Informationsdrucksache Nr. 1338/2019:
Beteiligung der LHH an der Umsetzung des Teilhabechancengesetzes - 10. SGB II ÄndG.

Inhalt der Drucksache:

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1338/2019
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Beteiligung der LHH an der Umsetzung des Teilhabechancengesetzes - 10. SGB II ÄndG.

Am 01.01.2019 trat das vom Bundestag beschlossene zehnte Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Schaffung neuer Teilhabechancen für Langzeitarbeitslose auf dem allgemeinen und sozialen Arbeitsmarkt (Teilhabechancengesetz – 10. SGB II-ÄndG) in Kraft. Für die Betreuung, Integration und Teilhabe von Langzeitarbeitslosen stellt der Bund bis zum Jahr 2022 4 Milliarden € an zusätzlichen Mitteln im Bundeshaushalt zur Verfügung und ermöglicht erstmalig einen „Passiv-Aktiv-Transfer“ in seinem Zuständigkeitsbereich. Dies bedeutet, dass die durch die Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen eingesparten Leistungen zum Lebensunterhalt wiederum zur aktiven Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen in das System einfließen.

Intention des Gesetzgebers

Mit dem Gesetz werden neue Teilhabechancen für Langzeitarbeitslose auf dem allgemeinen und sozialen Arbeitsmarkt geschaffen. Denn trotz guter konjunktureller Entwicklung in Deutschland und rückläufiger Arbeitslosenzahlen in den vergangenen Jahren gibt es nach wie vor eine zahlenmäßig bedeutsame Gruppe von arbeitsmarktfernen Langzeitarbeitslosen, die seit langem Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) beziehen und ohne besondere Unterstützung absehbar keine realistische Chance auf eine Beschäftigung haben. Der nachfolgenden Übersicht kann die Entwicklung der Langzeitarbeitslosenzahlen in der Landeshauptstadt Hannover entnommen werden.

Langzeitarbeitslose in der LHH


12/2015
12/2016
12/2017
12/2018
Langzeitarbeitslose Hannover
11.939
11.171
10.618
9.763

Die Zahlen machen deutlich, dass es bei der Entwicklung der Langzeitarbeitslosen in der Landeshauptstadt Hannover im Zeitraum ab 2015 analog zum Bundestrend nur einen moderaten Rückgang gegeben hat.

Der Gesetzgeber hat mit diesem Gesetz langjährige Forderungen von Praktikern der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungsförderung, Sozialverbänden und kommunalen Spitzenverbänden zum Aufbau eines „Sozialen Arbeitsmarktes“ aufgegriffen.

Inhalt des Gesetzes

Änderung des bestehenden § 16e SGB II: Arbeitgeber*innen können für die nicht nur geringfügige Beschäftigung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die seit mindestens zwei Jahren arbeitslos sind, durch Zuschüsse zum Arbeitsentgelt gefördert werden, wenn sie mit diesen ein Arbeitsverhältnis für die Dauer von mindestens zwei Jahren begründen. Der Zuschuss beträgt im ersten Jahr 75 Prozent und im zweiten Jahr 50 Prozent des zu berücksichtigenden Arbeitsentgelts, das den allgemeinen Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz nicht unterschreiten darf. Anders als in der zuletzt geltenden Fassung des § 16e SGB II knüpft der neue Lohnkostenzuschuss weder bei der Auswahl der förderfähigen Personen, noch bei der Dauer der Höhe der Förderung an Merkmale wie Minderleistung oder das Vorliegen von Vermittlungshemmnissen an.

Einführung § 16i SGB II: Mit diesem Paragrafen wird ein neues Instrument „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ zur Förderung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung sehr arbeitsmarktferner Personen eingeführt (zunächst befristet bis Ende 2024). Gefördert werden Arbeitsverhältnisse mit vom Jobcenter zugewiesenen erwerbsfähigen leistungsberechtigten Personen, die innerhalb der letzten sieben Jahre mindestens sechs Jahre (bei mindestens einem minderjährigen Kind in der Bedarfsgemeinschaft oder bei Schwerbehinderung in den letzten fünf Jahren) Leistungen nach dem SGB II bezogen haben und in dieser Zeit nicht oder nur kurz erwerbstätig waren. Der Lohnkostenzuschuss bemisst sich nach der im Arbeitsvertrag vereinbarten Arbeitszeit und beträgt in den ersten 24 Monaten 100 Prozent des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns (ist der*die Arbeitgeber*in wegen Tarifvertrag zur Zahlung eines höheren Entgelts verpflichtet, bemisst sich der Zuschuss nach dem zu zahlenden Arbeitsentgelt) zuzüglich des auf dieser Basis berechneten pauschalierten Anteils des*der Arbeitgeber*in am Gesamt-Sozialversicherungsbeitrag abzüglich des Beitrags zur Arbeitsförderung. Der Zuschuss sinkt in den folgenden drei Jahren um jeweils 10 Prozent pro Jahr. Die Förderdauer beträgt bis zu fünf Jahre. Der Zuschuss richtet sich an alle Arbeitgeber*innen unabhängig von Art, Branche, Rechtsform und Region und gleich ob diese erwerbswirtschaftlich tätig, gemeinnützig oder kommunal verfasst sind. Die Kriterien Zusätzlichkeit, Wettbewerbsneutralität und öffentliches Interesse sind keine Fördervoraussetzung. In den ersten zwölf Monaten der Beschäftigung hat der*die Arbeitgeber*in den*die Arbeitnehmer*in in angemessenen Umfang für eine regelmäßige beschäftigungsbegleitende Betreuung (Coaching) Dritter unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts freizustellen. Angemessene Zeiten einer erforderlichen Weiterbildung oder eines betrieblichen Praktikums bei einem*r anderen Arbeitgeber*in, für die der*die Arbeitgeber*in den*die Arbeitnehmer*in unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts freistellt, sind förderfähig. Für Weiterbildung kann der*die Arbeitgeber*in je Förderfall Zuschüsse zu den Weiterbildungskosten von insgesamt bis zu 3.000 Euro erhalten. Die Befristung einer nach § 16i SGB II geförderten Beschäftigung ist bis zu einer Dauer von fünf Jahren zulässig. Bis zur Gesamtdauer von fünf Jahren ist auch die höchstens einmalige Verlängerung eines zunächst kürzer befristeten Arbeitsvertrages zulässig.

Bundesweit sollen im Rahmen des § 16i SGB II bis zu 150.000 Frauen und Männer gefördert werden. Das Jobcenter Region Hannover plant Angebote für bis zu 1.400 Menschen.

Umsetzung des § 16 i SGB II in der Landeshauptstadt Hannover

Seit nunmehr über 30 Jahren engagiert sich die Verwaltung für die Beschäftigung und Qualifizierung arbeitsloser bzw. langzeitarbeitsloser Menschen in dieser Stadt und bietet so als Partnerin der arbeitsmarktpolitischen Institutionen die Möglichkeit zur sozialen Teilhabe durch Beschäftigung. Mit dem nun vom Bundestag beschlossenen Teilhabechancengesetz bietet sich die Möglichkeit, dieses Engagement auf ein qualitativ neues Niveau zu bringen.

Aufgrund der positiven Rahmenbedingungen des vorliegenden Gesetzes bezüglich Finanzierung und Einsatzmöglichkeiten sowie den langjährigen Erfahrungen der städtischen Beschäftigungsförderung mit der operativen Umsetzung von beschäftigungsfördernden Maßnahmen hält die Verwaltung den Einsatz von bis zu 100 langzeitarbeitslosen Menschen, die auf der Grundlage des § 16i SGB II gefördert werden, für realisierbar. Die in der Regel fünfjährige Beschäftigung soll im Rahmen der städtischen Beschäftigungsförderung OE 50.4 und in verschiedenen Fachbereichen der Verwaltung erfolgen. Darüber hinaus wird ein Einsatz auch bei den Beteiligungen der LHH bzw. stadtnahen Unternehmen geprüft (z.B. bei aha). Ziel ist eine sinnvolle Beschäftigung der langzeitarbeitslosen Personen, die auch einen Nutzen für die Bürger*innen entfaltet. Bezüglich des Einsatzes der geförderten Personen gibt es keine gesetzlichen Einschränkungen. Allerdings wird es sich überwiegend um Helfer*innentätigkeiten auf einfachem Niveau handeln. Es muss davon ausgegangen werden, dass die beschäftigten Personen häufig sehr große Defizite mitbringen, die eine umfassende Begleitung und Betreuung erfordern. Dabei gilt, je höher der Vor- oder Ausbildungsstatus einer teilnehmenden Person ist, umso größer sind die individuellen Defizite, da ansonsten im Rahmen des Fachkräftemangels eine Vermittlung in den Arbeitsmarkt bereits erfolgt wäre. Die Einmündung dieses Personenkreises auf nicht besetzte Planstellen wird sicherlich nur selten möglich sein. Allerdings sollte es auch nach dem Willen des Gesetzgebers immer das Ziel sein, eine ungeförderte Dauerbeschäftigung zu erreichen. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Übernahme nach dem Förderzeitraum besteht nicht.

Zwei Fallbeispiele
1. Herr X
Herr X, geboren 1963 in Hannover, ist seit 2017 im Stützpunkt Hölderlinstraße in einer AGH-Maßnahme (Arbeitsgelegenheit § 16d SGB II) beschäftigt. Bis zur Aufnahme dieser Beschäftigung war Herr X elf Jahre arbeitslos. An unterschiedlichen Maßnahmen des Jobcenters hat er teilgenommen, ohne eine reguläre Beschäftigung aufnehmen zu können. Da er in der AGH-Maßnahme als zuverlässiger, pünktlicher und interessierter Teilnehmer erlebt wurde, der die für ihn ungewohnten Arbeiten gewissenhaft und mit hohem Anspruch an sich selbst erledigt, wurde ihm ein gefördertes Arbeitsverhältnis in Rahmen des Teilhabechancengesetzes auf der Grundlage des § 16i SGB II angeboten. Herr X verspricht sich von der Beschäftigung eine Verbesserung seines Rentenkontos und von dem beschäftigungsbegleitenden Coaching Unterstützung bei der Bewältigung seiner Überschuldung.
2. Herr Y
Herr Y ist 44 Jahre alt und hat nach der Mittleren Reife eine Ausbildung zum Maler und Lackierer erfolgreich abgeschlossen. Er hat danach in verschiedenen Berufen des Bauhauptgewerbes erfolglos versucht, dauerhaft beschäftigt zu werden. Seine psychischen Störungen ließen ihn immer wieder in die Arbeitslosigkeit zurückfallen und parallel ergaben sich private Problemlagen wie Miet- und Energieschulden, durch die er in die Obdachlosigkeit abzurutschen drohte.
Durch eine AGH „Neue Wege“ wurde er im Bereich 50.4 aufgefangen und fand neben der Regulierung seiner privaten Probleme wieder Freude an seinem erlernten Beruf. Er ist derzeit in psychotherapeutischer Behandlung, durch die er sich bereits so gut stabilisiert hat, dass er erfolgreich im Arbeitsgebiet Innenraum mitarbeitet und ihm das Angebot einer Beschäftigung auf der Grundlage des § 16i SGB II unterbreitet werden konnte.
Das realistische Ziel von Herrn Y ist die Integration auf den ersten Arbeitsmarkt durch die Maßnahme spätestens nach Ablauf der 5 Jahre.

Die Federführung für die städtischen Aktivitäten im Rahmen des § 16i SGB II liegt bei Dez. III im Fachbereich Soziales. Neben der praktischen Umsetzung in den operativen Arbeitsgebieten des Bereiches 50.4 Beschäftigungsförderung und Stützpunkt Hölderlinstraße soll auch die Umsetzung des Teilhabechancengesetzes bei den übrigen Fachbereichen und Betrieben der LHH durch den Bereich Beschäftigungsförderung koordiniert und unterstützt werden. Insbesondere stehen hierbei folgende Aufgaben im Mittelpunkt:
· Abgrenzung und Abstimmung der neuen Beschäftigungsmöglichkeiten mit den bestehenden Maßnahmen der Beschäftigungsförderung
· Aufträge und Einsatzmöglichkeiten bei den städtischen Fachbereichen abklären
· Abstimmung von Tätigkeitsprofilen mit dem Jobcenter Region Hannover hinsichtlich der Möglichkeit geeignete Bewerber*innen im verfügbaren Personenkreis zu akquirieren
· Durchführung eigener Einstellungsverfahren und Begleitung der Einstellungsverfahren der anderen Fachbereiche und Betriebe der LHH
Die Abstimmung der Tätigkeiten und Arbeitsfelder für die zu beschäftigenden Menschen bedarf einer umfangreichen Organisation, Planung und Abstimmung mit den Fachbereichen der Verwaltung. Darüber hinaus ist die Verwaltung und Betreuung der mit Einschränkungen behafteten Menschen mit einem erheblichen Aufwand verbunden, der im Rahmen der bestehenden Strukturen ohne finanziellen Ausgleich erbracht werden muss.
Zum 01.05.2019 wurden im Bereich 50.4 Stützpunkt Hölderlinstr. die ersten 9 Arbeitsverhältnisse in unterschiedlichen Arbeitsbereichen abgeschlossen. Es handelt sich hierbei in erster Linie um Helfer*innen und um einige Facharbeiter*innen. Weitere zehn Einstellungen sind zum 01.06.2019 geplant, danach erfolgen sukzessive weitere Einstellungen.

Finanzierung

Das Gesetz sieht eine degressive Förderung vor. In den ersten beiden Jahren werden
100 % der förderfähigen Lohnkosten (AG-Brutto ohne Jahressonderzahlung, Prämien, ZVK u. GUV) übernommen. Ab dem dritten Jahr reduziert sich diese Förderhöhe um jeweils 10 % pro Jahr. Der Eigenfinanzierungsanteil der LHH, der je nach Modellrechnung für fünf Jahre zwischen 6,8 und 8,5 Mio. € liegt, muss erwirtschaftet bzw. durch vorhandene Budgetansätze der anderen Fachbereiche gedeckt werden. Im Rahmen der städtischen Beschäftigungsförderung soll der Eigenfinanzierungsanteil durch entsprechende Einnahmen aus Aufträgen der Fachbereiche finanziert werden. Das Fördervolumen vom Jobcenter über 5 Jahre gerechnet kann auf ca. 17 Mio. € beziffert werden.


Fazit

Mit dem vorliegenden Teilhabechancengesetz kann für viele Menschen in dieser Stadt ein Angebot zur sozialen Teilhabe durch Beschäftigung ermöglicht werden. Durch die Bereitstellung von Arbeit im kommunalen Interesse der LHH ist sinnvolle Beschäftigung möglich, die zugleich einen positiven Beitrag für die Bürger*innen leistet. Mit diesem Projekt werden zudem in einem erheblichen Umfang zusätzliche Bundesmittel in Höhe von
17 Mio. € für die LHH akquiriert. Aufgrund des konsumtiven Nachholbedarfs langzeitarbeitsloser Menschen kann davon ausgegangen werden, dass ein großer Teil der veranschlagten Finanzierungsmittel in den lokalen Wirtschaftskreislauf fließt.

Wird das Teilhabechancengesetz bundesweit erfolgreich umgesetzt, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Gesetzgeber diese sinnvolle Förderung auch nach dem Jahr 2025 weiter anbietet.

Berücksichtigung von Gender-Aspekten

Es gibt keine geschlechtlichen, kulturellen und religiösen Einschränkungen der Zielgruppe. Angesprochen sind Frauen wie Männer sowie Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen.

Kostentabelle

Es entstehen keine finanziellen Auswirkungen.

50.4 
Hannover / 13.05.2019