Antrag Nr. 0001/2022 N1:
Antrag der Fraktion DIE LINKE.: Neufassung: Entschließung zum Radikalenerlass und zu den Berufsverboten

Inhalt der Drucksache:

Bitte beachten Sie, dass der folgende Text eventuell medienbedingte Formatabweichungen aufweisen kann. Eine formatgetreue Abbildung des Inhalts finden Sie in der Anlage "Druckversion.pdf".

Antrag der Fraktion DIE LINKE.: Neufassung: Entschließung zum Radikalenerlass und zu den Berufsverboten

Neufassung Antrag Der Rat möge beschließen:


Am 28. Januar 2022 jährt sich zum 50. Mal der sogenannte Radikalenerlass, der 1972 von der Ministerpräsidentenkonferenz unter dem Titel „Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im Öffentlichen Dienst" beschlossen wurde. In der Folgezeit wurden etwa 3,5 Millionen Personen politisch überprüft. Die bundesdeutschen Geheimdienste meldeten den Einstellungsbehörden zwischen 25.00 und 35.000 „verdächtige" Bewerber*innen. Mehr als 10.000 Berufsverbotsverfahren wurden eingeleitet, etwa 2.500 Bewerber*innen nicht eingestellt und 256 Beamt*innen entlassen.

Betroffen von diesen Maßnahmen waren fast ausschließlich Mitglieder und Sympathisant*innen linker Organisationen, darunter auch Sozialdemokrat*innen, Parteilose, Mitglieder von Gewerkschaften oder demokratischen Studentenverbänden, Antifaschist*innen und Angehörige der Friedensbewegung.

Diese Praxis der Berufsverbote wurde bereits 1987 von der Internationalen Arbeitsorganisation und 1995 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als Unrecht verurteilt. Bereits in den 1980er Jahren und am 12.07.2012 - zum 40. Jahrestag des sog. Radikalenerlasses - hat der Rat der Stadt Hannover schon dagegen Stellung bezogen, und am 15.12.2016 hat sich der Niedersächsische Landtag bei den Betroffenen für das erlittene Unrecht entschuldigt und beschlossen, dass „politisch motivierte Berufsverbote nie wieder Instrumente des demokratischen Rechtsstaates sein dürfen".

In einigen Bundesländern wurde der sog. Radikalenerlass ganz abgeschafft, in den meisten nicht mehr angewendet, aber vollständig aufgearbeitet ist dieses dunkle Kapitel der bundesdeutschen Geschichte bis heute nicht.

Gemeinsam mit den Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), von IG Metall, ver.di und GEW und einer Vielzahl von Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik und Kultur*) fordern wir daher:

· den Radikalenerlass generell und bundesweit offiziell aufzuheben;
· alle Betroffenen vollumfänglich zu rehabilitieren und zu entschädigen;
· die Folgen der Berufsverbote und ihre Auswirkungen auf die demokratische Kultur
wissenschaftlich aufzuarbeiten.

Begründung

Die Neufassung des Antrags wurde nötig, weil der Kulturausschuss am 21.01.2022 abgesagt wurde.
Der Radikalenerlass vom 28. Januar 1972 hatte durch die Bedrohung der materiellen Existenz von Oppositionellen einen unguten Einfluss auf das gesamtgesellschaftliche Klima in der Bundesrepublik. Er führte zu Anpassung und Duckmäusertum und zu Verzicht auf systemkritisches und politisches Engagement überhaupt. Für eine offene und tolerante demokratische Gesellschaft braucht es den uneingeschränkten Erhalt der Grundrechte. Nach nunmehr 50 Jahren ist es daher an der Zeit, das Kapitel der Berufsverbote endgültig abzuschließen.

Schwerwiegende Folgen hatte der sog. Radikalenerlass vor allem auch für die Betroffenen, von denen auch einige in der Stadt Hannover leben. Sie verloren zu Unrecht ihre Arbeit oder wurden gar nicht erst eingestellt, allein deshalb, weil sie ihre im Grundgesetz garantierten Grundrechte wahrgenommen haben - durch ihr Engagement gegen Notstandsgesetze, gegen den Krieg in Vietnam oder das Wiedererstarken alter Nazis, durch die Mitgliedschaft in legalen linken Parteien und Organisationen oder die Kandidatur für Parlamente. Viele der damals Betroffenen spüren die Auswirkungen der Berufsverbote bis zum heutigen Tag: durch Kürzungen bei ihren Ruhegehältern oder sogar Altersarmut. Ihre materiellen Nachteile müssen ausgeglichen werden.

*) siehe angehängten Aufruf der Bundesinitiative gegen Berufsverbote zum 50. Jahrestag


Dirk Machentanz
Fraktionsvorsitzender