Informationsdrucksache Nr. 1221/2019:
Aktionsprogramm Bienenschutz - Strategien und Maßnahmen im Fachbereich Umwelt und Stadtgrün

Inhalt der Drucksache:

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Aktionsprogramm Bienenschutz - Strategien und Maßnahmen im Fachbereich Umwelt und Stadtgrün

Der anhaltende Rückgang von Insekten, vielfach mit den Begriffen „Bienensterben“ oder „Insektensterben“ umschrieben, rückt immer stärker in den öffentlichen Fokus. Erst kürzlich zeigte das erfolgreiche bayerische Volksbegehren "Rettet die Bienen" sehr eindrucksvoll, welche Bedeutung dem Erhalt der Artenvielfalt in der breiten Bevölkerung beigemessen wird.

Im vom Rat beschlossenen Antrag „Förderung von Bienen durch vielfältigere Blumenwiesen“ (DS 1660/2018) wurde die Verwaltung beauftragt, Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung von Bienen in Hannover aufzuzeigen. Es sollen insbesondere bessere Lebensbedingungen durch öffentliche Blumenwiesen geschaffen werden. Ähnliche Forderungen wurden in Anträgen „(In) Hannover blüht was“ (DS 2180/2018) und im Haushaltsbegleitantrag „Blühflächen anlegen“ zur DS 1297/2018 beschlossen.

Der Fachbereich Umwelt und Stadtgrün nimmt den Auftrag gerne entgegen, den Schutz und die Förderung von Bienen in Hannover zu verbessern. Der Fachbereich setzt sich bereits seit vielen Jahren für den Schutz von Insekten und speziell Wildbienen als wichtigen Teil der biologischen Vielfalt ein. Aktuell wird ein „Aktionsprogramm Bienenschutz“ ausgearbeitet. In diesem Aktionsprogramm wird aufgezeigt, wie die Belange des Bienenschutzes bereits im Verwaltungshandeln berücksichtigt werden und welche Maßnahmen und Projekte zukünftig erforderlich sind.

Hintergrund: Bedeutung, Gefährdung und Schutz von Wildbienen
Was sind Wildbienen?

Der Begriff „Wildbiene“ wird verwendet, um die Vielzahl der in der Natur freilebenden Bienenarten von der von Imker*innen als Nutztier gehaltenen Honigbiene zu unterscheiden. In Deutschland kommen ca. 570 Wildbienenarten vor (weltweit ca. 20.000 Arten). Hierzu zählen u.a. die Sand-, Mauer- oder Pelzbienen sowie auch die Hummeln.



Im Gegensatz zur Honigbiene leben die meisten Wildbienenarten alleine (solitär) und überwintern nicht als Volk. In der Wahl des Nistplatzes, des Baumaterials und der Nahrungspflanzen sind viele Wildbienenarten hochspezialisiert.

Wildbienen übernehmen eine Schlüsselrolle in unseren Ökosystemen. Als Hauptbestäuber einer Vielzahl von Wildkräutern und Kulturpflanzen sind sie unersetzlich. Gemeinsam mit anderen Insekten stellen Wildbienen eine wesentliche Voraussetzung für die Lebensmittelproduktion und für den Erhalt der Diversität von Wildpflanzen dar. Der monetäre Wert der Insekten-Bestäubung in Europa wird auf mehrere Millionen Euro pro Jahr beziffert. Zahlreiche Tierarten (z.B. Vögel) sind ihrerseits auf Wildbienen als Nahrungsgrundlage angewiesen. Dementsprechend wirkt sich der dramatische Rückgang der Insekten auch auf andere Arten und Ökosysteme aus.

Gefährdungsursachen

Wildbienen reagieren aufgrund ihrer spezialisierten Lebensweise besonders empfindlich auf Beeinträchtigungen des Lebensraumes. Aktuell werden 52 % der Wildbienenarten in der Roten Liste Deutschlands geführt. Mehr als 40 % der Arten zeigen einen langfristig negativen Trend in der Bestandsentwicklung.



Zu den wesentlichen Gefährdungsursachen zählen:

• intensive Landwirtschaft (Flurbereinigung, großflächige Monokulturen,


intensivierte Grünland- und Ackernutzung, Wildkräuterbekämpfung)
• Flächenverluste durch Bebauung und Versiegelung
• „aufgeräumte“ und zu häufig gemähte öffentliche Grünflächen und private
Gärten

Schutzerfordernisse

Die Grundlage des Wildbienenschutzes bildet die Erhaltung der Lebensräume, d.h. die gleichzeitige Erhaltung der Nahrungsquellen sowie der Nistplätze in ausreichender Qualität und Quantität in enger Nachbarschaft.



Ein vielfältiges und kontinuierliches Blütenangebot von März bis September sichert die Ernährung der Bienen. Ein breites Angebot an Kleinstrukturen zum Nisten sichert die Fortpflanzung der Wildbienen. Bei zahlreichen Arten muss außerdem das für den Bau der Brutzellen erforderliche Baumaterial zur Verfügung stehen. Zudem müssen weitere Gefährdungsfaktoren, wie z.B. Pestizide in der Landwirtschaft, vermieden bzw. reduziert werden.

Je nach Gebiet und vorkommenden Arten sind unterschiedliche Schutzmaßnahmen erforderlich. Aufgrund spezieller ökologischer Ansprüche können viele Wildbienenarten nicht im Siedlungsraum existieren. Für diese, meist hochspezialisierten, Arten müssen die überlebenswichtigen Lebensräume wie z.B. Trockenrasen, Magerwiesen, Sandheiden, lichte Wälder oder Schilfröhrichte durch gezielte Pflegemaßnahmen erhalten werden.

Auch im Siedlungsbereich können die Lebensbedingungen für Wildbienen und andere Insekten gefördert werden. Spontan aufwachsende und blütenreiche Wildkräuter auf Ruderalflächen, in Pflasterritzen, an Mauern oder unter Bäumen müssen als Futterquelle für blütenbesuchende Insekten geschätzt werden. An Wegrändern, in Klein- und Privatgärten sowie auf öffentlichen Grünflächen muss ein vielfältiges Nahrungsangebot geschaffen werden, indem geeignete Blühpflanzen gefördert werden.
Hierbei sollte darauf geachtet werden, dass gebietseigene Wildkräuter und regionaltypische Kulturkräuter verwendet werden. Eine Reihe von Wildbienenarten kann auch gefördert werden, indem Nistmöglichkeiten geschaffen werden.
Bereits einfache Maßnahmen, wie z.B. die Schaffung von besonnten Totholzstrukturen (insb. stehendes Totholz) oder Offenbodenbereichen, können hier zielführend sein. Zusätzlich können „Insektenhotels“ erreichtet werden, die allerdings nur bei fachgerechter Ausführung wirksam für den Wildbienenschutz sind.

Bisherige Handlungsansätze und Maßnahmen zur Förderung von Wildbienen in der Landeshauptstadt Hannover

Die Bereitschaft, sich von öffentlicher Seite für den Schutz von Wildbienen und anderen Insekten als wichtigen Teil der biologischen Vielfalt einzusetzen, ist in Hannover bereits seit vielen Jahren vor­handen. Zu nennen sind insbesondere die zahlreichen Maßnahmen und Projekte im Rahmen des kommunalen Biodiversitätsprogramms „Mehr Natur in der Stadt“.

Dabei lassen sich grundsätzlich zwei strategische Handlungsansätze unterscheiden:

Direkte Maßnahmen zum Wildbienenschutz konzentrieren sich auf die für Wildbienen besonders wertvollen Lebensräume in den Landschaftsräumen (z.B. Erhalt und Entwicklung von Offen­biotopen)
Maßnahmen, die indirekt zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Wildbienen und anderen Insekten beitragen (z B. ökologische Landwirtschaft, naturnahe Pflege von Grünflächen, Anlage von artenreichen Blühflächen oder Bekämpfung von invasiven Pflanzenarten)

Untersuchungen im Rahmen des Tierartenhilfsprogramms

Seit 2013 werden in Hannover regelmäßig Wildbienen im Rahmen des Tierartenhilfsprogramms kartiert. Der Umfang und die Kontinuität dieser Wildbienenerfassung stellt im Vergleich zu anderen bundesdeutschen Städten eine Besonderheit dar.



Bisher wurden über 250 Wildbienenarten für Hannover nachgewiesen. Darunter befinden sich mehrere Erstnachweise für Niedersachsen sowie weitere bundesweit bedeutsame Funde.

Von besonderer Bedeutung für die hohe Artenvielfalt in Hannover sind die Landschaftsräume mit ihren naturnahen und extensiv gepflegten Lebensräumen. Hier finden sich noch geeignete Nahrungs- und Nistplatzangebote im engen räumlichen Zusammenhang, die vielerorts durch die Intensivierung der Landwirtschaft und durch die Versiegelung von Flächen (z.B. durch Wohnungs- oder Straßenbau) verloren gegangen sind.

Spezielle Artenschutzmaßnahmen

Basierend auf den Untersuchungsergebnissen wurden bereits Artenschutzmaßnahmen für besonders wertgebende Bienenarten umgesetzt. Auf der „Alten Bult“ wurden z.B. Maßnahmen zur Förderung der Zaunrüben-Sandbiene umgesetzt. Diese Art sammelt den Proviant für ihre Brut nur an Zaunrüben. Es wurden deshalb in Kooperation mit dem BUND Bestände der Zaunrübe in der Stadtgärtnerei der LHH gezüchtet und auf der Fläche ausgebracht.


Entwicklung der Landschaftsräume

Die Erkenntnisse zu den vorkommenden Wildbienenarten werden auch bei Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen in den Landschaftsräumen berücksichtigt.


Maßnahmen in den letzten Jahren waren z.B.:

• Segelfluggelände: Anpassung des Mahdregimes zur Schaffung eines vielfältigeren Blütenangebots
• Fuhrbleek: Entwicklung von offenen Sandflächen und sonnenexponiertem Totholz
• Altwarmbüchener Moor: Verjüngung der Moorheiden
• Badebornteich: Verbesserung des Bodensubstrates (Kooperation mit BUND)

Berücksichtigung möglicher Konkurrenzsituationen mit der Honigbiene

Derzeit sind 251 Bienenhalter*innen mit 1097 Bienenvölkern in Hannover gemeldet (Stand 2018).



Grundsätzlich besteht zur Konkurrenz zwischen Honigbiene und Wildbienen noch ein großer Forschungsbedarf. In der Landeshauptstadt Hannover wurde bereits im Jahr 2014 ein Gutachten beauftragt, welches den Kenntnisstand zum Thema zusammengetragen hat. In diesem Gutachten wurden auch konkrete Untersuchungen zur Konkurrenzsituation in den Bereichen Alte Bult, Leineauen und Kronsberg durchgeführt. Es wurden Handlungsempfehlungen erarbeitet, die als Grundlage für Entscheidungen über die Ansiedlung von Honigbienen genutzt werden können.

Demnach kann das Aufstellen von Honigbienenstöcken eine zusätzliche Futterkonkurrenz für die spezialisierten und weniger konkurrenzstarken Wildbienen erzeugen und somit einen weiteren Rückgang bewirken. In räumlicher Nähe zu besonderen Wildbienenvorkommen sollten daher vorsorglich keine weiteren Honigbienenstöcke aufgestellt sowie das Nahrungsangebot zur Reduzierung von möglichen Futterkonkurrenzen erhöht werden.

Ökologisches Grünflächenmanagement

Öffentliche Grünflächen bieten ein besonderes Potenzial zur Förderung von Insekten im Stadtgebiet. Einsaaten von blütenreichen und gebietsheimischen Wildpflanzen erfolgten bereits auf Flächen des Verkehrsgrüns und in Parkanlagen. In einer Reihe von Projekten werden aktuell Möglichkeiten zur weiteren ökologischen Optimierung des Grünflächenmanagements erarbeitet:



„Stadtgrün – Artenreich und Vielfältig“: Seit 2016 wird im Grünzug Roderbruch ein naturnahes Pflegekonzept erprobt, welches die vielfältigen Nutzungsansprüche in öffentlichen Grünanlagen und die Förderung der biologischen Vielfalt durch naturnahe Pflege vereint. Maßnahmen sind z.B. die Pflanzung von gebietsheimischen Gehölzen, die Einsaat von Wildpflanzen sowie der Einbau von Totholzstapeln, Trockenmauern und Lesesteinhaufen. Die Ergebnisse aus dem Projekt sollen in Pflegekonzepte vergleichbarer Grünflächen aufgenommen und stadtweit übertragbar werden.

„Städte wagen Wildnis – Vielfalt erleben“: Es wird der Frage nachgegangen, welche Bedeutung „verwilderte“ Flächen im städtischen Kontext für den Erhalt der biologischen Vielfalt besitzen. Auf ausgewählten Flächen, darunter Teile von Grünverbindungen, Ruderalflächen und städtische Waldflächen, werden Pflegeeingriffe unter Artenschutz-Gesichtspunkten minimiert und/oder eine (gelenkte) Sukzession ermöglicht. Im Rahmen einer wissenschaftlichen Begleitforschung werden auch Wildbienen auf den Projektflächen untersucht.

„Ökologische Nische Friedhof“: In Zusammenarbeit mit dem BUND werden auf den Stadtfriedhöfen Stöcken und Lahe Maßnahmen zur Förderung von Wildbienen durchgeführt, wo es mit dem Friedhofszweck vereinbar ist. Es wurden bereits Wildblumenwiesen und Mustergräber angelegt, ein Insektenhotel aufgestellt und heimische Obstgehölze neu gepflanzt. Durch öffentlichkeitswirksame Maßnahmen sollen die Besucher*innen und Beteiligten für das Thema Wildbienen und biologische Vielfalt sensibilisiert werden. Zum Abschluss des Projekts soll der Erfolg der Maßnahmen kritisch betrachtet werden und zu Empfehlungen für zukünftige Maßnahmen führen.

Weitere Maßnahmen und Projekte

Ergänzt werden die o.g. Maßnahmen durch eine Vielzahl weiterer Maßnahmen und Projekte, die indirekt dem Schutz von Insekten dienen. Zu nennen sind insbesondere:



• Entwicklung der Fauna-Flora-Habitat Gebiete (FFH)
• Extensive und ökologische Ausrichtung der Landwirtschaft (Agrikulturprogramm)
• Naturnahe Waldbewirtschaftung
• Freiraumentwicklung
• Kleingärten
• Dach- und Fassadenbegrünungen
• Erfassung und Bekämpfung invasiver Neophyten
• Naturschutzfachliche Stellungnahmen im Rahmen der Bauleitplanung
• Öffentlichkeitsarbeit und Umweltbildung

Ausblick und Handlungsbedarf für die Zukunft

Die bisherigen Maßnahmen und Projekte werden im Rahmen der jeweiligen Handlungsfelder und Teilprogramme fortgeführt (z.B. Fortschreibung des Biodiversitätsprogramms „Mehr Natur in der Stadt“).

Neben einer Weiterführung der Wildbienenuntersuchungen sollen insbesondere die Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen in den Landschaftsräumen und das ökologische Grünflächenmanagement in der Stadt ausgeweitet werden. Ziel muss es sein, die Nahrungs- und Nisthabitate von Wildbienen so zu optimieren, dass auch die Bestände gefährdeter und rückläufiger Arten langfristig gesichert werden können.

Von besonderer Bedeutung ist ein Schutz von Flächen mit von der Norm abweichenden Standort­bedingungen sowie deren differenzierte Pflege. Zusätzlich muss das Potenzial städtischer Grünflächen für den Bienenschutz genutzt werden. Dadurch können auch andere blütenbesuchende Insekten sowie deren Räuber gefördert werden, so dass sich der Schutz und die Förderung von Wildbienen positiv auf die Artenvielfalt und auf die Sicherung wichtiger Ökosystemleistungen (z.B. Bestäubung, Lebensmittel­produktion) auswirkt.




Aktionsprogramm „Bienenschutz“ – Ausblick und weiterer Handlungsbedarf

Ein wichtiger Schritt: Etablierung neuer Bündnisse für den Insektenschutz

Ein nachhaltiger Schutz von Wildbienen und anderen Insekten setzt die Zusammenarbeit verschiedenster Akteure und Institutionen aus Politik, Verwaltung, Wissenschaft, Landwirtschaft, Naturschutz und Gesellschaft voraus. Von der Anlage von Blühflächen über den praktischen Umgang mit Bienenvölkern bis zur wissenschaftlichen Begleitung und Öffentlichkeitsarbeit müssen alle Aspekte betrachtet werden. Beispiele aus anderen Städten zeigen, dass erfolgreiche Bündnisse zum Insektenschutz möglich sind (z.B. BienenBündnis Osnabrück), aber auch den Einsatz von zusätzlichen Mittel erfordern (z.B. Einrichtung einer Koordinierungsstelle). Vergleichbares wäre auch in Hannover denkbar und erforderlich, um den Herausforderungen des Bienenschutzes dauerhaft und umfassend gerecht zu werden.



Als Mitglied des Bündnisses „Kommunen für biologische Vielfalt“ ist die Landeshauptstadt Hannover bemüht, geeignete Bündnisse mit Verbänden, Forschungseinrichtungen und weiteren Akteuren einzugehen. Am Fachbereich Umwelt und Stadtgrün bestehen mit dem Biodiversitätsprogramm „Mehr Natur in der Stadt“ bereits umfangreiche Grundlagen und gute Voraussetzungen, auf welche aufgebaut werden kann.

Berücksichtigung von Gender-Aspekten

Das Aktionsprogramm Bienenschutz betrifft alle Geschlechter gleichermaßen.

Kostentabelle

Es entstehen keine finanziellen Auswirkungen.

67.7 
Hannover / 03.05.2019