Informationsdrucksache Nr. 1068/2014 N1:
Evaluierung: Erprobung von anonymisierten Bewerbungsverfahren

Inhalt der Drucksache:

Bitte beachten Sie, dass der folgende Text eventuell medienbedingte Formatabweichungen aufweisen kann. Eine formatgetreue Abbildung des Inhalts finden Sie in der Anlage "Druckversion.pdf".
Landeshauptstadt HannoverInformationsdrucksache-ZeichenInformationsdrucksache
In den Organisations- und Personalausschuss
In den Gleichstellungsausschuss
In den Ausschuss für Integration, Europa und Internationale Kooperation (Internationaler Ausschuss)
 
Nr.
Anzahl der Anlagen
Zu TOP
1. Neufassung
1068/2014 N1
0
 
Die Änderungen gegenüber der Ursprungsdrucksache sind kenntlich gemacht.

Evaluierung: Erprobung von anonymisierten Bewerbungsverfahren


1. Pilotprojekt der Antidiskriminierungsstelle des Bundes

Im Jahr 2011 haben zwölf acht Organisationen, darunter die Stadtverwaltung Celle, an einem Pilotprojekt zur Anonymisierung von Bewerbungen teilgenommen. In verschiedenen Beschäftigungsbereichen erprobten sie unterschiedliche Anonymisierungsmethoden. Der Umfang der anonymisierten Merkmale war dabei bei allen Methoden identisch.

Standardisierte Bewerbungsformulare erwiesen sich im Rahmen des Pilotprojekts als praktikabelste Methode zur Anonymisierung von Bewerbungen.

Insbesondere der Verzicht auf Bewerbungsfotos sowie die Fokussierung auf die Qualifikationen der Bewerbenden wurde von den Organisationen positiv wahrgenommen.

Die beobachteten Wirkungen gegenüber herkömmlichen Verfahren waren eine tendenzielle Chancengleichheit für alle Bewerbendengruppen, tendenziell bessere Chancen für Frauen sowie verbesserte Chancen für Bewerbende mit Migrationshintergrund.

Die Stadtverwaltung Celle hat als erste deutsche Kommune Bewerbungen anonymisiert und wendet das Verfahren anhand von Online-Bewerbungsformularen bei ausgewählten Verfahren weiter an. Drei weitere Teilnehmer setzen das Projekt ebenfalls fort.

Die weiteren Organisationen Vier Teilnehmer wenden das anonymisierte Verfahren nicht mehr an, aber haben zum Teil ihren Fokus stärker auf die fachliche Qualifikation und die Motivation der Bewerbenden gelenkt. Als Gründe wurden der erhöhte Aufwand und eine zu geringe Wirkung genannt. Viele der Organisationen haben bereits zuvor überdurchschnittliche Maßnahmen zur Förderung von Diversity ergriffen.



2. Erprobung von anonymisierten Bewerbungsverfahren

Die Landeshauptstadt Hannover hat im Jahr 2013 auf Beschluss der Ratsgremien zu der Drucksache 2249/2012 alle Bewerbungen, die auf externe Ausschreibungen der Fachbereiche Gebäudemanagement und Planen und Stadtentwicklung eingegangen sind, anhand von Online-Bewerbungsformularen anonymisiert.

Die anonymisierten Merkmale waren, ebenso wie beim Pilotprojekt der Antidiskriminierungsstelle, der Name, das Geschlecht, die Nationalität, der Geburtsort, das Alter, der Familienstand sowie Angaben zur Religion, Weltanschauung und sexuellen Identität. Zudem wurde vollständig auf Bewerbungsfotos verzichtet. Die Bewerbenden konnten eine ausdrücklich freiwillige Angabe über eine vorhandene Schwerbehinderung oder Gleichstellung machen. Hintergrund ist die Verpflichtung öffentlicher Arbeitgeber zur Einladung schwerbehinderter Menschen nach § 82 SGB IX, sofern sie über die fachliche Eignung verfügen.

Über die Stellenausschreibungen gelangten die Bewerbenden zu dem Online-Bewerbungsformular. Das Formular fragte die Kontaktdaten, die Ausbildung, den beruflichen Werdegang in den letzten zehn Jahren und die Motivation für die Bewerbung der Bewerbenden ab. Außerdem konnten die Fachbereiche bereits im Formular bis zu fünf gezielte Fragen an die Bewerbenden richten, um deren Qualifikation für die ausgeschriebene Stelle zu testen.

Die Kontaktdaten der Bewerbenden wurden direkt nach Eingang von den weiteren Angaben getrennt. Diese Trennung erfolgte durch Personen, die nicht an der Auswahlentscheidung beteiligt waren. Die Entscheidung für oder gegen eine Einladung erfolgte daher insbesondere aufgrund der Angaben zur Qualifikation. Die Anonymisierung wurde erst zur Versendung der Einladung oder Absage aufgehoben.


3. Evaluierung

Im Jahr 2013 haben die an der Erprobung beteiligten Fachbereiche 32 Stellenausschreibungen veröffentlicht. Davon waren 8 vom Fachbereich Planen und Stadtentwicklung und 24 vom Fachbereich Gebäudemanagement. Es handelte sich um 17 unbefristete Stellen und 15 Stellen mit unterschiedlichen Befristungszeiträumen von einem halben Jahr bis zu 5 Jahren. 26 der Stellen wurden als Vollzeitstellen ausgeschrieben. Die anderen 6 Stellen hatten eine wöchentliche Arbeitszeit von 19,25 Stunden.

Bei einem Großteil der Stellen handelte es sich, wie im Vorjahr, um technische Berufe mit der Entgeltgruppe 9 TVöD oder höher. Auf die 32 ausgeschriebenen Stellen gingen während der Erprobungsphase insgesamt 477 Bewerbungen ein, 62% stammten von Männern und 38% von Frauen. Im Jahr 2012 stammten 48% der Bewerbungen auf Stellen in den genannten Fachbereichen von Frauen und 52% von Männern. Es ist somit im direkten Vergleich ein deutlicher Rückgang um 10% an Bewerbungen von Frauen erkennbar.

Ein Rückgang ist, auch bedingt durch die geringeren Bewerbungszahlen, ebenfalls bei den Einladungen von Frauen zu Auswahlgesprächen im Vergleich zum Vorjahr erkennbar. Während im Jahr 2012 noch 64% der eingeladenen Personen weiblich waren, sank die Zahl im Jahr 2013 auf nur noch 42%.

Die durchschnittliche Zahl der Bewerbungen pro Ausschreibung sank von 34 auf 15 gegenüber dem Vorjahr.

15 Stellen wurden im Jahr 2013 mit Männern und 10 Stellen mit Frauen besetzt. 40% der Stellenbesetzungen wurden somit mit Frauen vorgenommen. Die übrigen Verfahren endeten ohne Besetzung.

Zur Halbzeit der Erprobungsphase wurden die ersten Eindrücke zu der Praktikabilität und der Wirkung ausgetauscht. Im Anschluss an die Erprobungsphase wurden in Gesprächen alle Eindrücke gesammelt.

Der Abschlussbericht zum Pilotprojekt der Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat bereits umfangreich die möglichen Vor- und Nachteile von anonymisierten Bewerbungsverfahren beleuchtet. Die Evaluierung der Erprobungsphase bei der Landeshauptstadt Hannover betrachtet insbesondere die hinzugewonnenen Kenntnisse.

Vorteile
- Rechtssicherheit im Rahmen des AGG
- Qualifikation stärker im Fokus
- Versendung der Eingangsbestätigung durch OE 18
- überwiegend positive Bewertung des Bewerbungsformulars und des anonymisierten Verfahrens durch Bewerbende auf Nachfrage im Auswahlverfahren (keine verlässlichen Angaben aufgrund der Bewerbungssituation)
- stärkere Auseinandersetzung mit dem Anforderungsprofil u.a. durch die Erstellung der Fragen zu den fachlichen Kompetenzen im Formular
- Fragen im Bewerbungsformular als Chance für Bewerbende, die nur knapp die fachlichen Anforderungen erfüllten.

Nachteile
- höherer Aufwand für Bewerbende bei Bewerbung über das Online-Bewerbungsformular (stärkere Auseinandersetzung mit der Anforderungen der ausgeschrieben Stelle erforderlich)
- durchschnittlich 56% weniger Bewerbungen gegenüber dem Vorjahr
- erheblicher zusätzlicher Zeit- und Arbeitsaufwand für die zuständigen Personalsachbearbeitung
o telefonische Beantwortung von Fragen zum Verfahren (deutliche häufigere Nachfragen)
o Trennung der Unterlagen zur Anonymisierung
o Aufhebung der Anonymisierung nach Auswahlentscheidung
o Beachtung des NGG im Zwischenschritt
o Abgleich der Angaben im Bewerbungsformular mit den herkömmlichen Bewerbungsunterlagen nach Aufhebung der Anonymisierung
- technische Probleme mit dem Bewerbungsformular (selten)
- unzureichend ausgefüllte Bewerbungsformulare (häufig)
- rhetorisch stärkere Bewerbende haben durch das Formular einen Vorteil bei ihrer Bewerbung
- weniger Stellenbesetzungen mit Personen aus Bewerbendengruppen, die eigentlich erreicht werden sollen (These OE 19)
- Abweichungen von den gemachten Angaben im Bewerbungsformular und der tatsächlichen Qualifikation
- Minderung der Attraktivität als Arbeitgeberin für einen Großteil der Bewerbendengruppen, da umfängliche Darstellung zunächst nicht möglich ist
- Verzögerung von Stellenbesetzungsverfahren, da gleichzeitige interne und externe Ausschreibungen nicht möglich waren
- Bewerbungsformulare haben eine geringe Aussagekraft, Arbeitsproben und Arbeitszeugnisse liegen zur Vorauswahl nicht vor
- Der Grad der tatsächlichen Anonymisierung hängt mit von den Angaben der Bewerbenden ab, weil bestimmte Angaben im Bewerbungsformular Rückschlüsse zulassen.
- Verzicht auf Bewerbungsfoto wurde als „ungewöhnlich“ aufgefasst.


4. Fazit

Die Landeshauptstadt Hannover als öffentliche Arbeitgeberin hat bereits in der Vergangenheit in außerordentlichem Maße Diversity gefördert und unter anderem durch professionelle Auswahlverfahren unter Beteiligung aller Interessenvertretungen hervorragende Instrumente geschaffen, um jegliche Art der Diskriminierung zu verhindern.

Die Erprobung von anonymisierten Bewerbungsverfahren erfolgte daher in der Hoffnung ein weiteres Instrument zur Chancengleichheit für alle Bewerbendengruppen bei mindestens gleichbleibender Quantität an Bewerbungen und Praktikabilität sowohl für Bewerbende als auch für die Auswahlkommissionen zu erhalten. Die Erprobungsphase verdeutlichte jedoch vor allem die genannten Nachteile.

Mit einem Großteil der Ausschreibungen wurden Fachkräfte gesucht. Aufgrund des bestehenden Fachkräftemangels werden oftmals alle Bewerbenden, die die fachlichen Voraussetzungen erfüllen, zu Auswahlgesprächen eingeladen. Eine Wirkung des Verfahrens auf die Vorauswahl war daher kaum zu beobachten.

In Anbetracht der geplanten Einführung von Online-Bewerbungen und der Überarbeitung des Stellenbesetzungsleitfadens können die gewonnen Erkenntnisse genutzt werden, um den Fokus in Zukunft noch stärker auf die Qualifikationen der Bewerbenden zu lenken. Dabei soll sowohl an ausschreibender Stelle als auch bei den Bewerbenden eine stärkere Auseinandersetzung mit dem Anforderungsprofil gefördert werden.

Unabhängig vom anonymisierten Bewerbungsverfahren enthalten alle Stellenausschreibungen weiterhin den Hinweis zum Verzicht auf Bewerbungsfotos. In Drucksachen, Anträgen an den Gesamtpersonalrat und Bewerberübersichten wird zudem auf das Geburtsdatum beziehungsweise das Alter verzichtet.


Dez. I
Hannover / 14.05.2014

Kostentabelle

18.11 
Hannover / 07.05.2014