Antrag Nr. 0553/2023:
Änderungsantrag der Fraktion DIE PARTEI & Volt zu Drucks. Nr. 0227/2023: Gemeinsamer Antrag der SPD-Fraktion und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen "Verantwortung zeigen für die Kolonialgeschichte Hannovers – Erarbeitung eines gesamtstädtischen dekolonialisierenden Erinnerungskonzepte"

Informationen:

verwandte Drucksachen:

0553/2023 (Originalvorlage)
0227/2023 (Ursprungsvorlage)

Beratungsverlauf:

Antragsteller(in):

Fraktion DIE PARTEI & Volt

Inhalt der Drucksache:

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Änderungsantrag der Fraktion DIE PARTEI & Volt zu Drucks. Nr. 0227/2023: Gemeinsamer Antrag der SPD-Fraktion und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen "Verantwortung zeigen für die Kolonialgeschichte Hannovers – Erarbeitung eines gesamtstädtischen dekolonialisierenden Erinnerungskonzepte"

Antrag

Der Antrag wird wie folgt geändert:

Die Verwaltung wird damit beauftragt, einen Beirat einzurichten, der die Verbindungen der Stadt Hannover zur Kolonialgeschichte und deren bis heute reichende Auswirkungen aufarbeitet, deren Zeichen in der Stadt hinterfragt und Handlungsempfehlungen benennt.

Das Erinnerungskonzept soll die gesamte Hannoversche Stadtgesellschaft in die Auseinandersetzung mit der Geschichte und den Folgen des Kolonialismus einbinden. Dafür gilt es, das Thema in Wissenschaft, Bildung und Kultur fest zu etablieren und würdige Formen des Erinnerns und des stadtweiten Diskurses zu entwickeln. Dazu ist – spätestens im 1. Halbjahr 2023 – begleitend ein Beirat zu gründen. Das Konzept des Beirates soll auf folgende Punkte eingehen:

a) Perspektivwechsel des postkolonialen Erinnerns und Zusammenlebens durch Partizipation der Zivilgesellschaft, insbesondere der BIPoC-Communities (Black, Indigenous, People of Color) sowie die Zusammenarbeit mit Menschen aus ehemals kolonialisierten Ländern

b) Provenienzforschung sowie ggf. Restitution von Sammlungsgegenständen und damit den Dialog um Anerkennung von kolonialem Unrecht fördern

c) Vermittlung von Erkenntnissen der Erforschung des Kolonialismus und seiner Folgen in die Gesellschaft, mit dem Ziel, diversitätsorientierte und diskriminierungskritische Strukturen in Verwaltung gezielt zu entwickeln sowie gleichberechtigte Wirtschafts- und Handelsinteressen fördern

d) Entwicklung partizipativer Bildungsangebote zur Aufarbeitung des Kolonialismus, des Postkolonialismus und aktuellen Auswirkungen wie (Alltags-) Rassismus und der weltweiten Klimagerechtigkeit für alle Altersgruppen. Dahingehend Prozesse einer gemeinsamen Dekolonialisierung kolonialgeschichtlich belasteter Orte und Institutionen anstoßen und fortführen sowie würdige Formen und Orte des dekolonisierenden Erinnerns und Gedenkens entwickeln

e) Ausarbeitung von Möglichkeiten, durch kommunale Maßnahmen zum Abbau kolonialer wie rassistischer Strukturen gemäß der EU-Resolution zu Grundrechten von Menschen afrikanischer Herkunft in Europa von 2019 beizutragen.

Der Beirat tagt in der Regel quartalsweise und ist interdisziplinär mit mindestens 15 Personen und sowie möglichst geschlechterparitätisch zu besetzen. Die Zusammensetzung des Beirats ist anhand folgender Kriterien vorzunehmen: Wissenschaftlichkeit, Multiperspektivität, Diversität, Repräsentation von BIPoC-Communities sowie Kompetenzen in den Bereichen Antirassismus, Antidiskriminierung, Inklusion und Beteiligung. Die Zusammensetzung ist den Gremien des Rates zur Beschlussfassung vorzulegen.

Der Beirat und dessen Arbeit sind an die städtische Erinnerungskultur angebunden und werden von dieser kooperativ unterstützt. Zudem wird das Sachgebiet der Antidiskriminierungsstelle und der Stelle für Demokratiestärkung einbezogen. Der Beirat kann bei Bedarf externe Expertise hinzuziehen.

Für ein umfassendes Konzept sind folgende Handlungsfelder einzubeziehen: Wissenschaft und Forschung, Politik, Kunst, Kultur und öffentliche Orte (u.a. Museen, Gedenkstätten, öffentliche Erinnerungsorte, Ehrengräber, Straßen und Plätze) Bildung, internationale Kooperationen und Städtepartnerschaften, sowie Wirtschaft und Umwelt.

Über die Empfehlungen des Beirates und Zwischenergebnisse sind die Ratsgremien regelmäßig, mindestens aber zweieinmal im Jahr, zu informieren. Gleichzeitig erfolgt eine Vorstellung der Ergebnisse in den jeweils betroffenen Stadtbezirksräten, die zudem im Rahmen ihrer Zuständigkeiten im weiteren Verlauf des Verfahrens beteiligt werden. Die erarbeiteten Handlungsempfehlungen werden dem Rat zur Entscheidung vorgelegt.

Nach zwei Jahren erfolgt ein Bericht zu den Zwischenergebnissen, die eine Empfehlung zur weiterführenden Arbeit enthält.

Sachkosten bzw. Aufwandsentschädigungen sind analog zum Beirat „Wissenschaftliche Betrachtung von namensgebenden Persönlichkeiten“ (DS 1921/2013 N1) bereitzustellen und an die heutige Inflationsrate anzupassen.

Begründung


Die Erarbeitung eines gesamtstädtischen dekolonialisierenden Erinnerungskonzepts ist stadtgesellschaftlich ein richtiger und wichtiger Schritt. Dafür ist es aber wichtig, die genaue Zielsetzung der Teilaufgaben des Beirates zu definieren, um sicherzustellen, dass nicht nur eine eurozentristische Perspektive reproduziert wird. Deswegen ist auch die Zusammenarbeit mit Menschen aus ehemals kolonialisierten Ländern unabdingbar.

Um eine bessere Kontinuität zu gewährleisten, sollen die Ratsgremien mindestens zweimal im Jahr informiert werden, genauso sind entsprechende Sachkosten und Aufwandsentschädigung an das aktuelle Jahr anzupassen.

Ebenso ist die Mindestanzahl der Beiratsmitglieder wichtig zu definieren, um die Interdisziplinarität und Intersektionalität der Perspektiven sicherzustellen. Das Erinnerungskonzept betrifft die Stadtgesellschaft als Ganzes. Der Beirat muss in die Lage versetzt werden, dieser Aufgabe gerecht zu werden.

Der Hintergrundgedanke der Dekolonialisierung ist die Emanzipation von der weißen Dominanzkultur. Es ist daher von vornherein zu beachten, dass diese “von oben gesteuerte” Emanzipation nur funktionieren kann, wenn die bestmöglichen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, um diese Machtasymmetrie auszugleichen. Wenn der Beirat am Ende nicht multiperspektivisch aufgestellt ist und keine Diversität an Expert*innen bietet, sondern die afrodiasporischen Perspektiven (wie beim Humboldt Forum) von Weißen übernommen werden, wird das Projekt des Erinnerungskonzepts scheitern, da es letztendlich genauso eurozentristisch wird wie unsere Geschichtsbücher. Ziel ist die Wandlungen der Bewusstseinsprozesse der Gesellschaft, um ein neues multiperspektivisches, postmigrantisches WIR in der Stadtgesellschaft zu schaffen.