Antrag Nr. 15-0854/2020:
Zeitnahe Übermittlung sicherheitsrelevanter Informationen für die potenziellen Opfer von rechtextremistischen Täter*innen

Inhalt der Drucksache:

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Zeitnahe Übermittlung sicherheitsrelevanter Informationen für die potenziellen Opfer von rechtextremistischen Täter*innen

Antrag

Der Bezirksrat möge beschließen:

Die LHH fordert die Polizeidienststellen von Buchholz-Kleefeld auf, bei vorliegenden Informationen über die Gefährdung von Menschen (mit einem gemeldeten Wohnsitz im Stadtbezirk) durch ausdrückliche oder implizit angekündigte Gewalttaten von Rechtsextremist*innen, besonders, aber nicht nur, gegen folgende Personenkreise: Menschen mit Migrationshintergrund, Politiker*innen, Journalist*innen, Helfer*innen von geflüchteten Menschen, Anti-Faschist*innen sowie andere bekannte Feindbilder von Rassist*innen, Ausländerfeind*innen, Islamophob*innen und Anti-Demokrat*innen, die gefährdeten bzw. bedrohten Personen unverzüglich und vollumfänglich über die Gefahrenlage zu informieren. Dabei gilt u.a. allein schon die Nennung einer Person auf einer sog. Feindesliste als indiziell für eine vorliegende Gefährdung.

Begründung


Spätestens seit dem heimtückischen Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) vom 2. Juni 2019 vor seinem Wohnhaus in Istha bei Kassel hat die breite Öffentlichkeit von der Existenz rechtsextremistischer Todeslisten bzw. Feindeslisten Kenntnis bekommen. Über die Gefahren, die von solchen Listen ausgehen, schreibt die Bundeszentrale für Politische Bildung:

"Im Visier der Anti-Antifa-Gruppierungen sind besonders Politiker, Journalisten, Gewerkschafter und Jugendliche, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren. Die Neonazis recherchieren ihre Namen und Fotos sowie Wohn- und Arbeitsadressen, Hobbys, Vereinsmitgliedschaften usw. und veröffentlichen diese dann, oft auf neonazistischen Websites. Personen, die sich auf solchen Listen wiederfinden, werden in der Folgezeit häufig von Neonazis direkt bedroht. Viele Informationen stammen mittlerweile aus sozialen Netzwerken.

Welche Folgen die Erwähnung auf Anti-Antifa-Listen haben kann, zeigte sich beispielsweise am 26. Juli 2011. In jener Nacht wurden in Berlin gleich fünf Brandanschläge auf linke Hausprojekte und das Jugendzentrum der SPD-nahen Jugendorganisation "Die Falken" verübt. Nur durch Zufall wurden die Feuer rechtzeitig entdeckt. Alle betroffenen Projekte waren zuvor auf der Internetseite des "Nationalen Widerstands Berlin" mit Fotos und Adresse als "gute Anschlagsziele" bezeichnet worden." [1]

Folgendes Zitat stammt aus einem interfraktionellen Resolutionsantrag in Göttingen [2]:

"Am Samstag, den 12. November sind trotz offizieller Absage des an der Stadthalle angemeldeten Aufmarschs fünf Mitglieder des sogenannten Freundeskreises nach Beendigung einer Kundgebung in Duderstadt über eine längere Strecke durch die Polizei
eskortiert nach Göttingen gefahren. Dort haben sie vor dem Haus der Familie Ramaswamy belegbar Drohungen wie „Wir kriegen euch alle“ über Megafon ausgestoßen. Der Anmelder der für den Samstagvormittag angekündigten und dann von ihm selbst
abgesagten Demonstration, Jens Wilke, hat die Drohungen auf seiner Facebook Seite wiederholt und ein Foto des Wohnhauses der Familie Ramaswamy eingestellt.

Im Anschluss an die verbalen Drohungen haben die fünf Neo-Nazis auf dem Albani Platz zwei junge Leute mit Waffen angegriffen und erheblich verletzt. Welche Rolle in diesem Zusammenhang die Polizei gespielt hat, muss noch geklärt werden. Danach konnten sie noch einmal vor das Haus der Familie Ramaswamy fahren und ihre Drohungen wiederholen."

Wie man der medialen Berichterstattung entnehmen kann, findet die Polizei diese Todeslisten wenig bedrohlich, z.B. lehnt sie auch die Bezeichnung "Todeslisten" ab.

"Bisweilen werden solche Listen bei Polizeimaßnahmen gegen rechtsextreme oder rechtsterroristische Gruppierungen gefunden. Dies bedeutet leider nicht unbedingt, dass die darauf verzeichneten Personen von der zweifelhaften „Ehre“ erfahren. Auf der Todesliste des rechtsextremen Soldaten und falschen Flüchtlings Franco A. (vgl. BTN) stand etwa die Amadeu Antonio Stiftung, der Täter hatte selbst die Räumlichkeiten bereits ausgekundschaftet. Das erfuhr die Stiftung allerdings aus den Medien, nicht von der Polizei. In Mecklenburg-Vorpommern wurden jüngst 29 Personen von der Polizei informiert, weil sie auf der 25.000 Namen umfassenden Feindesliste der rechtsterroristischen „Prepper“-Gruppe „Nordkreuz“ gestanden hatten. Die liegt allerdings bereits seit 2 Jahren bei der Polizei. In der Regel werden die aufgeführten Menschen nicht benachrichtigt, weil die Polizei grundsätzlich nicht von einer konkreten Gefährdungslage ausgeht. Das heißt, die als „Feind*innen“ verzeichneten erhalten nicht nur keinen Schutz, sondern nicht einmal eine Information darüber, dass sie Schutz bräuchten." [3]

Wie die Tagesschau meldete:

"Über den Umgang mit solchen Listen wird derzeit diskutiert. Das Bundesinnenministerium argumentiert, aus einer "mehr oder weniger zufälligen Zusammenstellung" von Namen, Adressen und Telefonnummern des politischen Gegners ergebe sich noch keine konkrete Gefährdung. Alle dem BKA vorliegenden Listen seien einer individuellen Gefährdungseinschätzung unterzogen worden. Dabei hätten sich bislang keine Anhaltspunkte für eine konkrete Gefährdung von Personen ergeben.

Das Ministerium wies auch die Bezeichnung als "Todes-" oder "Feindeslisten" zurück. NRW-Innenminister Herbert Reul warnte ebenfalls davor, Unsicherheit zu schüren.

Der Forscher Andreas Zick forderte hingegen verbindliche Regeln für Behörden: "Zumindest sollte es Standards für die Meldung geben", sagte der Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Betroffene, die auf solchen Listen auftauchen, müssten ein Recht auf Auskunft haben und darüber, was genau angedroht wird." [4]

Ich bitte Sie daher um Ihre Zustimmung zu diesem Antrag.

Fussnoten:

[1] https://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/173908/glossar?p=4

[2] Resolution für die Sitzung des Rates der Stadt Göttingen am 16.12.2016

[3] https://www.belltower.news/rechtsextreme-todeslisten-und-feindeslisten-eine-uebersicht-86763/

[4] https://www.tagesschau.de/investigativ/feindeslisten-rechtsextremismus-103.html