Informationsdrucksache Nr. 1398/2018:
Überprüfung der Öffnungszeiten der Drogenhilfestation „Stellwerk“

Inhalt der Drucksache:

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1398/2018
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Überprüfung der Öffnungszeiten der Drogenhilfestation „Stellwerk“


Seit der Öffnung des Stellwerks im November 2017 ist die Einrichtung von montags bis freitags in der Zeit von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Die Zahl der Konsumvorgänge hat sich bei durchschnittlich 90 pro Tag eingependelt.

Auch nach Schließung halten sich mehrere, größere Gruppen in der unmittelbaren Nähe auf. Andere einzelne Personen und Gruppen wiederum verlassen den Ort, hauptsächlich in Richtung Steintor. Diese Beobachtung wird auch durch die Erkenntnisse der Polizei bestätigt.

Der Alltag vieler suchtkranker Menschen, die illegale Substanzen konsumieren, wird von den Öffnungszeiten des Stellwerks bestimmt. Allerdings wird ihr Leben auch von der Sucht und insbesondere von den Entzugserscheinungen getaktet. In der Regel setzt zum Beispiel bei Heroinabhängigen nach ca. 6 Stunden ein massives Verlangen („craving“) nach dem Suchtstoff ein. Massive Unruhe und hektisches Überlegen nach einer „Quelle“ für den Stoff bestimmen nun das Handeln.

Mit Änderungsantrag Nr. 2455/2017 zur Drucksache 1866/2017 wurde die Verwaltung aufgefordert, die Öffnungszeiten des Stellwerks zu überprüfen und im Hinblick auf den Suchtalltag und die finanziellen Möglichkeiten, die solche strukturellen Veränderungen nach sich ziehen, abzugleichen.

Für den nachfolgenden Vorschlag der Verwaltung wurden
- Analysen und Befragungen des Trägers
- ein bundesweiter Vergleich der Öffnungszeiten von Drogenkonsumräumen
- sowie eigene fachliche Überlegungen
herangezogen.

Für die Überprüfung der Öffnungszeiten hat der Träger folgende Vorarbeiten geleistet:
- Probeweise Ausweitung der Öffnungszeiten am 31.01. und 01.02. von 10 bis 22 Uhr
Dies wurde rechtzeitig angekündigt und führte dazu, dass nach 18 Uhr noch 32 Konsumvorgänge stattfinden (entspricht über 21 % der Gesamtzahl des Tages von 152 Vorgängen); der andere Tag verlief in Bezug auf die prozentuale Verteilung nach 18 Uhr ähnlich
- Befragung der Nutzer*innen des Stellwerks
Daran nahmen 66 Personen teil. Mit großer Mehrheit wurde der Wunsch nach einer längeren Öffnung in den Abend hinein geäußert. Zusätzlich bestand auch der Wunsch nach einer Öffnung am Wochenende, inklusive eines Mittagsangebotes.
- Analyse der Nutzer*innenzahl während der bisherigen Öffnung
An einigen Tagen im Dezember gab es eine Bestandsaufnahme jeweils zur vollen Stunde, wie viele Personen sich in und vor der Einrichtung aufhalten. Dabei fiel auf, dass die Einrichtung in der ersten Stunde gering genutzt wird. Dieses wird im Vorschlag der Verwaltung berücksichtigt werden. Anschließend bewirkt das Mittagsangebot eine deutliche Zunahme der Nutzung im Cafébereich. Die Nutzung des Konsumraums ist ab 12 Uhr auf einem stabil hohen Niveau mit 2 Spitzen um 14 Uhr und 16 Uhr. Außerhalb des Einrichtungsgeländes halten sich auch nach 18 Uhr konstant zwischen 25 und 40 (wechselnde) Personen auf. Täglich bewegen sich bis zu 150 Personen im Stellwerk und im Umkreis der Einrichtung.
Im bundesweiten Vergleich sind die Konsumräume von Montag bis Freitag häufig bis 19 bzw. 20 Uhr geöffnet; in Frankfurt am Main auch bis 23 Uhr. Einzige Ausnahme hiervon ist das drob-Inn in Hamburg, welches einen Tagesdienst von 9 bis 19 Uhr und einen Nachtdienst von 19 bis 5 Uhr vorhält. Bei den unterschiedlichen Öffnungszeiten ist allerdings zu berücksichtigen, dass einige im Anschluss Übernachtungs- bzw. Notschlafplätze vorhalten, die im gleichen Gebäude zur Verfügung stehen. Die Länge der Öffnungszeiten variiert hier von 5 bis 12 Stunden pro Tag.
An Wochenenden und zum Teil auch an Feiertagen ist eine reduzierte Öffnungszeit von 4 bis 6 Stunden der Standard.

Die Polizei hat in einem Gespräch die Öffnung am Wochenende als wichtigste Priorität in Bezug auf die Veränderung herausgestellt.

Die Verwaltung
- teilt die Auffassung der Polizei, dass die zeitliche Spanne zwischen der Schließung freitags um 18 Uhr bis zur Öffnung am Montag um 10 Uhr zu groß ist.
- betont bei der Entscheidung über den Zeitpunkt der Schließung, dass eine Trennung von Konsummöglichkeit und Übernachtungsangeboten wichtig ist. Im Vorlauf zu dem politischen Antrag gab es Beschwerden von Parkhausbesitzern und Bürger*innen über schlafende, drogenkranke Menschen. Ein Teil der drogenkranken Menschen, die sich auch vor und nach der Öffnung des Stellwerks in unmittelbarer Umgebung aufhalten, benötigen dringend eine Möglichkeit zur Übernachtung. Insofern ist ein fachlicher Verbund aus dem Stellwerk und der angrenzenden Immobilie, dem ehemaligen Fixpunkt in der Augustenstr. 11, als Notschlafstelle anzustreben.
- sieht auch die Notwendigkeit einer Verstärkung der Straßensozialarbeit. Trotz der Öffnungszeiten und der bekannten Hilfsangebote sucht eine größere Zahl von Personen diese Angebote nicht auf und nimmt sie nicht wahr. Um diese Gruppe ansprechen zu können, müsste das Team der Straßensozialarbeit*innen im Stellwerk verstärkt werden, damit es Kapazitäten hat, zeitweise auch außerhalb der Einrichtung zu arbeiten. Das gilt insbesondere im Innenstadtbereich. Für den Stadtteil Linden wird dies bereits jährlich durch eine finanzielle Förderung ermöglicht. Da dieses nicht Gegenstand des Antrages war, wird es im Nachfolgenden nicht vertieft.
- schlägt im Folgenden eine Veränderung vor, die sowohl fachliche Gründe als auch die Aspekte der Finanzierbarkeit eines solchen Angebotes abwägt.

Vorschlag der Verwaltung:
1.) Verschiebung und Ausweitung der Öffnungszeiten an Werktagen
Von Montag bis Freitag soll das Stellwerk von 11 bis 21 Uhr geöffnet sein.
2.) Öffnung an Samstagen
An Samstagen soll das Stellwerk von 12 bis 18 Uhr geöffnet sein. Bei der Wochenendöffnung wird aus finanziellen Gründen kein Mittagessen angeboten, sondern ausschließlich der Cafébetrieb, die (Einzelfall-)Beratung und der Konsumraum.
Im bundesrepublikanischen Vergleich differieren die Öffnungszeiten zum Teil beträchtlich. Häufig werden jedoch auch Zeiten an Wochenenden und Feiertagen, meist in reduziertem Umfang, vorgehalten.
3.) Kosten
3a) Erweiterung der Öffnungszeiten werktags
Die zusätzlichen Kosten für die Erweiterung der Öffnungszeiten um 2 Stunden für die Tage von jeweils Montag bis Freitag belaufen sich in der Kalkulation auf 102.079,74€ pro Jahr.

3b) Einführung einer Öffnung an Samstagen
Die zusätzlichen Kosten für die Einführung einer Öffnung an den Samstagen für jeweils 6 Stunden werden ohne ein Essensangebot mit 75.471€ jährlich kalkuliert. Diese Summe erhöht sich mit einem Essensangebot auf 86.789€.

3c) Einführung einer Öffnung an Sonntagen
Auch für die Möglichkeit einer Öffnung an Sonntagen für jeweils 6 Stunden liegen jeweils eine Kalkulation mit und ohne Mittagessen vor:
- 84.184€ ohne Mittagsangebot
- 101.210€ mit Mittagsangebot

Bei den Kalkulationen für die Samstags- und Sonntagsöffnung ist jeweils eine halbe Stunde Vor- und Nachbereitung zu berücksichtigen, so dass pro Mitarbeiter*in 7 Stunden Lohnkosten anfallen. Die Anzahl der Kolleg*innen beläuft sich auf das Minimum, dass für den Betrieb einer solchen Einrichtung vorzuhalten ist. Außerdem fallen durch die Wochenendöffnung noch zusätzliche Kosten für Reinigung und den Sicherheitsdienst an, die eingerechnet wurden.

Bei den Kosten für die Punkte 3a bis 3c ist ferner zu berücksichtigen, dass sich sowohl die Stadt als auch die Region Hannover anteilig an der Finanzierung der Einrichtung beteiligen. Für die eventuelle Aufstockung der Öffnungszeiten sollte mit der Region das Gespräch mit dem Ziel geführt werden, dass die Mehrkosten je zur Hälfte getragen werden.
4.) Befristung der neuen Öffnungszeiten auf zunächst ein Jahr
Wie aus eigenen Beobachtungen und der Analyse des Trägers hervorgeht, halten sich drogenkranke Menschen auch außerhalb der Öffnungszeiten in der Nähe des Stellwerks, besonders im Areal des ehemaligen Standortes des Café Connection, auf. Dies gilt insbesondere für die Zeiten nach der Schließung. Für sehr viele dieser Menschen ist das Stellwerk zu einem Mittelpunkt ihres Alltages geworden – und das nicht nur im Hinblick auf den Konsum. Die Zahl der bisherigen (Not-)Schlafplätze in Hannover ist erschöpft und besonders in den kalten Wintermonaten nicht auskömmlich. Die Wartelisten auf einen Platz sind inzwischen so lang, dass auch in akuten Fällen keine Unterstützung mit Übernachtungsmöglichkeiten gegeben ist. Aus diesem Grund ist für die Beantwortung des politischen Antrages auch die Zukunft der Immobilie Augustenstraße 11 (ehemaliger Fixpunkt) von großer Bedeutung. Sinnvoll wäre aus Sicht des Sozial- und Sportdezernates die inhaltliche Verknüpfung von Stellwerk und dieser Immobilie, die zumindest anteilig suchtkranken Menschen zur Verfügung stehen sollte. In dem Fall ist der hier vorliegende Vorschlag der Verwaltung über die ausgeweiteten Öffnungszeiten dann auskömmlich, weil eine anschließende Kontaktaufnahme und Betreuung sowie die Vermittlung von (Not-)Schlafplätzen im Nachbargebäude möglich wären.
5.) Installation eines Spritzenautomaten
Um eine hygienische Versorgung mit Spritzbesteck in den Abend- und Nachtstunden zu gewährleisten, soll ein Spritzenautomat angebracht werden, in dem Nadeln unterschiedlicher Länge, Kondome, Desinfektionsmittel und ähnliches vorgehalten werden. In den einzelnen Schächten können unterschiedliche Sortimente vorgehalten werden.
Der Spritzenautomat soll an den Zaun mit Blickrichtung hin zum ehemaligen Standort des Café Connection angebracht werden. Der Verkauf der Safer-Use- und Safer-Sex-Artikel erfolgt auf Basis eines Selbstkostenpreises. Neben der einmaligen Anschaffung und Aufstellung fallen regelmäßige Kosten für Wartung und eventuelle Reparaturen sowie geringe Personalkosten für die regelmäßige Befüllung und Überprüfung des Automaten an.
Eine zu befürchtende Vermüllung im näheren Umfeld eines Automaten mit benutzten Spritzen ist an den ca. 110 anderen Standorten in Deutschland nicht zu beobachten, weil die Spritzen, ähnlich wie Pfandflaschen, einen Tauschwert für neue Spritzen haben. Sie können in Drogenberatungsstellen und Drogenkonsumräumen in der Regel 1:1 getauscht werden können. Außerdem hat jeder Automat hat außerdem noch einen Einwurfschacht für benutzte Spritzen.
6.) Beginn der neuen Öffnungszeiten
Für den Fall einer positiven Entscheidung durch den Rat der Stadt und der entsprechenden Bereitstellung der finanziellen Mittel könnte der Träger mit der Umsetzung der erweiterten Öffnungszeiten beginnen, sobald er das notwendige zusätzliche Personal akquirieren konnte.

Berücksichtigung von Gender-Aspekten

Die Veränderungen betreffen sowohl die weibliche wie auch die männliche suchtkranken Menschen.

Kostentabelle

Es entstehen keine finanziellen Auswirkungen.

Dez. III 
Hannover / 01.06.2018