Drucksache Nr. 15-1491/2020 F1:
Antwort der Verwaltung auf die
Anfrage Spielhallen, Wettbüros und Spielsucht
Sitzung des Stadtbezirksrates Mitte am 06.07.2020
TOP 8.2.2.

Inhalt der Drucksache:

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Landeshauptstadt HannoverDrucksachen-Zeichen
An den Stadtbezirksrat Mitte (zur Kenntnis)
 
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15-1491/2020 F1
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Antwort der Verwaltung auf die
Anfrage Spielhallen, Wettbüros und Spielsucht
Sitzung des Stadtbezirksrates Mitte am 06.07.2020
TOP 8.2.2.

Bereits am 11. März 2013 fand im Bezirksrat Mitte eine Anhörung zum Thema Spielstätten, Wettbüros und Spielsucht statt. Sowohl im Rahmen der Informationen der Verwaltung als auch bei der Anhörung der Expertinnen und Experten in Sachen Spiel(sucht) wurde deutlich, dass es in Hannover und insbesondere im Stadtbezirk Mitte einen außerordentlichen Schwerpunkt an Spielhallen und Wettbüros sowie an Spielsucht gibt.

Tausende von Menschen, häufig mit gerade erlittenen Schicksalsschlägen geraten in die Fänge einer Industrie, die gerade die Schwächephasen von Mitmenschen ausnutzt, um rücksichtslos Profite zu erwirtschaften. Viele Mitmenschen verlieren dabei alles, ihr Vermögen, ihre Familie, ihr ganzes soziales Umfeld.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Stadtverwaltung der Landeshauptstadt Hannover:
1. Welche rechtlichen Rahmenbedingungen haben sich seit März 2013 für diesen Themenkomplex bis heute geändert und wie sieht die heutige Rechtslage aus? Inwiefern kann die Landeshauptstadt im Rahmen der kommunalen Möglichkeiten die Entwicklung beeinflussen?
2. Wie stellt sich zahlenmäßig die Entwicklung der Spielhallen und Wettbüros seit März 2013 in Hannover und im Stadtbezirk Mitte dar? Wieviele Mitarbeiterkapazitäten stellt die Stadt Hannover für dieses Thema zur Verfügung, welche Maßnahmen hat die Stadt Hannover seitdem ergriffen und warum hat sie nicht mehr getan?
3. Wie viele angekündigte und unangekündigte Kontrollen von Spielhallen und Wettbüros hat es seit März 2013 von Spielhallen und Wettbüros im Stadtbezirk Mitte gegeben, wie viele davon in Zusammenarbeit mit dem Gewerbeaufsichtsamt, der Steuerfahndung und der Staatsanwaltschaft und welche Ergebnisse hat es dabei gegeben?

Die Verwaltung beantwortet die Anfrage wie folgt:

1. Zum 01.07.2013 trat die erste Übergangsfrist des bis zum 30.06.2021 gültigen Glücksspielstaatsvertrages (GlüStV) in Kraft. Danach galten sämtliche Spielhallen als erlaubt, denen nach dem 28.10.2011 eine Erlaubnis nach § 33i der Gewerbeordnung erteilt worden ist. Die zweite Übergangsfrist trat zum 01.07.2017 in Kraft. Im Anschluss benötigten alle Spielhallen eine zusätzliche Erlaubnis nach dem GlüStV. Diese erhielten alle Spielhallen, denen vor dem 28.10.2011 eine Erlaubnis nach § 33i GewO erteilt worden ist und die sich weder in einem Mehrfachkomplex noch in einem Abstand von unter 100m Luftlinie zueinander befunden hatten.
Das Verbot von Mehrfachkomplexen sowie eine grundsätzliche Abstandsregelung zwischen zwei Spielhallen (echte Konkurrenz) wurden im März 2017 durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt. Der 100m-Abstand ist im Nds. Glücksspielgesetz (NGlüSpG) festgeschrieben. Auswahlkriterien, sofern eine echte Konkurrenz besteht, findet man allerdings erst in der Neufassung des Gesetzes, welches zum 01.06.2020 in Kraft getreten ist. Auf Weisung des Nds. Wirtschaftsministeriums wurden im Jahr 2016 echte Konkurrenzsituationen per Los entschieden und anschließend rechtlich umgesetzt. Diese Entscheidungen wurden noch im Jahr 2017 durch entsprechende Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts in Lüneburg aus Gründen einer fehlenden Rechtgrundlage für das Losverfahren (Vorbehalt des Gesetzes) für rechtswidrig erklärt. Die in den Losverfahren unterlegenen Spielhallen erhielten anschließend auf 6 Monate befristete und zuletzt bis zum 31.10.2020 verlängerte Erlaubnisse. Die Spielhallen in den ehemaligen Mehrfachkomplexen wurden auf eine Halle je Komplex im Verlauf des 2. Halbjahres 2017 reduziert.
Aktuell besteht weiterhin das Verbot von Mehrfachkomplexen sowie das Abstandsgebot von 100m zwischen zwei Spielhallen. Auswahlkriterien sind nun im NGlüSpG enthalten und werden kurzfristig noch in diesem Jahr im Rahmen neu aufgenommener Auswahlverfahren umgesetzt. Das NGlüSpG sieht nunmehr die Möglichkeit vor, dass im Wege der „Befreiung“ nach § 10e ehemalige Betreiber von Mehrfachkomplexen auf Antrag eine zusätzliche Spielhalle in diesem Komplex bis zum 30.06.2021 betreiben dürfen. Einen solchen Antrag haben bislang 17 Betreiber gestellt. Eine Verlängerung über den 30.06.2021 hinaus ist für diese zusätzlichen Spielhallen gesetzlich aktuell nicht vorgesehen.
Für Wettvermittlungsstellen gibt es seit Dezember 2019 eine Neufassung des NGlüSpG. Demnach gilt seither ebenfalls das Abstandsgebot von 100m Luftlinie zwischen zwei Wettannahmestellen. Für am 31.12.2019 vom selben Vermittler betriebene Wettvermittlungsstellen gilt bis zum 30.06.2021 ein Bestandsschutz für die Unterschreitung des Mindestabstands. Eine gewerberechtliche Zuständigkeit für Wettannahmestellen besteht für die Landeshauptstadt Hannover allerdings nicht. Für sämtliche Bestimmungen des NGlüSpG mit Ausnahme der Angelegenheiten der Spielhallen ist das Land Niedersachsen, für Wettvermittlungsstellen das Nds. Innenministerium zuständig.

2. Von den 145 Spielhallen an 94 Standorten befanden sich im Jahr 2013 58 Spielhallen an 37 Standorten im Bereich des Stadtbezirks Mitte. Zu dieser Zeit gab es im Stadtgebiet insgesamt 25 sogenannte Mehrfachkomplexe. Das heißt, an einem Standort haben sich mehr als eine Spielhalle in einem Gebäude/Gebäudekomplex befunden. Aufgrund des Ablaufs der zweiten Übergangsfrist des Glücksspielstaatsvertrags zum 30.06.2017 hat sich die Anzahl der Spielhallen im Stadtgebiet deutlich reduziert, so dass es bis zum 31.05.2020 noch 96 Spielhallen an ebenso vielen Standorten gab. Aufgrund der Befreiungsregelung im NGlüSpG wird bis zum 30.06.2021 aktuell an 17 der 96 Standorten jeweils eine Spielhalle zusätzlich betrieben. Dies ist auch rechtskonform mit dem aktuell gültigen Glücksspielstaatsvertrag. Dieser sieht vor, dass bei Vorliegen einer besonderen Härte eine Ausnahme vom Verbot der Mehrfachkomplexe gemacht werden kann. Diese besondere Härte hat die Landesregierung in der Begründung zur aktuellen Änderung des NGlüSpG ausnahmslos bejaht und somit die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen. Für Spielhallenbetreiber besteht demnach ein Anspruch auf eine zusätzliche Halle im selben Gebäude oder Gebäudekomplex.
Tabellarisch stellt sich die Antwort zum ersten Teil der Frage wie folgt dar:

Spielhallen
Standorte
01.03.2013:
145
94
01.03.2013 im StB Mitte
58
37
24.06.2020:
113
96
davon mit Befreiung
17
24.06.2013 im StB Mitte
40
34
davon mit Befreiung
6

Die personellen Kapazitäten für die Überprüfung der Spielhallen haben sich seit dem Jahr 2013 nicht verändert. So teilen sich drei Mitarbeitende im Außendienst weiterhin 70 Prozent einer Vollzeitstelle für diese Aufgabe. Für die verwaltungsrechtliche Umsetzung des Spielhallenrechts stehen eine Vollzeitstelle im Innendienst und zusätzliche, nicht unwesentliche Kapazitäten von zwei Vorgesetzten zu diesem Rechtsbereich zur Verfügung.
Auch wenn es sich bei dem gewerblichen Angebot von Glücksspiel um eine sozial unerwünschte Tätigkeit handelt (BVerfG, Urteil vom 28.03.2006, 1 BvR 1054/01), gilt auch für das Betreiben von Spielhallen der Grundsatz der Gewerbefreiheit. Dieser ist durch diverse Erlaubniserfordernisse im Vergleich zu anderen Gewerbezweigen bereits erheblich eingeschränkt. Insbesondere gilt aber auch hier die grundgesetzlich verankerte freie Wahl des Berufes. Wir setzen seit jeher sämtliche gesetzlichen Vorgaben im Bereich des Spielhallenrechts gewerberechtlich zeitnah um. Des Weiteren überprüfen wir als Gewerbebehörde regelmäßig die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben vor Ort. Weitere Zuständigkeiten ergeben sich für uns nicht, insbesondere nicht der Spielerschutz vor Ort. Wir vertreten auch weiterhin den Standpunkt, dass eine Ausweitung unserer Kontrolltätigkeiten in diesem Bereich nicht sinnvoll ist. In der Regel stellen wir bei unseren stets unangekündigten Kontrollen keine bis wenige und fast ausschließlich geringe gewerberechtlichen Verstöße fest (Unterschreitung des Abstands zwischen den Geräten, versäumter Nachprüfungstermin eines Gerätes). Die Beseitigung der Verstöße wird angeordnet und nachkontrolliert. Ordnungswidrigkeiten werden angezeigt. Häufigere Kontrollen oder längere Verweildauern in einer Spielhalle werden keine zusätzlichen gewerberechtlichen Verstöße sichtbar machen.
Aus Sicht des städt. Beauftragten für Sucht und Prävention wäre es wünschenswert, das Instrument „Testspiele“ auch für den Bereich Spielhallen einzusetzen. Im Rahmen solcher Tests könnte möglicherweise festgestellt werden, ob die Spielhallenaufsichten sich bei auffälligem Spielverhalten auch entsprechend verhalten. Auch könnte damit das noch einzuführende, landesweite Sperrsystem nach § 10g NGlüSpG auf Funktionalität überprüft werden. Testspiele obliegen nach § 22 Abs. 5 NGlüSpG der Glücksspielaufsichtsbehörde. Diese ist nach § 23 Abs. 1 allerdings das Nds. Innenministerium. Sofern der politische Wille ein solches Instrument auch für den Bereich der Spielhallen in der Stadt wünscht, sollte innerparteilich auf die Landespolitik entsprechend eingewirkt werden, damit die gesetzlichen Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Auch könnte die Stadt einen wichtigen Beitrag zur Prävention leisten, wenn sie (freiwillig) auf die Werbung in der Öffentlichkeit für Glücksspiele verzichtet (Plakate, Fahrgast-TV, Werbung in Bussen und Bahnen).
3. Wir erfassen unsere Kontrollen im Bereich der Spielhallen statistisch nicht. Jede Spielhalle wird mindestens einmal jährlich überprüft, im Verdachts- sowie Beschwerdefall und nach Verstößen auch öfter. Wettbüros überprüfen wir mangels Zuständigkeit nicht.
Das Gewebeaufsichtsamt des Landes Niedersachsen ist u.a. zuständig für den Mitarbeiterschutz. Gemeinsame Kontrollen sind daher nur in Ausnahmefällen sinnvoll. Bei der Anfrage steht ja der Spielerschutz und nicht der Mitarbeiterschutz in Spielhallen im Vordergrund. Auch erfolgen keine gemeinsamen Kontrollen mit der Steuerfahndung und der Staatsanwaltschaft. Wenn diese beiden Behörden beteiligt sind, handelt es sich in der Regel um Gründe der Strafverfolgung. Strafverfolgungshilfsbehörde ist die Polizei und nicht die Gewerbebehörde. Sofern es zu rechtskräftigen Verurteilungen von Spielhallenbetreiber*innen kommen sollte, erhalten wir im Rahmen der „Anordnung über Mitteilung in Strafsachen“ (MiStra), für die Beurteilung der weiteren gewerblichen Zuverlässigkeit, Kenntnis.
Allerdings gibt es gemeinsame Kontrollen mit den zuständigen Kollegen des Innenministeriums. Wir kontrollieren gelegentlich gemeinsam Wettvermittlungsstellen, Gaststätten und Spielhallen, sofern der Verdacht besteht, dass in solchen Gewerbetrieben unerlaubt aufgestellte Geldspielgeräte und Wettterminals vorhanden sind.
Die einleitende Aussage, dass es in Hannover einen außerordentlichen Schwerpunkt an Spielhallen geben soll, kann nicht nachvollzogen werden. Im Vergnügungsstättenkonzept ist auf Seite 414 eine Statistik zu Spielhallenstandorten und Spielautomaten im Verhältnis zu Einwohnern abgebildet. Zum damaligen Zeitpunkt lag die Landeshauptstadt Hannover tatsächlich betreffend die Anzahl der Spielhallen deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Die Abbildungen beziehen sich allerdings auf den 01.01.2016 und somit auf einen Zeitpunkt vor Ablauf der zweiten Übergangsfrist des Glücksspielstaatsvertrages. Die Zahlen zum 01.01.2018 wurden mittlerweile durch den Arbeitskreis gegen Spielsucht e.V. auf deren Homepage veröffentlicht. Dort stellt sich die Situation der Landeshauptstadt Hannover im Bundesvergleich durchaus anders dar. Aufgrund der konsequenten Verfolgung der Umsetzung des Verbots von Mehrfachkomplexen in Hannover hat sich die Anzahl der Spielhallen in Hannover wie berichtet um etwa ein Drittel verringert. Mittlerweile ist im Stadtgebiet das Verhältnis von Geldspielgeräten zu Einwohner*innen 1 : 547 (2013: 1 : 236), in ganz Niedersachsen: 1 : 412 (2013: 1 : 275) und im Bundesdurchschnitt 1 : 427 (2013: 1 : 319). Noch deutlicher wird die positive Entwicklung in Hannover, wenn man sich die Einwohner*innen pro Spielhallenstandorte ansieht. In Hannover sind es aktuell 5.659 und im Jahr 2016 waren es lediglich 3.628. Sofern sich an der aktuellen Rechtslage nichts ändert, erwarten wir in der zweiten Jahreshälfte 2021 eine weitere Reduzierung der Anzahl der Spielhallen auf 77. Für den Stadtbezirk Mitte bedeutet dies eine Reduzierung um zehn auf 24 Spielhallen.