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die Grabstätte von Kurt Morawietz, geboren am 11.05.1930 in Hannover, gestorben am 16.07.1994 in Hannover, auf dem Stadtfriedhof Stöcken als "Ehrengrab" gemäß der am 16.7.2015 vom Rat beschlossenen Ehrengräbersatzung zu widmen.
Die Verwaltung ist bestrebt den bisher unterrepräsentierten Anteil an weiblichen Ehrengräbern und gewidmeten Grabstätten zu erhöhen und verweist in diesem Zusammenhang auf die aktuellen Drucksachen zur Widmung der Grabstätten Ida Ahrenhold, Charlotte Kestner und Caroline Herschel.
Gemäß § 2 der Ehrengräbersatzung ist jede Person berechtigt, Vorschläge für Ehrengräber und bedeutende Grabstätten zu unterbreiten. Diese sind in schriftlicher Form und mit ausführlicher Begründung bei der Verwaltung einzureichen. Entsprechende Vorschläge werden gerne entgegen genommen.
Ergebnis der Klimawirkungsprüfung
Die Widmung der Grabstätte als Ehrengrab hat keine Auswirkungen auf das Klima.
Kurt Morawietz, geboren am 11.05.1930 in Hannover, war der Sohn des aus Ratibor stammenden Buchbinders Robert Morawietz und dessen erster Ehefrau Annemarie geb. Liebner.
Die Eltern lebten seit 1910 bzw. 1922 in Hannover, seit 1925 in der Nordstadt, Schaufelderstr. 16. Hier wuchs auch Kurt Morawietz gemeinsam mit seinem älteren Bruder Norbert Walter (geb. 1923) auf. Er bewohnte die elterliche Wohnung bis zum Umzug in die Letterstr. 9 in Stöcken 1959. Zwei Jahre zuvor hatte er die aus Hildesheim stammende Ursula Sänger geheiratet; aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor. Die letzten Lebensjahre ab 1991 verbrachte er inmitten der Stadt, in der Leinstraße 17.
Kindheit und Jugend von Kurt Morawietz waren familiär geprägt von seinem katholischen Elternhaus, - damit gehörte die Familie im überwiegend lutherischen Hannover zu einer Minderheit. Außerdem waren beide Elternteile gehörlos. Die Söhne waren in alltäglichen Situationen „Übersetzer“ für ihre Eltern.
Als 1930 Gebürtiger gehörte Kurt Morawietz zu den Heranwachsenden, die die komplette Jahrgangserfassung in der Hitler-Jugend im NS-Staat erfuhren. Es gab damit nicht mehr die persönliche Entscheidung, Hitlerjunge oder BDM-Mitglied zu werden. 1940 wurde Morawietz„Pimpf“ (10-13jährige) und wurde 1944 in die Hitlerjugend der 14-18-jährigen übergeleitet. .
Aus der Indoktrination des NS-Staats (in HJ und Schule) hat er sich nach eigenem Zeugnis in der Nachkriegszeit mit der Lektüre von Schillers Werken gelöst.
Um die Lebensleistung von Kurt Morawietz einzuschätzen, ist das Umfeld zu berücksichtigen, in dem der Schriftsteller und Erneuerer etwa 40 Jahre in Hannover und darüber hinaus aktiv gewirkt hat.
· Eine literarische Szene (mit Einrichtungen wie das z.B. Künstlerhaus/Literaturhaus heute) gab es im städtischen Bereich in den 1950er Jahren nicht.
· Medien zur Verständigung und Reflexion für Menschen mit literarischen Ambitionen waren nicht vorhanden.
· Eine offene Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit war nicht gefragt. Stattdessen wurden Verbrechen verdrängt und freiheitliche Initiativen unter Kommunismus-Verdacht gestellt und mundtot gemacht.
1944-1946 absolvierte Kurt Morawietz eine Verwaltungslehre bei der Landeshauptstadt Hannover und arbeitete an verschiedenen städtischen Dienststellen. Nach dem Besuch einer Gemeindeverwaltungsfachschule (1953-1955) wurde er 1962 Mitarbeiter des städtischen Kulturamts, wo er bis 1992 u.a. zuständig für die Bereiche Literatur, Heimat- und Denkmalpflege sowie Volksbildung war.
Morawietz engagierte sich innerhalb und außerhalb seiner beruflichen Tätigkeit für die niedersächsische und insbesondere hannoversche Literaturszene und wurde früh auch selbst schriftstellerisch tätig.
Oft vergaß er die Trennung zwischen Privatleben und Berufsarbeit; für Außenstehende war die Unterscheidung erst recht schwer. Seine Vorgesetzten ließen ihm im Vertrauen auf seine Fähigkeiten alle Freiheiten. Er war ein Pionier der literarischen Öffentlichkeit in Hannover. Er hat die Entwicklung dieser Öffentlichkeit mit Austausch, Kritik und Dialog in der Landeshauptstadt vorangebracht und war ein Teil von ihr. In ihren verschiedenen Spielarten ist sie ein Grundpfeiler der demokratischen Gesellschaft.
1955 gründete er die Literaturzeitschrift „die horen. Zeitschrift für Literatur, Graphik und Kritik“, die sich unter seiner langjährigen Herausgeber-, später Mitherausgeberschaft zu einer auch international anerkannten Literaturzeitschrift entwickelte und zweifach – 1980 und 1988 – mit dem Alfred-Kerr-Preis des Börsenvereins des dt. Buchhandels ausgezeichnet wurde.
Ein Jahrzehnt lang (1954-1964) war Morawietz Sprecher des seit 1951 bestehenden „Jungen Literaturkreises“.
Er gründete den Förderkreis deutscher Schrifsteller in Niedersachsen und Bremen und initiierte 1977 im Theater am Aegi das literarische Matinee „Autoren im Aegi“ zur Förderung hannoverscher Autoren. 1978 war er (Mit-)Begründer der Buchmesse und Literaturwoche „Literanover“, die als Plattform für hannoversche Kleinverlage und Literaturschaffende diente und bis heute – seit 1994 unter der Bezeichnung „Buchlust“ – fortgesetzt wird. Im gleichen Jahr initiierte er das sogenannte Lyrik-Telefon, über das mehrere Jahre lang hannoversche Autoren im wöchentlichen Wechsel aus ihren Werken lasen. Seit 1979 verantwortete er auch die Rubrik „Autoren in Niedersachsen“ der Zeitschrift „Heimatland“.
Morawietz veröffentlichte selbst zahlreiche eigene Texte. Hervorzuheben sind u.a. die Prosa- und Gedichtbände Droben in den Bergen (1949), Deutsche Teilung (1966) und Ostwärts Westwärts (1972). Ferner erschienen in Zeitungen und Zeitschriften zahlreiche zeitkritische, teils auch satirisch gehaltene Gedichte und Erzählungen sowie Aufsätze u.a. zu Leibniz, Herrenhausen sowie zur Literaturgeschichte. Durch die Publikation einer Biografie von Gerrit Engelke (1979) und eine Dokumentation zu dessen 100sten Geburtstag (1992) machte er sich um den aus Hannover stammenden „Arbeiterdichter“ verdient, der seitdem durch den Gerrit-Engelke-Preis von der LHH geehrt wurde (zweijährlich, 14 Vergaben bis 2005, danach überführt in den Hölty-Preis).
Er war außerdem Mitbegründer der Karl May-Gesellschaft (1969), sowie Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller (seit 1959), im deutschen und internationalen Schriftstellerverband PEN (seit 1981 bzw. 1982), in der Schiller-Gesellschaft (seit 1972) und in der Gerrit-Engelke-Gesellschaft, als deren Geschäftsführer er 1985 fungierte.
Kurt Morawietz ist am 16.07.1994 in Hannover gestorben und wurde auf dem Stadtteilfriedhof Stöcken beigesetzt.
Ehrungen:
- 1971 Lyrikpreis Junge Dichtung in Niedersachsen
- 1980 Alfred-Kerr-Preis des Börsenvereins des dt. Buchhandels für die Zeitschrift die horen
- 1986 Literaturmarktpreis der Buchmesse literanover
- 1988 Alfred-Kerr-Preis des Börsenvereins des dt. Buchhandels für die Zeitschrift die horen
- 1991 Niedersachsenpreis für Publizistik
- 1995 Stiftung des „Kurt-Morawietz-Literaturpreis“ für hannoversche Literaturschaffende durch die LHH und die Sparkasse Hannover (zweijährlich, bis 2006 sechs Vergaben, danach überführt in den Holty-Preis)
- 2005 Ehrung durch die LHH anlässlich seines 75. Geburtstages mit verschiedenen Veranstaltungen.
Widmung als Ehrengrabstätte
Morawietz‘ Besuche von NS-Erziehungseinrichtungen sind seit langem bekannt und wurden von ihm selbst kritisch thematisiert; die Auseinandersetzung mit dem NS wurde zu einem Ausgangspunkt seines literarischen Schaffens. Die Verwaltung sieht daher in diesen Tatsachen keinen Hinderungsgrund für eine Ehrung, zumal Morawietz bei Kriegsende erst knapp 15 Jahre alt war.
Kurt Morawietz hat sich beruflich und privat sehr um die Förderung nicht nur des hannoverschen Literaturschaffens verdient gemacht. Er hat sich darüber hinaus durch die Herausgabe der horen sowie durch zahlreiche eigene Texte und Editionen einen über Hannover hinaus wirksamen Ruf als Autor und Herausgeber erworben.
In der Reihe der Ehrengräber der Landeshauptstadt ist Karl Krolow (Jg. 1915) der einzige Nachkriegsschriftsteller (im Sinne von „schriftstellerisches Wirken nach 1945“). Für Vertreter*innen der „vergessenen Generation“ gibt es bisher kein Ehrengrab/ bedeutendes Grab.
Friedrich Rasche bescheinigte dem Stadthannoveraner zum Stellenwert der Literatur: „Sicher ist auch der normale Hannoveraner davon überzeugt, … dass der Zufall hin und wieder einmal auch in Hannover einen Dichter zur Welt kommen lässt. Er wird ihn sogar in Maßen achten und ehren; aber wenn er die Ruhmestitel seiner Stadt aufzählt, wird er erst nach dem Gummireifen, der Tinte, dem Keks und dem Fleischsalat den Namen des Dichters nennen.“ (Merian-Heft Hannover, 1950, S.28)
Morawietz war nicht der Einzige, der sich um die literarische Öffentlichkeit von der Nachkriegszeit bis in die 1990er Jahre verdient gemacht hat. Zu denken ist etwa an Walter Lobenstein (geb. 1930), der noch unter den Lebenden weilt, und Joachim Grünhagen (1928 - 2016).
Morawietz hat aber allein das große Verdienst, kontinuierlich an unterschiedlichen basisdemokratischen Organisationsformen und selbst noch produktiv als Schriftsteller gearbeitet zu haben; seine Arbeit konnte ungewöhnlich nachhaltig Wirkung entfalten.
Angesichts der besonderen Verdienste für die Stadt Hannover soll die Lebensleistung von Kurt Morawietz durch die Widmung seiner Grabstätte zur einem Ehrengrab geehrt werden. Damit wird die Grabstätte auf Friedhofsdauer in die städtische Pflege übernommen.