Informationsdrucksache Nr. 0035/2013:
'Vermeidung von schulverweigerndem Verhalten' - Auswertungsbericht

Inhalt der Drucksache:

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0035/2013
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'Vermeidung von schulverweigerndem Verhalten' - Auswertungsbericht

1. Ausgangssituation – Ursachen und Hintergründe

Der Umfang an massiver Schulverweigerung hat in den letzten Jahren bundesweit und somit auch an Schulen in der Landeshauptstadt Hannover stetig zugenommen. Die in den vergangenen neun Jahren eingegangenen Anzeigen im Fachbereich Recht und Ordnung der Landeshauptstadt Hannover belegen diesen negativen Aufwärtstrend (Anlage 1,
Tabelle 1). Im Sekundarbereich I sind vor allem Haupt- und Förderschulen und im Sekundarbereich II die Berufsbildenden Schulen vom Phänomen Schulverweigerung betroffen. Aufgrund des diskontinuierlichen und uneinheitlichen Dokumentations- und Meldeverhaltens der Schulen ist davon auszugehen, dass die Anzahl der Schulpflichtverletzungen über dem Wert der eingegangenen Anzeigen liegt.

Schulverweigerungshaltung entwickelt sich oft über mehrere Jahre hinweg – meist von einer passiven inneren Abkehr vom Unterricht, über stunden- und tageweises Fernbleiben vom Schulunterricht bis hin zur aktiven Schulverweigerung. Dieses Problem ist häufig ein Indikator für schwierige Lebenssituationen von Kindern und Jugendlichen, die zu sozialen Desintegrationsprozessen führen können. Darüber hinaus weist das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen in einer Auswertung von Studien auf einen Zusammenhang zwischen Schulschwänzen (fünf Tage und mehr) und Jugendkriminalität hin: "Schulschwänzen ist ein statistischer Risikomarker für Delinquenz (Ladendiebstahl, Gewalt)" (Wetzels, P. u.a., 2002, Baden-Baden). Die Auswertung der Studien besagt nicht, dass alle Schulschwänzer kriminell sind; auffallend viele delinquente Jugendliche sind jedoch Schulschwänzer. Hinzu kommt, dass Jugendliche, die häufig durch Schulmüdigkeit und Schulverweigerung auffallen, kaum einen Schulabschluss erreichen. Hierdurch wird ihr Übergang von Schule in Ausbildung und Erwerbsarbeit überaus stark erschwert und birgt in sich die Gefahr einer dauerhaften Ausgrenzung.

Die Ursachen und Hintergründe des Problems Schulverweigerung sind vielfältig und lassen sich nicht auf einen Faktor reduzieren. Hinter dieser Problematik verbergen sich individuelle, familiäre, sozial- und schulstrukturelle Problemlagen, die durch das Fernbleiben vom Unterricht sichtbar werden. Auf diese oftmals multiplen Problemlagen können Lehrerinnen und Lehrer im alltäglichen Schulablauf vielfach nicht adäquat eingehen. Vor allem Lehrkräfte, die mit großen Klassenstärken konfrontiert sind, fühlen sich zumeist damit überfordert, sich der persönlichen Problematik von Schulverweigerern anzunehmen und diese Jugendlichen in den normalen Schulunterricht zu integrieren. Sie gelten als Unterrichtsstörer oder als Außenseiter. Jeder Einzelne dieser schwierigen Schülergruppe benötigt eine besondere Aufmerksamkeit und individuelle pädagogische Ansprache. Zur Problembewältigung sind die Erziehungsberechtigten einzubeziehen, was unmittelbare Gespräche, auch zu ungünstigen Besuchszeiten, zwischen ihnen und den verantwortlichen Lehrkräften voraussetzt.

In den vergangenen Jahren ist versucht worden, mit unterschiedlichen Handlungsschritten dem Problem Schulschwänzen zu begegnen. Zu nennen sind u.a. das nicht fortgeführte Modellprojekt 'ProgeSs' vom Land Niedersachsen oder auch der Antrag auf Fördermittel aus dem ESF-Programm 'Schulverweigerung - Die 2. Chance', der keine Berücksichtigung fand. Auch die Beratungsangebote, die auf der Grundlage der vielfach bestehenden Kooperationsvereinbarungen zwischen Schule und Kommunalem Sozialdienst bestehen, zeigen auf, dass bei diesen Jugendlichen ein erhöhter Hilfebedarf und besonderer Arbeitsansatz erforderlich ist.
2. Projekte und Handlungsschritte
· Projekt 'Vermeidung von schulverweigerndem Verhalten'

Angesichts der stetig steigenden Schulschwänzerzahlen und der damit einhergehenden ordnungsrechtlichen Maßnahmen sowie der Tatsache, dass Schulen in zunehmendem Maße Schwierigkeiten im Umgang mit verhaltensauffälligen Schülerinnen und Schülern haben, entwickelte der Fachbereich Jugend und Familie in Zusammenarbeit mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Kontakt- und Beratungsbüros für Schülerinnen und Schüler 'KonneX' der Arbeiterwohlfahrt Region Hannover e.V. und Vertretern der Integrierten Gesamtschule Vahrenheide / Sahlkamp und der Hauptschule Karl-Jatho-Schule ein problem- und zielgruppenorientiertes Konzept zur 'Vermeidung von schulverweigerndem Verhalten'. Das Konzept wurde erstmals im Schuljahr 2010/11 an den vorgenannten allgemeinbildenden Schulen erprobt. Zum Schuljahresbeginn 2011/12 wurden zusätzlich die Hauptschule im Schulzentrum Badenstedt und die Hauptschule Pestalozzischule / Anderten in die Erprobungsphase aufgenommen.

Das Projekt ist eine früh einsetzende Jugendhilfemaßnahme und richtet sich mit seinem primären Hilfsangebot an Schülerinnen und Schüler der fünften bis zehnten Jahrgangstufen mit dem Ziel der Reintegration in das Regelschulsystem. Darüber hinaus wendet es sich gleichfalls an die Erziehungsberechtigten der entwicklungsgefährdeten Jugendlichen.
Das auf Prävention ausgerichtete Jugendhilfeangebot berücksichtigt bewusst keine Schülerinnen und Schüler mit manifestierter Schuldistanz. Für diese Jugendlichen stehen andere Interventionsmaßnahmen der Jugendhilfe zur Verfügung.
Mit der Projektdurchführung wurde die Jugendhilfeeinrichtung 'KonneX' der AWO Region Hannover e.V. beauftragt, die seit Jahren Beratungs- und Begleitungsangebote für Jugendliche und deren Angehörige mit Problemlagen in Bezug auf einen regelmäßigen Schulbesuch vorhält.

Handlungsziele des Projekts
o Entwicklung von Zugängen zu Schülerinnen und Schülern mit unterrichtsmeidenden Verhaltensweisen, die bisher nicht durch schulische Handlungsmöglichkeiten erreicht wurden.
o Klärung der individuellen Problemlagen unter Einbeziehung der Erziehungsberechtigten.
o Erarbeitung von individuell zugeschnittenen Lösungswegen zur Bewältigung der oftmals multiplen Problemlagen in Zusammenarbeit mit Eltern, Schule und anderen spezialisierten Fachstellen (z. B. Schulpsychologischer Dienst, Beratungsstellen) mit dem primären Ziel der Reintegration in das Regelschulsystem.
o Führen die individuell zugeschnittenen Lösungswege aufgrund einer stark beeinträchtigten Persönlichkeitsentwicklung der/des Jugendlichen nicht zum Erfolg oder sind starke körperliche oder seelische Beeinträchtigungen des jungen Menschen zu befürchten, so leitet der projektbeauftragte Träger zur Unterstützung der elterlichen Erziehungsverantwortung eine Zusammenarbeit mit dem örtlichen Träger der Jugendhilfe (Kommunaler Sozialdienst) ein. Ergebnisse im Zeitraum 2010 bis 2012 (s. a. Anlage).

Im Schuljahr 2011/12 wurden an den vier beteiligten Schulen insgesamt 78 von Schulabsentismus bedrohte Schülerinnen (52,6 %) und Schüler (47,4 %) betreut.
Der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit einem Migrationshintergrund lag im Schuljahr 2011/12 bei 52,6 %.

Im Schuljahr 2011/12 konnten

o 51,3 % (2010/11: 31,3 %) der von Schulabsentismus bedrohten Schülerinnen und Schüler in ihre jeweiligen Stammklassen eingegliedert werden.
o 6,4 % (2010/11: 8,3 %) der entwicklungsgefährdeten Jugendlichen motiviert werden, ihren Schulbesuch in einer anderen allgemeinbildenden Schule der gleichen Regelstufenklasse fortzusetzen.
o 6,4 % (2010/11: 4,2 %) der Jugendlichen in eine Praktikumsstelle wechseln oder fanden einen beruflichen Ausbildungsplatz.
o 23,1 % (2010/11: 12,5 %) der betreuten Jugendlichen in eine Berufsbildende Schule wechseln.

o 10,3 % (2010/11: 10,4 %) der Jugendlichen und auch leider deren Erziehungsberechtigte waren im Projektverlauf nicht problemeinsichtig und zur Mitwirkung keinesfalls bereit. Bei diesen Jugendlichen droht eine Verfestigung der Schulverweigerungshaltung. Derzeit prüfen die Schulen, ob gegen die Betroffenen ein Ordnungswidrigkeitsverfahren gemäß § 176 NSchG eingeleitet werden soll (Anlage 1, Tabellen 2 – 4)

Aus Sicht der Verwaltung ist das Projektziel, die Anzahl der Schülerinnen und Schüler zu vermindern, die dem Unterricht unentschuldigt fernbleiben, erreicht worden.


· Außerschulische Interventionsmaßnahmen der Jugendhilfe für Kinder und Jugendliche mit manifestierter Schuldistanz

Schülerinnen und Schüler mit einer verfestigten Schuldistanz, die im Projekt 'Vermeidung von schulverweigerndem Verhalten' bewusst keine Berücksichtigung finden, können in Hannover folgende auf ihre speziellen Problemlagen ausgerichteten Jugendhilfemaßnahmen zur Erfüllung ihrer Schulpflicht in Abstimmung mit der zuführenden Schule und der Landesschulbehörde in Anspruch nehmen:

o Station Glashütte – Außerschulischer Lernort für Schulverweigerer der Arbeiterwohlfahrt Region Hannover e.V. (AWO)
Die Jugendhilfemaßnahme 'Station Glashütte' der AWO richtet sich seit November 2000 an schulmüde Jugendliche im Alter von 14 bis 16 Jahren. Als ein außerschulischer Lernort bietet die Maßnahme ein tagesstrukturierendes Betreuungs- und Unterrichtsangebot, das auf einem festen Stundenplan basiert. Die Jugendlichen werden in Deutsch, Mathematik, Englisch, Sozialkunde unterrichtet und in einem handwerklich-kreativen Werkstattangebot ergotherapeutisch gefördert. Neben der individuellen Förderung und Stabilisierung des Einzelnen liegt das Hauptaugenmerk der Maßnahme 'Station Glashütte' auf der Reintegration in das Bildungssystem.

o FachWerk - Schulverweigererprojekt der Werk-Statt-Schule e.V.
Das Projekt 'FachWerk' des freien Bildungsträgers Werk-statt-Schule e.V. ist eine Antwort auf die kontinuierlich steigende Anzahl von Schulpflichtverletzungen in Hannover. Seit März 2011 haben Schulverweigerer ab 14 Jahren, die mit dem herkömmlichen Schulunterricht nicht mehr zurechtkommen, in Werkstätten die Möglichkeit erhalten, über praktische Arbeit ihren Weg zurück in die schulische Ausbildung zu finden.
o Hauptschule in freier Trägerschaft, Förderschule für soziale und emotionale Entwicklung und Ergänzungsschule der Werk-Statt-Schule e.V.
Aufgrund der hohen Schulabbrecher- und Schulverweigererquote entwickelte die Werk-statt-Schule Unterrichtskonzepte mit hohen Praxisanteilen in kleinen Lerngruppen für ihre 1998 anerkannte Hauptschule in freier Trägerschaft und für die Förderschule für soziale und emotionale Entwicklung. Der besondere Unterricht dieser Ersatzschulen gewährleistet eine enge, verlässliche und individuelle Betreuung der Jugendlichen.
In der Ergänzungsschule der Werk-Statt-Schule können schulaversive Jugendliche ihre Schulpflicht erfüllen.

o Ergänzungsschule der gemeinnützigen Pro Beruf GmbH
Jugendliche, die ihre Schulpflicht im Sekundarbereich I erfüllt haben, aber noch berufsschulpflichtig sind, können durch Teilnahme am Hauptschulabschlusskurs der Pro Beruf Ergänzungsschule ihre Berufsschulpflicht erfüllen.

o Comeback – Schulverweigererprojekt des Diakonischen Werkes Stadtverband Hannover e.V.
Das Schulverweigererprojekt 'Comeback' wird seit dem Schuljahr 2009/2010 durch das Diakonische Werk - Stadtverband Hannover vorgehalten und richtet sich mit seinem Hilfsangebot an Schülerinnen und Schüler der Integrierten Gesamtschule Linden ab der Jahrgangsstufe 5, die schuldistanziertes Verhalten aufweisen und regelmäßig oder über längere Zeiträume dem Unterricht fernbleiben.


· Kooperation Fachbereich Jugend und Familie-Kommunaler Sozialdienst und Jugendgericht

Trotz Unterstützungsmaßnahmen der Jugendsozialarbeit und Hilfen zur Erziehung gibt es eine Reihe von Schulversäumnissen, die zu Ordnungswidrigkeitsverfahren und der Verhängung eines Bußgeldes führen. Wird das Bußgeld nicht bezahlt, schreibt das Rechtsverfahren bei jugendlichen Schülerinnen und Schülern die Fallabgabe durch den Fachbereich Recht und Ordnung an das Jugendgericht vor. Das Jugendgericht prüft in Zusammenarbeit mit der Bezirkssozialarbeit der Jugend- und Konflikthilfe im Strafverfahren im Kommunalen Sozialdienst, ob mit den Instrumenten der Anhörung der Eltern und der Jugendlichen vor Gericht, mit Auflagen, Hilfen anzunehmen, oder durch Einschränkungen des Sorgerechts dem Schulabsentismus entgegengewirkt werden kann. Neben erzieherischen Maßnahmen und der Einschränkung des Sorgerechts kann das Jugendgericht auch eine Ergänzungspflegschaft mit dem Aufgabenkreis Schulpflicht anordnen.

Berücksichtigung von Gender-Aspekten

Die Maßnahmen berücksichtigen die individuellen Problemlagen von Schülerinnen und Schülern gleichermaßen.

Kostentabelle

Allgemeine Mittel des Kommunalen Sozialdienstes zur Vermeidung von Kosten zur Hilfe für Erziehung.

51.2 
Hannover / 08.01.2013