichen Informationsdrucksache.
Das Areal
Die am Kronsberg Nord gelegenen Grundstücke bestehen aus den in Anlage 1 dargestellten drei Teilflächen, die, wenn dem o.g. Beschlussantrag zugestimmt wird, zeitlich gestaffelt in das Eigentum der Genossenschaft übergehen sollen. Die Genossenschaft übernimmt bei Vertragsunterschrift sofort die Teilfläche C, danach die Teilfläche B (spätestens Ende 2023) und danach die Teilfläche A, spätestens Ende 2025. Die Übernahme dieser weiteren Teilflächen setzt - rückauflassungsbewehrt - die zügige Bebauung der zuvor aufgelassenen Teilflächen voraus.
Die Ziele
Der inhaltliche Ansatz der geplanten Bebauung rückt zum einen das gemeinschaftliche Leben mit einem möglichst geringen ökologischen Fußabdruck und mit einem hohen sozialen Standard in den Mittelpunkt. Zum anderen ist es Ziel der Planungen, gleichzeitig nachhaltigen und bezahlbaren Wohnraum auf einem mit dem ÖPNV gut erschlossenen Grundstücken zu schaffen. In dem „Tiny-Living“-Quartier sollen damit die Vorteile einer Großstadt mit denen einer eher dörflich strukturierten Gemeinde verbunden werden.
Die Planung nimmt die Grundgedanken der Suffizienz auf und konkretisiert sie:
Ziel ist, dass allein wohnende Person nicht mehr als 25 bis 30 m² individuellen Wohnraum nutzen. Maximal zulässig sollen für alle Bewohner*innen, also auch für die „Besserverdienenden“, grundsätzlich die Obergrenzen des öffentlich geförderten Wohnungsbaus sein (Alleinstehende bis 50 m², zwei Haushaltsmitglieder bis 60 m², drei bis 75 m², vier bis 85 m² und fünf bis 95 m²). Hinzu kommen umfangreiche Gemeinschaftseinrichtungen wie gemeinsame Gästezimmer, ein Co-Working-Bereich für „Heimarbeiter*innen“, eine „Bibliothek der Dinge“ (neben Büchern auch andere Medien, Werkzeug usw.) und vieles mehr.
Klimaneutralität
Das Projekt dieser Zielsetzung muss notwendig die Ökologie besonders fokussieren: ecovillage hannover soll vollständig klimaneutral werden. Dies bedeutet, dass der Energieverbrauch soweit wie sinnvoll möglich reduziert wird und dann sämtliche noch benötigte Energie, nicht nur für Heizung und Warmwasser, sondern auch für den benötigten Haushalts- und Gewerbestrom, aus regenerativen Quellen stammen wird. Der im Kaufvertrag festgeschriebene Energiestandard ist somit erheblich höher als bei von der Landeshauptstadt Hannover verkauften Baugrundstücken üblich und nur mit dem zero-E-Park in Wettbergen vergleichbar. Bausteine der Klimaneutralität sind:
- Der Wärme-Grenzwert (Raumheizung, Trinkwarmwasser inkl. Speicher- und Verteilaufwand max. 50 kWh/(m²a) als flächengewichteter Mittelwert über alle Gebäude. Dies bedeutet: Für die Warmwasserbereitung einschl. Speicherverluste benötigt man in der Regel max. 25 kWh/m²a, sodass für die Heizung noch ca. 25 kWh/m²a zur Verfügung stehen. Das bedeutet, dass die mehrgeschossigen Häuser im sogenannten Passivhausstandard ausgeführt werden müssen, bei den mobilen Tinyhäusern aber geringfügig geringere Dämmwerte möglich sind, weil solche Bauten sonst wegen den erheblichen erforderlichen Wandstärken nicht möglich wären.
- Die dann noch benötigte Energie für Heizung und Warmwasser wird ausschließlich regenerativ erzeugt. Aktuell werden folgende Varianten untersucht: a) Anschluss an das Kronsberg-Nahwärmenetz, b) ein gasbetriebenes BHKW, c) ein zentrales mit Tiefenerdwärme gespeistes Wärmepumpensystem d) dezentrale Umgebungsluft-Wärmepumpen.
- Die (begrünten) Dachflächen werden maximal für Photovoltaikanlagen genutzt.
- Es werden möglichst viele Baustoffe eingesetzt, die bei der Herstellung wenig Energie brauchen (insbesondere Holz als nachwachsender Rohstoff).
Aus Emissionsschutz- und Klimaschutzgründen ist eine Stückholzfeuerung in Wohnungseinzelöfen nicht zulässig, auch nicht bei gelegentlicher Nutzung. Die Käuferin verpflichtet sich, alle drei Jahre einen Bericht über die von der Genossenschaft verantworteten Energieverbräuche, die Stromerzeugung, Netzeinspeisung und den externen Energiebezug zu übersenden.
Sonstige Ökologiebereiche
- Angestrebt werden weitgehend in sich geschlossene Stoffkreisläufe u.a. mit vollständiger Regenwasserversickerung und -verdunstung, Abfallminimierung, Grauwasserrecycling, teilweise Komposttoiletten und Wärme- und Nährstoffrückgewinnung aus dem Abwasser.
- ecovillage hannover soll bis auf wenige Ausnahmen im Innern des Quartiers autofrei werden: Ideale Bedingungen für Fuß- und Radverkehr sowie die gute ÖPNV-Anbindung stehen im Vordergrund. Anlieferungen können am Rand des Quartiers abgegeben werden. Es wird ein Minimum an Kfz-Stellplätzen für Carsharing und private Autos bereitgestellt.
- Die auf dem Kronsberg geltenden Standards „Bauen am Kronsberg Mitte und Nord Gesundheits- und umweltverträgliche Baumaterialien“ in der Fassung vom Januar 2018 sind Bestandteil des Kaufvertrages.
Städtebau
In der öffentlichen Wahrnehmung werden Siedlungen dieser Art häufig als städtebaulich/architektonisch fragwürdige unstrukturierte Selbstbauansammlungen missverstanden. Der Ansatz dieses Projektes zeigt einen anderen, sehr professionellen Weg auf:
Die Käuferin ecovillage hannover e.G. verpflichtet sich, auf dem Grundstück Wohngebäude, diesen dienliche Nebenanlagen und nur untergeordnete Flächen für nichtstörendes Gewerbe nach Maßgabe des bestehenden Bebauungsplanes zu errichten. Angestrebt wird eine hohe Baudichte, die den bestehenden Bebauungsplan durch kleine Wohnungen in unterschiedlichen Bauformen ausschöpft. Geplant sind 3- bis 4-stöckige Mehrfamilienhäuser, 2- bis 3-stöckige sogenannte Modulbauten und 10 bis 15 % freistehende mobile Tiny-Häuser in Privateigentum. Gemäß Bebauungsplan stehen ca. 65 % des Grundstückes für die Freiflächen zur Verfügung, sodass ein grünes Wohnquartier mit vielen Begegnungsflächen und auch Gemeinschaftsgärten („Urban Gardening“) entsteht. Im Kaufvertrag ist u.a. folgendes festgelegt: Das neue Quartier ist ein Teil der bestehenden Kronsberg-Bebauung, alle öffentlichen Verkehrs- und Grünflächen bleiben öffentlich für die Allgemeinheit begehbar und nutzbar, die Orientierung der Wohngebäude mit ihren Zugängen und damit ihrer Adressierung soll sowohl zum öffentlichen Straßenraum als auch zu internen Erschließungen hin erfolgen. Stellplatzanlagen sind Bestandteil des Quartiers und sollen keine Barrieren zur Umgebung (Nachbarschaft, Grünanlagen, Verkehrsflächen) bilden.
Um dies unter maßgeblicher Beteiligung der späteren Bewohner*ìnnen umzusetzen ist ein
Städtebaulicher Wettbewerb
angelaufen. Unter Berücksichtigung obiger Vorgaben wird aktuell im Rahmen eines städtebaulichen Wettbewerbs ein Quartiersplan erarbeitet, mit dem die Bau- und Freiflächenstruktur des Quartiers festgelegt wird und der als verbindliche Planungsgrundlage Anlage zum Kaufvertrag wird. Da das Stadtviertel von den späteren Bewohner*innen nach dem Motto „Nicht die Stadtplaner*innen, sondern die Bewohner*innen planen und lassen sich von Fachleuten beraten“ von Grund auf mitentwickelt werden soll, wird bei diesem Projekt ein außergewöhnliches Wettbewerbsverfahren eingesetzt, dem die Architektenkammer wegen der Modellhaftigkeit des Bottom-up-Prozesses zugestimmt hat. Dies läuft wie folgt ab:
- Bei der internationalen Ausschreibung für die Erstellung des Quartierplans haben sich 31 Teams beworben. Sieben ausgewählte Teams haben Ende März mit der Erarbeitung ihrer Vorschläge begonnen.
- Die Teams haben Anfang Juni ihre Arbeiten in einer Zwischenpräsentation vorgestellt. Trotz coronabedingten Einschränkungen haben sich ca. 170 zukünftige Bewohner*innen überwiegend über Internet mit Optimierungsvorschlägen an der Diskussion beteiligt.
- Am 08.09.2020 wird eine Jury drei bis vier Wettbewerbssieger küren. Diese Jury besteht aus 18 Personen, darunter acht Vertreter*innen der ecovillage-AGs. Die Hälfte der Jurymitglieder sind stadtplanerisch geschulte Fachpreisrichter und zur Hälfte Sachpreisrichter. Die Landeshauptstadt Hannover ist in der Wettbewerbsjury durch die Erste Stadträtin und den Stadtbaurat vertreten.
- Die Schlussentscheidung, welcher der drei bis vier von der Jury ausgewählten Entwürfe baulich umgesetzt wird, treffen am 03.10.2020 alle Mitglieder in einer Genossenschaftsmitgliederversammlung.
Die Käuferin hat sich in Ansehung der Ziele des Projektes ecovillage hannover konsequent für die Rechtsform der Genossenschaft entschieden.
Projektträger
Träger des Prozesses ist eine Genossenschaft, die im Oktober 2019 gegründet wurde und jetzt (Stand 07/2020) bereits mehr als 330 Mitglieder hat. Die Genossenschaft baut die Wohnungen und vergibt sie an ihre Mitglieder. Eigentumswohnungen nach dem Wohnungseigentümergesetz (WEG) sind nicht geplant.
Diese Genossenschaft ist aus einem nach Wissen der Verwaltung in Europa so noch nicht umgesetzten umfangreichen Beteiligungs- und Planungsprozess der zukünftigen Bewohner*innen entstanden. Seit einer Auftaktveranstaltung im Januar 2019 haben bisher mehr als 200 Personen in ca. 15 Arbeitsgruppen daran mitgewirkt. In diesem „Bottom-Up-Prozess“ ist ein Konzept entstanden, bei dem die Reduktion des Ressourcenverbrauchs durch selbstbegrenzende Lebensweisen und gemeinschaftliche Lebensformen im Mittelpunkt stehen. Neben dem gemeinsamen Planen und Bauen haben auch andere soziale, ökologische und ökonomische Aspekte eine hohe Bedeutung: Klimaneutralität, gesunde Lebensmittel, Inklusion, Kooperation, Generationensolidarität, Tausch- und Leihsysteme für die Bewohner*innen und vieles mehr. Alle Bewohner*innen erkennen mit ihrem Beitritt zur Genossenschaft eine Charta an, wodurch sie sich zu den Grundwerten Gleichwertigkeit, Gemeinschaft, Nachhaltigkeit und Vielfalt bekennen. Neben den Genossenschaftsgremien gibt es einen 25-köpfigen ecovillage-Dorfrat, in dem zukünftige Bewohner*innen die Bauentscheidungen entscheidend prägen.
Die Genossenschaft hat den Vorteil, dass die Stimmverteilung nicht über die Höhe der Kapitaleinlage gesteuert wird. Dies bildet sich in der Zusammensetzung der Mitglieder ab: nach Auskunft der Genossenschaft entspricht die bisherige Mitgliederzusammensetzung hinsichtlich Alter, Einkommen und Sozialstruktur weitgehend dem hannoverschen Bevölkerungsdurchschnitt: 23 % haben Anspruch auf einen sogenannten „B-Schein“, weitere 29 % haben zusätzlich Anspruch auf eine öffentlich geförderte Wohnung und 48 % sind Zielgruppe des freifinanzierten Wohnungsbaus. 42 % sind Singles, 45 % Erwachsene in Beziehungen und 13 % Kinder und Jugendliche. Durch gezielte Maßnahmen soll der Anteil der Personengruppen erhöht werden, die besonders starke Probleme auf dem Wohnungsmarkt haben (u.a. Migranten, Behinderte, Obdachlose).
Dies wird wiederum in der geplanten Wohnungszusammensetzung umgesetzt, die die folgende Verteilung aufweist - und die als Mindestquoten im Kaufvertrag festgeschrieben ist:
Die Käuferin strebt an über den von LHH grundsätzlich geforderten 30%igen Anteil öffentlich geförderten Wohnraums hinaus max. 40 % gefördert zu errichten ( derzeitiger Planungstand 200 Wohnungen).
Von diesen Wohnungen werden
30 % für B-Schein Inhaber
50 % für Personen mit einem Einkommen im Rahmen des B-Scheins + 20 %
20% für Personen mit einem Einkommen im Rahmen des B-Scheins + 60 %
vorgehalten.
Die Käuferin verpflichtet sich ferner über die generell von der Stadt geforderte Quote von 30% der geförderten Wohnung 40% als Belegrechtswohnungen zu erstellen.
Sie wird über die Fortschritte bei der Erreichung dieser Ziele auf Anforderung Bericht erstatten
Da eine neu gegründete Genossenschaft kein Eigenkapital hat, müssen die Mitglieder einen relativ hohen Eigenanteil aufbringen: 1.000 € bei Eintritt und voraussichtlich 5 bis 8.000 € als Baudarlehen, was sie aber ggfs. in Raten oder durch Eigenarbeit aufbringen können.
Die günstigen Mieten und die Finanzierung der Baudarlehen sollen erreicht werden durch:
- die flächensparenden Wohn- und Lebensformen,
- kostensparende Bauweisen,
- Ratenzahlung,
- die Möglichkeit, in erheblichem Umfang Eigenleistungen beim Bau zu erbringen.
Gender-Aspekte wurden geprüft, kommen hier aber nicht zum Tragen. Die Wohnbebauung kommt allen Geschlechtern gleichermaßen zugute.
Es handelt sich um eine reine Informationsdrucksache. Bezüglich der Belange die eine finanzielle Auswirkung zur Folge haben können, wird auf die gesonderte Beschlussdrucksache zu diesem Vorhaben verwiesen.