Informationsdrucksache Nr. 0666/2008:
Modellprojekt "Koordinierungszentrum Kinderschutz - Kommunale Netzwerke früher Hilfen"

Inhalt der Drucksache:

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0666/2008
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Modellprojekt "Koordinierungszentrum Kinderschutz - Kommunale Netzwerke früher Hilfen"


1. Ausgangsbasis

In Deutschland werden jährlich rund 25.000 Fälle von Gewalt gegen Kinder und Jugendliche zur Anzeige gebracht. Es ist davon auszugehen, dass es eine hohe Dunkelziffer gibt und die tatsächliche Zahl von Kindesmisshandlungen in den Industrieländern zwei- bis dreimal so hoch ist wie die zur Anzeige gebrachten Fälle.

Untersuchungen zeigen auf, dass ca. 7 bis 8 Prozent aller Kinder unter 12 Jahren schwere Züchtigungen durch ihre Eltern erlebt haben. Eine Unicef-Studie macht deutlich, dass 85 % der Misshandlungsfälle körperliche Misshandlung, Vernachlässigung oder eine Kombination aus körperlicher Misshandlung und Vernachlässigung zugrunde liegen. In fast 90 % aller Fälle sind die leiblichen Eltern oder Stiefeltern die Täter.

Kindesmisshandlung ist ein Prozess, der sich häufig jahrelang hinzieht bevor er entdeckt wird. In diesem Zeitraum kommt es zu Arztkontakten und Krankenhausaufenthalten, ohne dass die tatsächlich zugrunde liegenden Tatsachen in ausreichendem Maße offensichtlich geworden sind und entsprechende Handlungsschritte vollzogen worden sind.

Neben den sehr unterschiedlichen Strukturen der beteiligten Institutionen im Umgang mit entsprechenden Einzelfällen ist feststellbar, dass die beteiligten Fachleute über einen unterschiedlichen Wissensstand sowohl in den medizinischen, pädiatrischen, entwicklungspsychologischen und auch sozialpädagogischen Bereichen verfügen. Erst die Zusammenführung dieses Wissens um die Entwicklung, aber auch die Gefährdung von Kindern bietet eine Grundlage, Kindesmisshandlungen und -vernachlässigungen in einem größeren Umfang als bisher zu begegnen.

Dem jeweiligen Jugendamt, aber auch den anderen beteiligten Institutionen wie Kinderkliniken, KinderärztInnen, AllgemeinmedizinerInnen, Kindertagesstätten, Schulen etc. kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu.


2. Situation in Hannover

Der Fachbereich Jugend und Familie der Landeshauptstadt Hannover hat im Jahr 2006 Vertreterinnen und Vertreter der öffentlichen und freien Jugendhilfe sowie weiterer Institutionen, die mit dem Thema Kinderschutz beauftragt sind, zu einem Runden Tisch "Kinderschutz in Hannover“ eingeladen mit dem Ziel, ein erfolgreiches präventives Netzwerk aufzubauen und ein gemeinsames Verfahren der Kooperation zu entwickeln. Dabei sollen vor allem die Kinder in den Fokus genommen werden, die aus unterschiedlichen Gründen (noch) keine Tagesbetreuungseinrichtung besuchen.

Daneben wird im Rahmen einer Fach-AG Kindesschutz bereits an einer verbesserten Kooperation zwischen den beiden Kinderkliniken und dem Fachbereich Jugend und Familie der Landeshauptstadt Hannover und dem Fachbereich Jugend der Region Hannover gearbeitet.

Teilnehmende Institutionen sind Sozialpädiatrie, Sozialpsychiatrie für Kinder, Jugendliche und Familien der Region Hannover sowie eine Vertretung der niedergelassenen Pädiaterinnen und Pädiater.
Ziel ist es, die Schnittstellen zwischen der Medizin und der Jugendhilfe (am Beispiel der beiden Kinderkliniken) zu analysieren, um in Fällen von Kindesmisshandlungen verbindliche Verfahren der Kooperation und der Nachsorge für die betroffenen Kinder zu entwickeln.

Daneben existiert bereits ein "Netzwerk Kindeswohl", in dem seitens des Fachbereiches Jugend und Familie der Landeshauptstadt Hannover mit einer Reihe von Institutionen zusammengearbeitet wird. Hierüber wird in einer gesonderten Info-Drucksache zum Kinderschutz in Hannover informiert.


3. Umsetzung des Modellprojektes

3.1 Organisation

Im Rahmen des Handlungskonzepts "Kinderschutz Niedersachsen" unterstützt das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit an vier ausgewählten Standorten in Niedersachsen den Aufbau eines "Koordinierungszentrums Kinderschutz" zur Entwicklung und Qualifizierung kommunaler Netzwerke im Bereich der frühen Hilfen.

Die Landeshauptstadt Hannover ist an diesem Modellprojekt in Kooperation mit der Region Hannover und dem Kinderkrankenhaus auf der Bult beteiligt. Das Projekt läuft über drei Jahre bis August 2010. Die Projektkoordination wird ihren zentralen Sitz in dem Kinderkrankenhaus auf der Bult haben und im März 2008 mit der konkreten Projektarbeit beginnen. Die Landeshauptstadt Hannover und die Region Hannover stellen jeweils eine Mitarbeiterin dafür zur Verfügung.

Das Projekt wird durch eine Lenkungsgruppe der beteiligten Institutionen geleitet. Mitglieder der Lenkungsgruppe sind Vertreterinnen und Vertreter des Fachbereichs Jugend und Familie der Landeshauptstadt Hannover, des Fachbereichs Jugend der Region Hannover und ein Vertreter des Kinderkrankenhauses auf der Bult. Die Lenkungsgruppe begleitet die Umsetzung des Koordinierungszentrums Kinderschutz. Die Projektkoordination ist gegenüber der Lenkungsgruppe berichtspflichtig.


3.2 Inhalte

Ziel ist es, in den nächsten drei Jahren ein Verfahren zu entwickeln, misshandelte und vernachlässigte Kinder rascher zu erkennen, zu schützen, qualitativ hochwertiger zu betreuen und neue Ansätze von Prävention, insbesondere in der Arbeit mit den Kinderkliniken und niedergelassenen Medizinern (Allgemeinmedizin und Pädiatrie) zu entwickeln. Der Fokus soll dabei auf der Altersgruppe der 0- bis 6-jährigen Kinder liegen und die tertiäre Prävention umfassen, d. h. die Folgen bereits eingetretener Krisen und Probleme reduzieren.

Weitere Kooperationspartner im Rahmen des Projektes sind: die öffentlichen Jugendhilfeträger in der Region Hannover (die Städte Burgdorf, Laatzen, Langenhagen, Lehrte und Springe), die Kinderklinik der Medizinischen Hochschule Hannover, das Klinikum Region Hannover, das Krankenhaus Neustadt, das Institut für Rechtsmedizin der Medizinischen Hochschule, die Hebammen und Familienhebammen der Projekte "Eine Chance für Kinder“ und "Pro Kind“, Kindertagesstätten, Schulen, Polizei, Familiengerichte, die regionale Kontaktstelle des Kinderschutzbundes (Kinderschutz-Zentrum Hannover) sowie freie Träger der Jugendhilfe.

Die Arbeit des Koordinierungszentrums gliedert sich in eine praxisbezogene Arbeit und in eine theoretische Grundlagenarbeit. Bereiche der praktischen Arbeit eines Koordinierungszentrums sind u. a.
- die Mitarbeit bzw. Vermittlung an geeignete Fachstellen zur Früherkennung und Diagnose von Misshandlungsverdachtsfällen,
- die Bereitstellung anerkannter medizinischer und psychologischer Untersuchungsverfahren zur Beurteilung des Ausmaßes einer erlittenen Misshandlung,
- die Bereitstellung von Kompetenz und Fachwissen für die medizinische, psychologische und sozialpädiatrische Betreuung von misshandelten Kindern,
- die Einbindung der weiteren Kooperationspartner im Rahmen eines Runden Tisches "Kinderschutz in Hannover“.
Die drei Bausteine im Projektablauf sind:

1. Bestandsanalyse (wer arbeitet wie?):
Zunächst wird eine gemeinsame Definition von Vernachlässigung, Kindeswohlgefährdung, körperlicher und sexueller Misshandlung (sexualisierter Gewalt) erarbeitet. Der Fokus richtet sich hierbei insbesondere auf die Altersgruppe der 0- bis 6-jährigen Kinder. Als nächster Schritt ist die präzise Beschreibung der Ablauforganisation der am Modellprojekt beteiligten Institutionen notwendig. Im Mittelpunkt stehen dabei der organisatorische Aufbau der einzelnen Einrichtungen, die jeweils zur Verfügung stehenden personellen Kapazitäten sowie die Art der Herangehensweise im Rahmen einer Kindeswohlgefährdung.

2. Entwicklung verbindlicher Handlungsabläufe (Reaktionsketten):
Ausgehend von der Bestandsanalyse werden verbindliche Handlungsabläufe entwickelt und schriftlich vereinbart. Dazu gehören die Entwicklung gemeinsamer Bewertungskriterien von Gefährdungssituationen (Kinderschutzbögen), die Festlegung auf konkrete Handlungsabläufe sowie die Erstellung von entsprechenden Handbüchern und Arbeitsanweisungen in den jeweiligen Institutionen.

3. Umsetzung und Erprobung:
Die vereinbarten Handlungsabläufe müssen in die bestehenden Institutionen eingeführt und in täglichen Arbeitszusammenhängen erprobt werden. Hierfür sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entsprechend gemeinsam zu qualifizieren. Die Projektbeteiligten werden hierfür ein gemeinsames Curriculum entwickeln.


3.3 Projektbegleitung

Das Projekt wird begleitet durch das Institut für Soziale Arbeit (ISA) Münster sowie durch das Institut für Erwachsenenbildung der Universität Hannover. Die Prozessevaluation wird durchgeführt von der Firma QUBIC Hannover.

Berücksichtigung von Gender-Aspekten

Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor körperlicher und sexueller Gewalt gilt sowohl für Mädchen als auch für Jungen.

Kostentabelle

Es entstehen keine finanziellen Auswirkungen. Die Personal- und Sachkosten in Höhe von 240.000,-- € werden vom Land Niedersachsen getragen.

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Hannover / 19.03.2008