Drucksache Nr. 1054/2020:
Petition des Herrn Torsten Kasberg zur grundsätzlichen Anleinpflicht für Hunde im Stadtgebiet Hannover

Inhalt der Drucksache:

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1054/2020
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Petition des Herrn Torsten Kasberg zur grundsätzlichen Anleinpflicht für Hunde im Stadtgebiet Hannover

Antrag,

zu beschließen, die Petition zur grundsätzlichen Anleinpflicht für Hunde im Stadtgebiet Hannovers des Herrn Torsten Kasberg, Im Krummen Sieke 58 C, 30419 vom 12.12.2018 zurückzuweisen.

Berücksichtigung von Gender-Aspekten

Genderspezifische Aspekte sind nicht betroffen.

Kostentabelle

Es entstehen keine finanziellen Auswirkungen.

Begründung des Antrages

Mit E-Mail vom 12.12.2018 wandte sich Herr Torsten Kasberg mit der anliegenden Petition an die Landeshauptstadt Hannover. Zunächst wurden ihm die derzeit schon bestehenden Regelungen zum Leinenzwang Ende Dezember 2018 per E-Mail erläutert. Mit Mail vom 14.03.2019 äußerte Herr Kasberg, dass er „angesichts von Toten, die durch Unfälle mit Hunden auf Fuß- und Radwegen in Hannover zu beklagen sind, den bereits geltenden Leinenzwang für nicht ausreichend halte und ersucht die Landeshauptstadt Hannover um eine Erweiterung desselbigen mit gleichzeitiger Androhung eines Ordnungsgeldes bei Missachtung.“

Aufgrund des § 55 Abs. 1 des Niedersächsischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes (NPOG) in der Fassung vom 19.01.2005 sind die Gemeinden zur Abwehr abstrakter Gefahren für ihren Bezirk ermächtigt, Verordnungen zu erlassen.

Die Landeshauptstadt Hannover hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und die Verordnung über das Halten von Hunden in der Landeshauptstadt Hannover vom 07.12.1998 (HundeVO) in der Fassung vom 17.06.2010 erlassen. In dieser sind in § 3 generelle Verbote für Hunde und in § 4 der Leinenzwang für Hunde geregelt. So gilt bereits jetzt die Anleinpflicht in den öffentlichen Anlagen im Sinne von § 2 Abs. 2 der Verordnung über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Landeshauptstadt Hannover (SOG-VO) - mit Ausnahme eingerichteter Hundeauslaufflächen – und in den Wäldern in den Schongebieten und in den Eilenriedebereichen zwischen Fritz-Behrens-Allee, Bernadotte-Allee und Hohenzollernstraße. Der Leinenzwang gilt ferner innerhalb des Gebietes des Stadtbezirks Mitte (Stadtteile Mitte, Oststadt, Zoo und Calenberger Neustadt) sowie innerhalb der Fußgängerzonen und Einkaufszentren und innerhalb eines Abstandes von 50 Metern zu Kindertagesstätten und Schulen. Zusätzlich gilt in den meisten Landschaftsschutzgebieten, insbesondere am Stadtrandbereich, eine ganzjährige Anleinpflicht.

Der bereits aktuell geltende Leinenzwang wird durch städtische Außendienstmitarbeiter*innen überwacht.

Einen generellen Leinenzwang für Hunde einzuführen, wäre nur durch die Änderung der Hundeverordnung und auch nur für die Bereiche, in denen die Landeshauptstadt Hannover zuständig ist, möglich. So liegt beispielsweise die Zuständigkeit für die Bereiche am Mittellandkanal beim Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Braunschweig und für die Landschaftsschutzgebiete bei der Region Hannover. In diesen Bereichen sind Regelungen durch die Landeshauptstadt Hannover nicht möglich.

Bereits im Jahr 1999 wurde diskutiert, den Leinenzwang für einzelne Stadtteile oder auch das ganze Stadtgebiet Hannover zu erweitern. Die damalige Aufsichtsbehörde, die Bezirksregierung Hannover, hat mit Datum vom 18.11.1999 angemerkt, dass Regelungen durch gefahrenabwehrrechtliche Verordnungen materiell rechtmäßig zulässig sind, wenn die mit ihnen getroffenen Verhaltensanordnungen zur Abwehr von abstrakten Gefahren für die öffentliche Sicherheit generell erforderlich und geeignet sind, und mit dem hierdurch vorgenommenen Eingriff in schützenswerte Interessen der durch diesen berührten Personen zu dem mit dem Eingriff verfolgten Zweck nicht außer Verhältnis stehen. Es sind für die erforderliche Ermessensentscheidung die Gründe des Für und Wider der Zweckmäßigkeit einer solchen Regelung mit- und untereinander abzuwägen.

Einerseits wurde von freilaufenden Hunden im innerstädtischen Bereich das Vorliegen einer abstrakten Gefahr bejaht, da die Hunde auf andere Hunde, aber auch auf Menschen unangemessen reagieren könnten. Andererseits sind aus tierschutzfachlicher Sicht gewichtige abwägungsrelevante Einwände vorgetragen. Bei der Vielzahl der in der Landeshauptstadt Hannover gehaltenen Hunde kann ein dauerhafter Leinenzwang zu einer nicht artgerechten Haltung führen. Das täglich freie Laufen gehört zwingend zur artgerechten Haltung von Hunden. Ein ständiger Leinenzwang kann zur Erhöhung des Aggressionsgrades von Hunden sowie zu Verhaltensstörungen führen. Eine entsprechende Verpflichtung würde deswegen gegen §§ 1 und 2 TierSchG verstoßen. Ein genereller Leinenzwang auf allen öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen, Grün- und Parkanlagen und die damit verbundene dauernde Einschränkung für den Hund, seinem Bewegungsbedürfnis nachzukommen, oder die arttypische Kommunikation mit anderen Hunden aufzunehmen, hätte Verhaltensfehlentwicklungen zur Folge, die als Schäden im Sinne des § 1 Satz 1 i. V. m. § 2 Nr. 2 TierSchG anzusehen wären (vgl. so bereits OVG Lüneburg 11. Senat, Urteil vom 27.01.2005, 11 KN 38/04.)

Das OVG Lüneburg urteilte am 27.01.2005 ebenfalls, dass allein ein subjektives Unsicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger keinen generellen Leinenzwang für eine gesamte geschlossene Ortslage rechtfertigen kann. § 55 NPOG ist nur insoweit als Grundlage für einen Erlass einer Verordnung geeignet, als mit ihr abstrakte Gefahren bekämpft werden sollen. Eine abstrakte Gefahr im Sinne des Gesetzes, ist dadurch gekennzeichnet, dass eine generell- abstrakte Betrachtung für bestimmte Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen zu dem Ergebnis führt, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden im Einzelfall einzutreten pflegt und daher Anlass besteht, diese Gefahr mit generell- abstrakten Mitteln zu bekämpfen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 03.07.2002 - 6 CN 8.01 -, DVBl. 2002, 1562) ist zwingend erforderlich, dass die Prognose des Schadenseintritts in tatsächlicher Hinsicht genügend abgesichert ist. Kann nicht hinreichend sicher festgestellt werden, ob Tatsachen vorliegen, aus denen sich bei ungestörtem weiteren Ablauf demnächst ein Schaden ergeben könne, so liegt lediglich ein sogenannter Gefahrenverdacht vor. Hinweise, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einen Schaden im Einzelfall eintreten zu lassen pflegen, liegen bei der derzeitigen Anleinpflicht und deren Ausnahmen nicht vor.

Das Einrichten eines generell geltenden Leinenzwangs würde bedeuten, dass eine generelle abstrakte Gefahr von allen freilaufenden Hunden anzunehmen wäre. Dies ist wissenschaftlich nicht belegt. Auch die Beißvorfälle und anderen Vorfälle mit Hunden in der Landeshauptstadt Hannover zeigen, dass diese durchaus auch in nichtöffentlichen Bereichen und vor allem auch immer wieder mit angeleinten Hunden erfolgen. In vielen Fällen kommt es in Bereichen zu Beißvorfällen, in denen Hunde bereits nach den aktuellen gesetzlichen Regelungen hätten angeleint geführt werden müssen (Grünanlagen, Wildschongebiete, Landschaftsschutzgebiete, etc.). Auch der von Herrn Kasberg angeführte Todesfall eines Radfahrers wurde durch unangeleinte Hunde verursacht, die in der dortigen Grünanlage hätten an der Leine geführt werden müssen. Dieses traurige Beispiel macht leider deutlich, dass allzu häufig nicht der Mangel einer entsprechenden Regelung, sondern die Nichtumsetzung dieser Regeln durch Hundehalter ein Problem sein kann.

Eine Verordnung nach § 55 NPOG kommt auch nach den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 03.07.2002 als Rechtsgrundlage nicht in Frage, wenn die Regelung lediglich der „Vorsorge“ oder „Vorbeugung“ dienen soll. Dies bedeutet auch, dass bereits bestehende Verordnungen nicht mit entsprechenden Regelungen ergänzt werden dürfen.

Risiken, die jenseits des Bereiches feststellbarer und ausreichend sicher prognostizierbarer Gefahren verbleiben, können nur durch den Gesetzgeber geregelt werden. Dem Niedersächsischen Hundegesetz ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber nicht von einer generellen Gefährlichkeit aller Hunde ausgegangen ist. Er hat gerade andersherum Hunde zunächst für ungefährlich erklärt. Erst wenn eine gesteigerte Aggressivität belegt ist, ist ein solcher Hund nach dem Gesetz für gefährlich zu erklären und unterliegt dann speziellen Haltungsbedingungen, u. a. auch einem generellen Leinenzwang in der Öffentlichkeit. Auch enthält dieses Landesgesetz bereits in § 2 die allgemeine Verpflichtung, Hunde nur so zu führen, dass von ihnen keine Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen. Das bedeutet auch, dass Hunde, die nicht ausreichend sicher ohne Leine geführt werden können, in der Öffentlichkeit angeleint laufen müssen.

Um den unterschiedlichen Interessen der Hundehalter und Nichthundehalter im Stadtgebiet Hannover Rechnung zu tragen, ist die Hannoversche Hundeverordnung daher entsprechend verfasst worden. Neben den zuvor genannten Bereichen ist es auf Schulhöfen und Liegewiesen, sowie auf Schützen- und Volksfesten verboten, Hunde zu führen, mit Ausnahme von Behindertenbegleithunden (s. § 3 HundeVO). Hundeverbote bestehen ebenfalls im Tiergarten, Stadtpark und Teilen der Herrenhäuser Gärten. Zusätzliche Bereiche können zu Hundeverbotsbereichen erklärt werden.

Über die Hundeverordnung hat die Landeshauptstadt Hannover bereits umfangreiche Anleinpflichten und Hundeverbote erlassen. Unter Berücksichtigung der erläuterten in der Vergangenheit ergangenen Urteile, Äußerungen der Aufsichtsbehörden und einer Abwägung aus tierschutzrechtlicher Sicht ist eine generelle Ausdehnung des Leinenzwangs auf alle Hunde im gesamten Stadtgebiet Hannover nicht angemessen und daher nicht zulässig. § 55 NPOG bietet keine ausreichende Rechtsgrundlage, die Hundeverordnung entsprechend des Wunsches von Herrn Kasberg zu verschärfen, selbst wenn dieses möglich wäre, so wäre eine Verschärfung vor dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht angezeigt.
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Hannover / 18.05.2020