Informationsdrucksache Nr. 0147/2010 N1:
Erlass des Nds. Ministeriums für Umwelt und Klimaschutz vom 15. Januar 2010 zur Umweltzone Hannover

Informationen:

Beratungsverlauf:

Inhalt der Drucksache:

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Landeshauptstadt HannoverInformationsdrucksache-ZeichenInformationsdrucksache
In den Verwaltungsausschuss
In den Ausschuss für Umweltschutz und Grünflächen
In die Ratsversammlung
 
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1. Neufassung
0147/2010 N1
2
 
Die Neufassung wurde erforderlich, da die Drucksache auch in der Ratsversammlung beraten werden soll. Inhaltliche Änderungen gab es nicht.,BITTE AUFBEWAHREN - wird nicht noch einmal versandt

Erlass des Nds. Ministeriums für Umwelt und Klimaschutz vom 15. Januar 2010 zur Umweltzone Hannover

Das Nds. Umweltministerium hat mit Erlass vom 15. Januar 2010 eine Änderung des städtischen Luftreinhaltplans angeordnet. Hierzu möchte die Verwaltung Folgendes mitteilen:

1. Gemäß § 47 Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) ist die zuständige Behörde bei Überschreitung bestimmter Grenzwerte verpflichtet, einen Luftreinhalteplan aufzustellen, der die erforderlichen Maßnahmen zur dauerhaften Verminderung von Luftverunreinigungen festlegt. Zuständig für die Ausführung dieser Vorschrift sind gemäß Art. 83 Grundgesetz die Bundesländer. Das Land Niedersachsen hat im Jahr 2007 entschieden, sich dieser komplexen Aufgabe nicht selbst anzunehmen, sondern den Kommunen zur Ausführung zu übertragen (Art. 1 Nr. 18 der VO zur Änderung der Verordnung über Zuständigkeiten auf den Gebieten des Arbeitsschutz-, Immissionsschutz-, Sprengstoff-, Gentechnik- und Strahlenschutzrechts vom 23.03.07, Nds. GVBl. 2007, S. 125 ff.). Damit obliegt es der Landeshauptstadt Hannover für ihren Bereich, die erforderlichen Maßnahmen in einem Luftreinhalteplan festzulegen. Dem ist die Landeshauptstadt im Jahr 2007 nachgekommen.

Die Landeshauptstadt handelt bei der Ausführung des § 47 BImSchG im übertragenen Wirkungskreis und untersteht damit der Fachaufsicht. Für die Fachaufsicht ist kennzeichnend, dass eine andere Behörde die Rechtmäßigkeit und die Zweckmäßigkeit des Verwaltungshandelns der ausführenden Behörde überprüft. Der sogenannten Fachaufsichtsbehörde steht gemäß
§§ 129 Abs. 2, 5 Abs. 1 Nds. Gemeindeordnung (NGO) das Recht zu, von der ausführenden Behörde die erforderlichen Informationen zu fordern und ihr gegenüber Weisungen zu erteilen. Das Verhältnis zwischen ausführender Behörde und Fachaufsichtsbehörde gestaltet sich im Regelfall kooperativ. Information und Beratung stehen im Vordergrund; Weisungen im Einzelfall sind die Seltenheit. Grund dafür ist, dass die unterschiedlichen Ebenen der öffentlichen Verwaltung darum bemüht sein müssen, eine geordnete und nachvollziehbare Aufgabenwahrnehmung zu gewährleisten. Dissens zwischen den verschiedenen Ebenen der staatlichen Verwaltung wird deshalb zumeist im Wege der gemeinsamen Problemerörterung auf der Grundlage aller zur Verfügung stehenden Informationen ausgeräumt. Der Anspruch, eine Aufgabe bestmöglich zu bewältigen, und die Erwartung der Bevölkerung, dass Verwaltungshandeln plausibel und zuverlässig ist, prägen gewöhnlich den Umgang zwischen den verschiedenen staatlichen Ebenen.

Das Nds. Umweltministerium hat sich in der vergangenen Woche für eine andere Form des Umgangs entschieden. Mit dem erwähnten Erlass hat das Ministerium als zuständige Fachaufsichtsbehörde von ihrem Weisungsrecht Gebrauch gemacht, ohne zuvor den fachlichen Austausch mit der Landeshauptstadt zu suchen. Ohne die umfangreichen Akten der Landeshauptstadt, die zahlreichen Stellungnahmen und Gutachten zu sichten und ohne gemeinsame fachliche Diskussion hat das Ministerium eine Änderung des städtischen Luftreinhalteplans angeordnet und zeitgleich die Presse unterrichtet. Die Verwaltung bittet um Verständnis, dass der Rat der Landeshauptstadt, der den Luftreinhalteplan beschlossen hat, unter diesen Umständen erst informiert werden kann, nachdem das Umweltministerium vollendete Tatsachen geschaffen hat.
2. Der Erlass des Umweltministeriums bestimmt, dass

a) die Landeshauptstadt bis zum 25. Januar 2010 regelt, dass Dieselfahrzeuge der Schadstoffklasse Euro 3 bis zum 31.12.2011 generell vom Verkehrsverbot in der Umweltzone ausgenommen werden, auch wenn sie nicht mit einem Partikelfilter nachgerüstet sind,

b) der Luftreinhalteplan der Landeshauptstadt bis zum 25. Januar 2010 entsprechend anzupassen ist,

c) die Landeshauptstadt bis zum 01. Juli 2010 den bestehenden Plan hinsichtlich seiner straßenverkehrsrelevanten Teile einer grundsätzlichen Prüfung unterzieht und dabei insbesondere die Auswirkungen einer Verkehrsverflüssigung berücksichtigt.

Die ersten beiden Punkte begründet das Umweltministerium damit, dass die Nachrüstung mit Partikelfiltern zu einer Erhöhung der NO2-Emissionen führe und somit die Gefahr bestehe, dass die NO2-Problematik in Hannover noch verschärft werde. Abgesehen davon ist das Fahrverbot nach Auffassung des Umweltministeriums auch unverhältnismäßig, weil die Partikelfilternachrüstung mit erheblichen Kosten für den Fahrzeughalter verbunden sei. Hierzu ist Folgendes anzumerken:

Bei Pkw und leichten Nutzfahrzeugen (Nfz), die bereits ab Werk mit einem Oxidationskatalysator ausgestattet sind, sinken die NO2-Emissionen durch eine Filternachrüstung um 30 %. Bei schweren Nutzfahrzeugen (über 3,5 t) sind 60 % der Filtersysteme NO2-neutral (für Mercedes-Benz-Fahrzeuge), d.h. der NO2-Anteil im Abgas wird nicht erhöht. Andere Systeme führen zu einem Anstieg des NO2-Anteils von unter 10 % ohne Filter auf bis zu 40 % nach der Nachrüstung.

Bezogen auf die einzelnen Fahrzeugarten und Schadstoffklassen stellt sich der NO2-Anteil am NOx im Abgas wie folgt dar:

Vor Euro 2Euro 2Euro 3
Euro 3 mit Partikelfilter-
nachrüstrung
Euro 4
Euro 4 mit Partikelfilter ab Werk
Pkw
10 %15 %30 %
21 %
40 %
55 %
Leichte Nutzfahrzeuge mit Oxidations-
katalysator
10 %15 %30 %
21 %
40 %
Leichte Nutzfahrzeuge ohne Oxidations-
katalysator
10 %15 %15 %
bis zu 40 %
15 %
Schwere Nutzfahrzeuge
10 %8 %8 %
bis zu 40 %
8 %
Bezogen auf die in der Region Hannover zugelassenen Euro 3-Dieselfahrzeuge ergibt sich hinsichtlich der NO2-Direktemissionen folgendes Ergebnis: Zum 01.01.2008 waren im Gebiet der Region Hannover insgesamt 537.597 Kraftfahrzeuge zugelassen. Der Anteil der Euro-3 Dieselfahrzeuge beträgt 10,7 % (57.609), verteilt auf 45.160 Diesel-Pkw und 12.449 Diesel-Nutzfahrzeuge, davon 7.434 leichte Nutzfahrzeuge. Bei 88 % der Diesel-Fahrzeuge (alle Pkw und 77 % der leichten Nutzfahrzeuge) führt die Partikelfilternachrüstung demnach zu einer Minderung der NO2-Direktemissionen um 30 %. Bei 60 % der schweren Nutzfahrzeuge (3.009) führt die Nachrüstung zu keiner Erhöhung; bei 40 % der schweren Nutzfahrzeuge (2.006) und 23 % der leichten Nutzfahrzeuge (1.709) würden die NO2-Direktemissionen bei einer Nachrüstung voraussichtlich um 15 bis 40 % zunehmen. Im Ergebnis besteht damit nur bei 0,88 % aller in der Region Hannover zugelassenen Fahrzeuge die Gefahr, dass eine Partikelfilternachrüstung zu höheren NO2-Emissionen führt. Dass aufgrund dieser Tatsache die Eignung der Umweltzone zur Minderung der NO2-Belastung nicht in Frage gestellt wird, hat das Verwaltungsgericht Hannover nach einer umfassenden Beweisaufnahme festgestellt:

„Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme geht die Kammer davon aus, dass die dem Luftreinhalteplan der Beklagten zugrunde liegende Prognose des Ingenieurbüros Lohmeyer auch dann Bestand haben kann, wenn man die mit Partikelfiltern nachgerüsteten Dieselfahrzeuge in den Blick nimmt. (…) Nachgerüstete ungeregelte Dieselpartikelfilter sind technisch überwiegend auf dem sog. CRT-System (Continuous Regeneration Trap System) aufgebaut. Um den im Filter gesammelten Dieselruß zu verbrennen, benötigt dieses System NO2, das im vorgeschalteten Oxidationskatalysator erzeugt wird. Beim Freibrennen des Filters wird das NO2 verbraucht; nur ein Teil gelangt in das Abgas des Fahrzeugs. Deshalb besteht ein Großteil der Nachrüstsysteme aus einem Oxidationskatalysator und einem Dieselpartikelfilter als technischer Einheit (vgl. Gutachten Schöffski vom 17.04.09, S. 2). In diesem System sorgt der Dieselpartikelfilter dafür, dass die NO2-Immissionen sogar geringer sind als bei einem mit Oxidationskatalysator ausgestatteten Fahrzeug der EURO-Norm 2 bis 4 ohne Filter. Mit einem CRT- System sind alle nachgerüsteten Diesel-PKW und 77 % der leichten Nutzfahrzeuge ausgestattet (vgl. Bericht der Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz, a. a. O., S. 1).

Nur für die verbleibenden leichten Nutzfahrzeuge (23 % der Fahrzeugflotte) und die schweren Nutzfahrzeuge setzt ein nach dem CRT-System arbeitender Dieselpartikelfilter eine vorherige Anreicherung mit NO2 voraus. Für diese Fahrzeuge müsste ein Oxidationskatalysator zusätzlich eingebaut werden mit der Folge eines höheren Ausstoßes an NO2, das im Filter nicht vollständig verbrannt und mit dem Abgas ausgestoßen würde. Für diese Fahrzeuggruppe sind jedoch auch Filtersysteme auf dem Markt, die ohne die Zufuhr von NO2 funktionieren, z. B. Partikelfilter der Fa. Twin-Tec oder das Ad-blue-System der Fa. Mercedes-Benz. Die Marktanteile dieser Filtersysteme können derzeit noch nicht sicher festgestellt werden; bekannt ist lediglich, dass Mercedes-Benz bei den schweren Nutzfahrzeugen einen Marktanteil von 60 % hält und für diese Fahrzeuge ein NO2-neutrales Filtersystem empfiehlt (vgl. Bericht der Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz, a. a. O. S. 2). Die Kammer geht daher davon aus, dass sich auch die Dieselpartikelfilter dieser Fahrzeuggruppe in der Gesamtschau überwiegend NO2-neutral verhalten. Hinzu kommt, dass im Innenstadtverkehr die NO2-Emissionen der mit Oxidationskatalysator ausgestatteten Fahrzeuge nicht signifikant höher sind als die von Fahrzeugen ohne Oxidationskatalysator. Das ist darauf zurückzuführen, dass der Dieselpartikelfilter im Stadtverkehr zwar bereits Partikel sammelt, sie wegen der für das Funktionieren des Oxidationskatalysators noch zu niedrigen Temperaturen mangels NO2 aber nicht verbrennen kann (vg. Gutachten Schöffski vom 17.04.09, S. 4). Bei den mit Oxidationskatalysator ausgestatteten Dieselfahrzeugen wirkt sich ein Dieselpartikelfilter also bei Überlandfahrten immer NO2-vermindernd aus, bei Innenstadtfahrten bleibt er dagegen im Wesentlichen NO2-neutral.

In der Summe geht der Sachverständige Dr. Bösinger (Büro Lohmeyer) deshalb davon aus, dass sich die möglicherweise durch die Nachrüstung mit Partikelfiltern ergebenden Effekte lediglich mit einem Faktor von 1 bis 5 % auf die in seinem dem Luftreinhalte- und Aktionsplan der Beklagten zugrunde liegenden Gutachten von Mai 2006 angenommene Verminderung der NO2-Belastung auswirken.
D. h. in einzelnen Straßenschluchten im Gebiet der Umweltzone darf dann keine NO2-Verringerung von bis zu 30 %, sondern nur eine von bis zu 25 % angenommen werden. Nach den Ausführungen der Beklagten in der mündlichen Verhandlung wurden derartige negative Effekte der Nachrüstfilter auf die prognostizierte NO2-Verminderung bei Aufstellung des Luftreinhalte- und Aktionsplans bereits befürchtet und dadurch berücksichtigt, dass man sehr konservativ gerechnet habe und nur von einer Verminderung der NO2-Belastung zwischen 10 und 15 % ausgegangen sei. Eine Verminderung der NO2-Belastung durch die nach der 35. BImSchV gestaffelten Fahrverbote der Umweltzone in dieser Größenordnung hält auch die Kammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme für realistisch. Dieses Verminderungspotential stimmt tendenziell überein mit den Prognosen für die Berliner Umweltzone, die die Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz in ihrem bereits zitierten Bericht unter Berücksichtigung der Auswirkungen von Oxidationskatalysator und Dieselpartikelfilter angestellt hat.“


Dass das Nds. Umweltministerium ohne Berücksichtigung dieser eindeutigen Feststellungen behauptet, dass durch die Möglichkeit der Partikelfilternachrüstung die N02-Problematik in Hannover noch verschärft werden könnte, ist gänzlich unverständlich. Dasselbe gilt für die Aussage, dass die Umweltzone in Hannover bei den betroffenen Fahrzeughaltern zu unzumutbaren Belastungen führe. Das Verwaltungsgericht Hannover hat hierzu ausgeführt:

„Schließlich sind die Fahrverbote innerhalb der Umweltzone auch verhältnismäßig im engeren Sinne, § 47 Abs. 4 Satz 1 BImSchG. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die strikte Handlungsverpflichtung, die sich aus § 47 Abs. 1 BImSchG für die Beklagte ergibt. Da die europarechtlich vorgegebenen Grenzwerte für Luftschadstoffe bis 2010 eingehalten werden müssen und ein mit den Fahrverboten vergleichbar geeignetes Mittel zur Erreichung der Grenzwerte nicht vorliegt, verbleibt der Beklagten kaum Handlungsspielraum. Zudem handelt es sich bei Stickstoffdioxid (NO2) um ein hochgiftiges Gas, das in geringen Konzentrationen kaum wahrgenommen wird, aber Kopfschmerzen und Schwindel auslöst. Höhere Konzentrationen können Atemnot und Lungenödeme verursachen. Den Gesundheitsschutz für die Bewohner an den vielbefahrenen Straßen ihrer Innenstadt und ihre europarechtlich vorgegebene Verpflichtung zur Luftreinhaltung hat die Beklagte höher bewertet als die Interessen der Besitzer von Kraftfahrzeugen ohne moderne Umwelttechnologie, die ihren Wagen auch in der Innenstadt nutzen wollen. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden, zumal der Luftreinhalte- und Aktionsplan einen umfangreichen Ausnahmekatalog vorsieht, der Bagatellfälle (geringe Fahrleistung in der Umweltzone), wirtschaftliche und soziale Härtefälle, Fahrten im öffentlichen Interesse und weitere Sonderfälle privilegiert.“

Der dritte Punkt, den der Erlass vom 15. Januar 2010 anführt, läuft offenbar darauf hinaus, dass das Nds. Umweltministerium an die Stelle der Umweltzone Maßnahmen zur Verkehrsverflüssigung treten lassen möchte. Auch diese Überlegung wurde im Rahmen des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht Hannover bereits umfassend geprüft. Bei der Frage, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um eine dauerhafte Minderung der festgestellten Luftverunreinigung zu erzielen, hat die Landeshauptstadt eine Abwägung getroffen, um einen angemessenen Ausgleich der widerstreitenden Interessen unter Beachtung des Grundsatzes des geringstmöglichen Eingriffes zu erzielen. Wie aus Punkt 7.3 des Luftreinhalteplans hervorgeht, ist die Landeshauptstadt zu dem Ergebnis gelangt, dass neben der Umweltzone auch die Verflüssigung des Kfz-Verkehrs eine geeignete Maßnahme zur Verbesserung der Luftqualität darstellt. Bei der Gewichtung entgegenstehender Belange hat sich die Landeshauptstadt allerdings dafür entschieden, dass die Vorrangschaltung für den öffentlichen Personennahverkehr beizubehalten ist. Hintergrund dieser Entscheidung ist, dass aus Sicht der Landeshauptstadt die Vorrangschaltung notwendig ist, um den öffentlichen Personennahverkehr attraktiv und finanzierbar zu gestalten. In der von der Ratsversammlung am 25.02.1988 einstimmig beschlossenen Drucksache Nr. 1194/87 zur Einrichtung von Vorrangschaltungen für Bahnen und Busse heißt es:

„Die bahn- und busgerechte Schaltung von Lichtsignalanlagen (LSA) ist derzeit der effektivste erkennbare Beitrag zur Attraktivitätssteigerung des öffentlichen Personennahverkehrs. Er verfolgt das Ziel, den Fahrgästen ein noch schnelleres, pünktlicheres und zuverlässigeres Angebot zur Verfügung zu stellen und damit die Fahrgastzahlen zu stabilisieren und möglichst sogar zu steigern: der Abbau der Fahrzeitverluste an den signalgeregelten Kreuzungen ist wesentliches Element einer Angebotsoffensive im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Vorrangschaltungen für Bahnen und Omnibusse erleichtern durch die höhere Pünktlichkeit zugleich die Sicherung der Anschlüsse an den Umsteigepunkten. Sie stellen damit ein wichtiges Instrument zur Beeinflussung der individuellen Entscheidung dar, auf die Benutzung des eigenen Pkws im Stadtgebiet zu verzichten. Investitionen in eine Verbesserung der Signalsteuerung über das bisherige Maß hinaus, das nur zu begrenzten Erfolgen führte, sind auch vom wirtschaftlichen Standpunkt sinnvoll. Die zu erwartende Kostensenkung – verbunden mit positivem Beitrag zur Ertragslage des ÖPNV durch die Belebung des Fahrgastaufkommens – kennzeichnet die beabsichtigten Maßnahmen als durchaus rentierlich. Sie sind deshalb geeignet, die Finanzierbarkeit des öffentlichen Nahverkehrs auch langfristig zu fördern.“
Die Aussagen aus der 22 Jahre alten Drucksache sind auch heute noch aktuell. Die Vorrangschaltung ist inzwischen auf allen Stadtbahnstrecken und fast allen Buslinien in der Stadt eingerichtet worden und hat erheblich zur Attraktivitätssteigerung im ÖPNV beigetragen.

Im Rahmen dieser grundsätzlichen Vorgabe ist die Landeshauptstadt seit langem darum bemüht, auch die Verkehrsverflüssigung weiter zu verbessern. Rund 95 % der Lichtsignalanlagen im Gebiet der Landeshauptstadt werden mit verkehrsabhängigen und zum großen Teil hochkomplexen Steuerungen betrieben. Dabei ist für die Signalanlagen auf den Hauptverkehrsstraßen grundsätzlich auch eine mit den jeweiligen Nachbarknoten koordinierte Steuerung vorhanden. Die übergeordnete makroskopische Steuerung erfolgt heute über Verkehrsrechner (Synchronisierung benachbarter Lichtsignalanlagen, zeitplanabhängige Signalprogrammauswahl mit unterschiedlich langen Signalumlaufzeiten, Archivierung von Zustands- und Störungsdaten), die lokale Steuerung (Mikrosteuerung) erfolgt durch die „intelligenten“ Signalsteuergeräte vor Ort (Mikroprozessorgeräte). Zur Detektion und nachfolgenden Modifizierung von Freigabezeiten innerhalb vorgegebener Rahmen-Signalpläne (signalprogrammabhängige Phasenfreigabebereiche zur Gewährleistung einer koordinierten Steuerung – „Grüne Welle“) kommen Induktionsschleifen, Infrarotdetektoren, Videokameras, Koppelspulen bei der Stadtbahn sowie das GPS-System (früher Bake-Funk-System) im Busbereich zum Einsatz. Durch diese verkehrsabhängige und auch „intelligente“ Steuerung werden Fahrzeitverluste für Stadtbahnen und Omnibusse an den signalgeregelten Kreuzungen heute im Wesentlichen reduziert. Dazu wurden die ehemals vorhandenen Festzeitsteuerungen mit starren Grünzeiten und unveränderlichen Phasenfolgen durch moderne und flexible Steuerungen ersetzt, was in der Regel verbunden war mit einem Austausch von veralteten Signalsteuergeräten.


Das Ziel der weiteren Entwicklung besteht darin, das vorhandene System unter Beibehaltung der Vorrangschaltung für den öffentlichen Personennahverkehr weiter zu verbessern, um die Schadstoffemissionen im Verkehrsbereich zu minimieren. Dies beinhaltet u.a. eine systematische Qualitätssicherung, welche die verkehrstechnische Projektierung, die Implementierung der Steuerung, die ständige Analyse, Kontrolle und Pflege der Steuerung im laufenden Betrieb sowie auch die Instandhaltung umfasst. Im Rahmen der Qualitätssicherung werden alle Hauptstraßen im Stadtgebiet einer systematischen Prüfung unterzogen. Die bisher vorliegenden Ergebnisse dieser Untersuchungen und die durchzuführenden Maßnahmen sind in den Informationsdrucksachen Nr. 0898/2007, Nr. 0525/2008 und Nr. 1890/2008 dargestellt. Eine weitere Drucksache befindet sich zurzeit in Vorbereitung.


Trotz dieser Bemühungen ist nicht davon auszugehen, dass allein die Verstetigung des Verkehrsflusses ausreicht, um eine dauerhafte Minderung der Luftverunreinigung zu bewirken. Diese Maßnahme ist nicht geeignet, die Umweltzone zu ersetzen, sondern kann nur zusätzlich dazu beitragen, dass die Grenzwerte eingehalten werden. In der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Hannover heißt es hierzu:

„Entgegen der Auffassung des Klägers stellt allein die Verstetigung des Verkehrsflusses durch eine miteinander vernetzte Steuerung der Lichtsignalanlagen kein milderes Mittel dar, um die NO2-Belastung im Innenstadtbereich der Beklagten zu senken. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Friedrich können aufeinander abgestimmte Lichtsignalanlagen zwar für einzelne Hauptverkehrsstraßen zu einer Verringerung der NO2-Emissionen um bis zu 30 % führen. Ob ein derartiges Verminderungspotential konkret für das Stadtgebiet der Beklagten besteht, konnte der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung allerdings nicht bestätigen. Dies hält die Kammer auch für ausgeschlossen. Denn nach den Ausführungen der Beklagten in der mündlichen Verhandlung erfolgt bereits an allen Hauptstraßen eine Koordination der Lichtsignalanlagen, die sog. "Grüne Welle". D. h. die vom Kläger geforderte Verstetigung des Verkehrsflusses wird bereits - zumindest teilweise - umgesetzt. Einer noch weitergehenden Verstetigung steht in vielen Straßen die durch den Rat der Beklagten beschlossene Vorrangschaltung für den Öffentlichen Personennahverkehr entgegen. Diese Vorrangschaltung soll die Attraktivität von Bussen und Bahnen durch kürzere Fahrzeiten und größere Pünktlichkeit steigern und damit die Anzahl der Individualfahrten im Innenstadtbereich vermindern. Der Sachverständige Prof. Dr. Friedrich räumt ein, dass seine Verminderungsprognose auf der Annahme beruht, dass an einigen Stellen im Stadtgebiet der Beklagten die Vorrangschaltung für den Öffentlichen Personennahverkehr aufgegeben bzw. abgeschwächt werden müsste. Gleichzeitig geht der Sachverständige aber davon aus, dass mit der Verkehrsverstetigung keine Zunahme des Verkehrs zu erwarten ist. Diese Prämisse hält die Kammer für unrealistisch. Denn wenn die Fahrt mit Bus oder Straßenbahn durch längere Fahrzeiten unattraktiver und gleichzeitig die Fahrt mit dem Privat-PKW wegen verringerter Wartezeiten vor den Lichtsignalanlagen kürzer und angenehmer wird, liegt es auf der Hand, dass die Bürger für die Fahrt in die Innenstadt verstärkt den eigenen PKW wählen werden. Damit aber würde die Verringerung der Abgasemissionen, die man durch weniger Beschleunigungsvorgänge nach der Wartezeit vor der roten Lichtsignalanlage erreichen könnte, durch die Zunahme des Straßenverkehrs kompensiert. Selbst wenn eine "Grüne Welle" unter Beibehaltung der Vorrangschaltung für den Öffentlichen Personennahverkehr realisiert werden könnte, würde der Privat-PKW dadurch gegenüber Bus oder Bahn attraktiver, so dass auch in diesem Fall mit einer Verkehrszunahme zu rechnen wäre (vgl. Belter, "Ökologische Folgewirkungen von ÖPNV- Beschleunigungsmaßnahmen", S. 11). Da optimierte Verkehrsströme stets weiteren Verkehr erzeugen, kann die Einhaltung des ab 2010 geltenden Grenzwertes für NO2 durch eine Verkehrsverstetigung allein nicht erreicht werden. Die Kammer geht davon aus, dass eine gesetzeskonforme Luftreinhaltung nur durch eine Attraktivitätssteigerung des Öffentlichen Personennahverkehrs und - parallel dazu - mit restriktiven Maßnahmen gegenüber dem motorisierten Individualverkehr erreicht werden kann (vgl. Belter, a. a. O., S. 12). Mit der Vorrangschaltung für Busse und Bahnen (Pkt. 6.3) und den Fahrverboten der Umweltzone (Pkt. 7.11) hat die Beklagte beide Maßnahmen in ihrem Luftreinhalte- und Aktionsplan umgesetzt. Das ist rechtlich nicht zu beanstanden.“


Nur zur Klarstellung ist darauf hinzuweisen, dass der öffentliche Personennahverkehr eine kommunale Selbstverwaltungsaufgabe ist. Sollte das Nds. Umweltministerium darauf abzielen, den geltenden Vorrang des Personennahverkehrs in Frage zu stellen, wird die Landeshauptstadt in Abstimmung mit der Region Hannover sämtliche Rechtsmittel prüfen, um die kommunale Selbstverwaltung zu gewährleisten.

3. Gemäß § 47 Abs. 5 a BImSchG ist bei der Aufstellung oder Änderung von Luftreinhalteplänen die Öffentlichkeit durch die zuständige Behörde zu beteiligen. Die Aufstellung oder Änderung eines Luftreinhalteplanes sowie Informationen über das Beteiligungsverfahren sind in einem amtlichen Veröffentlichungsblatt und auf andere geeignete Weise öffentlich bekannt zu machen. Der Entwurf des neuen oder geänderten Luftreinhalteplanes ist einen Monat zur Einsicht auszulegen; bis zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist kann gegenüber der zuständigen Behörde schriftlich Stellung genommen werden; der Zeitpunkt des Fristablaufs ist bei der Bekanntmachung mitzuteilen. Fristgemäß eingegangene Stellungnahmen werden von der zuständigen Behörde bei der Entscheidung über die Annahme des Plans angemessen berücksichtigt.

§ 47 Abs. 5 a BImSchG wurde durch Art. 2 Nr. 4 b des Gesetzes über die Öffentlichkeitsbeteiligung in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG (Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz) vom 09.12.2006 (BGBl.I S. 2819 ff.) in das Bundesimmissionsschutzgesetz eingefügt. Nicht nur bei der Aufstellung, sondern auch bei jeder Änderung eines Luftreinhalteplans soll die Öffentlichkeit Gelegenheit bekommen, Einwände vorzutragen. Die gesetzliche Regelung ist insoweit eindeutig. Dennoch vertritt das Nds. Umweltministerium in dem Erlass vom 15. Januar 2010 die Auffassung, dass das vorgeschriebene Verfahren bei der angeordneten Änderung nicht zu beachten sei. Denn dieses Verfahren führt nach Auffassung des Ministeriums zu einer zeitlichen Verzögerung von mindestens drei Monaten. Die angeordnete Ausnahme käme daher für die meisten Betroffenen zu spät und würde ihren Zweck nicht mehr erreichen können. Es handele sich überdies um eine punktuelle Änderung, die dem Plan nicht entgegenstehe, andere öffentliche Belange nicht berühre und Rechte anderer nicht beeinflusse.

Diese Argumentation ist aus rechtlicher Sicht unhaltbar. Das Nds. Umweltministerium hatte es als zuständige Fachaufsichtsbehörde in der Hand, ihre Weisung so rechtzeitig zu treffen, dass die Öffentlichkeit ordnungsgemäß beteiligt werden kann. Über zweieinhalb Jahre hinweg nichts zu tun, um sodann sofortiges Handeln zu beanspruchen, ist mit dem Gesetzeszweck nicht vereinbar. Ein solches Vorgehen missachtet in grober Weise die gesetzlich vorgegebenen Rechte der Bevölkerung, bei der Gestaltung von Luftreinhalteplänen mitzuwirken. Der Hinweis des Ministeriums, dass die Änderung unwesentlich sei und die Rechte anderer unberührt lasse, ist offenkundig unzutreffend. Das Gegenteil ist der Fall. Der Schutz vor schädlichen Luftverunreinigungen betrifft die Rechte der Bevölkerung ganz unmittelbar und erheblich. Jede Ausgestaltung dieses Schutzes – insbesondere auch eine Aufweichung, wie sie das Nds. Umweltministerium anordnet – erfordert eine öffentliche Diskussion. Warum sich das Ministerium dieser Vorgabe widersetzt, bleibt unerfindlich.

4. Der Rechtsschutz gegen Maßnahmen im Rahmen der Fachaufsicht ist eingeschränkt. Regelmäßig kommt die Anfechtung einer Weisung nicht in Betracht, weil eine Gemeinde bei der Wahrnehmung einer staatlichen Aufgabe durch eine Weisung der staatlichen Fachaufsicht nicht in ihren Rechten verletzt ist. Denn die Weisung betrifft die Gemeinde nicht als Selbstverwaltungskörperschaft, sondern gleichsam intern als Teil der Staatsorganisation im engeren Sinne. Eine Klage gegen die Weisung des Nds. Umweltministeriums verspricht demzufolge keinen Erfolg, obgleich schon aus den zu Punkt 3 genannten Gründen davon auszugehen ist, dass die angeordnete Maßnahme nicht den geltenden Rechtsvorschriften entspricht. Die Verwaltung wird daher die Weisung ausführen. Zuständig ist gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 5 NGO der Oberbürgermeister.

Abschließend ist auf § 5 Abs. 5 NGO hinweisen. Nach dieser Regelung erstattet das Land einer Gemeinde alle notwendigen Kosten, die durch die Ausführung einer Weisung entstanden sind, wenn die angeordnete Maßnahme aus rechtlichen Gründen aufgehoben wird. Mit Blick auf diese Vorschrift wird die Verwaltung sämtliche Kosten erfassen, die ihr infolge der Weisung entstehen.


Der Erlass des Nds. Umweltministeriums und das Antwortschreiben der Landeshauptstadt sind dieser Drucksache als Anlagen beigefügt.

Berücksichtigung von Gender-Aspekten


Gender-Aspekte sind nicht berührt.

Kostentabelle


Die finanziellen Auswirkungen der Weisung sind noch nicht bezifferbar.

Dez. V 
Hannover / 28.01.2010