Drucksache Nr. 1452/2017:
Ausschreibung zur thermischen Klärschlammverwertung und Phosphorrückgewinnung

Informationen:

verwandte Drucksachen:

1452/2017 (Originalvorlage)
2213/2017 (Zusatzantrag)

Beratungsverlauf:

Inhalt der Drucksache:

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Landeshauptstadt HannoverBeschlussdrucksache-ZeichenBeschlussdrucksache
In den Betriebsausschuss für Stadtentwässerung
In den Ausschuss für Umweltschutz und Grünflächen
In den Verwaltungsausschuss
In die Ratsversammlung
 
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1452/2017
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Ausschreibung zur thermischen Klärschlammverwertung und Phosphorrückgewinnung

Antrag,

zu beschließen:

Die Verwaltung wird beauftragt, die thermische Verwertung des bei der Stadtentwässerung Hannover anfallenden Klärschlamms und das Recycling von Phosphor verfahrensoffen europaweit öffentlich mit folgenden Rahmenbedingungen allein oder mit anderen Kommunen gemeinsam auszuschreiben:
1. Der Vertrag soll eine Laufzeit von 25 Jahren haben.

2. Die Ausschreibungsmenge beträgt (ohne andere Kommunen) ca. 13.000 Jahrestonnen Trockenmasse entsprechend ca. 56.000 Megagramm (Mg) maschinell entwässerter Klärschlamm. Die Menge des Klärschlammes kann sich während der Vertragslaufzeit z.B. durch den Ausbau der Kläranlage erhöhen oder durch den Einsatz neuer technischer Verfahren verringern.

3. Bei der Wertung der Ausschreibungsergebnisse werden neben den Kosten eine langfristige Entsorgungssicherheit, ein Konzept für die Rückgewinnung des Phosphors und ökologische Kriterien wie z.B. Transportemissionen berücksichtigt, so dass nicht automatisch das preisgünstigste Angebot zum Zuge kommt.

4. Die Bieter müssen ein Energiekonzept liefern, wie die anfallende Wärme effizient genutzt wird. Die energetische Nutzung der Wärme ist wünschenswert.

5. Die Bieter müssen die Auslastung der Klärschlammmonoverbrennungsanlage vertraglich garantieren.

Berücksichtigung von Gender-Aspekten

Aussagen zur Geschlechterdifferenzierung gemäß Beschluss des Rates vom 03.07.2003 (s. DS 1278/2003) sind im Falle dieser Drucksache nicht relevant, da geschlechterspezifische Auswirkungen nicht ersichtlich sind.

Kostentabelle

Es entstehen keine finanziellen Auswirkungen.

Begründung des Antrages

Die Landeshauptstadt Hannover betreibt zwei Großkläranlagen in einer Größenordnung von rund 1,25 Mio. Einwohnerwerten (EW), in denen das Abwasser der Landeshauptstadt und aus sechs Umlandstädten der Region Hannover gereinigt wird. Durch den Reini- gungsprozess auf den Klärwerken Hannover Herrenhausen und Gümmerwald fallen im Klärwerksverbund jährlich ca. 56.000 Mg maschinell entwässerter Klärschlamm an, der ent- sorgt werden muss.

1. Derzeitiger Stand der Klärschlammentsorgung
Der Klärschlamm der Stadtentwässerung Hannover weist seit Jahren eine sehr gute Quali- tät auf. Dieses wird ihr jährlich als Teilnehmer an dem „Qualitätssicherungssystem Landbau- liche Abfallverwertung“ der VDLUFA-QLA GmbH bescheinigt. Der Klärschlamm hält nicht nur die geltenden Grenzwerte der Klärschlammverordnung und Düngemittelverordnung ein, sondern erschöpft diese Grenzwerte bei weitem nicht aus. Der Klärschlamm ist grundsätz- lich für die Verwendung als Düngemittel in der Landwirtschaft geeignet.

Demzufolge wird zurzeit der überwiegende Teil des Klärschlammes gemäß den bestehenden Verträgen landwirtschaftlich verwertet.

Ein weiterer Teil wird thermisch durch Mitverbrennung z.B. in Kohlekraftwerken verwertet.

Der Rest wird nach Kompostierung mit anderen kompostierbaren Stoffen anschließend im Landschaftsbau als Rekultivierungsmaterial genutzt.

2. Änderung der rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen
Die zukünftige Verwertung des Klärschlammes ist seit Jahren in der Diskussion. Der Bundes-Verordnungsgeber ist seit mehr als 10 Jahren um eine Änderung der Klärschlammverordnung bemüht, die immer wieder angekündigt, aber nicht umgesetzt worden ist.

Das Bild der Klärschlammverwertung in Deutschland ist sehr uneinheitlich. Einige Bundesländer (z.B. Hamburg) verwerten den Klärschlamm zu 100 % thermisch, wohin- gegen der Anteil der landwirtschaftlichen Verwertung des Klärschlammes in den nord- deutschen Flächenländern (Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern) immer noch sehr hoch ist. In Niedersachsen wäre die Monoverbrennung von Klärschlamm zurzeit nicht möglich, da es im gesamten Bundesland noch keine entsprechende Anlage da- für gibt.


2.1 Rechtliche Rahmenbedingungen
Die jetzige Bundesregierung hat in ihrer Koalitionsvereinbarung festgelegt, aus der landwirt- schaftlichen Verwertung von Klärschlamm auszusteigen und den im Klärschlamm ent- haltenen Phosphor zurückzugewinnen.



2.1.1 Klärschlammverordnung
Die Bundesregierung hat zu diesem Zweck die Neufassung der Klärschlammverordnung verabschiedet, der sowohl der Bundestag als auch der Bundesrat zugestimmt haben. Diese wird noch in diesem Jahr in Kraft treten.

Die Verordnung sieht vor, die bodenbezogene Verwertung von Klärschlamm erheblich ein- zuschränken. Betreiber von Abwasserbehandlungsanlagen mit einer Ausbaugröße von mehr als 100.000 EW müssen spätestens 12 Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung Maß- nahmen zur Phosphorrückgewinnung aus Klärschlamm oder aus Klärschlammver- brennungsaschen vornehmen. Sowohl die landwirtschaftliche Ausbringung als auch die Verwendung des Klärschlammes im Landschaftsbau sind danach ab 2029 für sie nicht mehr zulässig.

Aufgrund der Festlegung des Verordnungsgebers, den im Klärschlamm enthaltenen Phos- phor zu recyceln, scheidet die Mitverbrennung von Klärschlamm in Kohlekraftwerken, Ze- mentwerken o.ä. aus, da die Rückgewinnung des Phosphors aus der Asche dieser Anlagen nicht möglich ist. Die Mitverbrennung wäre nur dann zulässig, wenn der Phosphorgehalt des Klärschlammes zu gering ist, weil der Phosphor z.B. zu einem früheren Zeitpunkt im Klär- prozess aus dem Klärschlamm zurückgewonnen worden ist. Dafür gibt es aber (bisher) kein im Großmaßstab funktionierendes Verfahren.

Das gilt auch für die Verfahren, mit deren Hilfe Phosphor aus der Asche zurückgewonnen werden soll. Es gibt mehrere unterschiedliche Verfahren und entsprechende Versuchs- anlagen, aber noch keine Anlage, mit der das Ziel großmaßstäblich erreicht worden wäre.

2.1.2 Düngeverordnung
Die Reform der Düngeverordnung, die am 31.03.2017 vom Bundesrat beschlossen wurde, hat das Ziel, den Nährstoffeintrag in das Grundwasser aus Düngemitteln zu begrenzen.

Zu diesem Zweck wurden u.a. die Ausbringungszeiten und die auszubringenden Klärschlammmengen stark verringert. Allein die Verringerung der auszubringenden Menge führt zu einer Verdoppelung des Flächenbedarfs, was die ohnehin schon angespannte Situation bei der Akquisition neuer Flächen weiter verschärft.

2.1.3 Düngemittelverordnung
Ab Januar 2019 dürfen synthetische Polymere, die als Aufbereitungshilfsmittel (Kondi- tionierungsmittel) im Klärschlamm enthalten sind, nur noch landwirtschaftlich ausgebracht werden, wenn sichergestellt ist, dass diese im Boden hinreichend abbaubar sind. Dafür fehlt es bisher an einem belastbaren Nachweis. Ob dieser endgültig erbracht werden kann, ist fraglich. Sollte der Nach- weis nicht erbracht werden, würde polymerbelasteter Klärschlamm keine Zulassung mehr für die landwirtschaftliche Ausbringung erhalten.

2.1.4 Rechtliche Konsequenzen
Vor diesem Hintergrund steht zu befürchten, dass die landwirtschaftliche Verwertung von Klärschlamm bereits viel früher als erst durch den Ablauf der von der Klärschlamm- verordnung gewährten Übergangsfrist von 12 Jahren tatsächlich nicht mehr möglich sein wird. Nach Ablauf der Übergangfrist wird sie für Betreiber von Großkläranlagen -wie der Landeshauptstadt Hannover- aber definitiv nicht mehr zulässig sein.

2.2 Tatsächliche Rahmenbedingungen
Neben den rechtlichen drohen auch tatsächliche Konsequenzen, weil die Rahmen- bedingungen für die Verwertung des Klärschlammes zusehends schwieriger werden.



2.2.1 Klärschlammverwertungsprobleme
Politische und unternehmerische Entscheidungen haben dazu geführt, dass einzelne Ver- wertungsmöglichkeiten nicht mehr zur Verfügung stehen. Die Entsorger haben verstärkt Probleme, den Klärschlamm unterzubringen. Die Betreiber der Kläranlagen haben ihrerseits zunehmend Probleme, überhaupt einen zuverlässigen Entsorger zu finden. Die Preise für die Entsorgung von Klärschlamm entwickeln sich mitunter sprunghaft nach oben.

Die folgenden Ursachen sind insbesondere für die Verschlechterung der Rahmen- bedingungen der Klärschlammverwertung zu benennen:
- Kohlekraftwerke, in denen die Mitverbrennung von Klärschlamm grundsätzlich mög- lich ist, stehen nicht mehr zur Verfügung, weil die betreffenden Anlagen aufgrund der Energiewende immer häufiger zeitweise oder ganz vom Netz genommen und des- halb runtergefahren werden. Zum Beispiel steht das Braunkohlekraftwerk in Busch- haus dem Markt nicht mehr zur Verfügung, weil es vor kurzem geschlossen worden ist.
- Vielen Müllverbrennungsanlagen fehlen die technischen Voraussetzungen, um den Klärschlamm mitzuverbrennen, weshalb er dort gar nicht erst angenommen wird.
- In ganz Niedersachsen existiert bisher keine einzige Klärschlammmonover- brennungsanlage.
- Die bestehenden Klärschlammmonoverbrennungsanlagen in anderen Bundes- ländern (z.B. in Hamburg) sind ausgelastet und haben keine freien Kapazitäten mehr.

2.2.2 Tatsächliche Konsequenzen
Die Entsorgungssicherheit steht für die Stadtentwässerung Hannover an erster Stelle. D.h. es ist sowohl der Klärprozess aufrecht zu erhalten als auch die ordnungsgemäße Verwer- tung des Klärschlammes zu gewährleisten.

Die stetige Verschlechterung der Rahmenbedingungen für die Klärschlammverwertung in Verbindung mit den Änderungen der gesetzlichen Vorgaben zwingen die Stadtent- wässerung Hannover, ihre bisherige Entsorgungsstrategie zu ändern.

Die bisherigen Entsorgungsmöglichkeiten für den Klärschlamm in der Landwirtschaft und im Landschaftsbau sowie durch Mitverbrennung in Kohlekraftwerken, Zementwerken o.ä. stehen kurz- bzw. mittelfristig nicht mehr zur Verfügung. Infolgedessen kann die Ent- sorgungssicherheit nur dauerhaft gewährleistet und die rechtlichen Vorgaben erfüllt werden, indem sich die Stadtentwässerung Hannover frühzeitig entsprechende Kapazitäten in einer bestehenden oder noch zu errichtenden Klärschlammmonoverbrennungsanlage sichert.

Die Stadtentwässerung Hannover kann nicht abwarten, bis sich der Markt gefunden hat und allein darauf vertrauen, ausreichende Kapazitäten für ihren Klärschlamm zu einem späteren Zeitpunkt in irgendeiner Klärschlammmonoverbrennungsanlage zu finden. Diese Handlungsoption wäre grob fahrlässig und würde die Entsorgungssicherheit gefährden, weil die regelmäßig anfallende Klärschlammmenge dafür zu groß ist.

3. Rahmenbedingungen der Ausschreibung
Vor diesem Hintergrund soll möglichst zeitnah ein Vertragspartner gefunden werden, der den Klärschlamm entweder in einer bestehenden Klärschlammmonoverbrennungsanlage verwertet oder der eine solche Anlage zu diesem Zweck möglichst an zentraler Stelle er- richtet. Aus diesem Grund soll die Laufzeit des Vertrages 25 Jahre betragen, um Bietern, die erst eine Anlage errichten müssen, die notwenige Sicherheit zu geben.


Die Stadtentwässerung Hannover verpflichtet sich, ihren Klärschlamm für die gesamte Ver- tragsdauer in dieser Anlage verwerten zu lassen, wofür ein Preis pro Tonne verwerteten Klärschlamm zu zahlen sein wird. Es ist beabsichtigt, die Kalkulierbarkeit des Preises über die Laufzeit des Vertrages durch eine Preisobergrenze ggfs. mit einer Koppelung an den Preisindex oder einer Staffelung vertraglich zu sichern.

Die Klärschlammmenge der Stadtentwässerung Hannover ist nicht groß genug, um eine Klärschlammmonoverbrennungsanlage auf Dauer rentabel zu betreiben. Aus diesem Grund muss sich der Bieter vertraglich verpflichten, die fehlende Klärschlammmenge seinerseits zu akquirieren, um eine dauerhafte Rentabilität der Anlage zu gewährleisten. Nur dadurch kann eine möglichst langfristige Gebührenstabilität erreicht werden.

Der Bieter muss über eine Klärschlammmonoverbrennungsanlage oder ein geeignetes Grundstück verfügen, auf dem eine solche Anlage rechtlich und tatsächlich errichtet werden kann.

Die Bieter müssen ein schlüssiges Konzept für die Rückgewinnung des im Klärschlamm enthaltenen Phosphors liefern.

Die Bieter müssen ein schlüssiges Energiekonzept erstellen, wie die durch den Ver- brennungsprozess entstehende Wärme energetisch sinnvoll genutzt wird. Es ist wünschens- wert, dass dadurch ein Beitrag zu den städtischen Klimaschutzzielen geleistet werden kann.

4. Fazit
Die Stadtentwässerung Hannover muss ihre bisherige Entsorgungsstrategie für den Klär- schlamm aufgeben und diese an die geänderten Rahmenbedingungen anpassen.

Sie muss die thermische Verwertung von Klärschlamm und das Recycling von Phosphor ausschreiben,
- um die anfallende Klärschlammmenge sicher unterzubringen und

- die Entsorgungssicherheit dauerhaft zu gewährleisten,

- um eine langfristige Gebührenstabilität zu erreichen,

- um ggfs. einen Beitrag zu den Klimaschutzzielen der Landeshauptstadt Hannover zu leisten.
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Hannover / 29.05.2017