Informationsdrucksache Nr. 0310/2018:
Situation von Wohnungslosen/Obdachlosen aus sozialpolitischer Sicht

Inhalt der Drucksache:

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0310/2018
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Situation von Wohnungslosen/Obdachlosen aus sozialpolitischer Sicht

Die Verwaltung berichtet im Folgenden über die Situation von wohnungslosen/obdachlosen Menschen in Hannover, die bestehenden Beratungs- und Unterstützungsangebote und die aktuelle Entwicklung aus Sicht des Fachbereichs Soziales/ Sozialdezernats.

Wohnungslose und Obdachlose
Es gibt keine feste Definition, wer als wohnungsloser und wer als obdachloser Mensch zählt, auch liegen keine statistischen Erhebungen über die Zahl der betroffenen Menschen in Hannover vor. Nach gängiger Praxis geht man davon aus, dass folgendermaßen differenziert wird:

Wohnungslose Menschen:
Als wohnungslos zählen alle Personen, die kein gesichertes Mietverhältnis / keine eigene Wohnung besitzen. Hierzu zählen also auch die Personen, die in einer städtischen Obdachloseneinrichtung untergebracht sind, bei Bekannten oder Freunden schlafen oder in einer Einrichtung untergebracht sind. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. (BAG W) geht davon aus, dass:
· im Jahr 2016 bundesweit 860.000 Menschen keine eigene Wohnung hatten (seit 2014 wäre dieses ein Anstieg um 150 %); für 2017 – 2018 wird ein weiterer Zuwachs von ca. 350.000 Personen auf ca. 1,2 Millionen wohnungslose Menschen prognostiziert
· ca. 70 % dieser wohnungslosen Menschen sind alleinstehend *,
· 30 % der wohnungslosen Menschen leben mit Partnern und/oder Kindern zusammen*,
· die Zahl der wohnungslosen Kinder und minderjährigen Jugendlichen wird auf ca. 8 % geschätzt, die der Erwachsenen auf 92 %*,
· bei den alleinstehenden Wohnungslosen wird der Anteil der Männer auf 73 % geschätzt, der Frauenanteil entsprechend auf 27 % *und
· 12 % der Wohnungslosen sind EU-Bürgerinnen und EU-Bürger*.
(* = bei diesen Angaben wurden wohnungslose Flüchtlinge nicht berücksichtigt)
Die Steigerungsrate ist zu relativieren, da die BAG W in ihrer Schätzung die Zahl der wohnungslosen anerkannten Flüchtlinge erst ab dem Jahr 2016 einbezogen hat. Auch bei der weiteren Differenzierung (z.B. nach Familienstand) sind die wohnungslosen Flüchtlinge nicht berücksichtigt worden. Auch wenn die Zahlen der BAG W nicht unumstritten sind, haben wir sie hier als Information beigefügt, da in den Medien in den letzten Monaten immer wieder diese Daten angeführt wurden.

Obdachlose Menschen:
Von Obdachlosigkeit wird in der Regel ausgegangen, wenn wohnungslose Menschen kein Übernachtungsangebot annehmen wollen / können und ohne jede Unterkunft auf der Straße leben. Die BAG W geht hier davon aus, dass bundesweit 52.000 Menschen ohne Unterkunft auf der Straße leben. Seit 2014 ist dieses ein Anstieg um 33 % (auch hier müsste die Steigerungsrate jeweils um die Anzahl der Flüchtlinge bereinigt werden). Die BAG W geht davon aus, dass vor allem in den Metropolen der Anteil der Personen ohne jede Unterkunft auf der Straße, aus dem Personenkreis der EU-Bürgerinnen und Bürger bis zu 50 % beträgt. Die sogenannte „Straßenobdachlosigkeit“ wurde also stark durch die EU-Binnenzuwanderung geprägt. Dieses unterscheidet das Thema von der Wohnungslosigkeit allgemein, wo diese Effekte in dem Umfang nicht zu beobachten sind.

Wohnungslose und obdachlose Personen in Hannover
Die Anzahl der wohnungslosen oder obdachlosen Personen in Hannover lässt sich wie oben beschrieben nicht genau statistisch erfassen. Eine Statistik zu den Themen Wohnungslosigkeit / Obdachlosigkeit gibt es bundesweit nicht. Nach den aktuellen Veröffentlichungen der Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe ist für Hannover davon auszugehen, dass ca. 400 Menschen im Freien schlafen, das heißt zu der o.g. Gruppe der Straßenobdachlosen zu rechnen sind, ca. 30 % dieser Personen sollen obdachlose Frauen seien. 4.000 Personen sollen als wohnungslos gelten.

Die Gruppe der wohnungslosen bzw. obdachlosen Menschen ist auch in Hannover sehr differenziert zu betrachten. Die sichtbare „Straßenobdachlosigkeit“ ist überwiegend durch männliche Wohnungslose geprägt, die sich entweder im Innenstadtbereich aufhalten oder sich „Nischen“ in den Stadtteilen gesucht haben und dort z. B. in Grünanlagen, unter Brücken oder in Kleingärtenanlagen übernachten.

Wohnungslose oder obdachlose Frauen sind hier seltener zu beobachten, da Frauen versuchen, so lange es geht ihre Situation nicht öffentlich zu machen. Um Obdachlosigkeit zu vermeiden werden überwiegend Übernachtungsmöglichkeiten bei „Bekannten“ genutzt, mit allen damit unter Umständen verbundenen Abhängigkeiten.

Bei einem geschätzten Anteil von 30 % obdachloser Frauen besteht hier eine deutliche Diskrepanz zwischen „sichtbarer“ und „tatsächlicher“ Problemlage.

Der Personenkreis der überwiegend männlichen alleinstehenden Zuwanderer aus den EU-Staaten Osteuropas ist eine besondere Problematik. Diese Menschen reisen im Rahmen der Freizügigkeit zur Arbeitssuche nach Deutschland ein und haben damit in der Regel keinen Zugang zum deutschen Sozialhilfesystem. Wenn im Heimatland keine Perspektive vorhanden ist und die Arbeitssuche in Deutschland gleichzeitig nicht positiv verläuft, ist es für diese Personen kaum möglich, eine Wohnung zu finden, sie finden sich daher oft sehr schnell auf der Straße wieder. Eine Unterstützungsmöglichkeit im Rahmen der Sozialhilfe besteht in der Regel nur darin, die Rückreise ins Heimatland zu finanzieren. Diese Alternative ist für viele Betroffene aber noch weniger annehmbar als der Verbleib auf der Straße in Deutschland.

Auch bei zugereisten Familien ist die Unterstützung sehr schwierig, da sich die rechtlichen Voraussetzungen bei osteuropäischen EU-Zuwanderinnen und Zuwanderern erheblich von anderen Personengruppen unterscheiden. Wenn es also nicht gelingt, eine Wohnung zu finden oder die Personen im Rahmen der Gefahrenabwehr unterzubringen, sind weitere Unterstützungsmaßnahmen kaum möglich (z.B. Unterstützung bei der Arbeitsplatzsuche, Anträge u.a. auf Kindergeld). Dennoch begleitet und berät die Koordinierungsstelle Zuwanderung Osteuropa gezielt Zuwanderinnen und Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien. Dabei werden Beratungsleistungen für primär lebenspraktische Fragestellungen vorgehalten, z.B. Unterstützung bei der Suche nach Wohnraum, Umgang mit Schulden, Fragen der Gesundheit und des Schulbesuchs.

Innerhalb der Personengruppe der Zuwanderer aus Osteuropa sind in der Regel alleinstehende Männer obdachlos. Familien sind hingegen eher wohnungslos, da sie bei Verwandten, Familie oder Freunden unterkommen. Teilweise verfügen sie auch über Mietverträge. Dieser Wohnraum ist jedoch häufig als „prekäres Wohnverhältnis“ einzustufen, wobei die Mietverträge häufig befristet sind.

Insgesamt ist zu beobachten, dass durch den angespannten Wohnungsmarkt in Hannover für Menschen mit geringem Einkommen immer weniger Chancen bestehen, eine geeignete Wohnung zu finden. In dieser Situation kann ein Abstieg in die Wohnungslosigkeit sehr schnell passieren.

Umso schwieriger ist die Situation für die Personen, die bereits jetzt schon in schwierigen sozialen Verhältnissen leben. Mit Vermittlungshindernissen, die von einem Vermieter als mögliches Risiko angesehen werden (Entlassung aus Haft, Abschluss einer stationären Therapie oder Verschuldung) sind die Aussichten auf eine eigene / neue Wohnung extrem schlecht. Trotzdem ist Hannover – wie andere Großstädte auch - für viele Menschen ein Anziehungspunkt und es findet auch weiterhin ein Zuzug nach Hannover statt.

Angebote für wohnungslose und obdachlose Menschen in Hannover
Hannover bietet für diesen Personenkreis ein sehr differenziertes und gut ausgebautes Hilfesystem. Im Sozialhilferecht gibt es die Möglichkeit „Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten“ über ambulante und stationäre Angebote zu unterstützen. Der Fachbereich Soziales bearbeitet diese Hilfen im Auftrag des Landes bzw. der Region Hannover. Zusätzlich sind drei Straßensozialarbeiter (eine Kollegin, zwei Kollegen) beschäftigt, die auch vor Ort Beratung und Unterstützung anbieten.

Zusätzlich zu den eigenen Aktivitäten der Stadt arbeiten unterschiedliche Träger / Einrichtungen in diesem Themenfeld (überwiegend mit finanzieller Unterstützung / Förderung aus öffentlichen Mitteln). In der Anlage ist eine nicht abschließende Übersicht der Einrichtungen beigefügt, die in Hannover wohnungslosen und obdachlosen Menschen Unterstützung anbieten.

Diese Unterstützung kann einerseits darin bestehen, professionelle Beratung anzubieten und zu versuchen, diesen Personen einen Wiedereinstieg in das soziale Netz zu ermöglichen. Tagestreffs und ähnliche Einrichtungen bieten die Möglichkeit, sich tagsüber an einem geschützten Ort aufzuhalten, Beratung zu bekommen, aber auch praktische Unterstützung (Möglichkeiten Wäsche zu waschen oder zu duschen). Auch der neu eingerichtete Kompass am Raschplatz ergänzt dieses bestehende Angebot.

Dabei gibt es „für alle offene“ Angebote und Unterstützung, die sich auf bestimmte Personengruppen konzentrieren (z.B. wohnungslose / obdachlose Frauen oder Menschen mit einer Suchterkrankung).

Besonders schwierig ist die Situation auf der Straße gerade für Frauen und junge Menschen. Es wird versucht, diesen Personenkreis mit besonderen Angeboten anzusprechen und hier schnellstmöglich eine Stabilisierung der Lebenssituation zu erreichen. Ein Beispiel ist das Projekt WundA, das für junge, langzeitarbeitslose Erwachsene in prekären Wohnsituationen eine Kombination aus Übergangswohnung, Angebote zur beruflichen und persönlichen Stabilisierung mit Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen kombiniert.

Vor Ort in den Quartieren existieren oftmals kleinteilige Unterstützungsangebote, dieses kann professionell organisiert sein aber genauso in einer praktischen Unterstützung durch ehrenamtliche oder sozial engagierte Bürgerinnen und Bürger bestehen.

In der letzten Zeit ist zu beobachten, dass verstärkt über die sozialen Netzwerke Unterstützungsaktionen organisiert werden, so wird z.B. im Bereich des Bahnhofs über Bollerwagen e.V. eine niedrigschwellige Unterstützung über Vergabe von Lebensmitteln, Ausgabe von Suppen und anderem organisiert.

Nach unseren Erfahrungen haben gerade diese ehrenamtlichen Angebote einen doppelten Effekt. Die betroffenen Personen werden nicht nur praktisch mit z.B. Lebensmitteln unterstützt, sondern erfahren auch eine Anerkennung - man grenzt sie nicht aus, sondern redet mit ihnen auf Augenhöhe. Eine Kooperation mit der Verwaltung gibt es mit diesen Angeboten bisher nicht. Dieses ist oftmals auch gewollt, weil man sich gerade abseits des offiziellen Hilfesystems organisieren will und aktiv werden möchte.

Gesundheitliche Situation wohnungsloser und obdachloser Personen
Der überwiegende Teil der wohnungslosen und obdachlosen Personen ist grundsätzlich berechtigt, im deutschen Gesundheitssystem Leistungen in Anspruch zu nehmen. Viele Wohnungslose haben z.B. einen Leistungsbezug über das Jobcenter und sind über diesen Weg auch krankenversichert. Schwieriger wird es, wenn theoretisch ein Anspruch auf Leistungen des Jobcenters bestehen würde, die Menschen es aber aus ihrer persönlichen Situation heraus nicht schaffen, die erforderlichen Anträge zu stellen oder Unterlagen vorzulegen. Hier versuchen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Beratungsstellen und des Fachbereiches Soziales Motivationsarbeit zu leisten und mit praktischer Unterstützung bei der Realisierung der Ansprüche zu helfen.

Gerade für obdachlose Menschen besteht eine große Hemmschwelle überhaupt eine Arztpraxis zu betreten und dort die persönliche Situation zu offenbaren. Sie befürchten zum Beispiel auf Grund optischer Auffälligkeiten abgewiesen zu werden, finden keinen Zugang zu Terminvereinbarungen oder ähnlichem. In diesen Fällen können niedrigschwellige und medizinische Unterstützungsangebote helfen. So gibt es z.B. im Kontaktladen Mecki eine Möglichkeit, medizinische Unterstützung zu bekommen oder über die Malteser Migranten Medizin und das Zahnmobil. Die Malteser Migranten Medizin wird besonders von den Personen angenommen, die auf Grund ungeklärter Aufenthaltssituation den Weg zu niedergelassenen Ärzten meiden.

Die gesundheitliche Situation wohnungsloser/obdachloser Personen ist insgesamt schwierig. Die besondere Lebenssituation führt zu psychischen und physischen Erkrankungen, regelmäßige Einnahme von Medikamenten oder andere medizinische Therapien können kaum kontinuierlich umgesetzt werden. In der Regel wird ein Leben auf der Straße nur dadurch ertragen, dass Suchtmittel (Alkohol oder andere Drogen) konsumiert werden. Damit beginnt ein Teufelskreis, der in einer zunehmenden Verelendung und Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes mündet. Auch dieses ist immer wieder Thema in Beratungs- und Unterstützungsgesprächen. Eine langfristige Lösung wird für den überwiegenden Teil der Betroffenen nur dann möglich sein, wenn sich die private Lebenssituation stabilisiert und eine langfristige Perspektive für die Unterbringung/Wohnung erreicht werden kann.

Auch hier ist die Situation der Menschen, die aus den osteuropäischen EU-Staaten zugewandert sind, besonders zu betrachten. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass ein Zuzug nur erfolgt, wenn eine Arbeit (und damit auch eine ausreichende Krankenversicherung) vorliegt. Die Realität sieht aber anders aus. Wie oben beschrieben besteht für diesen Personenkreis in der Regel nur die Möglichkeit, eine Rückfahrt in die Heimatländer zu finanzieren, eine andere Unterstützung aus Sozialhilfemitteln ist nicht möglich. Alternativ kann versucht werden, mit dem betroffenen Menschen eine Versicherung der Krankenkosten über das Heimatland zu erreichen. Dieses ist in der Praxis aber kaum zu realisieren.

Ein spezielles Angebot, das die Verwaltung vor längerer Zeit gemeinsam mit einem Träger entwickelt hat, sind die sogenannten Krankenwohnungen der Diakonie (Die KuRVe). Hier wird versucht den Menschen eine Perspektive zu geben, die aus der Obdachlosigkeit in eine stationäre Krankenhausbehandlung gegangen sind. In der Regel ist nach Abschluss der Behandlung eine weitere Stabilisierung erforderlich, die auf der Straße nie gewährleistet werden könnte. Gleiches gilt bei Erkrankungen, die auf der Straße nicht therapierbar sind. Hier soll die Krankenwohnung einen geschützten Aufenthalt bieten, um eine Stabilisierung des Gesundheitszustandes zu ermöglichen und die weiteren Schritte (Versorgung mit einer Unterkunft) in Ruhe planen zu können.

Zwischen der Region Hannover und dem Land Niedersachsen finden unter Beteiligung des Fachbereich Soziales der Landeshauptstadt Hannover derzeit Gespräche statt, um eine bessere Gesundheitsversorgung wohnungsloser Menschen zu erreichen und ein entsprechendes Projekt zu konzipieren. Das Land hat hier Interesse signalisiert, eine modellhafte Erprobung eines entsprechenden neuen Angebotes („Hygienecenter“) zu unterstützen. Wir gehen davon aus, dass sich diese Überlegungen im Laufe des Jahres weiter konkretisieren werden.

Beratungs- und Unterstützungsangebote für Jugendliche und Heranwachsende durch den Fachbereich Jugend und Familie
51.52 (Jugendschutz/Straßensozialarbeit) hat stadtweit intensiven Kontakt zu Jugendlichen und Heranwachsenden aller Szenen, die dem Obdachlosenmilieu zugeordnet werden. Hieraus ergeben sich konkrete Beratungs- und Unterstützungsangebote:
· Duschen und Waschmaschine stehen in der Dienststelle zur freien Verfügung
· Notfallversorgung mit Lebensmitteln
· Abwendung von Haftstrafen und Vermittlung von Hilfsdiensten
· Begleitung und Vermittlung zu medizinischen Hilfen mit anonymem Krankenschein oder zum Zahnmobil
· Begleitung bei Behördengängen (Jobcenter, Bürgerbüro, etc.)
· Weitervermittlung an Wohnprojekte wie bspw. WundA-Projekt
· Vermittlung zu tierärztlicher Notversorgung (krasser Hund)

Die meisten minderjährigen Straßenkinder und Ausreißer sind 13 Jahre und älter. Es sind ebenso viele Mädchen wie Jungen. Es handelt sich in erster Linie um deutsche Staatsbürger. Viele kommen aus ländlichen Gebieten und suchen die Anonymität der Großstädte als Schutz vor Entdeckung. Straßenkinder sind durchaus mobil und wechseln mitunter die Städte, in denen sie sich aufhalten. Aufgrund seiner zentralen Lage wird Hannover vermehrt frequentiert.

Ausreißer und Straßenkinder sind häufig unauffällig, stammen aus allen Gesellschaftsschichten und finden sich keineswegs nur unter bunthaarigen Punks. Übliche Auslöser für die Flucht sind schwere familiäre Zerwürfnisse, Missachtung, Misshandlung oder auch Missbrauch.

Materielle Not spielt nur eine zweitrangige Rolle. Die meisten Straßenkinder hatten desolate Elternhäuser und bereits Kontakt zum Jugendamt. »Schule« ist zwar kein Auslöser für den Gang auf die Straße, allerdings kommt es vor der Flucht auf die Straße aufgrund der privaten Situation häufig zu einem schulischen Absturz.

Im Zentrum des Straßenlebens steht die Sicherung des eigenen Überlebens. Die ursprüngliche Zielsetzung, sich eine neue Lebensperspektive zu organisieren, tritt schnell in den Hintergrund. Zumindest anfangs sind die meisten Straßenkids Einzelgänger. Viele berichten davon, zeitweilig von Freunden und Kumpeln mit Lebensmitteln und Kleidung versorgt worden zu sein.

In Großstädten gelingt diese Überlebensform vor allem den Jugendlichen, die aus der Stadt stammen, in der sie sich aufhalten, und die einen entsprechenden Bekanntenkreis haben. Alle anderen schlagen sich primär mit Bettelei durch. Prostitution und Diebstähle sind weitere Einkommensquellen.

Heranwachsende:
Die Anzahl junger Volljähriger im Obdachlosenmilieu Hannovers steigt unaufhörlich an. Insbesondere die Zahl der 18- bis 21-Jährigen übertrifft die Menge der Minderjährigen um ein Vielfaches. Die meisten sind männlich.

Analog zu den Minderjährigen gibt es eine steigende Zahl an sogenannten Couch-Hoppern, die zunächst nicht oder nur sporadisch im Straßenmilieu in Erscheinung treten. Viele von ihnen halten sich selbst nicht für obdachlos, da sie bei Freunden und Bekannten unterkommen. In diesen Fällen kann man von verdeckter Obdachlosigkeit sprechen.

Anders als bei den Minderjährigen sind die jungen Volljährigen häufig überschuldet. Zudem fehlen sehr oft Schulabschlüsse. Der Zugang zum Ausbildungsmarkt ist hierdurch weitgehend blockiert. Dennoch gleichen die Zukunftshoffnungen denen der Minderjährigen: Normalität, Geborgenheit, Schulabschluss, Berufsausbildung, Wohnung und Arbeit.

Nutzungskonflikte im öffentlichen Raum
Die steigende Zahl von wohnungslosen Menschen in Hannover zeigt sich durch verstärkte Nutzungskonflikte im öffentlichen Raum. Wie oben beschrieben haben manche Personen keinen Zugang zum Hilfesystem und sind deswegen gezwungen, im öffentlichen Raum zu übernachten oder dort ihren Tag zu verbringen.

Hinzu kommen die Personen, die eine Unterkunft oder sogar eine eigene Wohnung haben, diese öffentlichen Plätze aber als Treffpunkt nutzen und dort ihre sozialen Kontakte haben.

Am Weißekreuzplatz in der Oststadt ist dieses besonders anschaulich zu beobachten. Eine Evaluation, die der Fachbereich Soziales in Auftrag gegeben hat, hat ergeben, dass der Großteil der dort auffälligen Personen tatsächlich Bewohnerinnen und Bewohner des Stadtteils sind. Hinzu kommt allerdings auch eine kleine Gruppe von obdachlosen Personen, die in der Regel aber bemüht ist, wenig aufzufallen und ihren Aufenthalt auf dem Platz nicht durch auffälliges Verhalten zu gefährden.

Die Situation am Raschplatz war wiederum anders zu beurteilen. Hier traf sich eine größere Gruppe von Personen, die nicht der Klientel der Obdachlosen, teilweise aber den Wohnungslosen zuzuordnen ist. Mit dem neuen Angebot Kompass wurde eine alternative Aufenthaltsmöglichkeit geschaffen, die aktuell sehr gut angenommen wird. Derzeit nutzen durchschnittlich mehr als 50 Personen pro Tag den Kompass, über den Tag verteilt halten sich durchschnittlich 30 Menschen gleichzeitig im Kompass auf. Auffällig ist, dass gerade am Wochenende, wenn es im Winter kaum Alternativen für einen Aufenthalt gibt, die Zahl der Besucher noch einmal nach oben steigt und dann auch durchaus über 70 Personen beträgt.

Auch in anderen Quartieren gibt es in Hannover Nutzungskonflikte zwischen unterschiedlichsten Gruppen. Teilweise handelt es sich dabei um Menschen, die im Stadtteil in schwierigen Situationen leben und sich die öffentlichen Plätze als Treffpunkt geschaffen haben. Nur vereinzelt sind es obdachlose Personen, die sich hier in ihrem Quartier einen geschützten Raum gesucht haben.

Die Stadt versucht mit unterschiedlichsten Maßnahmen in den verschiedenen Stadtteilen zu intervenieren, wenn es dort Probleme gibt. Im Rahmen der Drucksache 1611 / 2017 (Öffentliche Sicherheit und Ordnung im öffentlichen Raum) sind hierzu Maßnahmen vorgestellt und beschlossen worden. Der Fachbereich Soziales hat die bisher zwei vorhandenen Stellen für Straßensozialarbeit (Streetwork) im Rahmen der Drucksache 1611/2017 um eine weitere Stelle aufstocken können. Haupteinsatzgebiet ist dabei der Innenstadtbereich. Hinzu kommen die Koordinierungsstelle Osteuropa (Schwerpunkt Familien) und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Fachbereichs Kinder und Jugend.

Einrichtungen der Wohnungslosen- bzw. Suchthilfe bieten wie oben beschrieben (teilweise mit Finanzierung der Landeshauptstadt Hannover) ebenfalls Unterstützung, die auch Arbeit auf der Straße mit einbezieht.

Nach Einschätzung des Sozialdezernats ist das größte Problem bei Beratungs- und Interventionsangeboten jedoch, dass man den betroffenen Personen kaum eine Alternative für Aufenthalt oder Übernachtung anbieten kann. Auch in der Vergangenheit gab es einzelne Personen, die auf Grund ihrer persönlichen Situation nicht in der Lage oder bereit waren, eine städtische Obdachlosenunterbringung zu akzeptieren oder andere professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Durch die oben beschriebene Zunahme der wohnungslosen und obdachlosen Personen wird die Lebenssituation obdachloser Menschen jetzt aber auch in der Öffentlichkeit immer stärker sichtbar. Gleichzeitig steigt der Konkurrenzdruck innerhalb der von Wohnungslosigkeit bzw. Obdachlosigkeit betroffenen Personengruppen weiter an. Es konkurrieren immer mehr Personen um verfügbare günstige Wohnungen und den Platz im öffentlichen Raum. Auch die in der Anlage dargestellten Beratungs- und Unterstützungsangebote werden von immer mehr Menschen nachgefragt.

Versuch eines Ausblicks
Die oben beschriebene Entwicklung im Bereich der Wohnungslosen- bzw. Obdachlosenszene erfordert neue Handlungs- und Lösungsansätze. Ein Patentrezept, wie mit dieser Situation umgegangen werden soll, gibt es nicht. Nach unserer Einschätzung ist nur eine Kombination aus unterschiedlichsten Maßnahmen - die teilweise bereits in der Umsetzung sind - sinnvoll, um eine weitere Verschlechterung der Situation zu verhindern und eine Stabilisierung / Verbesserung zu erreichen. Dieses sind zum Beispiel:
· Initiativen zur Schaffung von preiswertem Wohnraum in Hannover
· Schaffung von neuen bzw. weiteren Möglichkeiten im Bereich der städtischen Unterbringung (hierzu gibt es Planungen des Fachbereichs Planen und Stadtentwicklung),
· Neue Projekte zur Stabilisierung der Situation wohnungsloser bzw. obdachloser Menschen (z.B. modellhafte Erprobung im Bereich der besonderen Angebote für Menschen mit einer psychischen Erkrankung) – dieses kann aber nur mit ausreichend geeigneten Wohnobjekten umgesetzt werden,
· Neuausrichtung der Hilfen nach § 67 SGB XII (Hilfen für Personen in besonderen sozialen Schwierigkeiten, die der Fachbereich Soziales im Auftrag der Region Hannover / des Landes bearbeitet). Ein Ausbau der ambulanten Hilfen setzt ausreichend geeigneten Wohnraum voraus, dieses ist derzeit kaum zu realisieren.
· Eine bessere Koordination und Kooperation der Hilfen im Bereich der Wohnungslosenhilfe (hierzu gibt es bei der Region Hannover eine Arbeitsgruppe, in der neben den einschlägigen Trägern auch die Landeshauptstadt Hannover beteiligt ist).
· Die Entwicklung weiterer erforderlicher Angebote nach Bedarf.

Die Handlungsmöglichkeiten der Landeshauptstadt Hannover sind eingeschränkt, da sie die Rahmenbedingungen für die erforderlichen Maßnahmen nicht selbst setzen kann. Die Ausgestaltung der medizinischen Versorgung, die Gewährung der Leistungen nach dem SBG II oder SGB XII, besondere Hilfen für Personen in besonderen sozialen Schwierigkeiten, die Wohnungsbauförderung und die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Gewährung von Unterstützung für Personen aus dem Bereich der EU-Zuwanderer sind nicht in der Zuständigkeit der Landeshauptstadt Hannover angesiedelt. Die Landeshauptstadt Hannover ist hier in unterschiedlichsten Gremien beteiligt, aber eher in beratender Funktion.

Zusätzliche freiwillige Angebote, ein „mehr“ an Unterstützung oder praktischer Hilfe abseits der rechtlichen Pflichtaufgaben ist immer auch mit zusätzlichen Kosten für die Landeshauptstadt Hannover verbunden, wenn es nicht gelingt, andere Finanzierungsmöglichkeiten miteinzubinden.

Über die Organisationen der Wohnungslosenhilfe und gerade auch über die BAG Wohnungslosenhilfe ist in den letzten Monaten verstärkt versucht worden, auf die prekäre Situation wohnungsloser und obdachloser Menschen hinzuweisen. Die Berichterstattung in den Medien hat dieses aufgenommen.

So ist gerade im Dezember, sowohl in Fernsehbeiträgen als auch in den Printmedien oder in den sozialen Netzwerken verstärkt über die Steigerung der Zahl der wohnungslosen/obdachlosen Personen berichtet worden, Handlungsansätze sind eingefordert worden. Wir gehen davon aus, dass es auch auf Bundes- und Landesebene neue Konzepte und Ideen für die Unterstützung dieses Personenkreises geben wird. Als Landeshauptstadt haben wir ein hohes Interesse auch an diesen Themen mitzuarbeiten. Es ist allerdings davon auszugehen, dass - selbst wenn der Bund oder das Land neue Projektförderungen auflegen werden - dieses nur mit einer Co-Finanzierung aus städtischen Mitteln möglich sein wird. Der Dreh- und Angelpunkt jeder Konzeptidee wird außerdem die Bereitstellung von passenden Immobilien sein (für Beratungsräume und als Aufenthalts- und Wohnflächen). Hier ist ein abgestimmtes gesamtstädtisches Vorgehen erforderlich, da der Fachbereich Soziales über keine eigenen Immobilien verfügt. Die aktuellen Anträge zur Konzeptentwicklung im Rahmen von Housing first / Hotel plus sind hierfür ein Beispiel.

Der Fachbereich Soziales hat im Rahmen der Drucksache 1611/2017 (Sicherheit und Ordnung im öffentlichen Raum) neben der o.g. Einrichtung der dritten Stelle im städtischen Streetwork des Fachbereichs Soziales auch die Einrichtung einer Stelle zur Koordination der Wohnungslosenhilfe vorgeschlagen. Diese Drucksache ist im November beschlossen worden. Die Stellenbesetzungsgespräche laufen aktuell.

Diese Informationsdrucksache stellt einen ersten Einstieg in das Thema dar, wir werden zukünftig mindestens einmal jährlich über die weiteren Entwicklungen im Bereich der Wohnungslosen/Obdachlosen berichten. Hierbei werden wir auch über weitere Handlungsansätze, Modellvorhaben oder Entwicklungen informieren.

Berücksichtigung von Gender-Aspekten

Die besondere Situation obdachloser sowie wohnungsloser Frauen wurde dargestellt.

Kostentabelle

Es entstehen keine finanziellen Auswirkungen.

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Hannover / 07.02.2018