Antrag Nr. 15-1914/2011 N1:
Sozialpädagoge mit türkischem Migrationshintergrund für die IGS Linden

Inhalt der Drucksache:

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Sozialpädagoge mit türkischem Migrationshintergrund für die IGS Linden

Antrag

Die Verwaltung wird gebeten,
aus den von der Bundesregierung zur Verfügung gestellten Sondermitteln für Schulsozialarbeit der IGS-Linden Mittel für die Beschäftigung eines Sozialpädagogen mit türkischem Migrationshintergrund zu übertragen. Damit soll die vorhandene schulische Sozialarbeit besonders für die an der IGS große Gruppe der männlichen Jugendlichen mit türkischem Hintergrund intensiviert werden, wodurch die Chancen auf schulischen Erfolg und soziale Integration dieser Jugendlichen verbessert werden können.

Begründung


Stellenbeschreibung der IGS-Linden für ihren Antrag an die LHH:
Institutionsbeschreibung:
Die Integrierte Gesamtschule Hannover Linden ist eine Ganztagsschule, in der in den Sekundarstufen I und II insgesamt ca. 1400 SchülerInnen von ca. 130 Lehrkräften unterrichtet werden.
Die IGS-Linden ist die größte Schule und neben zweier Gymnasien, die einzige weiterführende Schule im Stadtteil Linden/Limmer..
Als Integrierte Gesamtschule bietet sie den SchülerInnen alle Schulabschlussmöglich-keiten, sie betreut die SchülerInnen als Ganztagsschule täglich bis 16.10 Uhr und bietet ihnen ein vielfältiges Angebot an gemeinsamen Lern- und Freizeitaktivitäten.
Die IGS-Linden versteht sich als Stadtteilschule, was bedeutet, dass sich die Population des Stadtteils Linden (der vielfach auch als sozialer Brennpunkt bezeichnet wird) in der Schule wiederspiegelt. Der Anteil von SchülerInnen deren Eltern anderen Kulturen oder Ländern entstammen, liegt in der Sekundarstufe 1 bei fünfundvierzig Prozent. Davon entstammt ein Drittel, rund 300 Familien, dem türkischen Kulturkreis.
Wiederum ein Drittel der SchülerInnen in der Sekundarstufe I der IGS-Linden lebt in Familien, die staatliche Transferleistungen beziehen.
Aufgrund dieser Zusammensetzung der Schülerschaft ist insbesondere der Sozialpädago-gische Bereich der Schule in vielfältiger Kooperation eng vernetzt mit anderen Institutionen im Stadtteil tätig.


Zielgruppe
Es treten an der IGS-Linden immer wieder Jungengruppen und auch Einzelpersonen in Erscheinung, die nicht nur in der Schule, sondern auch im Stadtteil und deren Jugendeinrichtungen für Unruhe sorgen und deren Verhalten als auffällig bezeichnet werden muss. Diese Jungen entstammen meistens türkischen Familien und es fällt auf, dass sie einerseits unangepasst, laut und regelüberschreitend agieren, andererseits aber ganz ziellos und hilflos den Anforderungen der Schule und ihrer Umwelt gegenüberstehen.
Sie sind die Verlierer der Migration und die Verlierer im deutschen Bildungssystem.
Es vollzieht sich oftmals ein Bruch in ihrer Identitätsbildung, da sie in ihren Elternhäusern als Jungen häufig hofiert und in eine dominierende Rolle hineinerzogen werden. In der Schule halten sie den Anforderungen jedoch vielfach nicht Stand, sie drohen zu scheitern und erleben dies als persönliche Kränkung. Da viele der Jungen aus sog. bildungsfernen Familien stammen, erhalten sie von ihren Eltern nicht die Unterstützung, die sie benötigen. Das Scheitern in der Schule versuchen viele dieser Jungen dann durch auffälliges Verhalten zu kompensieren. Es ist ein Versuch, eine Beschädigung des Selbstwertgefühles abzuwenden. Dabei erfahren sie Zuspruch und Anerkennung in der Peergroup und Gruppenbildungen (oftmals mit Jugendlichen in gleichen Situationen) sind die Folge.
Die Teilhabe an der deutschen Gesellschaft gelingt ihnen nur sehr begrenzt.
Sie werden ausgegrenzt oder grenzen sich durch ihr Verhalten und Auftreten oftmals selbst aus. Diese Jungen sind oft schwer für Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen erreichbar.
Sie sehen für sich kaum eine Chance zur gesellschaftlichen Teilhabe, sie fühlen sich nicht dazugehörig. Viele sehen sich zunehmend in einer „Opferrolle“, die es ihnen verwehrt, in der hiesigen Gesellschaft anzukommen. Damit einher geht die Besinnung auf die Traditionen der Ursprungsgesellschaft und immer öfter eine Zuwendung hin zu politisch radikalen und religiösen Gruppen.

Die IGS Linden bemüht sich seit einigen Jahren, auch mit finanzieller Unterstützung über den Gewaltpräventionstopf der Landeshauptstadt Hannover und in enger Kooperation mit den Jugendfreizeiteinrichtungen und anderen Lindener Institutionen, in eine intensivere Beziehung zu den Jungen zu treten, ihnen eine ernstzunehmende Gesprächsplattform zu bieten, sie Wert zu schätzen, ihnen Mut zu machen und Alternativen aufzuzeigen.


Arbeitsansatz / Arbeitsschwerpunkte im Rahmen der Schulsozialarbeit

Methode: Einzelberatung
Ein Sozialpädagoge türkischer Herkunft trifft sich mit einzelnen Jungen, die ihm (i.d.R.) über LehrerInnen oder KollegInnen anderer Institutionen vermittelt werden oder die selbstständig den Kontakt mit dem Sozialpädagogen aufnehmen. Über die psychosoziale Beratung hinaus ist ein Ziel der Einzelberatung, sich den Jungen akzeptierend und ressourcenorientiert zuzuwenden. Wenn es angezeigt ist, tritt er in die konkrete Einzelfallhilfe ein, kooperiert mit dem Kommunalen Sozialdienst und anderen Institutionen. Durch gemeinsame Gespräche und Aktivitäten, soll darüber hinaus versucht werden, die Jugendlichen einzubinden und zu aktivieren. Dies kann beispielsweise durch das Hinführen zu Kontakten mit Sportvereinen, Jugendzentren oder anderer Freizeitstätten geschehen, aber auch durch die Vermittlung anderer unterstützender Maßnahmen, z.B. im Bereich der Nachhilfe, berufsorientierende Maßnahmen, Praktika u.s.w.
Es ist wichtig, die Jungen als Personen einerseits anzunehmen, sich gezielt mit ihren Problemen zu befassen und ihnen andererseits ihr Verhalten zu spiegeln.
In einem weiteren Schritt kann es dann um die Vermittlung zwischen den Jungen, ihren Eltern, den LehrerInnen, Jugendfreizeiteinrichtungen und anderen gehen, denen gegenüber sie aufgefallen sind.

Methode: Soziale Gruppenarbeit:
Neben den Einzelkontakten mit einigen Jungen lassen sich auch gezielt kleine Gruppen von mehreren Jungen bilden, die sich während der Schulzeit mit dem Sozialpädagogen treffen. Es ist davon auszugehen, dass die Jungen zunächst eher widerwillig an der Gruppenarbeit teilnehmen. Die Treffen während der Schulzeit begünstigen ein regelmäßiges Mitwirken jedoch, da die Jungen sich während der Schulzeit der Teilnahme nur schwer entziehen können. Die Erfahrungen dieses Arbeitsansatzes zeigen, dass bereits nach wenigen Treffen unter der Leitung eines türkisch stämmigen Sozialpädagogen, die Gruppen eine positive Dynamik entwickeln. Bald wird es ein Privileg zu der Gruppe gehören zu dürfen und die Jungen kommen gerne und freiwillig. Ein Indiz hierfür ist, dass im letzten Jahr einige Jungen den Pädagogen darum baten, sich auch in den Ferien mit ihm treffen zu dürfen. Diese Jungen erfahren im Alltag sehr selten positive Aufmerksamkeit. Hier fühlen sie sich ernst – und angenommen, sie nehmen Beziehungen auf und entwickeln im besten Fall Alternativen zu ihren bisherigen Verhaltensmustern.

Methode: Elternarbeit
Der Kontakt mit den Eltern der SchülerInnen ist ein wichtiges Anliegen der Schule.
Eine Kooperation zwischen den Erziehungsinstanzen Familie und Schule ist für die zielgerichtete Erziehung eines Kindes und für die, seinen Fähigkeiten und Interessen entsprechende optimale Förderung, unabdingbar. Die Elternarbeit gestaltet sich jedoch immer wieder schwierig. Nicht nur auf den Elternabenden, sondern auch im allgemeinen Schulalltag wird seitens der Schule insbesondere die geringe aktive Mitwirkung von Eltern mit Migrationshintergrund beklagt. Nur wenige nehmen an den obligatorischen Elternabenden teil. Die Elternarbeit mit Migranteneltern wird oftmals durch mangelnde deutsche Sprachkenntnisse der Haupterziehenden, nämlich der Mütter, und durch Missverständnisse im Umgang miteinander, kulturelle Verschiedenheiten und gegenseitige Vorurteile, erschwert.
Wenn Menschen sich kulturell aufgehoben und in ihrer sprachlichen Kompetenz sicher fühlen, sind sie eher bereit sich zu äußern, mitzuwirken und auch Verantwortung zu übernehmen.
Die Brücke zwischen den unterschiedlichen Werten, Erziehungszielen- und Verhalten etc. soll ein türkischstämmiger Sozialpädagoge bilden, der einen Zugang zum hiesigen Wertesystem hat und integriert ist, ohne seine Herkunftskultur aus dem Blick verloren zu haben und der die türkische Sprache beherrscht.
Er soll behilflich sein, den Kontakt zu türkischen Eltern herzustellen, die die Schule bislang nicht erreichen konnte. Seine Aufgabe ist die Vermittlung zwischen den Ansprüchen und Zielen der Schule und denen, denen die Eltern sich verschrieben haben.
Durch den Kontakt zu den türkischen Eltern auf der einen und den LehrerInnen auf der anderen Seite, können Erziehungsverhalten und/oder Erziehungsziele beider Seiten offengelegt und wenn möglich angeglichen werden. Letzteres hat zur Folge, dass sich die SchülerInnen nicht ständig zwischen zwei sich widersprechenden Welten bewegen müssen.

Methode: Projektarbeit
An der IGS Linden gibt es immer wieder Projekte, die innovative Arbeit leisten und den Jugendlichen auf vielfältige Weise Unterstützung zukommen lassen.
Das Lernlotsenprojekt gibt migrantischen Jugendlichen in den Abschlussjahrgängen konkrete (Nach-) Hilfe in schulischen Inhalten.
Das Projekt YES, WE CAN leistet Motivationsarbeit bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund, einen guten Schulabschluss, einen interessanten Beruf erreichen zu können und zu wollen, indem ehemalige IGS-SchülerInnen, “die es geschafft haben“, als Vorbilder fungieren.
Über diese und andere Projekte, die über die Schulsozialarbeit initiiert und in den Schulalltag eingebunden werden, lassen sich viele Jugendliche erreichen, die über ein offenes Angebot, z.B. auf der Freizeitebene, nicht erreichbar wären.


Die IGS Linden ist im Stadtteil Linden stark verwurzelt und eng vernetzt. Diese Stelle im Rahmen der Schulsozialarbeit soll zur optimalen Nutzung der Ressourcen im Stadtteil Linden und darüber hinaus zu Gunsten der SchülerInnen mit Migrationshintergrund beitragen. Dafür ist ein Kontakt und die Zusammenarbeit mit hiesigen Vereinen, mit Institutionen der Jugendhilfe, mit örtlichen Gremien (Integrationsbeirat, Präventionsrat u.a.) äußerst hilfreich. Durch vielfältige Kontakte und Kooperationen mit umliegenden Firmen, mit Ausbildern und anderen berufsorientierten Anbietern, können insbesondere Jugendliche mit Migrationshintergrund besser und gezielter in die Berufswelt eingegliedert werden.


Der türkischstämmige Kollege wird durch seine „Brückenfunktion“ tief in die Schule hineinwirken. Durch Beratungsgespräche mit LehrerInnen, durch die Teilnahme an Konferenzen etc., lassen sich häufig kulturell bedingte Erklärungen finden und das Verhalten mancher SchülerInnen und Eltern lässt sich differenzierter beurteilen.