Informationsdrucksache Nr. 0796/2016:
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF)

Inhalt der Drucksache:

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0796/2016
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Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF)

Vorbemerkung

Für den Zustrom der unbegleiteten Minderjährigen gibt es die unterschiedlichsten Gründe:


Sie fliehen vor Kriegen und Konflikten, Armut oder Naturkatastrophen, Diskriminierung oder Verfolgung.
In Erwartung eines besseren Lebens, um die Familien zu Hause unterstützen zu können oder um zu anderen Familienangehörigen zu kommen, die bereits in der EU sind, werden sie von ihren Familien entsandt. Einige sind Opfer von Menschenhandel.

Rechtlicher Rahmen

Artikel 23 der Genfer Flüchtlingskonvention vom 28.07.1951 legt die öffentliche Fürsorge fest. Die Staaten verpflichten sich hiermit, Flüchtlingen, die auf ihrem Gebiet sich aufhalten, öffentliche Fürsorge und sonstige Hilfeleistungen zukommen zu lassen bzw. zu gewähren. Das Haager Minderjährigenschutzabkommen (MSA) verweist auf das jeweilig innerstaatliche geltende Recht, wenn es um die Zuständigkeit für den Schutz unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge geht. In Deutschland gilt demnach für den besonderen Schutz unbegleitet minderjähriger Flüchtlinge (UMF) bis 18 Jahre das Sozialgesetzbuch VIII (SGB VIII) und bezüglich der Einrichtung einer Vormundschaft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB).



Die Dublin-III-Verordnung definiert als UMF "….einen Minderjährigen, der ohne Begleitung eines für ihn nach dem Recht oder nach den Gepflogenheiten des betreffenden Mitgliedsstaates verantwortlichen Erwachsenen in das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten einreist, solange er sich nicht tatsächlich in der Obhut eines solchen Erwachsenen befindet; dies schließt einen Minderjährigen ein, der nach Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates dort ohne Begleitung zurückgelassen wird".

Nach dem SGB VIII haben unbegleitete minderjährige Flüchtlinge Anspruch auf Jugendhilfeleistungen durch die jeweils zuständigen örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Dieser Anspruch gilt für ambulante, teilstationäre sowie vollstationäre Hilfen.

Der ab 2015 stark angestiegene und bundesweit sehr unterschiedlich verteilte Zuzug der Personengruppe der UMF hat den Gesetzgeber zum 01.11.2015 bewogen das SGB VIII zu erweitern. Mit dem 'Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher' wurden die §§ 42 a - e eingefügt. Zentraler Inhalt dieser Gesetzesveränderung ist, dass für UMF nunmehr im Rahmen einer vorläufigen Inobhutnahme der weitere Verbleib in der Bundesrepublik zu klären ist. Grundlage für die Prüfung sind u.a. die zugrundgelegte Aufnahmequote (Königsteiner Schlüssel) der zum Aufnahmetag zuständigen Kommune, der gesundheitliche Zustand des UMF sowie die Klärung, ob es in der Bundesrepublik Deutschland verwandtschaftliche Bezüge gibt, in denen ein Verbleib möglich und i. S. des Kindeswohls sinnvoll ist. Ist diese innerhalb von 14 Tagen abzuschließende Prüfung erfolgt, ergeht ein Bescheid durch die zentrale Landesverteilstelle und der UMF wird dem zuständigen örtlichen Träger der Jugendhilfe zugeführt und es erfolgt die Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII.

Vorläufige Inobhutnahme/Inobhutnahme

Die Inobhutnahme erfolgt in der Regel in Einrichtungen der Jugendhilfe oder den speziellen Inobhutnahmeeinrichtungen in der Stadt Hannover. Aufgrund der derzeitig hohen Fallzahlen und nicht ausreichender Inobhutnahmekapazitäten in Hannover werden UMF auch in auswärtigen Einrichtungen in Obhut genommen. Weiterhin steht aufgrund der derzeitigen Situation eine sog. Akuteinrichtung im Deutschen Pavillon zur Verfügung , in der bis zu 32 männliche UMF ab einem Alter von 16. Lebensjahren für max. 14 Tage untergebracht und versorgt werden können. Für diese Einrichtung hat das Land Niedersachsen – Landesjugendamt - eine befristete Betriebserlaubnis erteilt.



Hilfe zur Erziehung

Im Anschluss an die Inobhutnahme erfolgt in der Regel eine Hilfe zur Erziehung in stationärer Form. Die Umwandlung der Inobhutnahme in eine Jugendhilfe gemäß


§ 34 SGB VIII gelingt in Hannover nicht zeitnah, da auch stationäre Plätze für UMF in hannoverschen Einrichtungen nicht ausreichend vorhanden sind.

In der stationären Jugendhilfemaßnahme liegt der Schwerpunkt der Unterstützung darin, die Minderjährigen mit entsprechenden Sozialkompetenzen, Sprachkenntnissen und Beschulung zu fördern, Gesundheitsfragen zu klären und ggf. das Asylverfahren zu initiieren bzw. den Status zu klären.

In letzter Zeit wird festgestellt, dass die familiären Ressourcen bei Bekannten oder Verwandten der Herkunftsfamilien weniger tragfähig sind als früher. Es kommt dadurch häufiger auch bei solchen Konstellationen zu einer Aufnahme in einer stationären Jugendhilfemaßnahme. Es ist zu beobachten, dass sich traumatische Erfahrungen in ihrem Ausmaß häufig erst nach einer Eingewöhnungsphase der Jugendlichen in den Wohngruppen zeigen. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen werden dann mit Symptomen wie körperlichen Beschwerden, Schlafstörungen und Angstzuständen konfrontiert. In der Hilfe geht es dann darum, der Verfestigung der Symptome im Sinne einer seelischen Behinderung entgegenzuwirken.

Mit dem 18. Lebensjahr endet die Hilfe zur Erziehung. Eine "Verselbstständigung" erfolgt in eigenem Wohnraum oder auch in einer Gemeinschaftsunterkunft; bei Bedarf auch mit der Gewährung ambulanter Leistungen der Erziehungshilfe. Die Beendigung der Jugendhilfemaßnahme erfolgt nicht immer genau zur Volljährigkeit. In einigen Fällen wird die Hilfe zur Sicherung des erreichten Entwicklungsstands auch über das 18. Lebensjahr hinaus im Rahmen einer Hilfe für junge Volljährige gemäß § 41 SGB VIII befristet fortgesetzt.

Aufgrund der Schwierigkeiten in der aktuellen Situation UMF aufgrund der fehlenden Platzkapazitäten, nicht in vollstationären Einrichtungen unterbringen zu können, ist seitens der Fachverbände, kirchlicher Institutionen sowie der Interessenvertretungen der Pflegeeltern die Möglichkeit der Unterbringung in Pflegefamilien/Gastfamilien
(§ 33 SGB VIII) thematisiert worden. Es hat hierzu im Herbst 2015 eine Veranstaltung zur Werbung von Gasteltern für UMF stattgefunden, bei der ca. 50 potenzielle Gastfamilien geworben werden konnten. Mit dem Diakonischen Werk Hannover ist eine unterstützende Qualifizierung für Gasteltern entwickelt worden.

Vormundschaften

Die UMF reisen allein, ohne erziehungsberechtigte Personen, in die Bundesrepublik Deutschland ein. Es ist insofern immer eine Vormundschaft für die UMF einzurichten. Durch den Vormund erfolgt an Eltern statt z.B. die Antragstellung im Asylverfahren. Die Vormundschaft endet mit der Volljährigkeit.



Die Vormundschaft wird in der Regel durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Fachbereich Jugend und Familie geführt. In einzelnen Fällen ist es möglich, eine Vormundschaft später auf den oder die Verwandte/n oder Bekannte/n der Herkunftsfamilien zu übertragen, bei dem der UMF lebt. Insbesondere durch den massiven Zuzug ist die zeitnahe Bestellung von Vormünderinnen und Vormündern häufig nicht möglich. Zum einen, weil die zuständigen Vormundschaftsgerichte nicht über ausreichende Kapazitäten verfügen, und auch entsprechend geschultes Personal derzeit nicht in ausreichendem Maße vorhanden ist. Der Fachbereich Jugend und Familie führt daher mit dem Inter
Transkulturellen Betreuungsverein – ITB - gemeinsam ein Qualifizierungskonzept durch, bei dem ehrenamtliche Vormünderinnen und Vormünder geschult und für ihre Aufgabe vorbereitet werden.

Altersfestsetzung

Es kommt immer wieder vor, dass UMF ohne gültige Ausweispapiere, also auch ohne Altersnachweis, einreisen. Es ist daher notwendig, das Alter festzusetzen, wenn keine aussagekräftigen Dokumente vorgelegt werden können. Bei dieser Altersfestsetzung erfolgt eine Einschätzung durch die Fachkräfte auf der Grundlage der Angaben und der Schilderungen des UMF sowie einer persönlichen Inaugenscheinnahme. Wenn dabei Zweifel am Alter bleiben, wird eine Einschätzung bei insoweit erfahrenen Fachärzten eingeholt. Wird im Rahmen des Verfahrens zur Altersfestsetzung die Volljährigkeit festgestellt, erfolgt eine Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften.



Allgemeine Entwicklung

Die Zahl der minderjährigen Flüchtlinge, die in Hannover sich melden, aufgegriffen oder zugewiesen werden, ist im letzten Jahr stark angestiegen.



Während der vergangenen Jahre haben die Hauptherkunftsländer der Flüchtlinge stets auch die weltweiten Krisenherde widergespiegelt. Die Länderschwerpunkte sind wie auch in den vergangenen Jahren der arabische Raum, Afghanistan, Syrien und Irak sowie der afrikanische Kontinent.

Die aktuelle Statistik aus Herkunftsländer, Alterszusammensetzung, Geschlechterverteilung sowie die Bundes- und Landesstatistiken, aus der sich die Zuweisungsquoten errechnen, sind in der Anlage beigefügt.

Kostenerstattung

Die überwiegende Anzahl der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge bedarf innerhalb eines Monats nach der Einreise der Jugendhilfe. Aus diesem Grund ergibt sich ein Kostenerstattungsanspruch nach § 89 d SGB VIII. Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher zum 01.11.2015 wurde ein erstattungspflichtiges Land auf der Grundlage eines Belastungsvergleiches vom Bundesverwaltungsamt bestimmt (§ 89 d Abs. 3 SGB VIII). Alle Kosten, die bis einschließlich 31.10.2015 entstanden sind, sind mit dem bestimmten überörtlichen Träger abzurechnen. In Bezug auf diese "Altfälle" sind noch 286 Fälle offen, in denen der bestimmte Träger die Kostenerstattungspflicht bisher nicht anerkannt hat. Geschätzt fehlen der Landeshauptstadt Hannover Einnahmen in Höhe von ca. 1,9 Mio €.


Alle Kosten für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge mit einem Kostenerstattungsanspruch nach § 89 d SGB VIII, die nach dem 01.11.2015 entstanden sind bzw. entstehen, sind gemäß § 42 d Abs. 5 SGB VIII beim Niedersächsischen Landesamt für Soziales, Jugend und Familie geltend zu machen.

Derzeit sind dort 349 Fälle offen, in denen kein Kostenerstattungsanerkenntnis vorliegt. Die Kosten hierfür belaufen sich für den Zeitraum vom 01.11.2015 bis 29.02.2016 geschätzt auf ca. 3,2 Mio. €.

Herausforderungen

Aufgrund der erheblichen Steigerungen der Zahlen UMF sind in den nächsten Jahren folgende Herausforderungen für eine gelingende Integration zu nennen:

- Schaffung weiterer Platzkapazitäten für Inobhutnahmen und Anschlussmaßnahmen in die stationären Einrichtungen der Jugendhilfe,
- Werbung weiterer Gastfamilien, die bereit sind, für einen sehr begrenzten Zeitraum junge Menschen aufzunehmen,
- Schaffung von Wohnraum für junge Volljährige, die aus den vollstationären Einrichtungen ausziehen werden, da kein erzieherischer Bedarf mehr besteht.
- Der sehr heterogene Bildungsstand der UMF erfordert unterschiedliche schulische und berufliche Bildungsmaßnahmen, die bislang nur sehr eingeschränkt vorhanden sind.

Berücksichtigung von Gender-Aspekten

Das beschriebene Angebot richtet sich grundsätzlich an beide Geschlechter, an einzelne UMF sowie an die Familien, die zur Aufnahme eines UMF bereit sind. Den Problematiken der einzelnen Personengruppen, die sich aus der Flüchtlings- und Exilsituation ergeben, wird in der Beratung und Begleitung Rechnung getragen.

Kostentabelle

Es entstehen keine finanziellen Auswirkungen.

51.2 
Hannover / 12.04.2016