Informationsdrucksache Nr. 0272/2013:
Konzeption Erinnerungskultur - Zwischenbericht 2012

Inhalt der Drucksache:

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0272/2013
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Konzeption Erinnerungskultur - Zwischenbericht 2012

1. Vorbemerkung

Auf der Grundlage des als Anlage 1 beigefügten Auftrages – Beschluss des Verwaltungsausschusses vom 30.04. 2010 – wurden Aspekte einer hannoverschen Erinnerungskultur im Kulturausschuss Mai 2011 berichtet. Hiermit erscheint der Folge-Bericht 2012 zu einem Rahmenkonzept Gedenk- und Erinnerungskultur.



Gedenken an dezentralen Orten im Stadtgebiet hat oft ähnliche Voraussetzungen:
> Es gibt großen Informationsbedarf vor Ort speziell zum Ort selbst und allgemeingeschichtlich;
> die traditionellen Ausdrucksformen des Gedenkens (Kranz und Gebet) haben den Anschluss zur heutigen Generation von Jugendlichen verloren;
> es muss intensiv geforscht oder es müssen erforschte Kenntnisstände vermittelt werden, um der Anonymität der Opfer begegnen zu können.

Das vom Projekt Erinnerungskultur praktizierte Konzept geht davon aus, dass diesen drei Bedarfsebenen mit drei flexiblen Angeboten am jeweiligen Gedenkort begegnet werden sollte:
> Gedenken und Erinnern,
> Informieren und Bilden,
> Forschen und Dokumentieren.

Kooperationspartner für „Gedenken und Erinnern“ sind bevorzugt Lehrer mit ihren Lerngruppen (Kurse, Klassen), die aktiv an der Gestaltung des Gedenkens teilnehmen.

„Informieren und Bilden“ geschieht in der Regel über Flyer oder auch Info-Tafeln und Publikationen. Dabei wird großer Wert auf die Möglichkeit von Informationsmaterial zum Einsatz in Lerngruppen (Praxis) gelegt.


„Forschen und Dokumentieren“ benötigt in der Regel die Universität, Archive und andere wissenschaftliche Einrichtungen als Kooperationspartner. Die Verlegung eines Stolpersteins z.B. setzt die wissenschaftliche Erforschung eines Schicksals voraus. Gerade im Hinblick auf die Einzelschicksale gibt es noch viele Lücken in der Geschichte der Stadt (mit der Erforschung der Deportation nach Riga wurde 2011 ein großer Schritt nach vorn im Hinblick auf die Erforschung der Einzelschicksale gemacht). Ein weiteres Arbeitsfeld im Bereich „Forschen und Dokumentieren“ betrifft die Ermittlung der Namen der Begrabenen auf dem Ehrenfriedhof Nordufer Maschsee; ohne wissenschaftliche Begleitung ist die Aufklärung über die dort bestatteten Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung nicht möglich (damit wurde 2011 begonnen).

Das städt. Expertengremium und das bürgerschaftlich zusammengesetzte Netzwerk Erinnerung und Zukunft haben sich unabhängig voneinander mit der Erinnerungskultur in der Stadt intensiv auseinandergesetzt.

Sie haben Eckpunkte bzw. Vorschläge in ihren Konzeptpapieren unterbreitet. Siehe Anlage (1) Expertengremium: Eckpunkte für die Weiterentwicklung der Gedenk- und Erinnerungskultur in der Stadt Hannover vom 31.05.2012 und Anlage (2) Netzwerk Erinnerung und Zukunft : Vorschläge für einen zukünftigen Dokumentations- und Vermittlungsort zur NS-Stadtgeschichte in der Landeshauptstadt Hannover.

Die Verwaltung wird dem Kulturausschuss einen Umsetzungsvorschlag zu den Anlagen mit Folgekostenabschätzung vor der Sommerpause vorlegen, der die Anregungen der Konzeptpapiere in Anlage (1) und (2) aufnimmt.

2. Gedenkorte im Stadtgebiet


2.1. Ehrenfriedhof Maschsee / Zwangsarbeit / KZ

Internationale Jugendbegegnung; Fortführung des begonnenen Vorhabens.



Als wichtiger Ort lokaler Gedenk- und Erinnerungsarbeit hat der Ehrenfriedhof Maschsee-Nordufer mittlerweile eine lebendige Erinnerungskultur entwickelt.

Die in der AG Maschsee tätigen Gruppen und Institutionen, wie die ehemalige Heinrich-Heine-Schule, jetzt Berta-von-Suttner-Schule und die St. Ursula Schule sowie der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorger, die Deutsch-Polnische Gesellschaft, Repräsentanz Volga Int, IG Metall Niedersachsen und die städtischen Fachbereiche Umwelt und Stadtgrün (Friedhöfe) sowie Bildung und Qualifizierung haben durch die in den letzten Jahren am 8. Mai zum "Tag der Befreiung" und 1. September zum "Antikriegstag" realisierten Veranstaltungen diesen Ort nachhaltig in das öffentliche Bewusstsein gerückt.

Das für Mai 2013 mit Jugendlichen aus Poznan (Polen), St. Petersburg (Russland), Riga (Lettland), Frankreich und Hannover geplante europäische Workcamp (Titel "Zwischen gestern, heute und morgen - gemeinsame Erinnerungen") wird erneut eine aktive Teilhabe der jungen Generation am Gedenken zum „Tag der Befreiung“ ermöglichen.

2.2. Stolpersteine, kleine Mahnmale in den Stadtteilen

Das Projekt Erinnerungskultur hat in Zusammenarbeit mit der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) besonders im Bereich der Verlegung der Stolpersteine geeignete Aktivitäten an den neu entstehenden Gedenkorten in den Bürgersteigen der Stadt gestaltet.



Im Einzelnen:

Seit dem Verlegetermin (2012) wird nun insgesamt an 222 Menschen an ihrem letzten frei gewählten Wohnort erinnert.

Stolpersteine werden in Hannover für die durch nationalsozialistische Gewalt Ermordete und Umgekommene verlegt:
> für ermordete Juden;
> für ermordete Sinti;
> für ermordete Homosexuelle;
> für ermordete Opfer der Wehrmachtsjustiz;
> für ermordete Kranke und Hilfsbedürftige;
> für ermordete politisch Verfolgte;
> für ermordete Zeugen Jehovas.

Eine Befragung von Fachexperten aus Köln, Hamburg, Berlin und Hannover mündete in der Empfehlung, den Kriterienkatalog entsprechend der Praxis in anderen Großstädten (Berlin, Hamburg, Köln) zu erweitern. Stolpersteinanträge von nächsten Angehörigen sollen auch für überlebende Opfer des Nationalsozialismus berücksichtigt werden. Aus Respekt vor den Hinterbliebenen und ihren Wünschen will die Landeshauptstadt dieser Empfehlung folgen.

In der DVD der Stadtkarte 2011 und im neuen Geografischen Informationssystem (GIS) auf hannover.de kann die Lage aller Stolpersteine im Stadtgebiet recherchiert werden.

Im laufenden Jahr hat eine Stolpersteinverlegung am 4. Dezember stattgefunden.
Für 2013 sind zwei Verlegetermine im Frühjahr und Herbst angemeldet, um die Wartezeit zwischen Antrag und Verlegung zu verkürzen.

2.3. Informationstafeln


An den ehemaligen KZ-Standorten im Raum Hannover sollen Informationstafeln aufgestellt werden.

Für den Standort KZ Ahlem (Continental) ist eine Tafel am Mahnmal KZ Ahlem aufgestellt worden: In Abstimmung mit dem Arbeitskreis „Bürger gestalten ein Mahnmal“, der auf der Grundlage Kooperationsvereinbarung mit der Heisterbergschule zusammenarbeitet.

Eine weitere Informationstafel für das ehemalige KZ Stöcken (Accumulatorenfabrik) wurde in Abstimmung mit der Stöckener Arbeitsgemeinschaft „KZ Stöcken“ erarbeitet. Die Aufstellung ist in Vorbereitung.

Zwei Informationstafeln zur jüdischen Geschichte und Kultur in der Stadt sind in Vorbereitung.
> Eine erste Tafel für das Mahnmal Synagoge in der Roten Reihe. Die Abstimmung mit den jüdischen Gemeinden und der Stadtsuperintendentur ist abgeschlossen. Die Aufstellung ist in Vorbereitung.
> Eine Informationstafel für das Mahnmal der ermordeten Jüdinnen und Juden (Holocaust-Mahnmal) am Opernplatz befindet sich in Vorbereitung.

Die Aufstellung einer Tafel an einem ehemaligen KZ–Standort beendet nicht die Zusammenarbeit mit den bürgerschaftlich engagierten lokalen Gruppen in den Stadtteilen / -bezirken in:
> Ahlem;
> Limmer;
> Stöcken.

Vielmehr sind die Tafeln Ausgangspunkt für neue Aktivitäten zur Jugendbildung in den Stadtteilen und Grundlage für weitere Initiativen und Projekte.
Der Standort Misburg ist noch entwicklungsfähig.

3. Gedenktage


3.1. Koordination „Tage der Erinnerung“

Das Projekt Erinnerungskultur koordiniert einen regelmäßigen Gedankenaustausch in einer Arbeitsgruppe zur Gestaltung von Jahrestagen, zum Niederlegen von Kränzen und zur Ausgestaltung von Gedenktagen. Grundlage der Betrachtung war die kritische Begleitung eines Jahreszyklus’ der Gedenktage im Stadtgebiet.



Als Ergebnis dieser Arbeitsgruppe liegt die Broschüre „Tage der Erinnerung“ (2012) zu den zentralen Gedenktagen in der Stadt Hannover vor.

3.2. Veranstaltungskalender

Neben dem „Mehrjahres-Kalender“ für den Bereich der Stadt Hannover erscheint halbjährlich der Veranstaltungskalender für Stadt und Region Hannover, herausgegeben von Netzwerk Erinnerung und Zukunft.


3.3. Ergänzungen

Durch die Broschüre „Tage der Erinnerung“ werden auch „vergessene Gedenktage“ sichtbar. Bestes Beispiel ist das Erinnern an die nationalsozialistische Bücherverbrennung am 10. Mai 1933; wie erstmals in Hannover an vier Tagen im Mai 2012 geschehen: Durch die Veranstaltungsfolge "Hannover im Wort" – v. a. die Sichtbarmachung des authentischen Ortes der Bücherverbrennung am Maschsee und die Lesung von Texten verfolgter Dichter mit Prominenten auf dem Opernplatz – ist auf die Bedeutung des 10. Mai 1933 in Hannover neu wahrgenommen worden.

4. Grundsätze pädagogischer Arbeit

Die im Projekt Erinnerungskultur entwickelten Vermittlungsansätze haben einen breit gestreuten Wirkungsgrad und beinhalten u. a. folgende Prinzipien:



Prinzip der biographischen Vermittlung:
Die TeilnehmerInnen einer Lerngruppe sollen am Beispiel von Familien- und Einzelschicksalen lernen, was es bedeutete, ein Verfolgter des NS-Regimes zu sein. In einem weiteren Schritt kommt es darauf an, das Einzelschicksal im breiteren Kontext zu erkennen.

Prinzip Authentizität:
Solange es noch möglich ist (67 Jahre nach der Befreiung) sollen Begegnungen mit Zeitzeugen, mit Menschen, die ihre Verfolgungsgeschichte erzählen können, gefördert werden. Die nächste Generation (Kinder und Enkel der Verfolgten des NS) sind in diesem Kontext auch Zeitzeugen.

Prinzip Lokalität:
Die Straße, der Stadtteil und die Nachbarschaft stehen im Mittelpunkt.
Orte der Erinnerung, an die angeknüpft werden kann, sind
Stolpersteine, Stadttafeln.
Orte des Terrors: Das System der Konzentrationslager am Beispiel vor Ort recherchieren.

Prinzip aktive Teilnahme am Gedenken:
Beteiligung von ganzen Klassen und Jugendgruppen an der Ausgestaltung der Gedenktage.
Schulen übernehmen Patenschaften für ältere Gedenktage und Gedenkorte,
z. B. Heisterbergschule / Mahnmal Synagoge in der Roten Reihe,
Schüler der Humboldtschule tragen einzelne Namen und Schicksale am Mahnmal an der Oper vor.

Prinzip aktive projektorientierte Teilnahme:
Schüler begleiten aktiv Vorbereitung und Verlegung eines Stolpersteins,
z. B. Wilhelm-Raabe-Schule, Oktober 2010.
Prinzip eigene Initiative:
In einer Lerngruppe wird über das Schicksal eines Verfolgten oder einer Familie gearbeitet.
Nach der Recherche folgt die Überlegung, ob ein Stolperstein an ein Mitglied oder mehrerer Mitglieder der Familie erinnern soll.
Im Teilprojekt Jugendbegegnung am Maschsee hat erstmals ein Lernprogramm durch Erfahrungsaustausch im Rahmen einer internationalen Jugendbegegnung stattgefunden.

5. Projekte und Veranstaltungen


5.1. Vorbemerkung

Das Projekt Erinnerungskultur führt regelmäßig Veranstaltungen an den bekannten Gedenktagen durch und füllt sie mit Kooperationspartnern aus dem Jugendbildungsbereich mit neuen Inhalten und Aktivitäten.



Neben der Begleitung der bekannten Gedenktage reagiert das Projekt Erinnerungskultur auf Initiativen und Entwicklungen in der Stadtgesellschaft. Zu aktuellen Themen und Inhalten bietet es Informations- und Erinnerungsveranstaltungen an. Zu herausragenden Ereignissen leistet das Projekt Erinnerungskultur eigene aktive Beiträge:

5.2. Ausgewählte Projekte und Veranstaltungen


Internationale Jugendbegegnung

Ein gesonderter Bericht an den Kulturausschuss (Mai 2011) liegt vor.


Die Weiterführung im Mai 2013 ist in Vorbereitung.

Ausstellung „Abgeschoben in den Tod“ (Ghetto Riga)

Ein gesonderter Bericht an den Kulturausschuss (Mai 2012) liegt vor.

Veranstaltungsprogramm „Hannover im Wort“

Vier Veranstaltungen zur Erinnerung an die nationalsozialistische Bücherverbrennung am 10. Mai 1933.


Gedenken an die Deportation in das Ghetto Theresienstadt

Vortrag Dr. Blodig am 23. Juli 2012 im Neuen Rathaus anlässlich des 70. Jahrestages der ersten Deportation aus Hannover nach Theresienstadt.



Gedenken am Mahnmal auf dem Opernplatz am 24. Juli 2012.

Vorbereitung und Organisation der Delegationsreise des Rates am 10./11. September 2012 nach Theresienstadt. Enthüllung einer bronzenen Gedenktafel in der Gedenkstätte Theresienstadt für die jüdischen Hannoveranerinnen und Hannoveraner.
Ein gesonderter Bericht wurde dem Kulturausschuss am 19. Oktober 2012 erstattet.

6. Kooperation mit der Region

Landeshauptstadt und Region Hannover arbeiten zusammen im Netzwerk Erinnerung und Zukunft (siehe aktuell den gedruckten Veranstaltungskalender 2. Halbjahr 2012).



Die Gedenkstätte Ahlem wird für ihre zukünftige Dauerausstellung den Schwerpunkt in der Geschichte der ehemaligen Israelitischen Gartenbauschule vor 1933 als Ort der jüdischen Geschichte und Kultur, nach 1933 u. a. als Ort der Zuflucht, als Sammelstelle für die Deportierten und als Sitz der Gestapo 1943 bis 1945 aufarbeiten.


Die Landeshauptstadt unterstützt die Entwicklung der Gedenkstätte Ahlem. Hierzu zählen verschiedene, im Einzelnen zwischen den Beteiligten abgestimmte Kooperationen.

Regelmäßig finden insbesondere zwischen der Kulturdezernentin und dem Regionspräsidenten konzeptionelle Gespräche statt. Die Gespräche haben das Ziel, Parallelstrukturen zu vermeiden und Felder der Kooperation zu bestimmen.

Berücksichtigung von Gender-Aspekten

Gender-Aspekte werden von dieser Informationsdrucksache nicht berührt.

Kostentabelle

Es entstehen keine finanziellen Auswirkungen.

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Hannover / Feb 6, 2013