Antrag Nr. 0311/2024:
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen + Volt + Piratenpartei: „Aktionsplan gegen Armut“ - Hannover konzentriert und verstärkt sein Engagement in der Armutsbekämpfung

Informationen:

Beratungsverlauf:

Antragsteller(in):

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen + Volt + Piratenpartei

Inhalt der Drucksache:

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Fraktion Bündnis 90/Die Grünen + Volt + Piratenpartei: „Aktionsplan gegen Armut“ - Hannover konzentriert und verstärkt sein Engagement in der Armutsbekämpfung

Antrag

zu beschließen:

Die Verwaltung wird aufgefordert, Ihr Engagement im Kampf gegen Armut zu verstärken. Dafür sollen bestehende Maßnahmen gebündelt, beteiligte Personen und Institutionen besser vernetzt und neue Handlungsansätze für die kommunale Armutsbekämpfung und -prävention entwickelt werden. Um diese Aufgaben verlässlich und strukturiert leisten zu können, wird im Dezernat III (z.B. in der Stabstelle Koordinationsstelle Sozialplanung) durch Umschichtung eine „Koordinierungsstelle Armutsbekämpfung“ geschaffen mit dem Ziel, für Hannover einen „Aktionsplan gegen Armut“ zu etablieren.

Die Koordinierungsstelle übernimmt insbesondere zwei Aufgabenschwerpunkte:

  • Die Sichtbarkeit von bereits bestehenden Maßnahmen bzw. Unterstützungsleistungen der verschiedenen Ebenen (Hannover Aktiv Pass, Grundsicherung im Alter, Wohngeld, Hilfe zum Lebensunterhalt nach SGB II bzw. SGB XII, Leistungen für Bildung und Teilhabe) zu erhöhen und den Zugang dazu zu erleichtern.
  • Unter Einbeziehung aller relevanten Akteur*innen aus Verwaltung, Verbänden, Wirtschaft, Initiativen und Politik wirksame Formate zu entwickeln, in denen gemeinsam Lösungen zu konkreten Fragestellungen hinsichtlich der Armutsbekämpfung auf kommunaler Ebene entwickelt werden.

Zu beiden Schwerpunkten soll der Fachtag Armut, den die Verwaltung in Erfüllung des Antrags H-0252/2022 am 24.05.2024 organisiert, bereits erste Impulse liefern und einen konkreten Fahrplan für das weitere Vorgehen definieren. Das betrifft insbesondere (nicht abschließend) die Arbeit in den Handlungsfeldern Wohnen, Arbeit, Gesundheit, Kinder & Jugend, Senior*innen und Teilhabe, auch wenn es teilweise Überschneidungen zwischen einzelnen Feldern gibt.

Die Koordinierungsstelle hat außerdem die Aufgabe, Verwaltungshandeln über die beteiligten Dezernate hinweg zu koordinieren und auf Armutssensibilität hin zu überprüfen, Doppelstrukturen in Verwaltung und Trägerlandschaft zu verhindern bzw. abzubauen, bestehende Formate (z.B. Runde Tische) zu hinterfragen und ggf. umzustrukturieren, Akteur*innen zu vernetzen und in gemeinsame Projekte zu vermitteln sowie die Zusammenarbeit mit Region, Land und Bund in Fragen der Armutsbekämpfung zu intensivieren.

Die Koordinierungsstelle berichtet über ihre Arbeit zweimal jährlich im Sozialausschuss sowie im Jugendhilfeausschuss.

Begründung


Armut und Armutsgefährdung betrifft weite Teile der Stadtgesellschaft: In der Landeshauptstadt Hannover lag die Armutsgefährdungsquote im Jahr 2022 mit 21,0 Prozent deutlich höher als im niedersächsischen Durchschnitt. 15,2 Prozent der Menschen in Hannover bezogen Ende 2022 Transferleistungen (nach SGB II, SGB XII und AsylbLG). Frauen sind nach Zahlen Nds. Landesamt für Statistik deutlich häufiger von Altersarmut betroffen (20 Prozent) als Männer (15,5 Prozent). Erhebliche soziale und materielle Entbehrungen müssen 6,9 Prozent der Menschen auf sich nehmen, 18,5 Prozent des armutsgefährdeten Bevölkerungsanteils. 12,8 Prozent der Gesamtbevölkerung müssen mehr als 40 Prozent ihres verfügbaren Einkommens ins Wohnen investieren.

Besonders erhöht war das Armutsrisiko den Angaben des Landesamtes für Statistik zufolge bei minderjährigen Kindern und Jugendlichen (22,3 Prozent). In der Altersklasse jenseits der 65 Jahre fiel der Anteil mit 17,9 Prozent ebenfalls überdurchschnittlich hoch aus. Das zeigt: Transferleistungen allein vermögen das Armutsproblem nicht zu lösen. Noch dazu, wo selbst berechtigte Menschen oft nicht erreicht werden: Denn trotz Rechtsanspruchs nimmt eine erhebliche Anzahl von Berechtigten keine Leistungen in Anspruch, beispielsweise aus Scham, Überforderung oder Fehlinformiertheit. Diese Quote soll ebenfalls durch die Arbeit der Koordinierungsstelle verringert werden.

Von Armut betroffene oder gefährdete Menschen haben nicht nur erhebliche materielle Entbehrungen zu verkraften. Sie leiden unter sozialer Armut, müssen auf kulturelle Angebote verzichten (Kino etc.), sind in stärkerem Ausmaß von Krankheiten bedroht und haben eine geringere Lebenserwartung. Zudem birgt die zunehmende Armut sozialen Sprengstoff, mit gravierenden Folgen auch für die Gesellschaft: Denn mit materiellen Einschränkungen und dem Gefühl geringer Anerkennung geht bei vielen Betroffenen eine erhebliche Distanz zu zentralen staatlichen und politischen Institutionen einher. So hat mehr als die Hälfte der Armen nur wenig Vertrauen in Parteien und Politiker*innen. Rund ein Drittel vertraut dem Rechtssystem allenfalls in geringem Maße.

Wir in Hannover stemmen uns gegen diese Entwicklung und wollen auf kommunaler Ebene Maßnahmen entwickeln und umsetzen, die einer fortschreitenden Armut entgegenwirken. Dafür braucht es zuerst das gemeinsame Bekenntnis von Verwaltung, Politik, Verbänden, Wirtschaft und Initiativen, die Zunahme von Armut nicht länger zu tolerieren und mit einem „Aktionsplan gegen Armut“ gemeinsam und entschlossen dagegen vorzugehen. Auf der Basis dieser Überzeugung wollen wir Ressourcen und Aktivitäten auf kommunaler Ebene identifizieren und neue lokale Ansätze zur Armutsprävention und -bekämpfung entwickeln.